Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  W 5 K 19.30994

Datum:
8.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27191
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 38 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Der Schutzsuchende hat sein Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft dargelegt, wenn er im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen unauflösbare Widersprüche enthält, seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich erachtet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt.(ebenso BeckRS 2015, 49160) (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2017 wird in Ziffern 5 und 6 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, jedoch weitgehend unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts vom 17. Februar 2017 ist in Ziffern 1, 3 und 4 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus noch einen Anspruch auf Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Allerdings war der streitgegenständliche Bescheid unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffern 5 und 6 aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2250) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) – in deutsches Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Schutz vor Verfolgung kann gemäß § 3d AsylG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz zu bieten. Der Schutz muss gemäß § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG jedoch nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat, sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der RL 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet somit die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris).
Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei ist maßgeblich, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/940).
Der Schutzsuchende muss sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Er muss die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, zu denen insbesondere seine persönlichen Erlebnisse fallen, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen (VG Bayreuth, U.v. 13.7.2015 – B 3 K 14.30344 – juris). Dies ist nicht der Fall, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen unauflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich erachtet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Dies zugrunde gelegt hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung und im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt kann nicht davon ausgegangen werden, dass er in Afghanistan im Falle seiner Rückkehr einer asylrechtlich relevanten Verfolgung unterliegt.
1.1. Denn das von dem Kläger vorgetragene zentrale Verfolgungsgeschehen, wonach ihm von den Taliban wegen seiner Tätigkeit für die Nationalarmee und hier insbesondere als Aufseher in einem Gefängnis Vorhaltungen gemacht worden seien bzw. er und auch seine Familie damit bedroht worden seien, dass er seine Arbeit aufgeben müsse, da ansonsten das Leben seiner Familie in Gefahr sei und er schließlich (so seine Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung) aufgefordert worden sei, für die Taliban zu arbeiten, mithin das unter dem Aspekt der Drohung zur Aufgabe seiner Tätigkeit bei der Nationalarmee und der drohenden Zwangsrekrutierung vorgetragene Verfolgungsgeschehen, knüpft – selbst wenn man es als wahr unterstellt – bereits nicht an eines der Verfolgungsmerkmale nach § 3b AsylG an. Denn diese Probleme des Klägers bzw. drohenden Übergriffe auf ihn beziehen sich auf keines der Merkmale Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
Insbesondere kann nicht von einer Verfolgung aus politischen Gründen ausgegangen werden. Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Nach § 3b Abs. 3 AsylG bzw. Art. 10 Abs. 2 QRL ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob der Kläger tatsächlich politische Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale vom Verfolger zugeschrieben werden. Unabhängig davon, dass hier nichts vorgetragen wurde, was für eine politische Überzeugung im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG sprechen würde, fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine solche Sichtweise zugeschrieben werden könnte.
Nach der Überzeugung des Gerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Taliban jedem, der eine Zusammenarbeit mit ihnen bzw. eine Rekrutierung ablehnt, eine abweichende politische Überzeugung oder Religion zuschreiben. Die Ziele der Taliban sind insoweit nämlich nicht eindeutig politischer Natur, sondern weisen eine diffuse Gemengelage aus politischen, religiösen und wirtschaftlich sozialen Motiven auf. Der Kläger hat vorliegend keinerlei Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung zu den Taliban vertreten, sondern allenfalls zum Ausdruck gebracht, dass er sich diesen nicht anschließen wolle; zu den Praktiken und Verfahren der Taliban hat sich der Kläger in keiner Weise wertend geäußert. Das reine Entziehen einer Zwangsrekrutierung durch Flucht reicht nach Überzeugung des Gerichts indes nicht dafür aus, dass damit dem Kläger eine bestimmte politische Überzeugung oder Religion zugeschrieben werden kann; die alleinige Nichtbeteiligung an einer Organisation, ohne dass hierfür die Beweggründe näher zutage getreten wären, kann noch nicht zu der Annahme einer dem Kläger von Seiten der Taliban zugeschriebenen politischen Überzeugung gegen diese Organisation oder andere Religion führen.
Aus Sicht des Gerichts kann auch nicht angenommen werden, dass Personen, die von den Taliban rekrutiert werden sollen, einer sozialen Gruppe angehören, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Es ist bereits nicht ersichtlich, worin der unveränderbare Hintergrund einer derartigen von Zwangsrekrutierung betroffenen Personengruppe liegen sollte. Denn grundsätzlich kommen alle afghanischen Jugendlichen und jungen Männer im kampffähigen Alter für eine Rekrutierung in Frage. Der Kreis möglicher Rekruten wird demgemäß mangels einer deutlich abgrenzbaren Identität auch gar nicht von der Gesellschaft als solcher wahrgenommen.
Die Erkenntnismittellage zu Zwangsrekrutierungen durch die Taliban stellt sich darüber hinaus wie folgt dar:
Der UNHCR erläutert im fraglichen Zusammenhang, dass in Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen die Kontrolle über die Bevölkerung ausübten, eine Vielzahl von Mechanismen bestehe, um Kämpfer zu rekrutieren, einschließlich durch Zwangsmaßnahmen. Es gebe Berichte, dass regierungsfeindliche Gruppen weiterhin auch Kinder, sowohl Jungen als auch Mädchen, für ihre Zwecke rekrutierten. Daher könnten Männer im kampffähigen Alter oder Kinder, die sich einer zwangsweisen Rekrutierung widersetzt hätten, des internationalen Flüchtlingsschutzes aufgrund deren (unterstellter) politischer Meinung oder aus anderen relevanten Gründen bedürfen (UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 19.4.2016, S. 44 ff.).
Das Bundesasylamt der Republik Österreich hat in seiner Staatendokumentation vom 2. April 2012 zu Afghanistan betreffend die Rekrutierung durch die Taliban ausgeführt, es gebe eine Vielzahl von Gründen, warum sich in Afghanistan Menschen den Taliban anschlössen. Ein wesentlicher Faktor seien Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Ausbildung. So werde die Beteiligung am Aufstand als Möglichkeit gesehen, sich und die eigene Familie zu versorgen. Bis zu 70% der Taliban sollen aus jungen arbeitslosen Männern bestehen, die versuchten, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Vor allem Flüchtlingslager in Afghanistan und Pakistan und die dortigen schlechten Lebensumstände schienen die Rekrutierung zu begünstigen. Ein weiterer Grund, sich den Taliban anzuschließen, könne auch in der persönlichen Rache für die Tötung von Angehörigen liegen. Außerdem gelinge es den Taliban immer wieder geschickt, lokale Konflikte auszunutzen, um neue Verbündete zu finden. Vor diesem Hintergrund einer Vielzahl ökonomischer, machtpolitischer und ideologischer Beweggründe, sich den Taliban anzuschließen, basiere die tatsächliche Rekrutierung jedoch im Wesentlichen auf den persönlichen Kontakten zu lokalen Kommandanten und Mullahs bzw. es würden Personen in Koran-Schulen angeworben und indoktriniert. Eine Facette der Politik der Taliban gegenüber der Bevölkerung liege in der Vermeidung lokaler Konflikte. So suchten die Taliban die Unterstützung der Dorfältesten, bevor sie in ein Gebiet eindringen würden. Seit ihrem Sturz versuchten die Taliban, alle zu rekrutieren, die ihre Herrschaft in den 1990er Jahren unterstützt und mit der Vertreibung der Taliban im Jahr 2001 an Einfluss verloren hätten. In einigen Fällen seien das auch Nicht-Paschtunen. Grundsätzlich scheine die Zwangsrekrutierung im Sinne einer Rekrutierung durch Waffengewalt eher ein Randphänomen zu sein. Es müsse jedoch festgehalten werden, dass die allgemeine Quellenlage über Rekrutierung durch die Taliban rar sei. Auffällig sei, dass die Fälle von Zwangsrekrutierung mit Waffengewalt sich nach den vorliegenden Quellen ausschließlich in Pakistan zugetragen hätten. Es gebe keine Berichte über konkrete Fälle aus jüngerer Zeit. Die Mehrheit der Kämpfer scheine sich freiwillig den aufständischen Gruppen anzuschließen. Gehe man davon aus, dass die Taliban in einem nicht geringen Ausmaß auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung beim Kampf gegen die Regierung und die internationalen Gruppen angewiesen seien und die Zuverlässigkeit von zwangsrekrutierten Kämpfern sehr zweifelhaft sei, sei eine Politik der Zwangsrekrutierung auch kontraproduktiv. Dies würde die eigene Schlagkraft schwächen und den Widerstand der Bevölkerung provozieren. Dieser Befund decke sich auch mit der Feststellung, dass die Taliban bemüht seien, Konflikte mit der lokalen Bevölkerung weitestgehend zu vermeiden, indem sie die lokalen Würdenträger vor dem Beginn ihrer Aktivitäten in einem bestimmten Gebiet in Kenntnis setzten und ihre Zustimmung einholten. Wenn überhaupt, gehe man davon aus, dass es nur in von Taliban kontrollierten Gemeinschaften zu Zwangsrekrutierungen gekommen sein könne. Zur Frage der ethnischen Diversität der Taliban könne festgehalten werden, dass das Gros der Taliban sich immer noch aus den verschiedenen Teilen der paschtunischen Volksgruppe rekrutiere.
Das European Asylum Support Office stellt in seinem Herkunftsländer-Report zu Afghanistan „Taliban Strategies – Recruitment“ vom Juli 2012 u.a. dar, die Basis für die Rekrutierung durch die Taliban stelle die lokale Zelle dar. Dies könne eine Koran Schule, ein Mullah, ein örtlicher Kommandant oder ein Stammesältester sein. Die Taliban versuchten, besser ausgebildete Menschen von den Schulen und Universitäten in den großen Städten zu rekrutieren, um die Kommunikation sowie das technische und medizinische Know How der Organisation weiterzuentwickeln. Zwangsrekrutierungen hätten in der Vergangenheit in Afghanistan stattgefunden. Quellen aus den Jahren 2010 bis 2012 erwähnten, dass Zwangsrekrutierungen in der Provinz Helmand stattgefunden hätten, ebenso in Marjah sowie in Camps, in denen sich Binnenvertriebene aufhielten. Berichte über Ängste vor Vergeltung wegen verweigerter Rekrutierung gebe es aus Kunduz, Kunar und Gebieten in Pakistan. Zwei Quellen erwähnten den Gebrauch von Zwang und Einschüchterung zum Zwecke der Rekrutierung in der Provinz Uruzgan. Andere Quellen berichteten explizit, dass Gewalt und Zwang in ihren Provinzen nicht für Rekrutierungsmaßnahmen angewendet worden seien, nämlich in Ghazni, Herat und Logar. Quellen, die die generelle Situation in Afghanistan diskutierten, würden feststellen, dass Zwang beim Rekrutierungsprozess selten sei. Vorkommen könne dies in Flüchtlingscamps und Gebieten unter dem starken Einfluss der Taliban. Einige Quellen erwähnten Argumente, die gegen Zwangsrekrutierungen sprächen. So würde diese die Bevölkerung verstimmen, zum anderen bestehe hierfür auch keine Notwendigkeit, da die Taliban auf ausreichend Freiwillige zurückgreifen könnten. Zusammenfassend wird festgestellt, dass Zwangsrekrutierungen durch die Taliban als außergewöhnlich anzusehen seien. Eine Vielzahl glaubwürdiger Quellen stelle dies explizit heraus und gebe plausible Argumente für diese Einschätzung. Seit 2006 hätten die Taliban auch begonnen, andere Volksgruppen außerhalb der Paschtunen zu rekrutieren. Finanzielle und religiöse Motive seien bedeutsam bei der Rekrutierung anderer Ethnien.
Auch im EASO-Bericht vom September 2016 (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Recruitment by armed groups, September 2016, S. 22) sowie vom Juni 2018 (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis, S. 46) wird bestätigt, dass Fälle von Zwangsrekrutierungen in Afghanistan als außergewöhnlich zu bezeichnen sind.
Dr. M. D. führt in seinem Gutachten vom 30. April 2013 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zu der Frage, ob in den letzten Jahren in Afghanistan Fälle von Rückkehrern aus dem Ausland oder von Binnenflüchtlingen bekannt geworden seien, die in der Stadt Kabul von den Taliban aufgespürt und getötet oder bestraft worden seien, weil sie sich durch Flucht einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, und wenn ja, wie häufig dies vorkomme, aus, ihm seien drei Personen bekannt geworden, die hätten zwangsrekrutiert werden sollen und nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan erneut von den Taliban behelligt worden und daraufhin ein weiteres Mal geflohen seien. Des Weiteren berichtet er über zwei weitere Fälle von Binnenflüchtlingen, die aus ihrer Heimatregion geflohen und in der Hauptstadt Kabul von den Taliban wiederum bedroht worden seien. Es gebe keine Statistik über solche Fälle, aber Informanten berichteten, dass es häufig zu Fällen komme, in denen junge Männer getötet würden und Gerüchte wollten wissen, dass es sich um Racheakte der Taliban handele. Konkret könne er die Frage nach der Häufigkeit solcher Racheaktionen nicht beantworten. Zur weiteren Frage, ob die Taliban in Kabul über Netzwerke verfügten, mittels derer sie gezielt Nachforschungen anstellten, ob sich unter Rückkehrern und Binnenflüchtlingen Personen befinden, die sich in ihrer Heimatregion einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, erklärt Herr Dr. D., konkret könne er diese Frage nicht beantworten, seine Informanten hätten bei ihren Recherchen nicht feststellen können, ob innerhalb der Informationszentren der Taliban Strukturen existierten, die dazu dienten, nach solchen Personen zu suchen. Seine Kollegen seien jedoch der Überzeugung, dass die Taliban selbst in der Hauptstadt zwangsrekrutierten. Ob die Taliban in den genannten Fällen, in denen sie abgeschobene Personen ein zweites Mal zu rekrutieren versuchten, gezielt nach ihnen gesucht hätten, könne er nicht beantworten. Er müsse davon ausgehen, dass die Taliban mindestens in der Lage seien, viele der Personen, die eine Zwangsrekrutierung abgelehnt hätten, zu finden. Auf die weitere Frage, ob Rückkehrer und Binnenflüchtlinge, die sich einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, einer erhöhten Gefahr ausgesetzt seien, in Kabul von den Taliban entdeckt zu werden, wenn sie aus einer Region im näheren Umkreis von Kabul stammten, führt Dr. D. aus, dass es vor allem darauf ankomme, ob sie einem paschtunischen Stamm angehörten, aus dem viele Taliban kämen. Dann sei eine solche Person in Kabul leichter zu identifizieren als jemand, der aus einem nicht-paschtunischen Volk stamme.
Dies zugrunde gelegt besteht nach Überzeugung des Gerichts auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchten müsste, durch die Taliban zwangsrekrutiert oder im Falle der Ablehnung einer Zusammenarbeit bestraft oder gar getötet zu werden. Der Erkenntnismittellage lässt sich nämlich insoweit zusammenfassend entnehmen, dass derartige Vorkommnisse zwar nicht auszuschließen sind, dass es sich jedoch bei Zwangsrekrutierungen um seltene Fälle handelt, da sich die Menschen in aller Regel freiwillig den Taliban anschließen, wobei insbesondere finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Dies scheint aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan und der hohen Arbeitslosigkeit auch zwanglos nachvollziehbar. Die Taliban sind also in der Lage, auf einen sehr großen Pool an freiwilligen Kämpfern und Unterstützern zurückzugreifen. Auch die Tatsache, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für die Taliban unverzichtbar ist, stützt die Annahme, dass es sich bei zwangsweisen Rekrutierungen allenfalls um ein Randphänomen in Afghanistan handelt. Schließlich ist auch für die Taliban vorhersehbar, dass zwangsweise rekrutierte Menschen allenfalls eine eingeschränkte Motivation und Zuverlässigkeit bieten und daher für die eigenen Zwecke wenig zielführend sind. Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Darstellung des Dr. D. erschüttert. Er berichtet in seinem Gutachten von insgesamt fünf konkreten Personen, die nach einem erfolglosen Zwangsrekrutierungsversuch durch die Taliban erneut von diesen behelligt worden seien, sich dann aber erneut durch Flucht entzogen hätten. Dass derartige Fälle im Einzelfall vorkommen, ergibt sich jedoch bereits aus den anderen ausgewerteten Erkenntnismitteln. Die darüber hinausgehenden Aussagen des Dr. D. sind jedoch ausgesprochen vage und geben teilweise nur Gerüchte wieder. Sie beruhen nach Auffassung des Gerichts nicht auf einer gesicherten Tatsachengrundlage und lassen keinen tragfähigen Erkenntnisgewinn über die anderweitigen Erkenntnismittel hinaus zu. Auch ist der Umstand, dass sich aus sämtlichen Erkenntnismitteln keine eingehenden konkreten Informationen zu Zwangsrekrutierungen entnehmen lassen, als starkes Indiz dafür zu werten, dass es sich bei derartigen Vorfällen tatsächlich nur um eine Randerscheinung handelt. Das verbleibende Restrisiko, nach einer Rückkehr nach Afghanistan zwangsweise von den Taliban rekrutiert oder nach einer Verweigerung derselben bestraft zu werden, ist nach alledem als gering einzustufen, jedenfalls besteht nach Überzeugung des Gerichts nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit hierfür.
Darüber hinaus bleibt festzustellen, dass der Kläger allein dadurch, dass er seinen Dienst bei der Nationalarmee durch seine Flucht aufgegeben hat, dem wesentlichen Verlangen der Taliban nachgegeben hat, wenn diese von ihm bzw. seiner Familie gefordert haben, dass er nicht länger für den afghanischen Staat arbeiten solle. Dann ist aber auch davon auszugehen, dass die Taliban kein weiteres Interesse daran haben, dem Kläger weiterhin nachzustellen. Dies zeigt sich auch darin, dass die Taliban – nach den Angaben des Klägers – zwar noch zwei Mal bei seiner Mutter angerufen und sich nach seinem Aufenthalt erkundigt haben, letztlich aber nichts weiter gegen die Familie des Klägers unternommen haben. Auf entsprechende Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, was er denn bei einer Rückkehr befürchte, wenn er denn letztlich dem Verlangen der Taliban nachgegeben und seine Arbeit bei der Nationalarmee aufgegeben habe, hat der Kläger denn auch erklärt, dass er befürchte festgenommen zu werden, weil er seine Waffe mitgenommen habe und er nicht wisse, wo er hingehen solle, wo es Ruhe und Sicherheit gebe.
1.2. Darüber hinaus besteht für den Kläger – selbst wenn man von einer relevanten Bedrohungslage in Bezug auf seine Person durch die Taliban ausgehen würde – eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG.
Nach § 3e AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie – davon aus, dass der Kläger zumindest in der afghanischen Hauptstadt Kabul internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es sprechen nämlich stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von einer Verfolgung bedroht würde, wie er sie in seinem Asylverfahren vorgetragen hat. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Taliban den Kläger in einer anderen Provinz, namentlich in der Hauptstadt Kabul, ausfindig machen könnten oder überhaupt ein Interesse daran hätten. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Person des Klägers eine besondere Bedeutung für die Taliban hat. Der Kläger hat sich in keiner Weise aktiv gegen die Taliban engagiert oder gegen diese gearbeitet. Es ist insoweit nicht davon auszugehen, dass die Taliban einen einfachen jungen Mann wie den Kläger über Provinzgrenzen hinweg verfolgen würden. Die letzten Verbindungen des Klägers zu den Taliban liegen darüber hinaus mittlerweile mehrere Jahre zurück. Darüber hinaus hat der Kläger allein Gefahren vorgetragen hat, welche von seinem örtlichen Umfeld – dem der Taliban in der Provinz Ghazni – ausgehen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Taliban den Kläger in der Millionenstadt Kabul überhaupt ausfindig machen könnten, zumal in Afghanistan kein funktionierendes Meldewesen existiert. Nach alledem sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland in Kabul von einer Verfolgung der vorgetragenen Art bedroht wäre.
Der Kläger könnte darüber hinaus sicher und legal nach Kabul reisen, nachdem dies ohnehin der Hauptzielort von Rückführungen nach Afghanistan ist.
Schließlich kann von dem Kläger vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Kabul niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder der Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG NRW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018 ist zu entnehmen, dass Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei (Human Development Index 2016: Platz 169 von 188 Staaten). Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum sei kurzfristig nicht in Sicht (2017: 2,6%). Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2014 von 25% auf 39% gestiegen. Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung – insbesondere Rückkehrer – weiterhin eine tägliche Herausforderung. Laut UNOCHA benötigen 9,3 Mio. Menschen – ein Drittel der afghanischen Bevölkerung – humanitäre Hilfe (z.B. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung). Die hohe Arbeitslosigkeit werde verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen, für 2018 sei eine Dürre vorausgesagt worden. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten hätten dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 seien laut UNHCR 5,8 Mio. afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt, Afghanistan erlebe die größte Rückkehrbewegung der Welt. Das Fehlen lokaler Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan v. 31.5.2018, S. 25/28).
Laut einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom 1. Juni 2018 stünden in den Großstädten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, sofern der Lebensunterhalt gewährleistet sei. Zugang zu angemessener Unterkunft sei jedoch eine Herausforderung. Die Mehrheit der städtischen Unterkünfte seien als Slums einzustufen. Flüchtlinge lebten in der Regel in Flüchtlingssiedlungen. Die Städte böten jedoch auch die Option billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Zugang zu Trinkwasser sei in den Städten oft eine Herausforderung, insbesondere in den Slums und Flüchtlingssiedlungen in Kabul; in Mazar-e Sharif und Herat hätten hingegen die meisten Menschen besseren Zugang zu Wasserquellen sowie sanitären Anlagen. In Kabul, Herat und Mazar-e Sharif seien auch Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden; diese seien aufgrund des Anstiegs der Zahl der Flüchtlinge und Rückkehrer jedoch überlastet. Das Fehlen finanzieller Mittel sei eine große Hürde beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Aufgrund der Wirtschafts- und Sicherheitslage bestehe eine hohe Arbeitslosenquote, insbesondere bei städtischen Jugendlichen. Zusätzliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sei das Ergebnis der steigenden Zahl von Flüchtlingen. Städtische Armut sei weit verbreitet und steige an. In diesem Umfeld hänge die Fähigkeit zur Gewährleistung des Lebensunterhalts überwiegend vom Zugang zu Unterstützungsnetzwerken – etwa Verwandten, Freunden oder Kollegen – oder zu finanziellen Mitteln ab (siehe zum Ganzen: EASO, Country Guidance: Afghanistan, 1.6.2018, S. 104 f.).
Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juni 2018 seien von den 2,1 Mio. Personen, die in informellen Siedlungen lebten, 44% Rückkehrer. Die Zustände in diesen Siedlungen seien unterdurchschnittlich und besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen seien Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% hätten keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% lebten in überfüllten Haushalten. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (z.B. IPSO und AMASO), die die Reintegration in Afghanistan finanziell, durch Bereitstellung von Unterkunft, Nahrungsmitteln oder sonstigen Sachleistungen sowie durch Beratung unterstützten. Gleichwohl sei die Möglichkeit der Rückkehr zur Familie oder einer sonstigen Gemeinschaft mangels konkreter staatlicher Unterbringungen für Rückkehrer der zentrale Faktor. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellten die afghanische Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (zwei Wochen). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stelle eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar; Unterstützungsnetzwerke könnten sich auch aus der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religion sowie aus „professionellen“ (Kollegen, Kommilitonen etc.) oder politischen Verbindungen ergeben (siehe zum Ganzen: BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan v. 29.6.2018, S. 314-316, 327-331).
Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 seien die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55% (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7% (2007/08) bzw. 38,3% (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54% der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons – IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4% der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55% der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien (siehe zum Ganzen: UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 36 f., 125 f.).
Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 böten die informellen Siedlungen in den afghanischen Städten meist einen schlechten oder keinen Zugang zu Basisdienstleistungen und Infrastruktur (Elektrizität, sauberes Wasser, Nahrungsmittel, sanitäre Einrichtungen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen). Die Unterkünfte seien meist behelfsmäßig gebaut und könnten nur bedingt vor Kälte, Hitze und Feuchtigkeit schützen. Die Lebensbedingungen von Rückkehrern lägen unter den normalen Standards. Laut einer Studie seien 87% der IDPs und 84% der Rückkehrer von Lebensmittelknappheit betroffen. Ob es Rückkehrer schafften, sich in Afghanistan wieder zu integrieren, hänge nicht zuletzt vom Vorhandensein von Unterstützungsnetzwerken ab. In Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,8 – 7 Mio.) habe der schnelle Bevölkerungsanstieg rasch zu einer Überforderung der vorhandenen Infrastruktur sowie der Kapazitäten für Grunddienstleistungen geführt. Die humanitäre Lage spitze sich insbesondere in großen Städten zu, weil sich dort IDPs und Rückkehrer konzentrierten, die eine Existenzgrundlage und Zugang zu bereits stark überlasteten Grunddienstleistungen suchten. Laut Amnesty International sei die Aufnahmekapazität – insbesondere in den größeren Städten – aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, der sehr bescheidenen Möglichkeiten, eine Existenzsicherung sowie angemessene Unterkunft zu finden, sowie des mangelnden Zugangs zu überstrapazierten Grunddienstleistungen „äußerst eingeschränkt“ (siehe zum Ganzen: SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile – Update, 12.9.2018, S. 20 – 22).
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich zumindest in Kabul niederlässt.
Bei dem Kläger handelt es sich um einen 26-jährigen, gesunden, arbeitsfähigen Mann. Insbesondere dürfte dem Kläger eine Vielzahl von Tagelöhnertätigkeiten möglich sein. Der Kläger hat in Afghanistan 12 Jahre lang die Schule besucht und dann auch für kurze Zeit die Universität. Danach hat er zwei Jahre lang zusammen mit seinem Vater in dessen Metzgerei gearbeitet. Bis zu seiner Ausreise war der Kläger dann nach seinen eigenen Angaben für ca. drei Jahre Berufssoldat. In Deutschland hat der Kläger zwei Deutschkurse besucht und spricht mittlerweile ganz gut Deutsch. Er hat seit einem Jahr und zwei Monaten weitere Berufserfahrung in einer Fabrik sammeln können. Er spricht mit Dari eine der beiden Landessprachen Afghanistans. Mit seinen Erfahrungen und Kenntnissen – und auch aufgrund des durch den Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks von der Persönlichkeit des Klägers – ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Es entspricht auch der Auffassung des UNHCR, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 110). Der Kläger kann überdies Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Schweiz in einer Entscheidung vom 13. Oktober 2017 (Az. D-5800/2016) zu einem anderen Ergebnis kommt und ausführt, ohne besonders begünstigende Faktoren wie das Vorhandensein eines tragfähigen sozialen Netzes in Kabul sei ein Zurückschicken auch bei gesunden jungen Männern unzumutbar, kann sich dem das Gericht auf der Grundlage der oben aufgezeigten Erkenntnislage nicht anschließen. Mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 21.8.2017 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 18.12.2017 – 13a ZB 17.31473 – juris; B.v. 19.2.2018 – 13 A 17.31900), der sich das erkennende Gericht anschließt, sind alleinstehende, leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben.
Nach alledem kann der Kläger internen Schutz in Kabul in Anspruch nehmen, so dass (auch) aus diesem Grund ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausscheidet.
1.3. Dem Kläger droht im Falle der Rückkehr nach Afghanistan auch keine Gruppenverfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. seiner Religionszugehörigkeit als Schiit durch nichtstaatliche Akteure i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG. Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, sie sind aber keiner durch die Taliban oder andere nichtstaatliche Akteure an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ausgesetzt noch besteht für sie eine entsprechende Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris) voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar ist.
Dies zugrunde gelegt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Schiit oder wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG droht. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 24.1.2018 – 13a ZB 17.31611 – juris; U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris; U.v. 1.2.2013 – 13a B 12.30045 – juris; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris), der sich das erkennende Gericht anschließt, unterliegen Hazara und Schiiten in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung; sie sind derzeit und in überschaubarer Zukunft jedoch keiner an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt. Auch durch den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. Mai 2018 wie bereits den vom 19. Oktober 2016 wird diese Einschätzung nicht erschüttert. Zwar wird darin berichtet, dass die Hazara in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert seien. Auch gesellschaftliche Spannungen bestünden fort und lebten in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Zudem sei es im Jahr 2017 und auch im Jahr 2018 mehrfach zu tödlichen Angriffen insbesondere auf schiitische Moscheen und Kultureinrichtungen gekommen. Insgesamt habe sich jedoch die Lage der insbesondere unter der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im hohen Friedensrat seien auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonten, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (vgl. zum Ganzen: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 9 ff.).
Auch der UNHCR geht in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 (S. 87, 59) davon aus, dass die Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 erhebliche politische und wirtschaftliche Fortschritte gemacht hätten, zumal die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Im Oktober 2015 berichtete das US-Außenministerium, dass die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten deutlich abgenommen habe und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten keine Vorfälle mehr gemeldet worden seien, wenn es auch zu nicht offizieller Diskriminierung und schlechterer Behandlung gekommen sei (UNHCR-Richtlinien v. 19.4.2016, S. 59 Fn. 326). In Herat seien große Teile der Bevölkerung Schiiten und sowohl schiitische als auch sunnitische Führer würden von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten. Eine wesentlich andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (S. 69), wonach gewalttätige Überfälle durch regierungsfeindliche Kräfte auf die schiitische Bevölkerung seit 2016 beträchtlich zugenommen hätten und unter anderem Entführungen und gezielte Tötungen umfassten (S. 61 f.). Im August 2017 berichtete das US-Außenministerium insoweit, dass die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten weiter abgenommen habe, obgleich es auch weiterhin Berichte über Diskriminierungen in manchen Gebieten gebe (UNHCR-Richtlinien v. 30.8.2018, S. 69 Rn. 389).
Nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29. Juni 2018 (S. 279 f.) habe sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt gewesen seien, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehörten jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und hätten auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich gewesen sei diese Möglichkeiten zu nutzen, so hätten sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So hätten Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen hätten sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, seien sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger sei. Hazara hätten aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.
1.4. Hinsichtlich des weiteren individuellen klägerischen Vortrags in der mündlichen Verhandlung bzgl. künftiger Probleme wegen des Verlassens der Nationalarmee bleibt darauf hinzuweisen, dass erhebliche Zweifel an dessen Glaubhaftigkeit bestehen, da er insoweit erhebliche Steigerungen aufweist. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals erklärt, dass seine Mutter ein Jahr nach seiner Ausreise einen Brief von der Regierung bekommen habe, in dem gestanden habe, dass er eine Zeit lang bei der Armee gewesen sei, diese dann verlassen habe, seine Waffe mitgenommen und verkauft habe, so dass er sich bei der Regierung vorstellen müsse. Hiervon war beim Bundesamt nicht die Rede.
Darüber hinaus hat der Kläger, selbst wenn man von einem unerlaubten Entfernen von Militärdienst bzw. einer Desertion ausginge, in seinem Heimatland keine Strafe hierfür zu befürchten, wie sich aus der Erkenntnismittellage ergibt. Nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Afghanistan vom 21. Januar 2016 des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich sei zwischen Desertion und unerlaubter Abwesenheit zu unterscheiden. Desertion bedeute das Fliehen aus der Kriegszone, während einer Militäroperation oder das Unterstützen des Feindes. Ein solcher Fall ist ausweislich der klägerischen Angaben vorliegend nicht gegeben. Die Fälle der unerlaubten Abwesenheit beträfen etwa 4.000 Soldaten monatlich. Diese „Deserteure“ würden, schon aufgrund der sehr hohen Zahlen bei vorübergehenden Abwesenheiten, nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen. Laut Verteidigungsministerium gebe es keine Strafe für Desertion (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 21.1.2016, letzte Kurzinformation eingefügt am 19.12.2016, S. 152 f.). Nach Angaben des Auswärtigen Amtes bestehe in Afghanistan keine Wehrpflicht. Es sei ein gängiges Phänomen, dass Soldaten das Militär vorübergehend verließen, um zu ihren Familien zurückzukehren. Diese „Deserteure“ würden schon aufgrund der sehr hohen „attrition rate“ (unerlaubte Abwesenheiten oder Fahnenflucht) nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 12). Diese Angaben stimmen mit dem Urteil des VG Augsburg vom 9. September 2013 (Az. Au 6 K 13.30065 – juris) überein. In diesem Verfahren hatte das Verwaltungsgericht eine Auskunft zu der Frage eingeholt, ob Deserteure bei einer Rückkehr nach Afghanistan Bestrafung zu erwarten hätten. Das Auswärtige Amt teilte hierzu mit, dass dies nicht der Fall und Desertion in Afghanistan durchaus üblich sei. Wer in die Armee zurückkehren wolle, werde wieder aufgenommen (vgl. VG Augsburg, a.a.O., bestätigt durch BayVGH, B.v. 27.5.2014 – 13 a ZB 13. 30309 – juris; VG Würzburg, U.v. 18.7.2016 – W 2 K 15.30787 – juris). Hieraus ergibt sich eindeutig, dass der Kläger wegen einer unerlaubten Abwesenheit vom Militär keine Strafe zu befürchten hätte.
Eine andere Sichtweise ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Kläger vorbringt, dass er im Falle einer Rückkehr befürchte, wegen der Unterschlagung bzw. des Verkaufs der Dienstwaffe bestraft zu werden. Es ist kaum zu erwarten, dass die Militärbehörden bzw. die Strafverfolgungsbehörden in Afghanistan nach Jahren und landesweit einem derartigen und noch dazu relativ geringfügigen Vorwurf noch nachgehen werden. Im Übrigen wäre eine entsprechende Würdigung in einem militärgerichtlichen Verfahren herbeizuführen. Jedenfalls kann hierin weder eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung seitens des afghanischen Staates i.S.v. § 3a AsylG noch ein relevanter Verfolgungsgrund i.S.d. § 3b AsylG gesehen werden.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
2.1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Er hat hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen.
2.2. Der Kläger hat auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die zuletzt genannte Vorschrift der Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (ABl L 337, S. 9) – QRL – dient, ist dieser Begriff jedoch in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b QRL auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Art. 15b QRL wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zu Art. 3 EMRK aus (z.B. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C – 465/07 – juris Rn. 28; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, U.v. 11.7.2006 – Jalloh, 54810/00 – NJW 2006, 3117/3119 Rn. 67; Jarass a.a.O.; Hailbronner a.a.O.). Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.). Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen (Hailbronner, a.a.O., Rn. 24, 25).
Aufgrund des Vortrags des Klägers in der persönlichen Anhörung durch das Bundesamt sowie in seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr eines ernsthaften Schadens durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgesetzt wäre. Denn jedenfalls ist auch insoweit von einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen (vgl. vorstehende Ausführungen unter 1.2.).
2.3. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage am Ort der inländischen Fluchtalternative in Kabul.
Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Dabei kann offenbleiben, ob in Afghanistan ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, weil jedenfalls die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Sinne der vg. Vorschrift nicht gegeben sind.
Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen (EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 43 und v. 30.1.2014 – C-285/12 – Diakité -, NVwZ 2014, 573 Rn. 30). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011 (10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20; beide juris), bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres, ein Risiko von 1:800 (0,125%) bzw. 1:1.000 (0,1%) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris) geht weiterhin davon aus, dass für keine Region Afghanistans die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen.
Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung an. Auch wenn man bei Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel (insbesondere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Die aktuelle Sicherheitslage – Update, 12.9.2018; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan: Security Information, Update von Mai 2018; ECOI, Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul vom 23.5.2018) zugrunde legt, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Provinz Kabul weiterhin angespannt bleibt und sich seit Abzug der internationalen Truppen 2014/2015 grundsätzlich auch verschlechtert hat und die Aufständischen größere Bewegungsfreiheit haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnete Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.
Nach dem Jahresbericht der UNAMA (Annual Report 2018 vom Februar 2019, u.a. S. 1) hat sich die Zahl der zivilen Opfer (Tote und Verletzte) in Gesamtafghanistan 2018 im Vergleich zum Vorjahr von 10.459 auf 10.993 leicht erhöht. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich. In der Provinz Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,8 bis 7 Mio.) wurden im Jahre 2018 1.866 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019, S. 68). Damit lag die Anschlagswahrscheinlichkeit für diese Region im Jahr 2018 bei deutlich unter 1:800 und daher nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris).
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus der Abhandlung von Frau Friederike Stahlmann (Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei, so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau S* … alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau S* … eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
3.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. In Konstellationen wie der vorliegenden, in der gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, weshalb in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.; VG München, U.v. 8.5.2014 – M 15 K 12.30903 – juris Rn. 37). Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt demgegenüber keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a ZB 17.31960; B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 12). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
3.2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Von einer solchen Unzumutbarkeit ist auszugehen, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; vgl. zudem BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13).
Eine solche, extreme Gefahrenlage kann vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen besteht – wie sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen bereits ergibt – keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere bestehen in seiner Person keine hier zu berücksichtigenden Besonderheiten gesundheitlicher Art. Zum anderen droht dem Kläger auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Vorliegend vermögen die – fraglos schlechten – Lebensverhältnisse nach den vorstehenden Ausführungen keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann mit den von ihm erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, vermag das Gericht danach nicht festzustellen.
4. Allerdings erweist sich die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Nr. 5 des Bescheids) zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf § 38 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylG als rechtswidrig. Denn das Bundesamt hat den Kläger in Ziffer 5 Satz 1 des streitgegenständlichen Bescheids aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland „innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen“ und im darauffolgenden Satz 2 dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan – bzw. in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, vgl. Satz 3 – angedroht, wenn er die Ausreisefrist von einer Woche nicht einhält. Diese Entscheidung steht im klaren Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wonach in den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt – also in den Fällen, für welche die Sondervorschriften des § 38 Abs. 2 AsylG und der §§ 34a, 36 Abs. 1 AsylG nicht gelten, insbesondere in dem (hier einschlägigen) Fall der Ablehnung des Asylantrags als einfach-unbegründet (vgl. Pietsch in BeckOK Ausländerrecht, Ausländerrecht, 22. Edition Mai 2019, § 38 AsylG Rn. 2) – die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage beträgt. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens (§ 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG).
Mit der Abschiebungsandrohung war auch der hiermit zusammenhängende Ausspruch der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG (Nr. 6 des Bescheides) unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aufzuheben. Hierüber hat das Bundesamt zusammen mit der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG (erneut) zu entscheiden (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 4, § 75 Nr. 12 AufenthG).
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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