Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei untergeordneter exilpolitischer Betätigung

Aktenzeichen  AN 3 K 16.30562

Datum:
27.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 77 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die äthiopische Regierung beobachtet die Aktivitäten der äthiopischen Diaspora genau. (redaktioneller Leitsatz)
Spitzenpolitiker von Exilparteien müssen im Falle einer Rückkehr mit Verfolgung rechnen. Einfache Mitglieder werden hingegen nicht registriert. Es fehlt ihnen die flüchtlingsrelevante Exponiertheit. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG (Hauptantrag), noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsanträge), weshalb der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, §§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen steht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Nach den Einlassungen der Klägerin in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Äthiopien schon nicht von einer politisch motivierten Verfolgung bedroht gewesen ist.
Sie gab an, bereits im Jahr 2005 von Äthiopien aus mit ihrer Tante nach Griechenland gereist zu sein, wo sie sich bis zu ihrer Einreise nach Deutschland im März 2013 aufgehalten habe.
Die geschilderte Tötung ihres Bruders und das Verschwinden des anderen im Jahr 2005 lassen nach ihren Schilderungen keinerlei Rückschluss darauf zu, dass sie selbst von staatlichen Verfolgungsmaßnahmen aufgrund einer politischen Betätigung konkret hätte betroffen sein können. Dagegen spricht schon, dass die jüngere Schwester der Klägerin nicht auch 2005 nach Griechenland ausgereist ist und wohl auch immer noch in Addis Abeba lebt, obwohl die Mutter der Klägerin angeblich die Tötung ihrer Kinder befürchten musste.
Flüchtlingsrelevante Nachfluchtgründe ergeben sich auch nicht aus der exilpolitischen Betätigung der Klägerin für die … und die ….
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen wird und welche Art exilpolitischer Aktivität festgestellt wird (führende Position, Organisationen, gewaltsame Aktionen).
Von Bedeutung ist auch, ob und wie sich eine zurückgeführte Person anschließend in Äthiopien politisch betätigt. Die bloße Asylantragstellung im Ausland bleibt, soweit bekannt, ohne Konsequenzen.
Insgesamt ist den Erkenntnisquellen zu entnehmen, die dem Klägervertreter auch bekannt sind, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Diaspora genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Spitzenpolitiker von Exilparteien, die der Regierung misslich sind, müssen deshalb im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien mit Verfolgung rechnen. Auch Aktivisten, die sich im Ausland gegen die Regierung aussprechen, drohen in Äthiopien Verfolgungen aufgrund revolutionärer Absichten. Aktivitäten einfacher Parteimitglieder werden hingegen von den äthiopischen Behörden nicht registriert, da den Behörden dazu die Ressourcen fehlen. Es sind allerdings Einzelfälle bekannt geworden, in denen es trotzdem bei Rückkehr zu Verhaftungen gekommen ist. Andererseits sind zahlreiche Fälle von Mitgliedern von Exilparteien bekannt, die nach ihrer Rückkehr nach Äthiopien nicht belangt worden sind.
Insgesamt lässt sich nach Auffassung des Gerichts den Erkenntnisquellen im Wesentlichen entnehmen, dass jedenfalls Personen, die bereits in Äthiopien dem äthiopischen Staat regimekritisch aufgefallen sind und die sich hier in der Bundesrepublik Deutschland exponiert politisch betätigt haben und sich nicht nur als einfache Mitglieder oder bloße Mitläufer darstellen, bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben, zumal der äthiopische Staat in der Bundesrepublik Deutschland die Aktivitäten äthiopischer Staatsangehöriger genau überwacht (vgl. z. B. BayVGH, U. v. 25.2.2008 – 21 B 07.30363 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 17.8.2010 – 8 A 4063/06.A – juris).
Unter Würdigung dieser Gesichtspunkte und unter Würdigung der von der Klägerin vorgetragenen exilpolitischen Tätigkeiten ist ihr Engagement nicht derart einzuschätzen, dass ihr für den Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen drohen.
Sie gab an, einfaches Mitglied der … zu sein und an Veranstaltungen teilzunehmen und einen regimekritischen Artikel veröffentlichen zu wollen.
Die Klägerin erklärte in der mündlichen Verhandlung, sie habe wegen gesundheitlicher Probleme und auch wegen der Schwangerschaft vor ca. 18 Monaten ihre Tätigkeit für die … weitgehend weingestellt. Zuvor habe sie bei Veranstaltungen der … unterstützend geholfen, sie habe z. B. Essen zubereitet und ähnliche Hilfsarbeiten verrichtet.
Die Art dieser Tätigkeiten stellt sich schon an sich nicht als „exilpolitisches Engagement“ dar, unabhängig davon, dass die Klägerin derzeit nicht mehr für Exilorganisationen arbeitet. Ihre Erklärung, dieses Engagement wieder aufleben zu lassen, begründet keine relevante Verfolgungsgefahr für den Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien.
Es wurde auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal deutlich, dass es sich bei der Klägerin um eine unpolitische Person handelt, die sich in Deutschland möglicherweise unter dem Eindruck des Asylverfahrens oder um Kontakte zu Landsleuten zu bekommen, in exilpolitischen Organisationen engagiert hat. Dass dieses Engagement von einem ernsthaften politischen Willen getragen ist, konnte die Klägerin weder in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung glaubhaft darlegen.
Auch fehlt diesem Engagement gänzlich die flüchtlingsschutzrelevante Exponiertheit.
2. Gründe für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach §§ 4 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 2 AufenthG sind ebenso wie solche für die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG weder vorgetragen noch ersichtlich.
Insbesondere ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 5 Satz 1 AufenthG besteht. Denn sie ist nicht als alleinstehend Frau anzusehen, die ohne familiären Rückhalt mit einer Existenzgefährdung in Äthiopien rechen müsste (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Rückkehr einer jungen, alleinstehenden Frau, 13. Oktober 2009).
Nach ihren Angaben leben sowohl der Vater als auch die Schwester in Äthiopien. Sie gibt – wie die überwiegende Anzahl der äthiopischen Asylbewerber – an, zu der Familie derzeit keinen Kontakt zu haben. Die Gründe hierfür sind nicht nachvollziehbar. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Klägerin jedenfalls in der Anfangszeit mit Hilfe ihrer im Heimatland lebenden (weiteren) Verwandtschaft rechnen kann.
Die Klägerin ist eine gesunde junge Frau, die in Deutschland mit einem äthiopischen Staatsangehörigen, der ebenfalls ein Asylverfahren betreibt, ein gemeinsames Kind hat. Deshalb könnte die Klägerin auch – nachdem die Beziehung zu dem Vater des Kindes weiterbesteht – auch im Familienverband in ihre Heimat zurückkehren. Dass hierzu seitens des Lebensgefährten keine rechtliche Verpflichtung besteht, ist unbeachtlich. Denn diese besteht auch nicht im Falle einer Eheschließung.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Demnach war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
zu beantragen.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Beschluss:
Der Gegenstandswert beträgt 5.000,00 EUR, § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
Beschluss:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung war abzulehnen.
Die Klage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO. Zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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