Verwaltungsrecht

Kein Flüchtlingsschutz für Kläger aus Eritrea

Aktenzeichen  23 B 18.31593

Datum:
5.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6636
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 3a Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3, § 3b, § 4 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Wehr- bzw. Nationaldienstpflicht in Eritrea knüpft als solche nicht an einen der in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 , 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe an (Rn. 28). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ebenso wie die unterschiedslose Heranziehung zur Ableistung des Militärdienstes weist auch die im Fall der Desertion oder der Wehrdienstentziehung mögliche Bestrafung in Eritrea keine Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrechtlich relevantes Merkmal auf (Rn. 42). (redaktioneller Leitsatz)
3. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass illegal ausgereisten eritreischen Staatsbürgern allein wegen der Ausreise und einer gegebenenfalls erfolgten Asylantragstellung im Ausland von staatlichen Institutionen Eritreas eine regimekritische Haltung unterstellt wird und sie deshalb im Fall einer Rückkehr von relevanten Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG betroffen sein könnten (Rn. 51). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 16.30522 2016-08-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden, weil der Bescheid der Beklagten vom 15. April 2016 bezogen auf die streitgegenständliche Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. § 3b AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen, weil ihm bei – derzeit ausschließlich hypothetischer – Rückkehr in sein Herkunftsland keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung droht.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG sind Ausländerinnen und Ausländer Flüchtlinge im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 26. Juli 1951, wenn sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftslandes) befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen und dessen Schutz sie nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen wollen. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG ist einem Ausländer, der Flüchtling in diesem Sinne ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1951 keine Abweichung zulässig ist. Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. § 3a Abs. 2 AsylG gestaltet die Legaldefinition in § 3a Abs. 1 AsylG durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen näher aus. § 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Zwischen den in den §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG bezeichneten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine kausale Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere dieser Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine Verfolgungshandlung „wegen“ eines der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, BVerfGE 80, 315 – juris Rn. 44). Die Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 -, NVwZ 2018, 1408 – juris Rn. 13; U.v. 19.1.2009 – 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 – juris Rn. 22; B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 – juris Rn. 17). Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 -, NVwZ 2018, 1408 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 19). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist aufgrund einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 S. 9, ber. ABl. 2017 Nr. L 167 S. 58) – RL 2011/95/EU – neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen u. a. das maßgebliche Vorbringen des Antragstellers und dessen individuelle Lage zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, U.v. 19.4.2018, a. a. O.).
Ausgehend hiervon droht dem Kläger im Fall einer – wegen der bestandskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes derzeit lediglich hypothetischen – Rückkehr nach Eritrea dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe; denn eine begründete Furcht des Klägers vor individueller, zielgerichteter Verfolgung im Fall einer Rückkehr nach Eritrea lässt sich nicht mit dem Risiko einer Einberufung zum Militär- bzw. Nationaldienstdienst, einer etwaigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung/Desertion oder einer etwaigen Bestrafung wegen illegaler Ausreise aus Eritrea bzw. der Asylantragstellung in Deutschland begründen, da er für keine dieser Annahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entsprechenden Maßnahmen wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe ausgesetzt wäre.
Grundsätzlich obliegt es dem Asylsuchenden bzw. dem um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass er bei verständiger Würdigung einer Verfolgung im oben genannten Sinne ausgesetzt war bzw. eine solche im Rückkehrfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen unter anderem Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden (vgl. OVG NW, U.v. 14.2.2014 – 1 A 1139/13.A – juris Rn. 35 m.w.N.).
Von den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, zu unterscheiden sind die in den allgemeinen Verhältnissen des Herkunftslandes liegenden Umstände, die eine begründete Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44 – juris Rn. 5). Hinsichtlich dieser Verhältnisse reicht es wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich – ihre Wahrheit unterstellt – hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68.81- juris Rn. 5). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (vgl. OVG Hamburg, U.v. 18.1.2018 – 1 Bf 81/17.A – juris Rn. 43 m.w.N.).
In Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsland sind die Gerichte dabei regelmäßig darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnismittel gleichsam mosaikartig ein Bild zu machen und die Prognose, ob bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu treffen. Führt diese Betrachtung zu keinem für den Schutzsuchenden günstigen Ergebnis, verbleibt es bei allgemeinen Beweislastregeln. Die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts gebietet weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ (vgl. OVG Hamburg, U.v. 18.1.2018 – 1 Bf 81/17.A – juris Rn. 45 m.w.N.). Eine solche Folgenabwägung scheidet schon deshalb aus, weil es vorliegend allein um die genaue Ausprägung des Schutzstatus, nicht aber um das Ob der Schutzgewährung geht. Eine denkbare gerichtliche Fehlbeurteilung bei der Frage der Gewährung des Flüchtlingsstatus birgt kein persönliches Risiko für den Schutzsuchenden, weil er infolge des zuerkannten subsidiären Schutzes bereits nachhaltigen Schutz genießt (OVG Hamburg, Urt. v. 18.1.2018 – 1 Bf 81/17.A – juris Rn. 45).
Nach diesen Maßgaben lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisquellen zu Eritrea sowie den eigenen Angaben des Klägers nicht zur Überzeugung des Senats feststellen, dass dem (nicht vorverfolgten, dazu unten 1.) Kläger im Falle seiner (hypothetischen) Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht. Dies gilt zunächst im Hinblick auf eine Heranziehung des Klägers zum Nationaldienst als solchem (nachfolgend unter 2.). Aber auch die vom Kläger befürchtete Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Nichtableistung des Nationaldienstes (nachfolgend unter 3.) bzw. eine illegale Ausreise und die Asylantragstellung (nachfolgend unter 4.) erfüllen nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgen würde.
1. Da Grundlage der bezüglich der Rückkehrgefährdung des Klägers zu treffenden Prognoseentscheidung dessen bisheriges Schicksal ist, ist vorab festzustellen, dass der Kläger Eritrea nicht vorverfolgt im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU verlassen hat und dass daher die sich aus einer Vorverfolgung ergebende Beweiserleichterung bezüglich einer anzunehmenden Verfolgungsfurcht im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht eingreift. Die aus einer Vorverfolgung resultierende Beweiserleichterung setzt voraus, dass derjenige, der sich darauf beruft, bereits eine entsprechende Verfolgung – und nicht lediglich einen sonstigen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG – im Heimatland erlitten hat oder dass ihm eine solche unmittelbar bevorgestanden hat. Dies setzt eine Verfolgungshandlung im Heimatland gemäß § 3a AsylG voraus (Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 EU), die gemäß § 3 Abs. 3 AsylG (Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95 EU) an einen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Art. 10 RL 2011/95/EU) näher bezeichneten Verfolgungsgrund anknüpfen muss. Eine derartige Vorverfolgung hat der Kläger vor seiner Ausreise im Heimatland nach seinen Angaben nicht erlitten. Insbesondere die geltend gemachte Furcht vor der Einberufung in den Nationaldienst hatte sich im Falle des Klägers zum Zeitpunkt von dessen Ausreise, in dem er nach eigenen Angaben erst 14 Jahre alt war, weder realisiert, noch handelte es sich dabei um eine unmittelbar bevorstehende Drohung. Das Vorbringen, sein Vater habe als Soldat kämpfen müssen und sei viele Jahre im Gefängnis gewesen, begründet keine Vorverfolgung in der Person des Klägers.
2. Dies zugrunde gelegt vermag eine dem Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Eritrea gegebenenfalls drohende Einberufung zum Wehr-/Nationaldienst für sich genommen, d.h. ohne das Hinzutreten individueller Umstände, die im Fall des Klägers fehlen, die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG nicht zu rechtfertigen; denn die Wehr- bzw. Nationaldienstpflicht in Eritrea knüpft als solche nicht – wie es § 3a Abs. 3 AsylG für die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung erfordert und wie es vor allem auch der Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen [Hervorhebung durch den Senat] …“ vorsieht – an einen der in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe an, da die Verpflichtung zur Ableistung des Wehr- bzw. Nationaldienstes im Wesentlichen alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen trifft und zwar ohne Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Diese Auffassung entspricht der gesamten hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 23 ff.; OVG Saarland, U.v. 21.3.2019 – 2 A 7/18 – juris Rn. 27 ff. und 2 A 10/18 – juris Rn. 20 ff.; OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 42 ff. und 4 Bf 232/18.A – juris Rn. 39 ff.; siehe auch BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 – juris; vgl. hierzu bereits BayVGH, B.v. 23.4.2018 – 20 ZB 18.30815 – juris Rn. 5 – 7; vgl. zur erstinstanzlichen Rechtsprechung, in der diese Auffassung auch ganz überwiegend vertreten wird, die Nachweise bei HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 25). Der Senat schließt sich dem unter Berücksichtigung der verfügbaren Erkenntnisquellen und den Ausführungen der Beteiligten aus den nachfolgend wiedergegebenen Gründen an.
Dabei teilt der Senat den Ausgangspunkt der Argumentation des Klägers, demzufolge das Urteil des Verwaltungsgerichts bereits deshalb falsch sei, weil sich aus den herangezogenen Erkenntnissen keine Veränderung oder gar Verbesserung der Lage von Rückkehrern gegenüber den Erkenntnissen ergebe, die nach überwiegender früherer Rechtsprechung in der Regel zur Flüchtlingsanerkennung geführt habe, nicht. Zwar trifft es grundsätzlich zu, dass in der früheren, mittlerweile aber überholten erstinstanzlichen Rechtsprechung in vielen Fällen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Das beruht aber nicht darauf, dass zur damaligen Zeit gänzlich andere Erkenntnisse vorlagen, sondern darauf, dass aus den damals vorliegenden Informationen zum Teil andere Schlussfolgerungen gezogen wurden. Es ist somit für die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht erforderlich, gänzlich andere, von den früheren Erkenntnissen abweichende Erkenntnisse zu verlangen, vielmehr ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zu Ergebnissen kommt, die von früheren Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte abweichen.
Gemäß der Proklamation Nr. 82/1995 über den Nationaldienst (Proclamation on National Service No. 82/1995) vom 23. Oktober 1995 sind in Eritrea Männer und Frauen vom achtzehnten bis zum vierzigsten Lebensjahr nationaldienstpflichtig („active national service“) und gehören bis zum fünfzigsten Lebensjahr der Reservearmee („reserve military service“) an (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse vom 30.6.2017, S. 4). Nach abweichenden Angaben soll sich das Höchstalter für den Wehr- und Nationaldienst seit 2009 für Männer auf 57 und für Frauen auf 27 bzw. 47 Jahre belaufen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 15; Amnesty International (AI) an VG Magdeburg vom 2.8.2018). Der Nationaldienst unterteilt sich in einen aktiven Dienst von offiziell achtzehn Monaten und in einen Reservistendienst. Der aktive Nationaldienst besteht aus einer sechs Monate dauernden militärischen Ausbildung und einem sich daran anschließenden zwölfmonatigen Militärdienst oder einer entsprechend langen Verwendung im Bereich von Tätigkeiten zur Landesentwicklung. Ungeachtet der in der Proklamation Nr. 82/1995 festgelegten Dauer der Dienstpflicht und der vorgesehenen Altersobergrenzen ist der Nationaldienst in Eritrea in der Praxis jedoch grundsätzlich unbefristet. Im Jahr 2002 verlängerte die eritreische Regierung die Nationaldienstpflicht faktisch auf unbestimmte Zeit. Diese Maßnahme wurde bislang mit der proklamierten „no war no peace“-Situation im Verhältnis zu Äthiopien begründet und trotz mehrfacher Bekundungen, die Dauer des Nationaldienstes wieder auf 18 Monate zu beschränken, weiter aufrechterhalten (vgl. European Asylum Support Office (EASO), Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 40 f.; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 18; Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22.6.2016, aktualisiert am 10.8.2016, S. 45 ff.).
Inwieweit die jüngste Entspannung zwischen Eritrea und Äthiopien zu Veränderungen beim Nationaldienst, insbesondere bei der unbefristeten Dienstpflicht, führen wird, lässt sich nach gegenwärtiger Erkenntnisquellenlage nicht verlässlich beurteilen (vgl. dazu EASO, Eritrea, National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 22; United Kingdom Home Office (UKHO), Country Policy and Information Note – Eritrea: National service and illegal exit, Version 5.0, Juli 2018, S. 16). Der Nationaldienst kann sich oftmals über mehrere Jahre erstrecken, wobei die Dienstverpflichteten entweder für eine zivile oder eine militärische Verwendung eingeteilt werden. Ebenso kommt es vor, dass Wehrpflichtige bereits nach Ableistung des achtzehnmonatigen Wehrdienstes nicht nur aus dem Militär-, sondern auch aus dem Nationaldienst insgesamt entlassen werden, etwa um dem Dienstpflichtigen bei guten schulischen Leistungen einen frühzeitigen Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Militär- bzw. aus dem Nationaldienst entlassen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 15). Generell ausgenommen vom Nationaldienst sind lediglich Personen, die ihre Dienstpflicht bereits vor Inkrafttreten der Proklamation Nr. 82/1995 erfüllt haben, sowie ehemalige Unabhängigkeitskämpfer (Art. 12 der Proklamation Nr. 82/1995). Gesundheitliche Beeinträchtigungen führen in der Regel nur dazu, dass die militärische Ausbildung oder der aktive Nationaldienst erlassen sind (Art. 13 ff. der Proklamation Nr. 82/1995), nicht jedoch die Dienstverpflichtung als solche. Ein Recht auf Wehrdienstverweigerung bzw. einen Ersatzdienst gibt es nicht (zur Nationaldienstverpflichtung insgesamt EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 32 ff.; EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Eritrea: Nationaldienst und illegale Ausreise, November 2016, S. 11 ff.; EASO, Eritrea, National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 22 ff.; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22.6.2016, aktualisiert am 10.8.2016, S. 11 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, Gesamtaktualisierung vom 26.2.2019, S. 12 ff.; SFH, Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse vom 30.6.2017, S. 4 f.; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 18 f.).
Ausgehend hiervon unterläge der Kläger wegen seines Alters in seinem Heimatland zwar noch immer einer aktiven Dienstpflicht; eine dem Kläger im Fall seiner Rückkehr etwaige drohende Einziehung zum eritreischen Nationaldienst würde insoweit aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG anknüpfen.
Angesichts der insoweit praktisch sämtliche erwachsenen – zum Teil wird berichtet, dass faktisch auch 17-jährige eingezogen bzw. aufgeboten würden – eritreischen Staatsbürger gleichermaßen ohne Ansehung von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen ausnahmslos treffenden Dienstverpflichtung – eine Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe findet insoweit nicht statt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 15 f.; EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 33 f.; EASO, Eritrea, National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 31; vgl. auch OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 45 und 4 Bf 232/18.A – juris Rn. 42; OVG Saarland, U.v. 21.3.2019 – 2 A 7/18 – juris Rn. 27 und 2 A 10/18 – juris Rn. 21; HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 25) – fehlt es insbesondere an Anhaltspunkten dafür, dass die Heranziehung zum Nationaldienst als solche bzw. eine etwaige unmenschliche Behandlung während des Nationaldienstes an eine dem Kläger unterstellte regimegegnerische politische Überzeugung anknüpfen. Aus keinem der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel ergibt sich etwas anderes, als dass der eritreische Staat im Wesentlichen alle Staatsbürger ab der Volljährigkeit oder faktisch zum Teil auch kurz vorher in den Nationaldienst einzieht bzw. das vorgesehen ist. Soweit Ausnahmen hiervon berichtet werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 15 Mitte; EASO, Eritrea, National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 31 f.), handelt es sich nicht um Umstände, die zielgerichtet an politische Überzeugungen, an die Rasse oder ein sonstiges asylerhebliches Merkmal i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpfen, sondern an Umstände, die an eine, nach den Berichten im Wesentlichen bzw. in den meisten Fällen faktisch verneinte, Unzumutbarkeit anknüpfen.
Daran ändert sich auch durch die Argumentation im Schriftsatz vom 4. Februar 2020 nichts. Die in diesem Schriftsatz auszugsweise wiedergegebenen Passagen aus Art. 5 der Proklamation Nr. 82/1995 und aus deren Präambel (beides auf S. 3 des Schriftsatzes) rechtfertigen weder für sich noch erst recht in der Zusammenschau mit den oben dargestellten Erkenntnissen – unabhängig davon, dass nicht auf den reinen Wortlaut von Gesetzen des vermeintlichen Verfolgerstaats abzustellen ist, sondern auf deren tatsächliche Umsetzung – die Annahme einer Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung durch die Pflicht zur Ableistung des eritreischen Nationaldienstes, die grundsätzlich jeden eritreischen Staatsangehörigen trifft.
Die vom Klägerbevollmächtigten insbesondere, zum Teil auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung, in den Vordergrund gestellten Spiegelstriche zwei und fünf des Artikels 5 der Proklamation Nr. 82/1995 enthalten für eine solche Annahme keine durchgreifenden Anhaltspunkte. Im zweiten Spiegelstrich wird auf den Freiheitskampf des eritreischen Volkes Bezug genommen, diese Kultur des Freiheitskampfes usw. soll an die kommenden Generationen weitergegeben werden, außerdem sollen harte Arbeit, Disziplin und eine „allzeit bereite“ künftige Generation zur Teilhabe am Wiederaufbau sichergestellt werden. Darin drücken sich keinerlei politische Ziele aus, die nicht im Interesse jeglicher staatlicher Dienstpflicht lägen, die fraglos vom eritreischen Staat politisch gewollt sein darf. Auch der fünfte Spiegelstrich gibt inhaltlich nichts dafür her, was entgegen den oben dargestellten Bewertungen auf Grund der Erkenntnislage zu einem anderen Ergebnis führen würde. Auch dieser Inhalt ist begrifflich vollkommen allgemein gehalten. Es geht darin um ein Bekenntnis zur Einheit der Nation und gegen Abspaltungstendenzen und Auflösungserscheinungen bezogen auf die Einheit der Nation. Der Begriff des Nationalismus ist ersichtlich nicht in einem negativen, abgrenzenden Sinn verwendet, sondern in dem Sinne, dass die Einheit der Nation erhalten werden soll. Dabei handelt es sich zweifelsohne um allgemeine Anliegen, die jeder Staat für sich in Anspruch nehmen kann. Dass der eritreische Staat den Nationaldienst, wie oben ausführlich dargestellt, in einer zum Teil unmenschlichen Art und Weise umsetzt, bleibt davon unberührt, es bleibt aber ebenso dabei, dass dies nicht in einem Anknüpfen an eine bestimmte politische Überzeugung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG gründet, sondern die eritreischen Staatsangehörigen unterschiedslos trifft.
Damit verbleibt es dabei, dass es sich hierbei um eine Gefahr handelt, die nicht unter die flüchtlingsrelevanten Merkmale i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4,§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG fällt. Solche Gefahren, die alle im Wesentlichen unterschiedslos treffen, sind qua § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dem subsidiären Schutz zugeordnet, den der Kläger bereits zuerkannt bekommen hat.
Es kann wegen der möglichen Heranziehung des Klägers zur Dienstleistung im Nationaldienst als Zugehörigem zur Gruppe der Dienstleistungsverpflichteten auch nicht vom Vorliegen des Verfolgungsgrundes der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Var. 5, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausgegangen werden; denn angesichts der die eritreische Bevölkerung ausnahmslos treffenden Dienstverpflichtung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gruppe der Dienstverpflichteten im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 lit. b) AsylG von der eritreischen Gesellschaft als andersartig betrachtet würde und daher eine deutlich abgegrenzte Identität besäße (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 31). Da die Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen Nationaldienstes bzw. Wehrdienstes grundsätzlich sämtliche Staatsangehörigen Eritreas trifft und keine Auswahl oder Auslese anhand flüchtlingsschutzrechtlicher Merkmale erfolgt, kann daher die bloße Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes – die sich wie dargelegt ohne Anknüpfung an persönliche Verfolgungsmerkmale im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG vollzieht – nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Bezüglich der Heranziehung zum Militärdienst kommt unabhängig davon hinzu, dass diese – wie es in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG indirekt zum Ausdruck kommt – jedenfalls grundsätzlich nicht dem sogenannten flüchtlingsschutzrechtlichen Schutzversprechen unterfällt. Ob in der Heranziehung des (inzwischen) grundsätzlich dienstverpflichteten Klägers zum Nationaldienst für sich genommen eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu sehen ist, kann offen bleiben. Denn die Nationaldienstpflicht knüpft jedenfalls nicht – wie es § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsyG und § 3a Abs. 3 AsylG fordern – an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe an. Wie ausgeführt, trifft die Verpflichtung zur Ableistung des Nationaldienstes im Wesentlichen alle eritreischen Staatsangehörigen (vgl. Art. 6 und 8 der Proklamation Nr. 82/1995: „any Eritrean citizen“, „all Eritrean citizens“; EASO, Eritrea, National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 31).
Auch eine Anknüpfung an das Merkmal der Rasse gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG liegt im Fall des Klägers nicht vor, da der eritreische Nationaldienst nicht allgemein an dieses Merkmal anknüpft und individuelle Besonderheiten beim Kläger insofern nicht vorliegen. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger in diesem Zusammenhang angeführten Unterlage (Kibreab, The Eritrean National Service, 2017, S. 119 bzw. S. 187 f.) ist eine Anknüpfung an dieses Merkmal nicht belegt. Außer der vom Kläger dafür genannten Unterlage gibt es in diese Richtung keine Erkenntnisse. Die genannte Unterlage dagegen gibt das, was ihr der Kläger beilegen möchte, nach dem von ihm Zitierten tatsächlich gar nicht her. Unabhängig davon, dass keinerlei empirische Grundlage für die Behauptung, dass Angehörige einiger kleiner Volksgruppen weniger häufig zum Nationaldienst eingezogen würden als die Angehörigen der beiden größten eritreischen Volksgruppen, genannt wird, ist es nicht verwunderlich, dass mehr Angehörige der Tigrinya und der Tigre eingezogen werden, da – wie der Kläger selbst sagt – diese Volksgruppen wesentlich größer sind als die übrigen genannten. Es werden auch keine Daten dazu genannt, dass die kleineren Volksgruppen überhaupt groß genug wären, um statistisch von Belang zu sein. Eine entsprechende Differenzierung auf Grund anderweitiger erreichbarer Erkenntnisse ist nicht möglich, weil keine Zahlen vorliegen, wie sich die eritreische Bevölkerung auf die einzelnen Ethnien verteilt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 11). Schließlich bezieht sich die Aussage des Klägers insbesondere auf die Gruppe muslimischer junger Frauen, die weniger eingezogen würden, was so auch aus anderen Quellen folgt (vgl. SFH, Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse vom 30.6.2017, S. 12; EASO, Eritrea: National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 31 f.), aber mit dem Fall des Klägers nichts zu tun hat.
3. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung des Klägers im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ergibt sich auch nicht aus der von ihm geäußerten Befürchtung, ihm drohe bei einer Rückkehr nach Eritrea eine unangemessen harte Bestrafung zum Zweck der Ahndung einer ihm infolge seiner Wehrdienstentziehung unterstellten politischen Gegnerschaft; denn eine mögliche Bestrafung des Klägers im Falle einer Rückkehr nach Eritrea wegen Wehrdienstentziehung würde jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an einen in §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund, insbesondere nicht an das insofern vorrangig maßgebliche Merkmal einer – auch nur unterstellten – gegnerischen politischen Überzeugung des Klägers anknüpfen (vgl. OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 55 und 58 und 4 Bf 232/18.A – juris Rn. 49 und 52; OVG Saarland, U.v. 21.3.2019 – 2 A 10/18 – juris Rn. 24 und 2 A 7/18 – juris Rn. 32; HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 28). Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Erkenntnisquellen überwiegen zur Überzeugung des Senats die Tatsachen, die dagegen sprechen, dass der eritreische Staat jedem eritreischen Staatsbürger, der illegal ausgereist ist und dadurch den Nationaldienst umgeht, generell eine Regimegegnerschaft bzw. oppositionelle politische Überzeugung unterstellt, die dafür sprechenden Umstände.
Ein Ausländer wird wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt, wenn dies geschieht, weil der Ausländer eine bestimmte Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, und zwar in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Dabei genügt es, dass dem Ausländer diese Überzeugung von seinem Verfolger zugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Die politische Überzeugung wird in erheblicher Weise unterdrückt, wenn ein Staat mit Mitteln des Strafrechts oder in anderer Weise auf Leib, Leben oder die politische Freiheit des einzelnen schon deshalb zugreift, weil dieser seine mit der Staatsraison nicht übereinstimmende politische Meinung nach außen bekundet und damit notwendigerweise eine geistige Wirkung auf die Umwelt ausübt und meinungsbildend auf andere einwirkt. Hiervon kann insbesondere auszugehen sein, wenn er eine Behandlung erleidet, die härter ist als sie sonst zur Verfolgung ähnlicher nichtpolitischer Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat üblich ist (sog. „Politmalus“). Demgegenüber liegt keine Sanktionierung einer politischen Überzeugung vor, wenn die staatliche Maßnahme allein der Durchsetzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht dient. Dies gilt auch für Sanktionen, die an eine Wehrdienstentziehung anknüpfen, selbst wenn diese von totalitären Staaten verhängt werden. Solche Maßnahmen begründen nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Furcht vor Verfolgung, wenn sie den Betroffenen über die Ahndung des allgemeinen Pflichtenverstoßes hinaus wegen seiner politischen Überzeugung – oder auch eines sonstigen asylrechtlich erheblichen Merkmals – treffen sollen. Indizien hierfür können ein unverhältnismäßiges Ausmaß der Sanktionen oder deren diskriminierender Charakter sein (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 22 m. w. N.).
Nach Art. 37 Abs. 1 der Proklamation Nr. 82/1995 vom 23. Oktober 1995 werden Verstöße gegen dieses Regelwerk mit Haftstrafen von zwei Jahren und/oder Geldstrafe geahndet, sofern sich aus dem eritreischen Strafgesetzbuch keine härteren Strafen ergeben. Nach Art. 300 des von Eritrea nach der Unabhängigkeit übernommenen äthiopischen Strafgesetzbuchs von 1991 kann Desertion in Friedenszeiten mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. In Kriegszeiten beläuft sich das Strafmaß für Desertion auf Haft von fünf Jahren bis lebenslänglich. In schweren Fällen kann auch die Todesstrafe verhängt werden. Im Jahr 2015 wurde ein neues Strafgesetzbuch bekanntgegeben, das in Art. 119 für Desertion in Friedenszeiten Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren, in Kriegszeiten zwischen sieben und zehn Jahren vorsieht. Die Todesstrafe in Fällen der Desertion ist hiernach abgeschafft, jedoch soll das neue Strafgesetz noch keine Anwendung finden (Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10.10.2017; AI vom 28.7.2017, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea). In der Regel soll die Bestrafung von Deserteuren aber willkürlich, nicht nach der Gesetzeslage und außergerichtlich in einem administrativen Verfahren erfolgen (Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10.10.2017; AI an VG Magdeburg vom 2.8.2018). Derzeit spricht vieles dafür, dass Strafen für Verstöße gegen die Nationaldienstpflicht und gegen die Ausreisebestimmungen milder ausfallen; insbesondere die Haftzeiten sollen sich verkürzt haben, was vornehmlich auf den Umstand zurückzuführen sein soll, dass immer mehr Eritreer versucht haben sollen, das Land zu verlassen und dabei aufgegriffen worden sein sollen, was die Zahl der Inhaftierten beträchtlich erhöht haben soll. Zum anderen soll ein Grund für kürzere Haftdauern möglicherweise darin zu sehen sein, dass betroffene Personen schnell wieder dem Nationaldienst zugeführt werden sollen, da die große Anzahl von Deserteuren dort erhebliche Lücken hinterlassen hat (vgl. AI an VG Magdeburg vom 2.8.2018). Bei alledem sind die potentiell alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen treffenden Haftbedingungen prekär und dürften angesichts häufig überbelegter Zellen, mangelnden hygienischen Bedingungen und einer unzureichend gewährleisteten Versorgung mit Trinkwasser und medizinischen Leistungen als insgesamt inhuman einzustufen sein. Auch Folter und Misshandlungen sollen gegenüber Inhaftierten sowohl zur Beschaffung von Informationen und Geständnissen als auch als Teil der Bestrafung eingesetzt werden (vgl. AI an VG Magdeburg vom 2.8.2018). Zugleich besteht bei alledem aber für Deserteure, die nach einem Auslandsaufenthalt freiwillig nach Eritrea zurückkehren wollen, nach behördeninternen Richtlinien die Möglichkeit, ihren Status vor der Rückkehr nach Eritrea zu legalisieren, indem sie in der jeweiligen Botschaft vor Ort den sog. „Diaspora-Status“ beantragen. Die Erteilung des Status befreit die Antragsteller von der nationalen Dienstpflicht und der Notwendigkeit der Vorlage eines Ausreisevisums bei Wiedereinreise. Voraussetzung für die Erteilung des „Diaspora-Status“ ist ein mindestens dreijähriger Auslandsaufenthalt und dass der Dienstflüchtige die Diasporasteuer (Aufbausteuer) in Höhe von zwei Prozent seines Einkommens gezahlt und ein „Reueformular“ unterzeichnet hat. Letzteres umfasst ein Schuldeingeständnis und die Erklärung, die vorgesehene Strafe gegebenenfalls anzunehmen. Zu einer Bestrafung soll es dann nicht kommen, wobei der „Diaspora-Status“ auf drei Jahre begrenzt ist und die Rückkehrer im Anschluss hieran wieder wie alle anderen eritreischen Staatsangehörigen behandelt werden, also gegebenenfalls wieder militär- und nationaldienstpflichtig werden (AI vom 28.7.2017, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea; AI an VG Magdeburg vom 2.8.2018; EASO, Eritrea: National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 57 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, Gesamtaktualisierung vom 26.2.2019, S. 29; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 21).
Obschon die durch das eritreische Regime für den Fall der Wehrdienstentziehung/Desertion verhängten Strafen insofern ein Maß erreichen können, das im Widerspruch zu elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen steht, besitzt die staatliche Bestrafung der Wehrdienstentziehung in Eritrea keine flüchtlingsschutzrechtliche Relevanz, da sie nicht an ein persönliches Verfolgungsmerkmal im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpft. Ebenso wie die unterschiedslose Heranziehung zur Ableistung des Militärdienstes weist auch die im Fall der Desertion mögliche Bestrafung keine Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrechtlich relevantes Merkmal auf.
Eine Bestrafung wegen Desertion bzw. Wehrdienstentziehung unterfällt grundsätzlich dem asylrechtlich nicht berücksichtigungsfähigen, souveränen Strafanspruch eines jeden Staates. Es liegt daher grundsätzlich keine Sanktionierung einer politischen Überzeugung vor, wenn staatliche Maßnahmen allein der Durchsetzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Dienstpflicht dienen. Der Umstand, dass Sanktionen an eine Wehrdienstentziehung/Desertion anknüpfen, rechtfertigt demzufolge für sich genommen noch nicht den Schluss auf eine politische Verfolgung. Wie bereits ausgeführt, kann eine Bestrafung wegen Desertion bzw. Wehrdienstentziehung eine flüchtlingsschutzrechtliche Relevanz daher nur dann erhalten, wenn Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, eine an ihre politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich droht. Von daher stellt – auch in totalitären Staaten – eine an eine Wehrdienstentziehung/Desertion anknüpfende Sanktion grundsätzlich erst dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie gerade den Betroffenen darüber hinaus zusätzlich speziell wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder wegen eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen soll (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 22 und B. v. 24.4.2017 – 1 B 22.17 – juris Rn. 14, jew. m. w. N.).
Ausgehend von der aktuellen Situation innerhalb Eritreas bestehen indes keine Anhaltspunkte dafür, dass Deserteuren, die sich in Eritrea selbst oder durch Flucht in das Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, im Fall ihrer Ergreifung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine regimegegnerische Haltung unterstellt und dass ihnen eine hierauf gestützte härtere Bestrafung, als sie jeder Betroffene zu gewärtigen hat, zu Teil wird. Bei der für den Fall der Desertion drohenden Strafverfolgung handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den einschlägigen eritreischen Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen binden. Sie sanktionieren ausschließlich die fehlende Ableistung des Wehrdienstes, ohne an individuelle Persönlichkeitsmerkmale anzuknüpfen. Oftmals erfolgen Verhaftungen auch willkürlich und ohne Angabe von Gründen. Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Bestrafung der Wehrdienstentziehung bestehen damit nicht (vgl. Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10.10.2017 und an VG Cottbus vom 24.4.2018). Selbstverständlich ist es vorstellbar, dass gerade aus der Willkür der Bestrafungen eine politisch motivierte Systematik bzw. Konnotation gefolgert werden könnte. Jedoch fehlt es auch insoweit an tatsächlichen Anhaltspunkten. Auch die Tatsache, dass es während der gesetzlich vorgesehenen Inhaftierungen zu Folter und Misshandlungen kommen kann, rechtfertigt keine abweichende Wertung (vgl. OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 59; OVG Saarland, U.v. 21.3.2019 – 2 A 10/18 – juris Rn. 27 und 2 A 7/18 – juris Rn. 25; HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 33). Auch wenn der Einsatz von Folter ein Indiz für den politischen Charakter einer Maßnahme darstellen kann, bleibt er ein Indiz und ermöglicht für sich noch keinen zwingenden Rückschluss auf eine tatsächlich dahingehende subjektive Verfolgungsmotivation, wenn wie hier in der zu treffenden Abwägung der Erkenntnismittel diejenigen überwiegen, die dagegen sprechen. Es bedarf daher insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien zur Beurteilung der tatsächlichen Verfolgungsmotivation. Derartige objektive Kriterien können vor allem die tatsächlichen und rechtsstaatlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staates, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des Einzelnen und die Behandlung von Minderheiten sein. Maßgeblich ist, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugung seiner Staatsbürger unbeachtet lässt. Auch die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische motivierte Verfolgung nicht zu begründen. Ausgehend hiervon bestehen – ungeachtet der Umstände, dass der Nationaldienst in Eritrea, worauf im Schriftsatz vom 24. Juli 2019 ausführlich hingewiesen wird, auch als politisches Projekt u. a. zur Vermittlung einer nationalen Identität verstanden wird und Verstöße in diesem Zusammenhang gegebenenfalls auch mit harten Sanktionen belegt werden – keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass die im Fall der Nationaldienstentziehung bzw. Desertion in Eritrea gegebenenfalls drohende Haftstrafe in Verbindung mit den prekären Haftbedingungen eine Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale aufweist. Auch der Vortrag des Klägers bietet hierzu nichts Belastbares.
Für diese Einschätzung ist außerdem maßgeblich, dass die faktisch unbegrenzte Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen National- bzw. Militärdienstes – der im Nachgang zu der Grundausbildung oftmals auch einen Einsatz in der staatlichen Verwaltung umfasst – zuvörderst der Aufrechterhaltung und Sicherung der staatlichen Funktionsfähigkeit dient. Angehörige des Nationaldienstes leisten ihren Dienst nicht allein im eritreischen Militär, sondern auch beim Aufbau von Infrastruktur, etwa beim Straßen- und Dammbau, beim Bau von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden sowie in der Landwirtschaft. Angehörige des zivilen Dienstes des Nationaldienstes arbeiten zudem in allen Bereichen der staatlichen Verwaltung und der Wirtschaft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 15; SFH, Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse vom 30.6.2017, S. 6 f.). Die gesamte Volkswirtschaft Eritreas und der eritreische Staatsapparat stützen sich auf die Nationaldienstverpflichtung, die in ihrer derzeitigen Ausgestaltung am ehesten als eine Form staatlichen Zwangsdienstes zur Aufrechterhaltung der staatlichen Strukturen zu charakterisieren ist. Von daher dient der Nationaldienst in Eritrea neben militärischen Verteidigungszwecken vor allem der Förderung der volkswirtschaftlichen Entwicklung und Förderung des Landes, der Steigerung der Gewinne staatsnaher bzw. staatlich unterstützter Unternehmen und der Aufrechterhaltung der Kontrolle über die eritreische Bevölkerung. Dies wiederum rechtfertigt die Annahme, dass die durchaus empfindliche Bestrafung der Wehr- bzw. Nationaldienstentziehung oder der Desertion allein dazu dient, die bestehende Herrschaftsstruktur zu sichern und insbesondere das auf der Langzeitverpflichtung der eritreischen Staatsbürger beruhende staatliche System am Leben zu erhalten. Insofern dient die Sanktionierung der Wehr- bzw. Nationaldienstentziehung durch den eritreischen Staat auch nicht der Sanktionierung einer tatsächlichen oder unterstellten missliebigen politischen Überzeugung seiner Bürger, sondern der Durchsetzung der Dienstverpflichtungen im Interesse der Systemsicherung (vgl. OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 64; OVG Saarland, U.v. 21.3.2019 – 2 A 10/18 – juris Rn. 27 f. und 2 A 7/18 – juris Rn. 25 f.; HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 34).
Für dieses Verständnis spricht auch der vornehmlich auf die Generierung von Staatseinnahmen und damit auf ein ökonomisches staatliches Interesse zielende Umgang des eritreischen Staates mit Rückkehrern, der diesen in den Fällen der illegalen Ausreise die Möglichkeit bietet, unter Diaspora-Status – für dessen Erlangung ein mindestens dreijähriger Auslandsaufenthalt, die Zahlung einer zweiprozentigen Aufbausteuer auf das Jahreseinkommen und im Fall einer Nichterfüllung der Nationaldienstpflicht die Unterzeichnung eines sogenannten „Reueformulars“ erforderlich ist (s.o.) – Reisepässe ausgestellt zu bekommen, unbehelligt nach Eritrea ein- und wieder auszureisen und sich dort vorübergehend, etwa zu Besuchszwecken, aufzuhalten. Dies macht deutlich, dass der eritreische Staat die Frage einer Bestrafung von Personen, die durch illegale Ausreise den Nationaldienst umgehen, auch von ökonomischen Interessen abhängig macht, was gegen die Annahme der Sanktionierung einer vermeintlich abweichenden politischen Überzeugung spricht. Würde der eritreische Staat Personen, die sich dem Wehr- bzw. Nationaldienst durch Flucht entzogen haben, tatsächlich als politische Gegner einstufen, wäre die Einräumung einer freiwilligen und unbehelligten Rückkehrmöglichkeit gegen Zahlung einer Abgabe unter Verzicht auf die zumindest teilweise bzw. zeitlich begrenzte Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs nicht nachvollziehbar. Diese Vorgehensweise belegt daher, dass der eritreische Staat gerade nicht jedem eritreischen Staatsbürger, der illegal ausgereist ist und sich dadurch dem Nationaldienst entzieht, generell eine Regimegegnerschaft bzw. oppositionelle politische Überzeugung unterstellt bzw. dass er einer möglicherweise hinter der individuellen Entscheidung zur Desertion stehenden politischen Überzeugung jedenfalls keine entscheidende Bedeutung beimisst. Auch wenn die mit dem Diaspora-Status verbundene freiwillige Rückkehrmöglichkeit – insbesondere vor dem Hintergrund des willkürlichen Agierens der eritreischen Behörden – unter Umständen nicht in jedem Fall eine absolute Sicherheit vor einer Bestrafung bieten mag, die damit einhergehenden Privilegien auf drei Jahre befristet sind und danach die zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden staatsbürgerlichen Pflichten des Militär- und Nationaldienstes erneut greifen, spricht gleichwohl die bloße Eröffnung der Rückkehrmöglichkeit durch den eritreischen Staat dagegen, dass zurückkehrenden Personen, die illegal ausgereist waren und sich dem Nationaldienst durch Flucht entzogen haben, generell eine politische Gegnerschaft zugeschrieben wird (OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 63; OVG Saarland, U.v. 21.3.2019 – 2 A 10/18 – juris Rn. 28 und 2 A 7/18 – juris Rn. 34; HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 35).
Hinsichtlich des sogenannten Reueformulars wird im Schriftsatz vom 24. Juli 2019 ausgeführt, dass der eritreische Staat mit der Forderung nach der Abgabe der im Formular enthaltenen Erklärung die Aufgabe der unterstellten politischen Gegnerschaft verlange. Jedoch hat die Wendung der „Stärkung patriotischer Gefühle“ in Verbindung mit einem Geständnis in erster Linie strafrechtliche Bedeutung, lässt jedoch nicht generell auf eine unterstellte politische Gegnerschaft schließen. Das mag womöglich für Eritreer anders sein, die sich im Ausland regimekritisch geäußert haben, das ist dann allerdings keine allgemeine Anknüpfung an eine politische Überzeugung oder an ein anderes der gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG flüchtlingsrelevanten Merkmale und hat überdies mit dem Kläger nichts zu tun.
Schließlich spricht auch das breite Spektrum möglicher Sanktionen im Fall der Entziehung vom Militär- bzw. Nationaldienst gegen die Annahme, dass den entsprechenden Sanktionierungen ein politischer Charakter zukommt. Neben der Verhängung einer Haftstrafe kann die staatliche Reaktion auch nur in einer Belehrung bestehen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 21; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, Gesamtaktualisierung vom 26.2.2019, S. 29). Würde der eritreische Staat allen Personen, die illegal ausgereist bzw. sich durch Flucht der Ableistung des Nationaldienstes entzogen haben, generell eine Regimegegnerschaft unterstellen, wäre statt dessen zu erwarten, dass er diesem Umstand in der Bestrafungspraxis auch konsequent Rechnung trägt und dass er alle derart auffällig gewordenen Personen im Wesentlichen gleichermaßen hart bestraft. Gegen eine politische Zielrichtung spricht ferner, dass der Zweck der Sanktionierungsmaßnahmen – neben der Aufrechterhaltung des staatlichen Zwangsdienstes -auch darin zu sehen sein dürfte, durch Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst eine Aufrechterhaltung der Disziplin und der Kontrolle über die Bevölkerung zu erreichen.
Nach alledem zielen die Maßnahmen zur Sanktionierung einer National- bzw. Wehrdienstentziehung bzw. einer Desertion in Eritrea erkennbar nicht auf eine individuell unterstellte politische Überzeugung der Betroffenen. Sie sind vielmehr als Ausdruck des totalitären Herrschaftsanspruchs des eritreischen Regimes zu deuten, dessen Durchsetzung gegenüber der Bevölkerung für sich genommen noch keine politische Verfolgung darstellt. Dient aber die Sanktionierung des Entzugs vom Nationaldienst vor allem der Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst zur Aufrechterhaltung der Kontrolle über die eigenen Staatsbürger, so ist sie vornehmlich ein Mittel, durch das der eritreische Staat allgemein versucht, seinen Herrschaftsanspruch zu sichern und gegenüber der Bevölkerung durchzusetzen sowie den eritreischen Nationaldienst, auf den der eritreische Staat angewiesen zu sein scheint, durchzuführen, aber nicht Ahndung einer individuellen politischen Überzeugung des Einzelnen. Die harten Haftbedingungen und die gewaltorientierte Behandlung von Gefängnisinsassen wiederum treffen alle inhaftierten Eritreer gleichermaßen, ohne dass insoweit eine Abgrenzung nach Merkmalen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erkennbar ist. Von daher knüpft die Pflicht zur Ableistung des Nationaldienstes sowie die Bestrafung im Falle der Wehrdienstentziehung nicht an flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgründe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an.
Im Übrigen gelten hier ergänzend die Ausführungen unter 2.
4. Schließlich vermitteln auch die illegale Ausreise und die Asylantragstellung des Klägers im Bundesgebiet keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass illegal ausgereisten eritreischen Staatsbürgern allein wegen der Ausreise und einer gegebenenfalls erfolgten Asylantragstellung im Ausland von staatlichen Institutionen Eritreas eine regimekritische Haltung unterstellt wird und dass sie deshalb im Fall der Rückkehr nach Eritrea von relevanten Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG betroffen sein könnten (vgl. OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 – 4 Bf 186/18.A – juris Rn. 67 und 70 f.; HessVGH, U.v. 30.7.2019 – 10 A 797/18.A – juris Rn. 38).
Gemäß Art. 29 Abs. 2 der Proklamation Nr. 24/1992 wird die versuchte oder vollendete illegale Ausreise aus Eritrea – welche insbesondere dann vorliegt, wenn der Ausreisewillige kein gültiges Ausreisevisum besitzt (AI vom 28.7.2017, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea 2017) – mit einem Strafmaß von bis zu fünf Jahren Haft und/oder Geldstrafe geahndet (Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10.10.2017). Allerdings ist auch insoweit davon auszugehen, dass in der Praxis verhängte Strafen nicht den gesetzlichen Regelungen entsprechen, sondern außergerichtlich und willkürlich verhängt werden. Es ist aber weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Bestrafung wegen illegaler Ausreise wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgt. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts führt der Umstand, dass Personen Eritrea illegal verlassen und sich dadurch dem Nationaldienst entzogen haben, in der Regel nicht dazu, dass ihnen eine Regimegegnerschaft unterstellt wird (Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10.10.2017 und an VG Cottbus vom 24.4.2018). Gegen eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung wegen einer unterstellten regimekritischen politischen Überzeugung von illegal Ausgereisten bzw. im Ausland Asyl Begehrenden spricht vielmehr, dass geflohene eritreische Staatsangehörige – wie wiederholt ausgeführt – die Möglichkeit haben, durch Zahlung einer sog. „Diaspora-Steuer“ und eventuelle Unterzeichnung eines Reuebekenntnisses ohne weitere Sanktionierung Reisepässe zu erhalten, unbehelligt zurück nach Eritrea zu reisen und sich dort vorübergehend aufzuhalten. So ist es gängige Praxis der eritreischen Auslandsvertretungen, diesen geflüchteten Staatsangehörigen auch im Fall der Asylantragstellung im Ausland neue eritreische Personalpapiere auszustellen, wenn die Aufbausteuer entrichtet und das Reuebekenntnis unterzeichnet worden ist (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019 S. 22 f.). Bereits diese Vorgehensweise spricht gegen eine politische Verfolgung illegal ausgereister eritreischer Staatsangehöriger. Soweit im Schriftsatz vom 24. Juli 2019, ab Seite 3 geltend gemacht wird, die Zahlung der Diaspora- oder Aufbausteuer biete keinen hinreichenden Schutz vor Bestrafung, ändert das nichts an der vorgenommenen Bewertung. Denn der Umstand, dass nicht in jedem Fall ein komplettes Absehen von Bestrafung erfolgt, stellt nicht grundsätzlich die Schlussfolgerung in Frage, dass wegen der illegalen Ausreise und der Entziehung vom Nationaldienst nicht automatisch eine politisch bedingte Regimegegnerschaft unterstellt wird.
Hinzu tritt, dass Eritrea an den Einkünften im Ausland lebender Staatsbürger maßgeblich partizipiert. Grundsätzlich ist jeder im Ausland lebende Eritreer verpflichtet, zwei Prozent seines Einkommens an den eritreischen Staat abzuführen. Aufgrund der defizitären wirtschaftlichen Situation ist Eritrea zur Stabilisierung seiner Wirtschaft und zur Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftslage auf die Zahlungen im Ausland lebender Staatsbürger zwingend angewiesen. Aufgrund dieser finanziellen Partizipation des eritreischen Staates an einem Auslandsaufenthalt seiner Staatsbürger zum Zweck der Asylantragstellung ist anzunehmen, dass Eritreern im Fall ihrer Rückkehr wegen der Asylantragstellung im Ausland keine staatliche Sanktionierung droht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 20).
Soweit der Kläger den Nationaldienst als Zwangsarbeit oder sogar Sklaverei kategorisiert (Schriftsatz v. 24.7.2019, S. 6), stellt das keinen Beleg für eine Anknüpfung an ein Merkmal i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG dar. Vielmehr ist der Umstand der Zwangsarbeit Ausdruck finanzieller Interessen der Protagonisten des eritreischen Staates, wie der Schriftsatz selbst angibt.
Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass aufgrund der massenhaften Ausreise eritreischer Staatsangehöriger – geschätzt fünfzig Prozent der eritreischen Staatsangehörigen sollen außerhalb Eritreas leben (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 24, vgl. auch S. 14) – dem eritreischen Staat zweifellos bewusst sein muss, dass die übergroße Zahl der Emigranten Eritrea in erster Linie aufgrund der prekären Lebensbedingungen im Nationaldienst und aufgrund allgemeiner wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und nicht aufgrund einer regimefeindlichen Haltung verlässt. Bei einem solchen Massenexodus bestehen keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür, dass die illegale Ausreise und die Asylantragstellung im Ausland – die für eritreische Staatsangehörige ohnehin in der Regel die einzige Möglichkeit sein dürfte, sich eine Aufenthaltsmöglichkeit in einem westlichen Staat zu verschaffen – geeignet sein könnten, den Verdacht der eritreischen Institutionen auf eine regimefeindliche Haltung zu begründen (vgl. Auswärtiges Amt an VG Schwerin vom 10.10.2017 und an VG Cottbus vom 24.4.2018).
Da dem Kläger nach alledem in seinem Herkunftsland Eritrea keine Verfolgung in Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Persönlichkeitsmerkmale droht, ist die auf Anerkennung als Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gerichtete Berufung zurückzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff ZPO.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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