Verwaltungsrecht

Kein Eilrechtsschutz für christlichen Asylbewerber aus Nigeria

Aktenzeichen  M 28 S 17.37155

Datum:
17.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143093
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AylG § 30
AsylG § 36

 

Leitsatz

1 Maßgeblich für die Prüfung des Gerichts im Eilverfahren ist die Frage, ob sich das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes im Ergebnis als tragfähig und rechtmäßig erweist. Daüberhinaus ist am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu Recht verneint wurde. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Angesichts der in Nigeria bestehenden infrastrukturellen Mängel sowie des Fehlens eines flächendeckenden Meldewesens kann sich der Antragsteller einer befürchteten Verfolgung durch Muslime dadurch entziehen, dass er sich in einem der südlichen Bundesstaaten niederlässt, wo ihm eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben reiste er am 5. Juli 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 16. Juli 2014 stellte er einen Asylantrag.
Bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Oktober 2016 gab der Antragsteller zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen an: der Grund für seine Ausreise seien religiöse Probleme. Er sei Christ und habe während seines Nationaldienstes eine christliche Vereinigung gegründet, mit der Arbeit hierbei hätten sie jedoch erst nach dem Nationaldienst begonnen. Sie wollten an ihrem Standort die Bibel unterrichten. In dieser Region hätten überwiegend Muslime gelebt, welche ihnen Misssionarsarbeit vorgeworfen hätten. Als sie sich zum gemeinsamen Gebet versammelt hätten, seien sie von maskierten Männern mit Macheten angegriffen worden, zwei Frauen aus der Gruppe seien vergewaltigt worden. Der Antragsteller sei weggelaufen und habe sich beim Hauptquartier des Nationaldienstes beschwert, man habe ihm aber nicht geholfen. Um seine Eltern nicht zu gefährden, sei er nach … gereist. Dort habe er einen Mann getroffen, der ihm ein Visum nach Europa besorgen wollte. Gemeinsam habe man für den Antragsteller auch einen Reisepass beantragt. Nach ca. einem Monat habe er das Visum erhalten, habe jedoch die von dem Mann geforderte Summe nicht bezahlen können. Danach sei jemand anders mit seinem Reisepass nach Europa gereist, später habe er andere Leute getroffen, welche für weniger Geld die ganze Reise nach Europa organisierten.
Mit Bescheid vom 4. April 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) sowie auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) jeweils als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben (Ziffer 5.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6.).
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt:
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor.
Der Antragsteller halte sich nicht aus begründeter Furcht wegen staatlich motivierter politischer Verfolgung im Ausland auf. Die Darstellungen des Antragstellers seien in sich nicht schlüssig und auch nicht nachvollziehbar.
Zudem wurde der Antragsteller auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für Christen bestehe in vielen Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung oder Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias auszuweichen, dies nehme auch die Rechtsprechung an. Der Antragsteller könne auch sicher und legal in den Süden des Landes reisen. Die gesetzlichen Bestimmungen Nigerias erlaubten eine uneingeschränkte Bewegungsfreiheit im ganzen Land.
Am Ort des internen Schutzes müsse der Rückkehrer zwar eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, es müsse zumindest sein Existenzminimum gesichert sein. Dies sei beim Antragsteller jedoch der Fall:
Er sei gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er verfüge über familiäre Bindungen im Heimatland und sei in der Lage gewesen, die erhebliche Summe von umgerechnet 1.800 Euro für seine Ausreise aufzubringen. Er verfüge über eine gute Schulausbildung und sei ein ausgebildeter Chemiker. Der Antragsteller sei in seinem Heimatland offensichtlich in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Dem Auswärtigen Amt lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es gegenüber abgelehnten Asylbewerbern, die nach Nigeria zurückgeführt würden, bei der Rückkehr zu staatlichen Repressionen komme. Auch die Rechtsprechung verneine einhellig die Gefahr einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung.
Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz. Ihm drohe in seinem Heimatland kein ernsthafter Schaden (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Nachdem die Voraussetzungen für die Anerkennung des internationalen Schutzes nach § 3 Abs. 1 AsylG nicht vorlägen, lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter ebenfalls nicht vor. Es läge hier ein Fall der offensichtlichen Unbegründetheit vor, da das Vorbringen des Antragstellers nicht substantiiert, nicht schlüssig und in Gänze nicht glaubhaft sei.
Abschiebeverbote lägen nicht vor. Hinsichtlich des § 60 Abs. 5 AufenthG komme in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohten, sei keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich.
Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller in Nigeria für seinen Lebensunterhalt sorgen könne.
Dem Antragsteller drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde.
Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Bescheid wurde ausweislich der Behördenakte am 6. April 2017 zugestellt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte am 13. April 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte, den Bescheid des Bundesamtes vom 6. April 2017 aufzuheben sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigen anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Hilfsweise wurde beantragt, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen. Diese Klage, über die noch nicht entschieden ist, wurde zunächst unter dem Aktenzeichen M 21 K 17.37153 und wird nunmehr unter dem Aktenzeichen M 28 K 17.37153 geführt.
Ferner ließ er ebenfalls am 13. April 2017 beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG), jedoch unbegründet.
Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfGE 94, 166, 194). Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Die Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG). Das Gericht hat daher die Einschätzung des Bundesamts, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Maßgeblich ist dabei, ob sich diese Einschätzung im Ergebnis als tragfähig und rechtmäßig erweist. Darüber hinaus hat das Gericht gemessen am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint hat (vgl. zum Ganzen: Marx, Kommentar zum AsylG, 9. Auflage 2017, § 36 Rdnr. 43, 56 f. jew. m.w.N.). Das Gericht hat bei der Prüfung, ob die – nicht im Ermessen stehende – Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, alle ihm bekannten Rechtsgrundlagen zu berücksichtigen und ist nicht allein auf die Prüfung der vom Bundesamt angeführten Offensichtlichkeitskriterien beschränkt (VG Aachen, Beschluss vom 20.03.2017 – 2 L 103/17.A). In Anwendung dieser Grundsätze kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass der Asylantrag des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung gemäß § 30 Abs. 1 und 3 Nr. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet anzusehen ist.
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffen Bescheids vom 4. April 2017. Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Bundesamt keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festgestellt hat. Dem Antragsteller droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation in Nigeria noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine asylerhebliche Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts 20. März 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Der Antragsteller hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, er sei nach dem behaupteten Vorfall mit den Muslimen nach … gezogen und habe dort keine Probleme als Christ gehabt. Er hat in … auch mindestens einen Monat lang gelebt, wahrscheinlich noch einige Zeit länger (allein bis sein Visum ausgestellt worden sei, habe es einen Monat lang gedauert). Befürchtungen dahingehend, in … bzw. generell im Süden des Landes von den Muslimen, die ihn überfallen hatten, gefunden zu werden, hat er schon selber nicht vorgetragen. Er gab lediglich an, er sei „um seine Eltern nicht zu gefährden, in den Südosten nach … gereist“. Weiter konkretisierte er seinen Vortrag nicht. Er scheint schon selber davon auszugehen, im Süden des Landes vor der behaupteten Verfolgung sicher zu sein.
Angesichts der in Nigeria bestehenden infrastrukturellen Mängel sowie des Fehlens eines flächendeckenden Meldewesens ist zudem nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger, soweit diese aktuell überhaupt noch ein Interesse am Antragsteller haben sollten, ihn ohne weiteres auffinden können sollten, wenn er sich in den südlichen Bundesstaaten niederlässt (vgl. dazu AA Lagebericht vom 21. November 2016 S. 25; VG Minden Urteil vom 14.03.2017 – 10 K 2413/16.A). Von einer inländischen Fluchtalternative (§ 3 e AsylG) ist demnach auszugehen.
Der Antragsteller hat seinen Angaben vor dem Bundesamt zufolge zudem einen Bruder in …, sowie Freunde bei denen er dort bereits gewohnt hat. Von entsprechenden Bindungen des Antragstellers bzw. Unterstützungsmöglichkeiten im Süden des Landes, welcher als inländische Fluchtalternative (§ 3 e AsylG) zur Verfügung steht (vgl. hierzu etwa AA Lagebericht vom 21. November 2016 S. 11 f; VG Aachen aao), ist also auszugehen.
Nach alldem war der gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben