Verwaltungsrecht

Kein Erfordernis einer Bekanntgabe der Feststellung der Wertermittlung

Aktenzeichen  13 AS 19.820

Datum:
5.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22545
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
FlurbG § 65

 

Leitsatz

1. Bei der vorläufigen Besitzeinweisung gilt im Kontext des § 80 Abs. 3 VwGO, dass sich teilweise das besondere Vollzugsinteresse mit demjenigen am Erlass der Besitzeinweisung an sich deckt. § 80 Abs. 3 VwGO gebietet zudem nicht, dass sich die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs mit jedem einzelnen Einlageflurstück gesondert auseinandersetzt; es ist vielmehr das Gesamtgefüge in den Blick zu nehmen. (Rn. 20 – 21)
2. § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG setzt lediglich die Feststellung der nach §§ 27 ff. FlurbG ermittelten Werte für das eingebrachte Land durch die Teilnehmergemeinschaft nach § 32 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG voraus, nicht jedoch die Bekanntgabe der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung. (Rn. 27)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Für die baren Auslagen des Gerichts wird ein Pauschsatz von EUR 15,- erhoben. Das Verfahren ist gebührenpflichtig.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller ist mit einer Einlage von ca. 18 ha (30 Einlageflurstücke) Teilnehmer des mit Beschluss vom 4. Januar 1993 angeordneten Unternehmensflurbereinigungsverfahrens E. (§ 87 FlurbG) sowie des mit ergänzendem Beschluss vom 19. Januar 2006 angeordneten Regelverfahrens E. (§§ 1, 4, 37 FlurbG).
Mit notariellem Kaufvertrag bereits vom 27. September 2004 veräußerte der Antragsteller jeweils eine Teilfläche des Einlageflurstücks 530 (1.280 m²) sowie des Einlageflurstücks 522 (130 m²) an die Bundesrepublik Deutschland (Bundesstraßenverwaltung). Mit notariellem Kaufvertrag vom 7. April 2011 veräußerte der Antragsteller sodann jeweils eine Teilfläche des Einlageflurstücks 641 (8.300 m²) und des Einlageflurstücks 647/4 (3.000 m²) ebenfalls an die Bundesrepublik Deutschland (Bundesstraßenverwaltung). Am 20. Februar 2017 erklärte sich der Antragsteller zudem einverstanden, für eine Teilfläche des Einlageflurstücks 219 (500 m²) gemäß § 52 FlurbG statt in Land ganz in Geld abgefunden zu werden.
Mit Beschluss vom 29. Oktober 2018 stellte der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft E. (TG) die Ergebnisse der Wertermittlung fest und beschloss, diese öffentlich bekannt zu machen. Eine solche öffentliche Bekanntmachung erfolgte jedoch bislang nicht.
2. Mit Beschluss vom 18. Dezember 2018 wies das Amt für Ländliche Entwicklung S. (ALE) die Beteiligten mit Wirkung vom 31. Januar 2019 in den Besitz der neuen Grundstücke vorläufig ein. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Als Anlage war eine Karte zur vorläufigen Besitzeinweisung beigefügt (M 1:5000, 2 Teile), in der die neue Feldeinteilung dargestellt war. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die entsprechende Karte auch in den jeweils betroffenen Gemeindeverwaltungen aufliege.
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen aus § 65 FlurbG für die vorläufige Besitzeinweisung vorlägen. Insbesondere seien die Ergebnisse der Wertermittlung festgestellt. Die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung sei im Interesse der Gesamtheit der Teilnehmer sinnvoll und zweckmäßig. Die zur Neueinteilung der Flurstücke notwendigen Baumaßnahmen seien im Wesentlichen abgeschlossen. Die Teilnehmer könnten ohne wesentliche zeitliche Verzögerungen ihre neuen Grundstücke bewirtschaften. Die Vorteile der Neueinteilung könnten bereits jetzt ohne weiteres Zuwarten genutzt werden. Die sofortige Vollziehung werde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet, damit die durch die Herstellung der gemeinschaftlichen und öffentlichen Anlagen entstandenen vorübergehenden Wirtschaftserschwernisse möglichst rasch behoben würden und die Vorteile der neuen Feldeinteilung und des neuen Wegenetzes der Landwirtschaft möglichst rasch und uneingeschränkt zugutekämen.
Der Beschluss der vorläufigen Besitzeinweisung nebst Karte wurde in der Verwaltungsgemeinschaft S. in der Zeit vom 15. Januar 2019 bis 29. Januar 2019 öffentlich bekanntgemacht.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 31. Januar 2019 legte der Antragsteller beim ALE gegen die vorläufige Besitzeinweisung Widerspruch ein. Gleichzeitig stellte er den Antrag, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO auszusetzen.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Bescheid des ALE vom 21. März 2019 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das besondere öffentliche Interesse am Vollzug der vorläufigen Besitzeinweisung Vorrang gegenüber dem Suspensivinteresse des Antragstellers habe. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im Beschluss vom 18. Dezember 2018 entspreche den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Auch erweise sich bei summarischer Prüfung die vorläufige Besitzeinweisung als voraussichtlich rechtmäßig. Die Anordnungsvoraussetzungen aus § 65 FlurbG seien gegeben; insbesondere lägen die Nachweise für Flächen und Wert der neuen Grundstücke vor. Lediglich die öffentliche Bekanntgabe der festgestellten Ergebnisse der Wertermittlung stehe noch aus; diese sei jedoch nicht Anordnungsvoraussetzung im Sinn von § 65 FlurbG. Im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine vorläufige Besitzeinweisung könne grundsätzlich nicht vorab eine fehlende Wertgleichheit der Abfindung gerügt werden; dieser Einwand sei vielmehr einem späteren Vorgehen gegen den Flurbereinigungsplan vorbehalten. Eine vorläufige Besitzeinweisung könne daher nur dann rechtswidrig sein, wenn eine auch nur vorübergehende Nutzung der Abfindungsflurstücke bis zur Planausführung unzumutbar sei. Dies könne dann der Fall sein, wenn zwischen Einlage und Abfindung ein grobes Missverhältnis bestehe. Dies sei jedoch beim Antragsteller nicht der Fall. Denn der Antragsteller sei wertgleich abgefunden (§ 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). Der Flächenabgang von 12.954 m² zwischen Einlage und Abfindung ergebe sich insbesondere daraus, dass der Antragsteller im September 2004 und April 2011 Flächen an die Bundesrepublik Deutschland (Bundesstraßenverwaltung) verkauft habe; diese Kaufverträge seien im Flurbereinigungsverfahren E. vollzogen worden. Für diese verkauften Flächen könne der Antragsteller keine Abfindung in Land fordern. Der Forderung von 164.502 m² und 388.706 WVZ (26,3 DWZ) stehe eine Abfindung von 162.750 m² und 389.986 WVZ (24,0 DWZ) gegenüber. Die Differenz zwischen Abfindung und Forderung von 1.280 WVZ stelle kein grobes Missverhältnis dar. Auch die Abfindung mit höherwertigem Boden (Änderung der DWZ um nur +0,4) lasse hierfür keinen Raum.
3. Am 25. April 2019 hat der Antragsteller sich mit einem Eilantrag an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gewandt. Er beantragt (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31. Januar 2019 gegen die vorläufige Besitzeinweisung durch das Amt für Ländliche Entwicklung S. vom 18. Dezember 2018 wiederherzustellen.
In formeller Hinsicht seien bereits die in der vorläufigen Besitzeinweisung angeführten Umstände nicht geeignet, den angeordneten Sofortvollzug zu rechtfertigen. Insbesondere sei keine Eilbedürftigkeit ersichtlich, da das Verfahren bereits seit Jahren laufe. In der Sache falle jedenfalls die im Rahmen des Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessensabwägung zu seinen Gunsten aus, da die vorläufige Besitzeinweisung offensichtlich rechtswidrig sei. Die Ergebnisse der Wertermittlung seien zwar mit Beschluss des Vorstands der TG vom 29. Oktober 2018 festgestellt, jedoch bislang nicht öffentlich bekannt gemacht worden. Die Wertermittlung sei damit rechtlich nicht existent, gegen sie habe daher bislang auch kein Widerspruch erhoben werden können. Damit lägen die Voraussetzungen der vorläufigen Besitzeinweisung aus § 65 FlurbG nicht vor. In der Sache gelte, dass ein gravierendes Abfindungsdefizit vorliege (Einlage: 180.401 m²; Abfindung: 162.750 m²; kein Ausgleich der Flächenminderung durch höherwertige Böden; erhebliche Qualitätsunterschiede zwischen Einlage- und Abfindungsflurstücken). Insbesondere die Wertermittlung „im Bereich 378“ werde massiv bezweifelt; die Einschätzung und Bewertung der Grundstücke insbesondere gegenüber dem Einlageflurstück 219 dürfte nicht korrekt sein. Auch hinsichtlich der Einlageflurstücke 647/4, 647/14, 647/16, 647/22, 647/40, 649 und 650 gelte, dass die insoweit in den Abfindungsflurstücken enthaltenen Flurstücke 270 und 2129 bei weitem nicht den Wert und die Zusammensetzung bzw. den Zusammenhang der entsprechenden Einlageflurstücke erreichten. Besonders gravierend treffe ihn der Verlust des Einlageflurstücks 219 (6.620 m², WVZ 13.030; wohl nunmehr Abfindungsflurstücke 2830 und 2831); das neu zugeteilte Abfindungsflurstück 2791 entspreche aufgrund nasser und unbewirtschaftbarer Flächen wertmäßig nicht ansatzweise den eingelegten Flächen. Selbst bei offenen Erfolgsaussichten müsse dem Eilantrag stattgegeben werden, da die streitgegenständlichen Einwände erheblich und die Wertdifferenz zwischen Einlage und Abfindung unzumutbar sei.
4. Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Inhaltlich könne auf den Bescheid vom 21. März 2019 zur Ablehnung der Aussetzung des Sofortvollzugs verwiesen werden. Voraussetzung für den Erlass einer vorläufigen Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG sei nicht die Bekanntgabe der festgestellten Wertermittlungsergebnisse (vgl. BayVGH, U.v. 20.11.2008 – 13 A 07.2096 m.w.N.). Die TG beabsichtige, die öffentliche Bekanntmachung im zweiten Halbjahr 2019 vorzunehmen. Ein grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung bestehe nicht. Hinsichtlich des „Verlusts“ des Einlageflurstücks 219 gelte zum einen, dass bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung einer späteren Überprüfung des Flurbereinigungsplans nicht vorgegriffen werden dürfe. Zum anderen sei stets die gesamte Einlage der gesamten Abfindung gegenüberzustellen, ein Vergleich einzelner Einlageflurstücke mit einzelnen Abfindungsflurstücken sei unzulässig. Für die Anordnung des Sofortvollzugs sei es zudem unerheblich, wann das Verfahren angeordnet worden sei.
5. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
1. Zunächst sind vorliegend behördlich die formalen Anforderungen aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gewahrt worden. Hiernach ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen.
Im Lichte von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat die Behörde auf den konkreten Einzelfall abstellende rechtliche und tatsächliche Gründe anzuführen, die darlegen, warum der Verwaltungsakt aus ihrer Sicht sofort und nicht erst nach Eintritt der Bestandskraft vollzogen werden muss. Formelhafte Wendungen sind unzulässig. Der Begründung kommt zum einen eine Informationsfunktion im Hinblick auf den Adressaten zu, insbesondere im Interesse einer Einschätzung seiner Rechtsschutzmöglichkeiten. Zum anderen hat sie eine Warnfunktion gegenüber der Behörde selbst, durch die dieser der Ausnahmecharakter der sofortigen Vollziehung vor Augen geführt werden soll (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 7 VR 11.12 u.a. – juris Rn. 6; B.v. 30.3.2007 – 9 VR 7.07 – AUR 2008, 70 – juris Rn. 4).
Bei der Anordnung des Sofortvollzugs einer vorläufigen Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich auch bei dem zugrundeliegenden Verwaltungsakt, der Besitzeinweisung, um eine vorläufige Maßnahme handelt. Die Gründe, die eine vorläufige Besitzeinweisung als geboten erscheinen lassen können, können mit denen, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen, teilweise übereinstimmen. Es dürfen deshalb an die zusätzliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auch keine übermäßig strengen Anforderungen gestellt werden (BVerfG, B.v. 7.10.1980 – 2 BvR 1068/80 – RzF 20 zu § 65 FlurbG; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 17).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die in der angegriffenen vorläufigen Besitzeinweisung im öffentlichen bzw. überwiegenden Interesse der Teilnehmer erfolgte behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts ausreichend begründet. Da an den Inhalt grundsätzlich keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind, bedarf es keiner detailgenauen materiellen Auseinandersetzung nach den Grundsätzen für die Abfindung, sondern lediglich der Darlegung, ob ein Dringlichkeitsinteresse für die sofortige Wirkung der Besitzeinweisung besteht. Hinzu kommt als Besonderheit der vorläufigen Besitzeinweisung, dass sie nur angeordnet werden kann, wenn es gerechtfertigt ist, den im Flurbereinigungsplan vorgesehenen neuen Besitzzustand bereits vor der Ausführungsanordnung eintreten zu lassen, sich also das besondere Vollzugsinteresse mit demjenigen am Erlass der Besitzeinweisung an sich teilweise deckt. Die vorliegend genannten Gründe, die Vorteile der neuen Feldeinteilung und des neuen Wegenetzes der Landwirtschaft möglichst rasch und uneingeschränkt zugute kommen zu lassen, und die durch die Herstellung der gemeinschaftlichen und öffentlichen Anlagen entstandenen Wirtschaftserschwernisse möglichst rasch zu beheben, genügen damit den formalen Anforderungen von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Einer weitergehenden Einzelfallprüfung bedarf es nicht (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 18).
Zwar ist grundsätzlich eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist, erforderlich. Angesichts der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung (BVerfG, B.v. 7.10.1980 – 2 BvR 1068/80 – RzF 20 zu § 65 FlurbG) ist es jedoch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie nicht geboten, dass sich die Begründung mit jedem einzelnen Einlageflurstück gesondert auseinandersetzt. Die vorläufige Besitzeinweisung ermöglicht der Flurbereinigungsbehörde, die Nachteile, die durch den Vorausbau der Wege und Gewässer oder den Bau von Straßen und anderen gemeinschaftlichen Anlagen entstanden sind – Durchschneidungen und Zersplitterungen des alten Wege- und Gewässernetzes und der alten Feldeinteilung – möglichst rasch zu beheben, sobald sie sich über die Neueinteilung schlüssig ist (Mayr in Wingerter/Mayr, FlurbG, 10. Aufl. 2018, § 65 Rn. 1). Damit ist das Gesamtgefüge in den Blick zu nehmen und nicht einzelne Einlage- oder Abfindungsflurstücke. Das Flurbereinigungsverfahren hat die Neugestaltung des gesamten Verfahrensgebiets zum Ziel. Die Begründung auch betreffend die Besitzeinweisung muss sich deshalb am Ziel des Flurbereinigungsverfahrens an sich orientieren, nicht an der Situation einzelner konkreter Grundstücke (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 19).
Mit der dargelegten Beschränkung der Begründungspflicht bei der vorläufigen Besitzeinweisung wird den Flurbereinigungsbehörden hinsichtlich des Sofortvollzugs der von ihnen erlassenen Verwaltungsakte auch keine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Verwaltungsbehörden eingeräumt. Sie haben die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit im Einzelfall ebenso gemäß § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich zu begründen. Da aber einzelnen Vorschriften des Flurbereinigungsgesetzes – wie auch § 65 FlurbG – bereits ein besonderes Vollzugsinteresse innewohnt, bedarf es in diesen Fällen keiner ausholenden Begründung für die Anordnung des sofortigen Vollzugs. Damit erfordert das Vollzugsinteresse grundsätzlich, dass die die Gesamtheit der Teilnehmer betreffende vorläufige Besitzeinweisung als ein besonderer Abschnitt des Flurbereinigungsverfahrens sofort vollzogen wird. Wenn in diesen Fällen die Flurbereinigungsbehörde nach pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens zum Ergebnis gekommen ist, dass der entsprechende Verwaltungsakt zu erlassen ist, kann die erforderliche Begründung für die gleichzeitige Anordnung des sofortigen Vollzugs eben dieses Verwaltungsakts knapp gehalten werden und sind gesonderte Erwägungen für jedes einzelne am Verfahren beteiligte Grundstück nicht geboten (vgl. bereits BayVGH, B.v. 4.1.1982 – 13 AS 81 A.1266/A.1268 – RzF 4 zu § 61 FlurbG; BayVGH, B.v. 23.12.2009 – 13 AS 09.2659 – juris; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 20).
2. Auch in der Sache bleibt der Eilantrag ohne Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine eigene Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen der Beteiligten vor. Dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend kann das Gericht seine vorläufige Entscheidung im Regelfall nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wesentliches Element der Interessensabwägung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzugs treffen (stRspr; vgl. BVerfG, B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179.95 – NVwZ 1996, 58). Kann – wegen der besonderen Dringlichkeit oder der Komplexität der Rechtsfragen – keine Abschätzung über die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs im Sinne einer Evidenzkontrolle getroffen werden, sind allein die einander gegenüber stehenden Interessen zu gewichten (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 22.3.2010 – 7 VR 1.10 u.a. – juris Rn. 13).
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze war der Eilantrag abzulehnen, da der Widerspruch des Antragstellers voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Grund hierfür ist, dass die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung nach Aktenlage rechtmäßig sein dürfte. Die Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG, dessen Voraussetzungen vorliegend voraussichtlich gegeben sind.
a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG können die Beteiligten in den Besitz der neuen Grundstücke vorläufig eingewiesen werden, wenn deren Grenzen in die Örtlichkeit übertragen worden sind und endgültige Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vorliegen sowie das Verhältnis der Abfindung zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten feststeht. Angeordnet wird die vorläufige Besitzeinweisung gemäß § 65 Abs. 2 FlurbG von der Flurbereinigungsbehörde, in Bayern nach § 2 Abs. 4 FlurbG, Art. 1 Abs. 3 AGFlurbG dem ALE (siehe hierzu Linke in Linke/Mayr, AGFlurbG, Art. 1 Rn. 9).
§ 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG setzt lediglich die Feststellung der nach §§ 27 ff. FlurbG ermittelten Werte für das eingebrachte Land durch die Teilnehmergemeinschaft nach § 32 Satz 3 Halbs. 1 FlurbG voraus, nicht jedoch die Bekanntgabe der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung (BayVGH, B.v. 23.12.2009 – 13 AS 09.2659 – juris Rn. 25; U.v. 20.11.2008 – 13 A 07.2096 – RdL 2009, 211 – juris Rn. 16; U.v. 12.3.1987 – RdL 1987, 319).
Bei der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für die im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde liegende vorläufige Besitzeinweisung ist im Übrigen regelmäßig nicht näher zu untersuchen, ob die zugedachten Abfindungen wertgleich sind, weil insoweit dem Verfahren über Planwidersprüche nicht vorgegriffen werden darf (vgl. BVerwG, B.v. 12.11.2010 – 9 B 41.10 – juris Rn. 4 m.w.N; BayVGH, B.v. 8.6.2011 – 13 AS 11.1027 – juris Rn. 12). Mit einem Widerspruch gegen die vorläufige Besitzeinweisung können Beteiligte also nicht vorab die Wertgleichheit der Abfindung rügen, sondern nur, eine auch nur vorübergehende Nutzung ihrer Abfindung bis zur Planausführung (§§ 61, 63 FlurbG) sei unzumutbar. Dies wäre nur der Fall, wenn entweder ein grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung besteht oder unzumutbar in die Struktur des Betriebs eingegriffen worden ist (BVerwG, B.v. 12.11.2010 – 9 B 41.10 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 8.6.2011 – 13 AS 11.1027 – juris Rn. 12; Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 65 Rn. 20 m.w.N.; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 11.5.2017 – 13 AS 17.246 – juris Rn. 29; B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 25).
Ein grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung ergibt sich dem Bundesverwaltungsgericht zufolge (BVerwG, U.v. 17.8.1988 – 5 C 78.84 – RzF 86 zu § 44 Abs. 1 FlurbG) aus einem schwerwiegenden Abfindungsmangel. Dieser kann etwa in einer überproportionalen Flächenmehrung von Böden in einer Qualität liegen, die so nicht eingelegt wurde. Grundsätzlich kommen jedoch alle Umstände, die die Grundsätze der Abfindung nach §§ 44 ff. FlurbG berühren, in Betracht, wenn sie ein entsprechendes Gewicht aufweisen. Ein gravierendes Abfindungsdefizit in diesem Sinn kann durchschlagen und bereits die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung beeinträchtigen (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 28).
b) Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist die streitgegenständliche vorläufige Besitzeinweisung in tatbestandlicher Hinsicht voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners und soweit es sich aus den vorgelegten Unterlagen entnehmen lässt, sind die Voraussetzungen aus § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG vorliegend erfüllt. Wie bereits dargelegt ist – entgegen der Auffassung des Antragstellers – die Bekanntgabe der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung nicht gesetzliche Voraussetzung der Anordnung einer vorläufigen Besitzeinweisung, wenngleich eine solche vorherige Bekanntgabe regelmäßig zur Information der Teilnehmer sachgerecht sein dürfte. Die Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung ist vorliegend mit Beschluss des Vorstands der TG vom 29. Oktober 2018 erfolgt.
Nach Aktenlage ist zudem nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller auch eine nur vorübergehende Nutzung seiner Abfindung bis zur Planausführung (§§ 61, 63 FlurbG) aufgrund eines groben Missverhältnisses zwischen Einlage und (vorläufiger) Abfindung unzumutbar wäre. Denn ein gravierendes Abwägungsdefizit ist insoweit nicht ersichtlich. Dies ergibt sich bereits aus der rein rechnerischen Wertgleichheit der Abfindung des Antragstellers (vgl. zu den untenstehenden Daten die Tabelle im Bescheid des ALE v. 21.3.2019):
Fläche
WVZ
DWZ
Betrag
Einlage
180.401 m²
398.682
22,1
Flächenberichtigung
– 1.057 m²
– 716
Abzug nach § 47 FlurbG
– 1.888 m²
– 2.515
Forderungsfortschreibung
– 12.954 m²
– 6.754
2.000,00 €
Forderung
164.502 m²
388.706
23,6
2.000,00 €
Abfindung
162.750 m²
389.986
24,0
– 1.346,80 €
Differenz Abfindung – Forderung
– 1.752 m²
+ 1.280
Davon Mehrausweisung
+ 475 m²
+ 1.280
Flächenminderung infolge Abfindung mit höherwertigem Boden
– 2.227 m²
+ 0
Änderung der DWZ um (ohne Mehr- und Minderausweisung)
+ 0,4
Einer Forderung des Antragstellers von nach Aktenlage 164.502 m² und 388.706 WVZ (23,6 DWZ) steht somit eine Abfindung von 162.750 m² und 389.986 WVZ (24,0 DWZ) gegenüber. Die Differenz zwischen Abfindung und Forderung von 1.280 WVZ ist nicht geeignet, ein grobes Missverhältnis zu begründen. Zutreffend hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der 2004 bzw. 2011 durch den Antragsteller veräußerten Teilflächen der Einlageflurstücke 522, 530, 641 und 647/4 (insgesamt 12.710 m²) kein Abfindungsanspruch des Antragstellers besteht. Ferner hat der Antragsteller im Februar 2017 gemäß § 52 Abs. 1 FlurbG für eine Teilfläche des Einlageflurstücks 219 (500 m²) auf eine Abfindung in Land verzichtet. Soweit der Antragsteller vorliegend im Übrigen die Wertermittlung einzelner Flurstücke für nicht korrekt erachtet, den Verlust einzelner Einlageflurstücke beklagt und vorträgt, dass die neu zugeteilten Abfindungsflurstücke wertmäßig nicht ansatzweise den eingelegten Flächen entsprächen, so ist dieser Vortrag weder im Eilantrag vom 25. April 2019 noch im dort in Bezug genommenen Widerspruch vom 31. Januar 2019 hinreichend substantiiert worden. Unabhängig davon gilt, dass bei der Überprüfung der Wertgleichheit nach § 44 Abs. 1 FlurbG die gesamte Einlage der gesamten Abfindung gegenüberzustellen ist. Es dürfen nicht – wie seitens des Antragstellers erfolgt – einzelne alte mit einzelnen neuen Grundstücken verglichen werden. Vielmehr muss die Gesamtabfindung einen gleichwertigen Ausgleich für das alte Eigentum darstellen (vgl. etwa BayVGH, U.v. 11.5.2011 – 13a N 10.577 – juris Rn. 22 m.w.N.).
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die vorläufige Besitzeinweisung dem Antragsteller nicht das Recht nimmt, den Flurbereinigungsplan gemäß §§ 59, 44 FlurbG in vollem Umfang gerichtlich überprüfen zu lassen. Ausschließlich in ihm wird über die eigentumsmäßige Zuteilung seiner Flächen befunden. Soweit er inhaltlich die nicht ausreichende Erfüllung seines Anspruchs auf wertgleiche Abfindung bemängelt, können diese Rügen deshalb nur dort überprüft werden. Bei der Erstellung des Flurbereinigungsplans hat die zuständige TG die Gestaltungsgrundsätze des § 44 FlurbG zu beachten (vgl. zum Ganzen: vgl. BayVGH, B.v. 23.12.2009 – 13 AS 09.2659 – juris – Rn. 31).
c) Die vorläufige Besitzeinweisung begegnet schließlich auch hinsichtlich des ausgeübten Ermessens voraussichtlich keinen Bedenken.
Der Erlass einer vorläufigen Besitzeinweisung nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG steht im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde, wobei bei der vorzunehmenden Abwägung vor allem das objektive Interesse der Mehrheit der Teilnehmer maßgebend ist (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 65 Rn. 15). Jedenfalls muss für den Erlass einer vorläufigen Besitzeinweisung ein sich aus ihrem Zweck ergebendes Bedürfnis bestehen, sie also zur Erreichung des Zwecks erforderlich sein (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 11.5.2017 – 13 AS 17.246 – juris Rn. 33). Die Ermessensfreiheit des Flurbereinigungsgerichts nach § 146 Nr. 2 FlurbG gilt für § 65 FlurbG nicht, so dass hier lediglich eine Ermessenskontrolle nach § 114 VwGO erfolgt (Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 65 Rn. 15).
Vorliegend hat das ALE in der vorläufigen Besitzeinweisung vom 18. Dezember 2018 (dort S. 2) ausgeführt, dass die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung im Interesse der Gesamtheit der Teilnehmer sinnvoll und zweckmäßig sei. Die zur Neueinteilung der Flurstücke notwendigen Baumaßnahmen seien im Wesentlichen abgeschlossen. Die Teilnehmer könnten ohne wesentliche zeitliche Verzögerungen ihre neuen Grundstücke bewirtschaften. Die Vorteile der Neueinteilung könnten bereits jetzt ohne weiteres Zuwarten genutzt werden. Diese Erwägungen im Bescheid sind unter dem Blickwinkel einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung nicht zu beanstanden.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 147 Abs. 1, § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 13.2.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Ausgabe 2013).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO).


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