Verwaltungsrecht

Kein Flüchtlingsschutz für einen Konvertiten aus dem Irak

Aktenzeichen  B 3 K 16.30578

Datum:
5.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Es ist widersprüchlich, wenn ein Asylsuchender, der vorgibt, bereits im Irak dem protestantischen Glauben angehört zu haben, sich im Bundesgebiet einem Taufunterricht der Baptisten unterzieht und auch deren Taufe entgegennimmt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sowie subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG für seine Person vor. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO, wobei gemäß § 77 Abs. 1 AsylG auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, gilt Folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden; eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U. v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658 ff.). Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbots führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U. v. 16.4.1985, a. a. O.). In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Klägers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (BayVGH, U. v. 26.1.2012 – 20 B 11.30468 – juris Rn. 19).
Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsschutzes. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend glaubhaft machen, dass er den Irak wegen einer Vorverfolgung verlassen hat. So kann seinem Tatsachenvortrag schon nicht entnommen werden, dass er tatsächlich Christ war. Unabhängig davon, ob sein Vater und Großvater Christen waren, ist unabdingbare Voraussetzung jedes Christen das Sakrament der Taufe. Ohne Taufe ist keine Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion möglich. Die Taufe hat er eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge folgerichtig erst in der Bundesrepublik Deutschland nachgeholt, was nicht erforderlich gewesen wäre, wenn er im Irak bereits getauft gewesen wäre. Es ist zudem auffallend und passt nicht zu seinem Vortrag, dass der Kläger sich einem sehr kurzen Taufunterricht der Baptisten unterzogen und auch deren Taufe entgegengenommen hat, obwohl er angeblich dem protestantischen Glauben angehört haben will. Da sogar seine Mutter als frühere Muslima getauft worden sei soll, erschließt sich dem Gericht nicht, warum ausgerechnet er im Irak nicht getauft worden sein soll. Vielmehr ist dem Umstand, dass er bis zu seiner Ausreise weder dem Islam noch dem Christentum nahe stand und eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung jedenfalls keine christliche Kirche besuchte, zu entnehmen, dass ihn Glaubensfragen offensichtlich wenig bis gar nicht interessierten. Aus diesem Grund ist es gerade nicht glaubhaft, dass ausgerechnet er seiner Verlobten in der kurzen Zeit, die ihnen gemeinsam überhaupt zur Verfügung stehen konnte, das Christentum nahegebracht haben will. Es kann – ohne dass es entscheidungserheblich wäre – durchaus daran gezweifelt werden, ob beiden dafür überhaupt genug Zeit zur Verfügung gestanden haben kann.
Aufgrund dessen glaubt das Gericht auch nicht, dass er wegen seiner christlichen Überzeugung und wegen der drohenden Konversion seiner Verlobten von den Verwandten der Verlobten im Irak verfolgt worden sein soll.
Zudem waren seine Schilderungen der angeblichen Bedrohung durch die Verwandten der Verlobten in der mündlichen Verhandlung oftmals unzusammenhängend, für den Dolmetscher schwierig zu übersetzen und in der Gesamtschau mit seinen Angaben beim Bundesamt unstimmig.
Er wurde nach mehreren Nachfragen auch des Prozessbevollmächtigten zwar klar, dass er angab, dreimal von den Verwandten der Verlobten aufgesucht worden zu sein. Das erste Mal sei er im Wesentlichen danach befragt worden, ob die Annahmen, er sei Christ, wolle seine Verlobte heiraten und diese zum christlichen Glauben führen, zuträfen. Seine Bejahung dieser Nachfrage erscheint äußerst unplausibel, weil der Kläger und seine Familie seine angebliche Zugehörigkeit zum christlichen Glauben bis zu diesem Zeitpunkt wohlweislich im Irak verschwiegen und er aus Sicherheitsgründen vermieden haben will, – wie seine Mutter – in die Kirche zu gehen; dass er ausgerechnet dann, wenn er durch seinen angeblichen christlichen Bezug erstmalig Schwierigkeiten bekommen könnte, sein Christentum nach außen ausdrücklich bestätigt, ist nicht glaubhaft. Darüber hinaus hat er eine Bedrohung während der ersten beiden Besuche nicht einmal behauptet.
Auch beim zweiten Besuch erzählte er von keiner Bedrohung durch die Verwandten. Darüber hinaus führte er der mündlichen Verhandlung aus, dieser habe bereits ein paar Tagen nach dem ersten Besuch stattgefunden, während er beim Bundesamt am 11.03.2016 noch erklärt hatte, dies nicht mehr genau zu wissen. Auch von der ihm angeblich gewährten mehrere Monate dauernden Frist zur Überlegung erwähnte er in der mündlichen Verhandlung nichts.
Erst bei der Schilderung des dritten Besuchs sollen Waffen mitgebracht worden sein. Aber auch hier schienen sich die Verwandten der Verlobten seiner eigenen Darstellung zufolge offenbar vertrösten und auf ein anderes Treffen an einem anderen Ort eingelassen zu haben, zu dem der Kläger allerdings nicht erschienen sein will.
Ein Bedrohungsszenario konnte der Kläger damit nicht glaubhaft darlegen. Im Übrigen hier erklärte der Dolmetscher wiederum, aufgrund der oft zusammenhanglosen Äußerungen des Klägers Übersetzungsprobleme zu haben, während der Kläger auf Nachfrage angab, den Dolmetscher zu verstehen. Wenn solche bedrohlichen Besuche tatsächlich stattgefunden hätten, dann wäre davon auszugehen, dass der Kläger – bei aller zugestandenen Nervosität – solche in einigermaßen zusammenhängenden Sätzen darstellen kann. In der Gesamtschau mit seinen spärlichen Äußerungen beim Bundesamt vermag nicht nur Verfolgungsgeschichte nicht zu überzeugen, sondern auch die Darstellung dieser.
Ein viertes Zusammentreffen mit den Verwandten der Verlobten auf einer öffentlichen Straße, bei dem Waffen im Spiel gewesen aber nicht benutzt worden sein sollen, glaubt ihm das Gericht nicht. Wenn er tatsächlich in Gefahr gewesen wäre, auf offener Straße beschossen zu werden, so wäre davon auszugehen gewesen, dass er ein derart einschneidendes Ereignis bereits beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Verfolgungsgrund angegeben hätte. Aus der Tatsache, dass er dies nicht getan hat, zieht das Gericht den Schluss, dass dieses Ereignis so nicht stattgefunden hat und er sich dies zur eindrucksvolleren Schilderung seiner Verfolgungssituation erst in der mündlichen Verhandlung zurecht gelegt hat.
Soweit der Kläger auf seine am 17.07.2016 in Nürnberg erfolgte Taufe bei der dortigen baptistischen Gemeinde Bezug nimmt, so kann das Gericht aufgrund seines im Irak an den Tag gelegten Desinteresses für christliche Glaubensfragen und angesichts des sehr kurzen „Turbo“-Unterrichts von drei Wochen nicht an eine tiefgreifende, den Kläger als Persönlichkeit prägende christliche Glaubensüberzeugung glauben. Darüber hinaus würde seinen eigenen Angaben zufolge das Leben seiner angeblichen christlichen Familie im Irak zeigen, dass zumindest in Bagdad ein Leben als Christ dort sehr wohl möglich ist.
Die erstmalig erfolgte Erwähnung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass sein Bruder im zeitlichen Zusammenhang mit seinem angeblichen Untertauchen verschwunden sein soll, war nicht ursächlich für seine persönliche Fluchtentscheidung und kann deshalb auch nicht zur Flüchtlingsanerkennung führen.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Ereignisse zu sprechen kam, die vor vielen Jahren passierten, als er 11 Jahre alt war, so sind diese Ereignisse keinesfalls fluchtauslösend und kausal für seine Flucht im Jahr 2015. Sie können deshalb ebenfalls nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zur Seite. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG berufen noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
a. Dem Kläger droht keine Folter oder unmenschliche oder erniedrige Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Er hat nicht glaubhaft gemacht, vor seiner Ausreise einen Schaden im oben genannten Sinne erlitten zu haben oder von einem solchen bedroht gewesen zu sein. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
b. Dem Kläger steht auch aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht der subsidiäre Schutz zu. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Frage, ob die landesweit oder in der Stadt Bagdad – wohin eine Rückführung stattfinden würde – zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt darstellen, kann offenbleiben. Aber das Auswärtige Amt geht in seinem Lagebericht vom 18.02.2016 nicht von einem solchen, sondern nur in einigen Provinzen, darunter Bagdad, nur von einem bewaffneten Konflikt aus. Selbst wenn man einen bewaffneten innerstaatlichen Konflikt annehmen wollte, hätten die Auseinandersetzungen bislang noch nicht eine solche Intensität erreicht, die die Schlussfolgerung erlauben würde, dass für jede Zivilperson, die sich in diesem Gebiet aufhält, die Gefahr besteht, zwangsläufig von den dort stattfindenden bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen zu werden. Die hierfür erforderliche Gefahrendichte ist nicht gegeben.
Für das Jahr 2015 sind insgesamt 12.740 zivile Todesopfer im Irak dokumentiert (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak – BFA -, vom 08.04.2016, S. 12). Bei Iraq Body Count sind für den gleichen Zeitraum insgesamt 17.502 getötete Zivilisten erfasst https://www.iraqbodycount.org/database/). Die Gesamteinwohnerzahl Iraks betrug im Jahr 2015/2016 ca. 35,16 Millionen (abrufbar unter
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/305590/umfrage/gesamtbevoelkerung-des-irak/). Die Wahrscheinlichkeit, als Angehöriger der Zivilbevölkerung Opfer eines tödlichen Anschlags zu werden betrug daher – bezogen auf das gesamte Land Irak – unter Zugrundelegung der höheren Zahl im Jahr 2015 etwa 0,049%.
In Bagdad selbst funktionieren staatliche Strukturen und Institutionen offenbar noch, auch wenn solche weitgehend außerhalb großer Städte erodiert sind. In der Region Bagdad zählte das BFA (a. a. O. S. 24) 3.736 zivile Todesopfer. Angesichts einer Bevölkerungsanzahl von zuletzt 7,9 Mio. Bewohnern (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bagdad_(Gouvernement) vom 03.03.2016) kann bei einer errechneten Wahrscheinlichkeit von 0,047%, Opfer eines tödlichen Angriffs zu werden, nicht davon gesprochen werden, dass für jede Zivilperson, die sich in diesem Gebiet aufhält, die Gefahr besteht, zwangsläufig von den dort stattfindenden bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen zu werden. Nimmt man die ebenfalls gezählten verletzten Zivilisten hinzu (laut BFA in der Region Bagdad im Jahr 2015 insgesamt 9.173) so errechnet sich bei einer Gesamtzahl von insgesamt 12.909 verletzten oder getöteten Zivilisten eine Wahrscheinlichkeit, in der Region Bagdad als Zivilist getötet oder verletzt zu werden, von 0,163%, wobei allerdings die Situation in der Stadt Bagdad selbst nicht ohne weiteres mit der Situation in der Region gleichzusetzen ist.
Es ist insoweit – trotz der schwierigen Sicherheitslage – nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger als Angehöriger der Zivilbevölkerung selbst bei Annahme eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts allein aufgrund seiner Anwesenheit im Irak bzw. in der Region Bagdad in Folge willkürlicher Gewalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Das oben genannte Risiko ist nicht ausreichend für die zu fordernde Annahme eines besonders hohen Niveaus an willkürlicher Gewalt. Das Bundesverwaltungsgericht sieht in seiner Entscheidung vom 17.11.2011, Az. 10 C 13/10, ein Schadensrisiko von 1:800 bzw. 0,125% als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an.
Gefahrenerhöhende persönliche Umstände liegen beim Kläger nicht vor.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebeverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Die allgemeine Versorgungslage im Irak stellt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes, Lagebericht vom 18.02.2018, S. 18/19, sowie des BFA Österreich, a. a. O. S. 46, kann der Staat die Grundversorgung der Bürger nicht stetig und in allen Landesteilen gewährleisten. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des UN-Programms „Habitat“ gleichen die Lebensbedingungen von 57 Prozent der städtischen Bevölkerung im Irak denen von „Slums“. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die UN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Viertel der 36 Mio. Iraker lebt unterhalb der Armutsgrenze (2 US-Dollar/Tag). Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. Seit dem Spätsommer 2015 hat Irak mit einem Cholera-Ausbruch zu kämpfen (laut Zahlen der Vereinten Nationen 1.600 Erkrankte Ende Oktober 2015) (AA 18.2.2016). Berichten des UNHCR zufolge sollen in der vom IS kontrollierten Stadt Falluja (Provinz Anbar), rund 70 Kilometer westlich von Bagdad, mindestens 76 Menschen aufgrund mangelhafter Ernährung, ungeeigneter, giftiger Nahrung und fehlender Medikamente gestorben sein (BAMF 22.02.2016).
Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. Im Irak und insbesondere in der Metropole Bagdad ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige irakische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. Besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht erkennbar. Vielmehr verfügt der Kläger im Irak über einen Familienverband. Nach seinen Angaben beim Bundesamt leben noch seine Mutter und Onkel und Tanten in seinem Heimatland. Er wird also im Falle eine Rückkehr auf die Hilfe seiner Familienangehörigen zurückgreifen können.
Auf eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bei einer Rückkehr in den Irak kann sich der Kläger auch nicht berufen. Im Hinblick auf die oben ausgeführte Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr im Irak für den Kläger auch nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG geboten wäre. Es ergibt sich aus den genannten Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher irakischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Versorgungslage im Irak zwar schlecht ist, jedoch im Wege einer Gesamtgefahrenschau kann nicht angenommen werden, dass bei einer Rückführung nach Bagdad alsbald der sichere Tod drohe oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Vielmehr wäre der Betroffene in der Lage, durch seine frühere Tätigkeit als Schweißer oder Gelegenheitsübersetzer in Bagdad sein Einkommen wie bis zu seiner Ausreise zu erzielen und damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
4. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
5. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben