Verwaltungsrecht

Kein Flüchtlingsstatus für sunnitische Volkszugehörige aus der Provinz Babil im Irak

Aktenzeichen  AN 2 K 16.30335

Datum:
15.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1

 

Leitsatz

Das vom Hohen Kommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen in Syrien ausgestellte „refugee certificate“ hat für die Frage nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lediglich eine Indizwirkung (ebenso OVG Nds BeckRS 2006, 20187).  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 21. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Das Gericht nimmt zur Begründung dieses Urteils vorab Bezug auf den ausführlichen und zutreffend begründeten streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird, auch unter Berücksichtigung der mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2016, noch ausgeführt:
Der Kläger ist nicht als Asylberechtigte im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzuerkennen, da er nach eigenen Angaben über den Landweg in die Bundesrepublik eingereist ist. Gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG kann sich der Kläger daher nicht auf das Asylgrundrecht berufen, da nach momentaner Rechtslage alle an die Bundesrepublik angrenzenden Staaten entweder Staaten der Europäischen Union oder sichere Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 Satz 2 GG i. V. m. Anlage I zu § 26a AsylG sind.
Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die vom Kläger angegebenen Fluchtgründe sind weder glaubhaft, noch können sie zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG begründen.
Soweit der Kläger in der Anhörung vorgetragen hat, sein Vater und ein Onkel seien im Jahr 2009 von den Amerikanern festgenommen und in das Gefängnis nach Abu Ghuraib verbracht worden, entspricht dies zur Überzeugung des Gerichts nicht der Wahrheit. Das Gefängnis in Abu Ghuraib wurde nämlich bereits 2006 durch die Vereinigten Staaten von Amerika und der irakischen Regierung geschlossen. Ohnehin macht der Kläger keine Angaben dazu, inwiefern die behaupteten Festnahmen, eine Verfolgungsgefahr gerade ihm gegenüber begründen.
Die Angabe des Klägers, seine Familie sei nach dem Sturz von Saddam Hussein verfolgt worden, weil sie Sunniten seien, rechtfertigt ebenfalls nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger behauptet hier Geschehnisse, die in erster Linie um 2006, also mehrere Jahre vor seiner Ausreise im Jahr 2015, passiert sein sollen. Inwiefern die behaupteten Vorfälle zum jetzigen Zeitpunkt eine Verfolgungsgefahr hervorrufen, trägt der Kläger nicht vor.
Die Einlassung des Klägers, er sei auch persönlich von einer schiitischen Miliz bedroht worden, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft. Im Rahmen der Anhörung gab der Kläger an, der Besuch der Miliz sei 2009 gewesen und die Miliz wäre persönlich zu ihm gekommen und hätte ihm vorgeworfen, Informationen im Vorfeld einer Bombenexplosion weitergegeben zu haben. In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger wiederum vor, dass dieser Vorfall bereits im Jahre 2006 gewesen sei und die Miliz nur vor seinem Haus gewesen wäre und in der Straße allgemein Sunniten bedroht hätte. Zudem gelingt es dem Kläger nicht, den Vorfall zusammenhängend und lebensnah zu schildern. Zur Überzeugung des Gerichts ist somit davon auszugehen, dass der Kläger keine persönliche Bedrohung durch die schiitischen Milizen erfahren hat, sondern lediglich die im Jahre 2006 allgemein herrschenden Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak wiedergibt.
Die vom Kläger vorgebrachte allgemeine Angst vor schiitischen Milizen stellt keine begründete Furcht vor Verfolgung dar. Nach der Auskunftslage existiert keine nach der Rechtsprechung des Bundeverwaltungsgerichts für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte hinsichtlich sunnitischer Iraker aus der Provinz Babil. Für die Annahme einer entsprechenden Verfolgungsdichte ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, U.v. 21. April 2009 – 10 C 11/08 – juris Rn. 13 ff.). Nach den zum Bestandteil des Verfahrens gemachten Auskünften existieren zwar im Irak schiitische Milizen, die zum Teil auch gewaltsam gegen Sunniten vorgehen. Dabei handelt es sich aber um einzelne Übergriffe. Für Sunniten aus der Provinz Babil erreichen diese Übergriffe seitens schiitischer Milizen jedoch kein solches Ausmaß, dass für jeden Iraker sunnitischen Glaubens ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Insbesondere ist dieses Gebiet nicht ehemals von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ besetzt gewesen. Sunniten, die aus Gebieten flüchten, die von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ besetzt werden oder wurden, sind aufgrund des pauschalen Verdachts der Kollaboration verstärkt Verfolgung und Racheakten ausgesetzt. Dies trifft auf den Kläger jedoch gerade nicht zu.
Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger als Koch beim Verteidigungsministerium gearbeitet haben soll. Die damit gegebenenfalls verbundene Einziehung zu den irakischen Streitkräften und zum Kampf gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ stellt keine Verfolgungshandlung dar. Die Verpflichtung zum Wehrdienst stellt bei Erwachsenen allenfalls eine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG dar, wenn seitens des Antragstellers Gewissens- oder religiöse Gründe dem Wehrdienst entgegenstehen (vgl. VG München, U.v. 28.8.2014 – M 24 K 12.30028 – juris Rn. 29) oder wenn mit dem Wehrdienst eine Beteiligung an Kriegsverbrechen verbunden ist, vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Diesbezüglich wurde nichts vorgetragen und sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Das vom Kläger vorgelegte in Syrien ausgestellte „refugee certificate“ vom 23. Mai 2011 hat für die Frage nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lediglich eine Indizwirkung (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 7.12.2005 – 11 LB 193/04 – juris Rn. 42; VG Bayreuth, U.v. 2.5.2016 – B 3 K 15.30486 – juris Rn. 36). Das „refugee certificate“ wurde vom Hohen Kommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen innerhalb seines Mandats ausgestellt. Die Vereinten Nationen können jedoch keinesfalls eine verbindliche Entscheidung treffen, ob ein Asylantragsteller von einem Mitgliedsland als Flüchtling anzuerkennen ist. Der Hohe Kommissar für Flüchtlinge kann nur – wie auch auf dem vorgelegten Zertifikat vermerkt – innerhalb seines Mandats die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen. Dies kann möglicherweise verbindliche Folgen für die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb solcher Kontingente haben, die die Vereinten Nationen mit einzelnen Mitgliedsstaaten in konkreten Programmen ausgehandelt haben. Darüber hinaus ist die Bescheinigung bereits fünf Jahre vor der erneuten Ausreise aus dem Irak ausgestellt worden, was wiederum die bloße Indizwirkung für die jetzige Beurteilung der asylrechtlich relevanten Situation des Klägers erheblich mindert. Wie bereits festgestellt, gelingt es dem Kläger nicht, glaubhaft und substantiiert eine begründete Furcht vor Verfolgung vorzutragen. Dem kann die geringe Indizwirkung des Zertifikats nichts entgegensetzen.
Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht nicht, da dem Kläger in seinem Herkunftsland, insbesondere in seiner Herkunftsregion, kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG droht. Der Kläger stammt aus Mahmudiyah, einem Ort etwa 30 km südlich der Stadt Bagdad. In der Herkunftsregion des Klägers liegt kein innerstaatlich bewaffneter Konflikt vor. Von einem innerstaatlichen Konflikt im Sinne dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen (EuGH, U.v. 30.1.201 – C-285/12 – juris Rn. 35). Dem Ausländer droht dann ein ernsthafter Schaden aufgrund des Konflikts, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 30.1.201 – C-285/12 – juris Rn. 30). Zwar ist die Sicherheitslage im Irak stark angespannt und kommt es gerade auch in und um Bagdad immer wieder zu terroristischen Anschlägen. Die angespannte Sicherheitslage resultiert jedoch aus inneren Unruhen und Spannungen, die nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkriegs aufweisen. Das erkennende Gericht sieht unter Zugrundelegung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Kläger als Zivilperson bei seiner etwaigen Rückkehr in den Irak, speziell in seine Herkunftsregion, allein durch seine Anwesenheit in dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer hier verfahrensrelevanten Bedrohung ausgesetzt zu sein.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor. Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die in Ziffer 5) des Bescheides vom 21. März 2016 ausgesprochene Abschiebungsandrohung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG ist nicht zu beanstanden, § 114 Satz 1 VwGO. Insbesondere hat das Bundesamt im Rahmen der Abwägung der schutzwürdigen Belange des Klägers berücksichtigt, dass ein Onkel und zwei Cousins des Klägers in Deutschland wohnen.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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