Verwaltungsrecht

kein Flüchtlingsschutz

Aktenzeichen  B 8 K 17.32211

Datum:
26.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15738
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 2, Abs.7 S. 2
VwGO § 102 Abs. 2,  § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1§ 117 Abs. 3 S. 2
AsylG § 3c Nr. 1
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage, über die auch ohne einen Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Der Klageantrag wird bezogen auf die Gewährung von Flüchtlingsschutz gemäß § 3 AsylG und des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG im wohlverstandenen Interesse (vgl. § 88 VwGO) des Klägers als Verpflichtungsantrag verstanden (§ 43 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 42 Abs. 1 VwGO).
1. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sowie des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
1.1.1 Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.04.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180 ff.). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.04.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67 ff.; VG Augsburg, U.v. 11.07.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris Rn. 20).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.08.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 35; HessVGH, U.v. 04.09.2014 – 8 A 2434/11.A – juris Rn. 15).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch bei Wahrunterstellung seines Vorbringens ergibt sich kein asylrelevantes Verfolgungsschicksal des Klägers.
Seinen Angaben beim Bundesamt lässt sich kein ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohendes Verfolgungsgeschehen entnehmen. Die vom Kläger vorgetragene Geschichte lässt nicht erkennen, dass er persönlich tatsächlich bedroht worden wäre: In seinem Dorf sei er nicht bedroht worden; Kontakt mit den Taliban habe er nicht gehabt. Den Kämpfern aus seinem Dorf, für die er das Essen besorgt habe, das sein Bruder wiederum ausgeliefert habe, sei nichts passiert. Auch den Leuten aus seinem Dorf, die von einem Besuch aus Kabul zurückgekehrt seien und ihm von den Bildern, die die Taliban von seiner Familie gehabt hätten, erzählt hätten, sei nichts passiert. Auch wenn Kämpfern aus anderen Dörfern etwas geschehen sein soll, lässt dieser Vortrag keine Rückschlüsse darauf zu, dass der Kläger persönlich einer Gefährdung im Sinne des § 3 AsylG (s.o.) ausgesetzt gewesen ist. Auch das Verschwinden seines Bruders lässt nicht erkennen, ob diesem überhaupt ein asylrelevantes Schicksal widerfahren ist und ebenso wenig, dass dem Kläger ein vergleichbares Schicksal drohen könnte.
Auch sein Vortrag, dass er unter diesen Umständen auf seiner gemeinsam mit seiner Frau unternommenen Fahrt nach Kabul nach Informationen, die Taliban hätten sein Bild und suchten nach ihm, mit einem Viehtransporter genau in die Richtung flieht, in der die Taliban mit dem Bild auf ihn warten sollten, lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger selbst eine entsprechende Gefährdungslage für seine Person ernst genommen hat. In Anbetracht dieser Umstände und seiner eigenen Angaben, dass die Taliban in seinem Heimatort keine so große Macht gehabt und ihm nichts hätten tun können, ist keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung des Klägers erkennbar.
Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung zu dem Verbleib seines Bruders vervollständigen das Bild eines nicht glaubhaften Sachvortrags. Soweit der Kläger dort davon berichtet, dass Mitarbeiter einer Baufirma, die mit seinem Bruder inhaftiert worden seien, von der Gefangenschaft auch seines Bruders berichtet hätten, nachdem sie nach 3 bis 4 Monaten Gefangenschaft freigekommen seien, ist nicht nachvollziehbar, warum er solches nicht bereits beim Bundesamt angegeben hatte. Obwohl die angebliche Entführung des Bruders bereits am 30.6.2015 stattgefunden haben soll, erwähnte er die Information zu dessen Gefangennahme durch Mitarbeiter der Baufirma im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 23.11.2016 mit keinem Wort. Dort hatte er vielmehr erklärt, über den Verbleib seines Bruders nichts zu wissen. Seine Erklärung in der mündlichen Verhandlung für die unterschiedlichen Angaben zum Verbleib seines Bruders, er habe alles beim Bundesamt angegeben, sind angesichts der Niederschrift über die Anhörung nicht nachvollziehbar. Da dem Kläger diese Niederschrift rückübersetzt worden ist und der Kläger keine Einwände oder Korrekturwünsche hatte, muss davon ausgegangen werden, dass die Niederschrift seine Angaben zutreffend wiedergibt.
Nachvollziehbare Wünsche nach einem besseren Leben und ein besseres wirtschaftliches Auskommen, eventuell auch um seiner Familie zumindest finanziell helfen zu können, stellen jedoch keinen asylrechtlich relevanten Grund dar. Einer Rückkehr des Klägers in seine Heimatprovinz und sein Heimatdorf steht deshalb keine Verfolgungsgefahr im Wege.
Eine Gruppenverfolgung bezüglich einer Gruppe, zu der der Kläger zählen würde, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden, gruppengerichteten Verfolgung setzt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit voraus, dass eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ vorliegt, die die Vermutung der Verfolgung jedes einzelnen Angehörigen der Gruppe rechtfertigt. Hierfür ist wiederum die Gefahr in einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr auf alle Gruppenmitglieder zielen und sich in qualitativer und quantitativer Hinsicht so häufen, dass daraus für jedes Gruppenmitglied nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, U. v. 18.07.2006, Az.: 1 C 15.05).
Der Kläger unterliegt in Afghanistan keiner an seine Zugehörigkeit zum Volk der Hazara oder an seine schiitische Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung. Insoweit verweist das erkennende Gericht auf die umfangreichen Ausführungen in den Urteilen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 17.01.2018 – A 11 S 241/17 – juris, Rn. 68 bis 146) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris, mit weiteren Nachweisen; vgl. auch B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris, ebenso VG Ansbach, U.v. 15.10.2019 – AN 18 K 17.35413 -, juris) und macht sich diese zu Eigen. Die den Urteilen zugrundeliegende Auskunftslage hat sich bisher nicht wesentlich verändert. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Republik Österreich (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, Nr. 17.3 Seite 291 ff., m.w.N.) Bezug genommen:
Danach ist nachvollziehbar, dass für das ethnische Selbstverständnis der Hazara als Religion und Abstammung eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung wichtig ist. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert, vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war, diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist – außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Andererseits sind sie im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan national Army und der Afghan National Police repräsentiert, was auch ihrer Prozentstärke hinsichtlich der Gesamtbevölkerung entspricht. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.
Das Gericht verkennt auch nicht, dass es zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle gab, bei denen Hazara und/oder Schiiten als Opfer betroffen waren. Diese Vorfälle haben sich auch nach dem Urteil des VGH Baden-Württemberg fortgesetzt, wie sich beispielsweise aus UNAMA, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict. Special Report. Increasing Harm to Afghan Civilians from the Deliberate and Indiscriminate Use of Improvised Explosive Devices, October 2018 S. 2, 4, 5, und 6 und UK Home Office Country Policy and Information Note Afghanistan: Hazaras ergibt. Dennoch lassen sie in ihrer Zahl noch nicht den Schluss zu, dass über eine potentielle Gefahr hinaus eine Auswe Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für jeden Gruppenangehörigen bestünde (vgl. auch UK Home Office a.a.O. Rn. 2.4.13 ff). Zusätzlich wurden mit den steigenden Angriffen auch die Sicherheitsmaßnahmen der afghanischen Regierung verbessert (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 29.6.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 4.6.2019, S. 72). Gleiches gilt für die jüngsten Anschläge in Kabul auf Veranstaltungen der Hazara, wie beispielsweise die Gedenkveranstaltung am 07.03.2019 oder Demonstration am 12.11.2018. Teilweise lässt sich zudem auch nicht feststellen, ob die Hazara von kriminellem Unrecht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Ethnie oder aufgrund anderer Umstände betroffen sind (vgl. dazu EASO Country Guidance: Afghanistan, S. 23 und 69). Dies gilt beispielsweise für die Vorfälle auf Straßen. Hier ist unklar, ob die Hazara als Hazara betroffen werden oder weil sie überdurchschnittlich viel reisen.
Einen Schluss auf eine Gruppenverfolgung lassen diese Erkenntnisse in ihrer Gesamtschau nicht zu.
Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative besteht aus den oben ausgeführten Gründen kein Anlass.
1.2 Dem Kläger steht darüber hinaus auch kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG zu.
Nach § 4 AsylG ist ein Ausländer ein subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens muss von einem Verfolgungsakteur i.S.d. §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c AsylG ausgehen. Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wird im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie dient, ist sie unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auszulegen.
Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die § 3 c (Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann), § 3 d (Akteure, die Schutz bieten können) und § 3 e (Interner Schutz) entsprechend. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 AsylG treten an die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.
1.2.1 Dass dem Kläger in seinem Heimatland Todesstrafe, Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen, ist weder mit Blick auf das vorgetragene individuelle Verfolgungsschicksal noch mit Blick auf die allgemeine Lage in Afghanistan anzunehmen.
In Ansehung der vorstehenden Voraussetzungen gibt das individuelle Vorbringen des Klägers dem Gericht keinen Anlass zu der Annahme, ihm drohe bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine von den Taliban ausgehende beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Denn ihm kann sein Vorbringen nicht geglaubt werden.
Die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Die allgemeine Befürchtung, bei einer Rückkehr nach Afghanistan könnte der Asylsuchende keine ausreichende Lebensgrundlage für sich vorfinden, weshalb eine Rückführung in sein Heimatland als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzusehen wäre, bleibt bei der Frage der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus außer Betracht.
Für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 15 Buchstabe b) Qualifikationsrichtlinie stellt der EuGH darauf ab, dass die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch das Verhalten eines der in Art. 6 Qualifikationsrichtlinie 2004 (jetzt: Art. 6 Qualifikationsrichtlinie) aufgeführten Akteure verursacht sein muss und nicht bloß die Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten, z.B. des Gesundheitssystems, des Herkunftslandes ist (EuGH, U.v. 18.12.2014 – C-542/13 [M’Bodj] – juris, Rn. 35). Erforderlich wäre für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes vielmehr ein zielgerichtetes Handeln bzw. Unterlassen eines Akteurs, das die schlechte humanitäre Lage hervorruft oder erheblich verstärkt (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 13.2.2019 – BVerwG 1 B 2.19 -, juris, Rn. 13). Anhaltspunkte hierfür sind nicht vorhanden. Es ist nicht ersichtlich, dass von in Betracht kommenden Akteuren ein wesentlicher Beitrag an der gegenwärtigen Situation erbracht wird. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen werden die bestehenden allgemeinen Lebensumstände nicht gezielt herbeigeführt (vgl. Hess. VGH U.v. 27.9.2019 – 7 A 1923/14.A – juris, Rn. 40-45; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 73).
1.2.2 Auch ist kein Fall des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gegeben. Hierfür müsste eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gegeben sein.
Der Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ist unter Beachtung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360 ff.; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – BVerwGE 131, 198 ff.). Dabei setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht unbedingt einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebietes voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind, muss aber ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit und Intensität aufweisen (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 [Diakite] juris, Rn. 35; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360 ff.; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – BVerwGE 131, 198 ff.). Die Kampfhandlungen müssen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend ist und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15c der Richtlinie 2011/95/EU – QualRL nicht von vornherein aus. Ein Konflikt muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – BVerwGE 131, 198 ff.).
Für eine ernsthafte und individuelle Bedrohung ist es nicht ausreichend, dass ein eventueller Konflikt zu einer permanenten Gefährdung der Bevölkerung führt (BVerwG, U.v. 13.02.2014 – 10 C 6/13 – juris), sondern es bedarf einer Individualisierung der Gefahr. Eine solche kann entweder aus persönlichen Umständen oder auch ausnahmsweise aus einer Zuspitzung der allgemeinen Gefahr resultieren; letzteres ist dann der Fall, wenn der Grad willkürlicher Gewalt im relevanten Konflikt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Ausländer bei einer Rückkehr am tatsächlichen Zielort wie praktisch jede Zivilperson in diesem Gebiet alleine auf Grund der Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region Gefahr liefe, einer individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 [Diakite] – juris, Rn. 30; EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji] – juris, Rn. 35, 43; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360 ff.; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris; U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188 ff.; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – BVerwGE 131, 198 ff.).
Hierfür bedarf es neben einer quantitativen Betrachtung des Gefährdungsgrads, nämlich der Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl, auch einer qualitativen Gesamtbetrachtung (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – BVerwG 10 C 13.10 -, juris, Rn. 23 und vom 13.02.2014 – BVerwG 10 C 6.13 -, juris, Rn. 24). Das Bundesverwaltungsgericht hat in den Urteilen vom 17.11.2011 – BVerwG 10 C 13.10 -, juris, Rn. 22, und BVerwG 10 C 11.10 -, juris, Rn. 20 – bezogen auf die Zahl ziviler Opfer willkürlicher Gewalt eines Jahres – ein Risiko von 1 : 800 (entspricht 0,125%) bzw. 1 : 1.000 (entspricht 0,1%) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
Hierfür ist eine wertende Gegenüberstellung der Einwohnerzahlen des betreffenden Gebietes mit der Anzahl der sicherheitsrelevanten Ereignisse und der Anzahl der Opfer in diesem Gebiet notwendig (BVerwG, U.v. 13.02.2014 – 10 C 6/13 – juris; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360 ff.; zur Einbeziehung psychischer Erkrankungen: VGH BW, U.v. 11.04.2018 – A 11 S 1729/17 – juris); dabei sind nicht nur solche Gewaltakte der Konfliktpartei zu berücksichtigen, die gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen, sondern alle, durch die Leib und Leben von Zivilpersonen wahllos und ungeachtet ihrer persönlichen Situation verletzt werden (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09 – BVerwGE 136, 360 ff.). Hierbei ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Ausländers abzustellen, soweit sich dieser nicht bereits vor seiner Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst hat und sich in einem anderen Landesteil auf unabsehbare Zeit niedergelassen hatte (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 ff.; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris). Die fehlende Wertung der statistischen Betrachtung führt jedenfalls dann nicht zu einem Fehler der Beurteilung, wenn die statistischen Zahlen weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt sind (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris).
1.2.2.1 Vorliegend kann das Vorliegen eines entsprechenden Konfliktes (gerade auch unter Berücksichtigung der volatilen und regional stark unterschiedlichen Sicherheitslage, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistans vom 02.09.2019, Stand: Juli 2019, S. 5) dahinstehen, weil ein im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ausreichend hohes Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, in allenfalls in einer afghanischen Provinz gegeben ist, aus der der Kläger jedoch nicht kommt (vgl. auch BayVGH, B.v. 23.10.2019 – 19.32670 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 5.8.2019 – 13a ZB 19.32217 – juris Rn. 8, B.v. 25.2.2019 – 13a ZB 18.32203 – juris; B.v. 30.1.2019 – 13a ZB 17.31111 – juris; B.v. 11.1.2019 – 13a ZB 18.32929 – juris; B.v. 10.1.2018 – 13a ZB 17.31664 – juris; VGH BW, U.v. 12.12.2018 – 11 S 1923/17 – juris; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 7 LB 93/18 – juris).
1.2.2.2 Als maßgebliche Rechengrundlagen für die Bewertung des Risikos als Zivilperson Opfer des Konflikts zu werden, sind aus Sicht des Gerichts die Opferzahlen von UNAMA und die Bevölkerungszahlen, die die Republik Österreich für die einzelnen Provinzen (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019) angibt, zugrunde zu legen.
Hinsichtlich der Opferzahlen (Verletzte und Tote) kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nur auf zivile Opfer an. Diese werden alleine von UNAMA zuverlässig erhoben. Andere Quellen stützen sich selbst wieder auf die Erkenntnisse von UNAMA (bspw. EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation Update June 2019, S. 22), oder legen ungeprüft Opfer aller Auseinandersetzungen zugrunde, ohne einen Unterschied zu machen, ob es sich um zivile oder militärische Opfer handelt. Letzteres trifft insbesondere auf die Zahlen der Organisation ACLED (The Armed Conflict Location & Event Data Project) zu. Hier werden Zahlen aus unterschiedlichsten Quellen insbesondere auch Medienberichten zusammengetragen, ohne dabei zu unterscheiden, ob es sich bei den Opfern um zivile oder militärische Opfer handelt. Weiterhin gibt ACLED, anders als UNAMA, den Beteiligten des Konflikts keine Möglichkeit, die Zahlen zu überprüfen.
Hinsichtlich der Bevölkerungszahlen bezieht die Republik Österreich (a.a.O.) sich auf Schätzungen der Central Statistics Organization der Islamischen Republik Afghanistan. Dort wird die Gesamtbevölkerung mit etwa 30 Mio. Einwohner angegeben. Diese Zahlen erscheinen als Zahlen einer offiziellen Stelle ausreichend seriös, auch wenn es sich um Schätzungen handelt. Zahlenmaterial, das nicht auf Schätzungen beruht ist nicht verfügbar. Daneben gibt es immer wieder andere Schätzungen. Diese weisen regelmäßig höhere Einwohnerzahlen aus (vgl. http://www.citypopulation.de/Afghanistan_d.html; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/256435/umfrage/gesamtbevoelkerung-in-afghanistan/ sowie https://de.statista.com/themen/259/afghanistan/, inzwischen auch EASO Afghanistan Security situation, country of Origin Information Report, June 2019), was sich im Rahmen der Risikoberechnung zu Lasten der Asylbewerber auswirken würde. Nach diesen Quellen betrug die Gesamtbevölkerung bereits 2017 ca. 36,02 bzw. 33,58 Mio. Menschen. Zu Gunsten der Asylbewerber wird vorliegend von den niedrigeren Zahlen ausgegangen.
Dem Gericht ist bewusst, dass die Zahlen selbst, genauso wie die darauf errechneten Wahrscheinlichkeiten nur Näherungen sein können, da beispielsweise sowohl bei der Erfassung der Daten, als auch in Bezug auf die einzelnen Erhebungszeitpunkte sowie die Zuordnung der Opfer zu den einzelnen Anschlägen notwendigerweise Unschärfen bestehen. Diese sind bei dem – allerdings unumgänglichen – statistischen Abgleich unvermeidbar. Insoweit ist jedoch geklärt, dass eine annährungsweise Ermittlung der entsprechenden, zueinander ins Verhältnis zu setzenden Zahlen ausreichend ist (BayVGH, B.v. 13.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 6). Dass die Opferzahlen, wie teils eingewandt wird (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 82 mit Fn. 2), – bei anderer Zählweise – höher liegen können, ändert diese nicht. Die von UNAMA mitgeteilten Daten sind methodisch nachvollziehbar ermittelt und auch deswegen belastbar, weil sie von einer von der internationalen Staatengemeinschaft getragenen Organisation stammen. Dass die Methodik der UNAMA überholt wäre, die Informationen an offen erkennbaren inhaltlichen Defiziten litten, insbesondere an entscheidungserheblichen unzutreffenden Tatsachenannahmen, unlösbaren Widersprüchen, sich aus den Stellungnahmen ergebenden Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit oder eines speziellen, hier nicht vorhandenen Fachwissens bedürften (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2015 – 7 C 15/13 – NVwZ 2016, 308/312 Rn. 47 m.w.N.), ist weder ersichtlich noch substantiiert gerügt. Im Gegenteil liegen für Afghanistan mangels Einwohnermeldewesens auch für die Bevölkerungszahlen nur Schätzungen vor (dies räumt auch Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/74 ein), so dass jede Datenerhebung schon deswegen an tatsächliche Grenzen stößt. Dass und weshalb andere Auskunftsquellen methodisch belastbarere Primärdaten hätten, ist nicht ersichtlich (BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 12; B.v. 18.10.2017 – 13a ZB 17.31068), so dass die Daten von UNAMA weiterhin zugrunde gelegt werden.
Aus den dargestellten Gründen ist daher auf die Zahlen von UNAMA hinsichtlich der Opfer und die Zahlen des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Einwohnerzahlen abzustellen. Die Zahl der Opfer beinhaltet Tote und Verletzte gleichermaßen, da für die Gewährung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG auch eine Bedrohung der Unversehrtheit ausreicht.
1.2.2.3 Unter Zugrundelegung dieser Zahlen (vgl. Afghanistan, Annual report on protection of civilians in armed conflict vom Februar 2019) ergibt sich für das Jahr 2019 eine Opferwahrscheinlichkeit für Zivilisten in Afghanistan in Höhe von 0,0338%. Diese liegt unter der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Schwelle von 1:800 bzw. 0,125%.
1.2.2.4 Für die einzelnen Provinzen ergeben sich folgende Opferwahrscheinlichkeiten für das Jahr 2019:
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,031%, Provinz Kapisa – 0,026%, Provinz Panjshir – 0,00%, Provinz Parwan – 0,034%, Provinz Wardak – 0,028%, Provinz Logar – 0,051%;
zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,001%, Provinz Daikundi – 0,014%;
südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,034%, Provinz Helmand – 0,048%, Provinz Nimroz – 0,034% Provinz Uruzgan – 0,034%, Provinz Zabul – 0,134%,
süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,050%, Provinz Paktya – 0,036%, Provinz Khost – 0,031%, Provinz Paktika – 0,022%;
östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,058%, Provinz Nangarhar – 0,064%, Provinz Kunar – 0,052% Provinz Nuristan – 0,014%;
nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,035%, Provinz Kunduz – 0,044%, Provinz Takhar – 0,018%, Provinz Badakhshan – 0,0102%;
nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,0611%, Provinz Jawzjan – 0,0208%, Provinz Balkh – 0,0188%, Provinz Samangan – 0,0106%, Provinz Sar-e Pul – 0,0356%;
westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,0191%, Provinz Badghis – 0,0298%, Provinz Farah – 0,0266%, Provinz Ghor – 0,0102%.
Diese liegen bis auf die Provinz Zabul unter dem vom Bundesverwaltungsgericht genannten Wert von 1:800 bzw. 0,125%. Alleine für die Provinz Zabul wäre daher gegebenenfalls eine nähere Betrachtung anzustellen. In allen anderen Provinzen liegen die Werte deutlich unter der vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten Grenze. Zudem ist zu berücksichtigen, dass vorliegend mit den für den Anspruch auf subsidiären Schutz günstigsten Zahlen gerechnet wurde, sodass insgesamt, vorbehaltlich der Provinz Zabul, in den Provinzen Afghanistans nicht von einer ausreichend hohen Opferwahrscheinlichkeit auszugehen ist. Der Kläger stammt aus der Provinz Maidan Wardak und damit nicht aus einem Gebiet, das näher betrachtet werden müsste.
EASO geht demgegenüber für die Provinz Nangarhar, pauschal, sowie für die Provinzen Faryab, Kunduz, Laghman, Kunar, Ghazni, Paktia, Zabul, Helmand und Farah bei Hinzutreten weiterer kleinerer individueller gefahrerhöhender Umstände von einem ausreichend relevanten Risiko, Opfer von willkürlicher Gewalt zu werden, aus (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, June 2019, Seite 28). Nachdem dort die Methode, die zu diesem Ergebnis führt, nicht offengelegt ist, vermag diese Quelle die oben nach der Rechtsprechung des BVerwG vorgenommene Bewertung nicht überzeugend zu widerlegen.
1.2.2.5 Die Zahlen können auch für das aktuelle Jahr 2020 prognostisch zu Grunde gelegt werden. In der Gesamtschau ergibt sich für die Entwicklung der Opferzahlen und deren Ursachen über die Jahre hinweg folgendes Bild: Die Opferzahlen bewegen sich auf einem relativ konstant hohen Level. Die höchsten Zahlen wurden 2015 (11.035) und 2016 (11.452) verzeichnet. In den vergangenen drei Jahren waren die Zahlen jeweils niedriger (2017: 10.459; 2018: 10.993; 2019: 10.392). Die Opferzahlen sind 2018 im Vergleich zu 2017 um 5% gestiegen, um dann 2019 wiederum um etwa 5% unter den Wert von 2017 zu fallen. Ein Trend hinsichtlich eines signifikanten Anstiegs der Opferzahlen, der dazu führen würde, dass ein subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre, lässt sich den Berichten der UNAMA nicht entnehmen. Es kann deshalb nach derzeitigem Erkenntnisstand auch für das Jahr 2020 mit ähnlichen Ergebnissen für die Bewertung des subsidiären Schutzes wie im Jahr 2019 gerechnet werden.
1.2.2.6 Das Erfordernis einer Gefahr allgemeinerer Art schließt es nicht aus, dass in der Person des Schutzsuchenden gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die aus der allgemein bestehenden Gefährdung hervortreten und vermuten lassen, dass der Schutzsuchende eher zum Opfer willkürlicher Gewalt wird als die übrige Bevölkerung (EuGH, U.v. 30.01.2014 – C-285/12 [Diakite] -, juris, Rn. 31; EuGH, U.v. 17.02.2009 – C-465/07 [Elgafaji] -, juris, Rn. 39, 43). Solche gefahrerhöhenden Umstände können sich nach Auffassung des Gerichts beispielsweise aus der Zugehörigkeit zu den afghanischen Sicherheitsdiensten (Regierungsbediensteter, Polizei oder Militärangehöriger) ergeben oder bei Personen vorliegen, die solche Einrichtungen regelmäßig durch Warenlieferungen und Leistungen unterstützen. Als gefahrerhöhendes Moment kann auch die Tätigkeit als Arzt oder Journalist anzusehen sein, da dieser Personenkreis sich von Berufs wegen besonders häufig im Bereich von Gefahrenquellen aufhalten muss. Gefahrerhöhendes Merkmal kann schließlich auch die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten religiösen oder ethnischen Minderheit sein (vgl. zu den beiden letzten Aspekten BVerwG, U.v. 17.11.2011 – BVerwG 10 C 13.10 -, juris, Rn. 18).
Gefahrerhöhende Umstände der vorbeschriebenen Art sind beim Kläger nicht ersichtlich. In seinem Heimatland hat er sich als Lebensmittelhändler und Wachmann betätigt. Auch die religiöse Prägung oder ethnische Prägung des Klägers geben keinen Anhalt für eine Gefahrerhöhung.
Ist zudem – wie vorliegend – die Höhe des festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich eine qualitative Betrachtung im Ergebnis nicht mehr auswirken kann, kann eine solche bei der Beurteilung, ob der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, ausnahmsweise dahinstehen (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – BVerwG 10 C 13.10 -, juris, Rn. 23).
1.2.2.7 Auch angesichts der Vorlage des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zum Umfang des subsidiären Schutzes an den EuGH (Art. 267 Abs. 3 AEUV) hat das Gericht keine Zweifel an der Anwendbarkeit der oben genannten obergerichtlichen Maßstäbe. Das Gericht ist der Auffassung, dass es zutreffend ist, auch weiterhin nach den Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts zur Gefahrendichte zu entscheiden, da diesbezüglich zwar keine vollends befriedigende, doch in gewisser Hinsicht nachvollziehbare Datengrundlage zur Verfügung steht. Weiterhin ergibt sich mit der Methode des Bundesverwaltungsgerichts eine gewisse Messbarkeit und Objektivierung der Beurteilung. Dennoch erfordert die Methode individuellen Besonderheiten Rechnung zu tragen (vgl. vorangehender Absatz Ziff. 1.2.2.6).
Mit dem BayVGH (B. v. 17.1.2020 – 13a ZB 20.30107) ist außerdem anzunehmen, dass auch bei Anwendung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union (B.v. 29.11.2019 – A 11 S 2374/19 u. A 11 S 2375/19 – juris) angedachten Bewertungsmaßstab bei dem bei einer „umfassenden Beurteilung auch anderer gefahrbegründender Umstände“ herangezogen würden und dabei nicht auf eine (nach dem Verständnis des VGH BW in der deutschen Rechtsordnung angenommene) „quantitative Mindestschwelle“ abgestellt würde, gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln im Ergebnis unverändert davon auszugehen wäre, dass in Afghanistan im Allgemeinen derzeit weiterhin keine Gefahrenlage gegeben ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führte. Das Gericht ist der Auffassung, dass es zutreffend ist, auch weiterhin nach den Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts zur Gefahrendichte zu entscheiden, da diesbezüglich zwar keine vollends befriedigende, doch in gewisser Hinsicht nachvollziehbare Datengrundlage zur Verfügung steht.
Kriterien für die Zubilligung subsidiären Schutzes, die letztlich darauf hinausliefen, das vom Bürgerkrieg betroffene Land nahezu zu evakuieren, führen nach Auffassung des Gerichts letztlich dazu, dass der subsidiäre Schutz insgesamt nicht mehr begrenzbar und nicht mehr handhabbar wird. Aus diesem Grund hält es das Gericht für zutreffend, nach den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Kriterien zu verfahren und Härtefälle – sofern nicht schon eine besonders gefährdende Exposition vorliegt – durch die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote einer angemessenen Lösung zuzuführen.
Es besteht damit kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
1.3 Es liegt jedoch zumindest zum Zeitpunkt dieser Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Durch diesen allgemeinen Verweis auf die EMRK sind die Normen der EMRK unmittelbar anwendbar. Bei der Prüfung der Voraussetzungen ist auf den gesamten Abschiebezielstaat abzustellen.
Vorliegend steht im Wesentlichen Art. 3 EMRK im Raum. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Eine dem widersprechende Behandlung im Zielstaat kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt, einem besonderen Merkmal des Ausländers, oder einer Verbindung aus beiden ergeben (BVerwG U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146,12, Rn. 25).
Im Rahmen des § 60 Abs. 5 AsylG bedarf es jedenfalls in Abgrenzung zu § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der – wegen seiner Formulierung „die Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ ebenfalls auf den Geltungsbereich von Art. 3 EMRK abzielt und entgegen § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG, der die §§ 3c bis 3e AsylG für entsprechend anwendbar erklärt – keines Akteurs im Sinne von § 3c AsylG; auch wenn die Begriffe „Folter“, „Behandlung“ oder „Strafe“ einen Akteur regelmäßig voraussetzen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR – kann die Behandlung auch durch Umstände hervorgerufen werden, „die weder unmittelbar noch mittelbar die Verantwortlichkeit der öffentlichen Behörden des Staates auslösen können“ (EGMR st.Rspr. seit U.v. 2.5.1997, 146/1996/767/964 (D.) -Drogenkurier mit Aids-, InfAuslR 1997, 381; BVerwG U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris – unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 und Angleichung an die neue Rechtsprechung des EGMR). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Zielstaat nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene dort wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ sind (EGMR, U. v. 28.6.2011 − 8319/07 Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich Rn. 278; vgl. auch BVerwG U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – Asylmagazin 2019, 311 = juris Rn. 12; B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489 = juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 = juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681 – Rn. 278 ff.; BayVGH U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 19; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197 = juris Rn. 17; OVG NW U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 104 ff. m.w.N.; NdsOVG U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 45 ff. m.w.N.; VGH BW U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 176 f.).
Bei Fehlen eines Akteurs, wie in Afghanistan, löst also nicht jede Verletzung der EMRK im Abschiebezielstaat ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AsylG aus. Abschiebungsschutz wird vielmehr nur gewährt, wenn von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind vgl. (Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60; NK-AuslR/Winfried Möller/Klaus Peter Stiegeler, 2. Aufl. 2016 Rn. 22, AufenthG § 60 Rn. 22). Der EGMR hat im Gegenteil klargestellt, dass eine allgemeine Situation der Gewalt nur in „äußerst extremen Fällen“ intensiv genug wäre, um eine solche Gefahr zu begründen, wenn nämlich eine Gefahr von Misshandlungen tatsächlich dadurch gegeben ist, dass eine Person einer solchen Gewalt bei Rückkehr ausgesetzt wäre (s. EGMR, U. v. 28.6.2011 − 8319/07 Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich Rn. 2018; Urt. v. 17.07.2008 – 25904/07 Nr. 115 – NA./Vereinigtes Königreich, NVwZ 2012, 681 Rn. 218, beck-online). Der Europäische Gerichtshof – EuGH – stellt in ähnlichem Zusammenhang zu Art. 4 GrCH darauf ab, ob sich betroffene Ausländer unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihm nicht erlaubt, die elementarsten Bedürfnisse, wie insbesondere, Nahrung, Körperhygiene und Obdach zu befriedigen (EuGH U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C 297/17 – juris; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C 163/17 – juris Rn. 92 ff.). Dass die Schwelle von Art. 3 EMRK auch nach Auffassung des EGMR bei schlechten humanitären Lebensbedingungen nur in seltenen Fällen erreicht wird, hebt den Ausnahmecharakter eines derartigen Abschiebungsverbots hervor (Heusch/ Haderlein/ Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, A. Das materielle Asylrecht Rn. 119).
Auch wenn keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18, Rn. 13 – juris), müssen bei der Prüfung, ob eine entsprechende Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt, notwendig strenge Maßstäbe angelegt werden (vgl.. EGMR, Urt. v. 28.6.2011 − 8319/07 Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich Rn. 213 m.w.N.; EGMR U.v. 15.11.1996 – 22414/93, 70/1995, 576/662, Slg. 1996-V, S. 1859 Nr. V96 = NVwZ 1997, 1093 – Chahal/Vereinigtes Königreich; EGMR U.v. 28.2.2008 – 37201/06, Slg. 2008 Nr. 128 = NVwZ 2008, 1330 – Saadi/Italien). Erforderlich ist, dass die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung bzw. der zwingenden humanitären Gründe besteht. Dabei ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136,377, Rn.22; EGMR, Urteil vom 17.7.2008 – 25904/07 – NA./Vereinigtes Königreich, juris). Grundsätzlich muss der Asylbewerber ernsthafte Gründe für die Annahme darlegen, dass er im Fall der Durchführung einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (s. EGMR, Urt. v. 28.6.2011 − 8319/07 Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich Rn. 214 m.w.N.; EGMR U.v. 26.7.2005 – 38885/02 Nr. 167 – N./Finnland; vgl. auch EGMR U.v. 29.4.1997 – 24573/94 – Slg. 1997-III, S. 758 Nr. III40 = NVwZ 1998, 163 – H. L. R./Frankreich; vgl. NVwZ 2012, 681 Rn. 213, 2014,). Hierbei ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles anzustellen.
Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 60a AufenthG, der Vorbehalt einer politischen Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland in entsprechenden Situationen, vermag die Rechtswirkungen der EMRK nicht zu begrenzen. Da absolute Menschenrechte, wie das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, unabhängig vom Verhalten des Betroffenen absolut gelten, sind zudem ihm zuzurechnende Verhaltensweisen, wie Straftaten oder Wahrheitsferne irrelevant (vgl. RIS https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz& Dokumentnummer=JJT_20080228_AUSL000_000BSW37201_0600000_000 zu EGMR U.v. 28.2.2008 – 337201/06 Saadi/Italien).
Gemessen daran verstößt eine Abschiebung nach Afghanistan angesichts der vorliegenden besonderen Umstände im vorliegenden Fall derzeit nicht gegen Art. 3 EMRK.
Insgesamt sind Rückkehrer zusätzlich zu den allgemeinen Problemen der gesamten Afghanischen Bevölkerung weiteren Schwierigkeiten ausgesetzt. Unterschiedliche Quellen berichten übereinstimmend von Schwierigkeiten bei der Reintegration aufgrund von Misstrauen der Gesellschaft nach der Rückkehr. Die Rückkehrer werden als solche wahrgenommen und sind mit verschiedenen Vorurteilen konfrontiert. Diese reichen von unpatriotischem Verhalten durch die Ausreise, unterstelltem unislamischen Verhalten im Westen bis zu angenommenen kriminellen Tätigkeiten im Ausland, die zur Abschiebung geführt haben könnten. Diese Einstellung hat bisweilen zur Folge, dass zurückkehrende Personen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt sowie beim Finden einer Unterkunft haben. Daneben stellt ein vermuteter Reichtum manchmal einen Auslöser dar, um ins Visier von Kriminellen zu gelangen. Außerdem wird berichtet, dass Rückkehrer teilweise mit Rückzahlungsforderungen von Schleppern und anderen Personen, denen Geld geschuldet wird, zu kämpfen haben (vgl. hierzu Finnish Immigration Service, Afghanistan: Fact-Finding Mission to Kabul in April 2019, Situation of Returnees in Kabul, 15.10.2019; Stahlmann, Studie zum Verbleib und zu Erfahrungen abgeschobener Afghanen, Asylmagazin 8-9/2019, 276-286; AHRDO, Deportation to Afghanistan: A Challenge to State Legitimacy and Stability, November 2019; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 2.9.2019, S. 31).
Dennoch handelt es sich bei Rückkehrern aus dem europäischen und benachbarten Ausland um eine inzwischen angewachsene und signifikante Bevölkerungsgruppe, zu der es keine expliziten Informationen dahingehend gibt, dass diese grundsätzlich nicht zurechtkommen. Vielmehr gibt es auch Informationen, dass sich die Rückkehrer und insbesondere Hazara gegenseitig unterstützen (Finnish Immigration Service, Afghanistan: Fact-Finding Mission to Kabul in April 2019, Situation of Returnees in Kabul, 15.10.2019, Seite 26), und dass die Familien die Rückkehrer wieder aufnehmen, auch wenn sie diesen gegenüber eine gewisse Skepsis zeigen (vgl. dazu Finnish Immigration Service, Afghanistan: Fact-Finding Mission to Kabul in April 2019, Situation of Returnees in Kabul, 15.10.2019, Seite 1; Stahlmann, Studie zum Verbleib und zu Erfahrungen abgeschobener Afghanen, Asylmagazin 8-9/2019, 276-286, zu Familien insbesondere Seite 282). Zudem geben die Studien an, dass Rückkehrer überwiegend über Netzwerke an Arbeit gekommen sind (Stahlmann, Studie zum Verbleib und zu Erfahrungen abgeschobener Afghanen, Asylmagazin 8-9/2019, 276-286; Finnish Immigration Service, Afghanistan: Fact-Finding Mission to Kabul in April 2019, Situation of Returnees in Kabul, 15.10.2019, Seite 16; UNHCR living conditions and settlement decisions of recent afghan returnees, Juni 2019 Seite 21), was darauf schließen lässt, dass sie von der Gesellschaft nicht vollständig ausgegrenzt werden und grundsätzlich in der Lage sind, sich nach der Rückkehr wieder eine Existenz aufzubauen.
Allen oben genannten Quellen, die Probleme der Rückkehrer beschreiben, liegt zudem nur ein eingeschränktes Datenmaterial zugrunde. Insbesondere Stahlmann (Stahlmann, Studie zum Verbleib und zu Erfahrungen abgeschobener Afghanen, Asylmagazin 8-9/2019, 276-286) konnte im Ergebnis nur bei 5% der Rückkehrer aus Deutschland die oben beschriebenen Probleme feststellen: In der Studie wurden von 547 Männern, die zwischen Dezember 2016 und April 2019 aus Deutschland abgeschoben wurden zum Stand Juli 2019 lediglich zu 55 Personen Informationen dokumentiert. Hiervon wurden wiederum nur 31 Männer in die Statistik zu Gewalterfahrungen aufgenommen, die bereits länger als zwei Monate in Afghanistan verbracht hatten. Von diesen hatten 28 Gewalterfahrungen gemacht. Das bedeutet, dass in dieser Studie nur zu knapp über 5% aller aus Deutschland abgeschobenen Personen Gewalterfahrungen dokumentiert sind. Zusätzlich wären die Zahlen zur Gesamtzahl der Rückkehrer aus Europa und der Türkei ins Verhältnis zu setzen und nicht lediglich zu den aus Deutschland abgeschobenen Afghanen (NdsOVG B.v. 12.12.2019 – 9 LA 452/19, Rn. 15 – juris; vgl. zu dieser Relation auch: HessVGH, U.v. 27.9.2019 – 7 A 1637/14.A – juris Rn. 132 und – 7 A 1923/14.A – juris Rn. 136). Alle genannten aktuellen Quellen beschreiben zudem, dass es schwierig sei, das Schicksal von Rückkehren überhaupt länger zu beobachten, da der Kontakt abbreche, oder gar nicht erst hergestellt werden könne. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass diejenigen, die Kontakt zu den Studienerstellern haben, ein Interesse daran haben können, übersteigerte (Gewalt-)Erfahrungen darzustellen. Aus diesen verschiedenen Gründen sind die Auskünfte nur begrenzt belastbar. Stahlmann räumt selbst Raum für solch kritische Betrachtungen ein (Stahlmann, Studie zum Verbleib und zu Erfahrungen abgeschobener Afghanen, Asylmagazin 8-9/2019, Seite 285; vgl. auch ausführlich NdsOVG B.v. 12.12.2019 – 9 LA 452/19, Rn. 15 – juris).
Die Covid-19 Pandemie führt nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen zwar zu einer Zuspitzung der bereits vorher angespannten wirtschaftlichen Lage. Laut der Marktüberwachung des WFP ist der Preis für Weizenmehl (niedriger Preis) zwischen dem 14.3.und dem 18.5.2020 um 19 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (niedrige Qualität) um weitere 13 Prozent, bzw. um 8 Prozent, 21 Prozent oder 6 Prozent im gleichen Zeitraum gestiegen sind. FSAC-Partner haben auch festgestellt, dass sich die Kaufkraft von Gelegenheitsarbeitern um weitere 15 Prozent (bereits gegenüber dem 14. März 2020) verschlechtert hat (vgl. UNOCHA Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report vom 20 May 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-20-may). Die noch bestehende Ausgangssperre erschwert es Tagelöhnern zusätzlich, einem Broterwerb nachzugehen (UNOCHA a.a.O.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen, COVID-19 Afghanistan; Stand 2.4.2020). Auch die aus dem Iran nach Afghanistan zurückdrängenden Afghanen erschweren die Situation weiter (vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-iran-afghanistan-100.html). Einerseits suchen auch sie nun auf dem angespannten Arbeitsmarkt nach einer Erwerbstätigkeit, andererseits bleiben auch Transferleistungen der im Iran lebenden Verwandten nach Afghanistan aus, sodass auch die ggf. dadurch versorgten Verwandten in Afghanistan (zusätzliche) Arbeit suchen. Laut Arbeitsministerium sollen aufgrund der COVID-19-Pandemie außerdem zwei Millionen Menschen arbeitslos geworden sein (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Briefing Notes vom 27.4.2020).
Kabul bleibt der von der Covid-19 Pandemie am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von Herat, Kandahar und Balkh. Kabul lockert seit dem 27.5.2020 die Maßnahmen und erlaubt KFZ-Verkehr in Abhängigkeit vom Autokennzeichen. Die Regierung kündigte zudem die Aussetzung aller kommerziellen Inlandsflüge bis Ende Juni an. Am 5. Juni gab die United Nations Humanitarian Air Service (UNHAS) bekannt, dass sie die Genehmigung zur Wiederaufnahme der UNHAS-Flüge von Jalalabad Airfield erhalten habe (UNOCHA Afghanistan Covid-19 vom 7.6.2020).
Dennoch ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger angesichts der angespannten Lage in Afghanistan bei einer Abschiebung dorthin einer Situation ausgesetzt wäre, bei denen zwingende humanitäre Gründe gegen eine solche Abschiebung sprechen würden.
Denn der Kläger kann Unterstützung von seinen Familienangehörigen in Afghanistan erwarten. Seine Frau mit seinen Kindern leben weiterhin in der Provinz Maidan Wardak. Auch die Familie seines verschollenen Bruders und zwei Tanten mütterlicherseits, die seinen Angaben zufolge jetzt in Kabul leben, können ihm erste Hilfestellungen nach seiner Ankunft in Kabul angedeihen lassen. Der Kläger kann zur Überzeugung des Gerichts dorthin zurückkehren und unter tätiger Mithilfe seinen Lebensunterhalt sichern. Aufgrund seiner nicht glaubhaften Angaben zum Anlass seiner Ausreise aus Afghanistan, aus dem geschlossen werden kann, dass er aus asyltaktischen Gründen nicht die Wahrheit angab, kann ihm auch schwerlich davon ausgegangen werden, dass er keinerlei Unterstützung in Afghanistan erwarten kann.
Daneben besteht regelmäßig weiterhin die Möglichkeit, zumindest finanzielle Unterstützung durch die eigenen Familienverbände, auch wenn diese sich außerhalb Afghanistans befinden (ein Bruder in Australien, ein Bruder und ein Onkel väterlicherseits in Pakistan), zu erhalten und darüber auch das Überleben zu sichern (Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff) sowie der Inanspruchnahme von erheblichen Rückkehrhilfen bei einer freiwilligen Rückkehr, die nicht nur das Überleben in der Anfangszeit, sondern darüber hinaus auch die Schaffung einer eigenständigen Existenzgrundlage ermöglichen können.
Dass dies vorliegend nicht der Fall sein sollte, ist nicht ersichtlich. Der bisherige Vortrag im Asyl- und Gerichtsverfahren reicht nicht aus, um substantiiert darzulegen, dass der Kläger persönlich nicht in der Lage sein wird, in Afghanistan eine Existenzgrundlage sicherzustellen (vgl. zum Maßstab der Begründung BVerfG, Entscheidung vom 9.7.2018 – 2 BvQ 71/18).
Eine Verletzung des Kerns eines in der EMRK kodifizierten Menschenrechts ist damit noch nicht anzunehmen. In der Gesamtschau ist zu erwarten, dass er auch mit Hilfestellungen seiner Familie im ausreichenden Ausmaß einem Broterwerb nachgehen und sich um seine Daseinsvorsorge kümmern kann. Diese Umstände lassen im vorliegenden Fall nicht eine Situation entstehen, die dem Ausnahmecharakter einer Verletzung von Art. 3 EMRK in ausreichendem Umfang gerecht wird.
1.3.2 Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten.
Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liegen nicht vor und wurden auch nicht vorgetragen.
Die Gefahren, die durch die aktuelle Covid-19 Pandemie verursacht werden, führen nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Diese Gefahren drohen nicht nur dem hiesigen Kläger in Afghanistan, sondern unterschiedslos allen Bewohnern Afghanistans. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind derartige Gefahren bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (s.o.). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmten Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine solche politische Leitentscheidung fehlt, kann in Ausnahmefällen dennoch in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes geboten sein, wenn die Betroffenen bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wären. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich neben einer quantitativen Betrachtung des Infektionsgeschehens bei weiterer umfassender objektiver Betrachtung, für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Ein Abschiebungsverbot ist demnach dann gegeben, wenn der Betroffene ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. (vgl. OVG NW, B.v. 17.12.2014 a.a.O. – juris Rn. 10 ff.; BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226, und v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.).
Dass der Kläger im Falle einer Rückkehr durch eine schwerwiegende Erkrankung am Corona-Virus mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, ist nach der Erkenntnislage nicht anzunehmen.
Nach den Erkenntnissen von UNOCHA (Afghanistan: Covid-19-Sectoral Response vom 7.6.2020; vgl. auch vom 22.4.2020, 6.5.2020 und 20.5.2020) wurden in allen 34 Provinzen Afghanistans 20.342 Menschen (von insgesamt 47.327 Menschen) positiv auf COVID-19 getestet. 1.875 Menschen haben sich erholt und 357 Menschen sind gestorben. Unter denen, die an COVID-19 gestorben sind, befinden sich auch 13 Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Die Mehrheit der Verstorbenen waren Menschen zwischen 40 und 69 Jahren. Auf Männer zwischen 40 und 69 Jahren entfällt mehr als die Hälfte aller Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19. Es wird erwartet, dass die Zahl der Fälle in den kommenden Wochen rapide ansteigen wird, da die Übertragung in den Gemeinden eskaliert, und schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Menschen haben wird. Kabul ist der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von Herat, Kandahar und Balkh.
Die Gefahr einer Infektion ist zwar vorhanden, nicht jedoch eine konkrete Gefahr für Leib und Leben. Zwar ist der im Übrigen gesunde Kläger bereits 46 Jahre alt; doch lässt allein dieses Alter nicht erwarten, dass er alsbald nach einer Rückkehr nach Afghanistan selbst im Falle einer Infektion einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre.
1.4 Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
1.5 Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 AufenthG ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes, sowie gegen die von Amts wegen getroffene Entscheidung bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nach den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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