Verwaltungsrecht

Kein glaubhafte Darlegung der sexuellen Orientierung

Aktenzeichen  M 21b K 19.34067

Datum:
14.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33770
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 34, § 38 Abs. 1, § 81
AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, S. 7, Abs. 6 S. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Wird als Fluchtgrund die homosexuelle Orientierung vorgetragen, muss diese dem Gericht glaubhaft gemacht werden. Dies gelingt nicht, wenn die Schilderungen oberflächlich und detailarm gehalten sind, sodass sie kein nachvollziehbares Bild über die sexuelle Orientierung vermitteln. (Rn. 19 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen. 
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit war in der Sache zu entscheiden, da er nicht aufgrund einer Klagerücknahmefiktion gem. § 81 AsylG beendet wurde und das Verfahren aufgrund des Antrags der Klägerbevollmächtigten vom … Juli 2019, welcher als Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zu verstehen ist, fortzusetzen war. Im Zeitpunkt des gerichtlichen Schreibens vom 11. Juni 2019 lagen bereits die Voraussetzungen für eine auf § 81 AsylG gestützte Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens nicht vor. Es sind keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Kläger im Zeitpunkt des gerichtlichen Schreibens das Interesse an seiner Klage verloren hatte bzw. sein Rechtsschutzbedürfnis weggefallen war. Zwar hat es der Kläger entgegen seiner Mitwirkungspflichten unterlassen, seine aktuelle ladungsfähige Anschrift dem Gericht mitzuteilen. Nachdem sich bereits mit Schriftsatz vom *. Juli 2017 seine Bevollmächtigte unter Angabe des Aktenzeichens M 21 K 17.44445 für ihn bestellt hatte, wäre vor Erlass einer Betreibensaufforderung aber zumindest eine Rückfrage bei dieser nach der ladungsfähigen Anschrift des Klägers angezeigt gewesen. Die Betreibensaufforderung wurde zudem entgegen § 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO an den Kläger persönlich und nicht an seine Bevollmächtigte zugestellt, sodass ohnehin auch ein – nicht geheilter – Zustellungsmangel vorliegt. Der (deklaratorische) Beschluss vom 15. Juli 2019, mit welchem das Verfahren eingestellt wurde, ist daher gegenstandslos.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Zwar kann dem angegriffenen Bescheid des Bundesamts nicht gefolgt werden, soweit dieser die ablehnende Entscheidung im Wesentlichen lediglich damit begründet, dass die vom Kläger geschilderten Übergriffe seitens der Polizei aufgrund einer homosexuellen Orientierung nicht glaubhaft seien und der Kläger zudem auf eine interne Fluchtalternative ausweichen könne, ohne die vom Kläger vorgetragene sexuelle Orientierung dabei anzuzweifeln. Jedoch ist die ablehnende Entscheidung des Bundesamts im Ergebnis zu Recht erfolgt und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO), da er zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die erkennende Einzelrichterin ist nicht davon überzeugt, dass die vom Kläger genannten Gründe für seine Ausreise aus Nigeria der Wahrheit entsprechen und beim Kläger tatsächlich eine homosexuelle Orientierung vorliegt.
Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit – erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Ausländer insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein der Tatsachenvortrag des Schutzsuchenden führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft“ sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dabei obliegt es dem Ausländer, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen. Der Ausländer muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 3.8.1990 – 9 B 45/90 – NVwZ-RR 1991, 109; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658).
Nach diesen Maßstäben konnte sich das Gericht weder die erforderliche Überzeugung verschaffen, dass der Kläger sein Heimatland aus asyl- oder flüchtlingsrechtlich relevanten Gründen verlassen hat, noch hält es das Gericht für beachtlich wahrscheinlich, dass für ihn bei einer Rückkehr nach Nigeria die Gefahr von Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht.
Maßgeblich für die fehlende Überzeugung der Einzelrichterin von der homosexuellen Orientierung des Klägers sind wesentlich seine im Rahmen seiner ausführlichen Anhörung und Befragung in der mündlichen Verhandlung getätigten Angaben zur Entdeckung der eigenen sexuellen Orientierung, der Entwicklung seiner sexuellen Orientierung im Heimatland und den angeblichen Erfahrungen, welche der Kläger in diesem Zusammenhang im Heimatland gemacht haben will. So wirkte das Vorbringen des Klägers zu den zentralen Aspekten seiner Schilderungen einstudiert und vermittelte nicht im Ansatz den Eindruck, dass der Kläger seine Angaben aus dem Gedächtnis rekonstruiert.
Zwar machte der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 18. Mai 2017 ausweislich der Niederschrift umfangreiche Angaben zu den sich angeblich in Nigeria vor seiner Ausreise zugetragenen Ereignissen. Allerdings ist der Umfang nicht etwa auf eine bildhafte und detaillierte Schilderung bestimmter zentraler Aspekte zurückzuführen, sondern auf den Umstand, dass der Kläger chronologisch über Ereignisse berichtete, die sich in einem Zeitraum von 1990 bis 2016 abgespielt haben sollen. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass der Kläger bei seinem Vortrag zwar großen Wert auf die Angabe von Daten und Namen legte, es aber an einer lebensnahen und nachvollziehbaren Schilderung der Entdeckung seiner sexuellen Orientierung und deren Entwicklung sowie der hiermit in Zusammenhang stehenden Probleme im Heimatland fehlen ließ. Diese vermochte er auch in der mündlichen Verhandlung nicht zu geben. Auf Frage des Gerichts, wann und in welcher Situation der Kläger zum ersten Mal vermutet habe, dass er sich mehr zu Männern hingezogen fühle, wiederholte er zunächst seine Angaben vor dem Bundesamt zu seinen ersten sexuellen Kontakten mit der Person, welche ihm bei den Hausaufgaben half. Auf Hinweis des Gerichts, dass es darum gehe, wie er selbst zu der Vermutung gelangt sei, dass er sich mehr zu Männern hingezogen fühle, gab er lediglich an, dass er sich nach dem Vorfall mehr zu Männern hingezogen gefühlt habe. Die weitere Frage des Gerichts, welche Gedanken und Gefühle er hierbei gehabt habe, beantwortete er knapp damit, dass sein Körper reagiert habe. Auch auf Frage des Gerichts, wann der Kläger zum ersten Mal verstanden habe, dass er homosexuell sei und wie er sich dabei gefühlt habe, wiederholte er im Wesentlichen eine Passage seines Vortrags beim Bundesamt, ohne seine oberflächlichen Angaben hierbei zu vertiefen. Die Fragen des Gerichts zu seinen Gedanken und Gefühlen im Zusammenhang mit der Entdeckung und Entwicklung seiner homosexuellen Orientierung, auch vor dem Hintergrund der schwierigen Situation für Homosexuelle in Nigeria, beantwortete der Kläger ebenfalls knapp und oberflächlich. Pauschal und inhaltsarm war auch seine Antwort auf die Frage des Gerichts, ob er selbst Erfahrungen darüber habe, was Homosexuellen in Nigeria widerfahren sei und ob er dies konkret schildern könne. So brachte er lediglich vor, dass es ein Tabu gewesen sei, man wie ein Aussätziger sei und von der Gesellschaft ausgegrenzt werde. Konkrete Vorfälle vermochte er nicht zu schildern.
Zwar verkennt das Gericht nicht, dass keine überzogenen Anforderungen an eine nachvollziehbare Schilderung der eigenen sexuellen Orientierung gestellt werden dürfen und dass es sich um sensible Fragen handelt, die die persönliche Sphäre betreffen. Auch unter Berücksichtigung von Alter, Herkunft und Bildungsstand des Klägers sind seine Angaben zu seiner angeblichen Homosexualität jedoch derart oberflächlich, vage, detailarm und farblos, dass sie nicht geeignet sind, ein nachvollziehbares Bild seiner sexuellen Orientierung zu vermitteln.
Ohne weitere Erläuterungen erschließt sich schon nicht, weshalb der Kläger gerade aufgrund der von seinem Lehrer, einem älteren Jungen oder – nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung – sogar (älteren) Mann, vorgenommenen sexuellen Handlungen zu der ersten Vermutung einer eigenen homosexuellen Orientierung gelangt ist und weshalb sich die männlichen Kinder, die auch bei dem Lehrer gewesen seien, in der Folge schließlich zum Beischlaf getroffen haben. Eine schlüssige und nachvollziehbare Schilderung der Entdeckung seiner von ihm behaupteten homosexuellen Orientierung im Zuge dieser Ereignisse konnte der Kläger nicht geben. Zu einer auch nur ansatzweise differenzierten Schilderung eigener Gedanken und Gefühle in Zusammenhang mit der Entdeckung der eigenen sexuellen Orientierung und der Reaktionen seines Umfelds in Nigeria war der Kläger ebenfalls nicht in der Lage. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere der knappe und oberflächliche Vortrag des Klägers zu der angeblich von ihm seitens seiner Familie oder sonstiger Personen verlangten Teilnahme an einem Ritual in seinem Dorf. Auf Frage des Gerichts, wie es dem Kläger damit ging, dass seine Familie bei ihm eine „Teufelsaustreibung“ durchführen wollte, wich er der konkreten Frage des Gerichts aus und begann Allgemeines zu dem Ritual zu schildern. Auf nochmalige ausdrückliche Frage des Gerichts nach den Gefühlen des Klägers gab er lediglich an, dass das sehr erniedrigend für ihn gewesen sei und ging sogleich wieder in einen chronologischen Bericht zu den Ereignissen über, welche er bereits beim Bundesamt angegeben hat. Die erneute Nachfrage des Gerichts nach seinen Gefühlen beantwortete er damit, dass es unmenschlich gewesen sei und er sich nicht wohl damit gefühlt habe nackt zu sein.
Auch eine bildhafte Schilderung der Reaktion seiner Familie, insbesondere seiner Mutter, mit welcher er nach seinen Angaben nach wie vor in Kontakt steht, oder eine lebensnahe Schilderung von Gesprächen oder Reaktionsketten findet sich im Vorbringen des Klägers nicht. Vielmehr gab er durchgängig allenfalls einfachste Gefühle oder Reaktionen Dritter an, welche nicht geeignet sind, den Eindruck zu vermitteln, dass er über real Erlebtes berichtet. So gab er vor dem Bundesamt an, dass seine Mutter seinen Lebensstil nicht gewollt habe und sein Vater sehr sauer gewesen sei. Auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, wie es der Mutter des Klägers damit gehe, dass ihr Sohn aufgrund seiner sexuellen Orientierung fernab der Heimat um Schutz nachsuche, brachte er lediglich vor, dass sie nicht glücklich gewesen sei.
Dabei ist das Gericht im Falle des Klägers überzeugt, dass er nach seinen intellektuellen Fähigkeiten sehr wohl dazu in der Lage ist, die Fragen zu seiner sexuellen Orientierung und den Reaktionen seines Umfelds richtig zu erfassen und einzuordnen und real Erlebtes lebensnah zu schildern. Er verfügt über eine für nigerianische Verhältnisse überdurchschnittliche Bildung und es ist ihm sogar gelungen, auch in der Bundesrepublik Deutschland in dem von ihm in Nigeria erlernten Beruf zu arbeiten. Für das Gericht waren auch keine persönlichkeitsbezogenen Gründe erkennbar, welche den inhalts- und detailarmen Vortrag des Klägers erklären könnten. Er hatte keine Hemmungen von sich aus die Handlungen seines Lehrers zu schildern. Ferner gab er, befragt nach der Kenntnis seiner Kollegen in der Bundesrepublik Deutschland von seiner homosexuellen Orientierung, an, dass in der Bundesrepublik Deutschland offen über die sexuelle Orientierung geredet werde. Im Falle des Klägers – der sich bereits seit über drei Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhält – ist daher insbesondere nicht erkennbar, dass es ihm, etwa aus Scham, besonders schwer fallen könnte, über seine sexuelle Orientierung zu sprechen.
Die Angaben des Klägers zu seinen Erlebnissen als Homosexueller in der Bundesrepublik Deutschland konnten das Gericht ebenfalls nicht von einer bei ihm tatsächlich vorliegenden homosexuellen Orientierung überzeugen. Seine Angaben blieben vielmehr ebenso knapp und oberflächlich wie der Rest seines Vorbringens im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung. Befragt dazu, was er mit seinem derzeitigen Partner unternehme, brachte er beispielsweise lediglich vor, dass es sich um eine romantische Beziehung handele und man füreinander da sei. Befragt nach anderen Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland gab er an, dass er viele Sexualpartner gehabt habe. Eine lebensnahe Schilderung zu etwaigen Erlebnissen in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte nicht.
Darüber hinaus wurden auch die Ereignisse, welche der Kläger in Nigeria in Zusammenhang mit einer bei ihm vorliegenden homosexuellen Orientierung erlebt haben will, nicht glaubhaft geschildert. Auch die diesbezüglichen Angaben des Klägers waren detail- und inhaltsarm und zudem auffallend allgemein gehalten. So tat sich der Kläger sichtlich schwer – über den beim Bundesamt bereits geschilderten Vorfall mit einer polizeilichen Kontrolle hinaus – konkrete Vorfälle zu schildern, bei welchen er aufgrund seiner sexuellen Orientierung Probleme mit der Polizei gehabt hat. Wiederholt zog er sich auf die pauschale Behauptung zurück, dass es viele Vorfälle gegeben habe, machte aber nur auf intensive Nachfragen Angaben zu konkreten Vorfällen, welche sich in knappen und farblosen Schilderungen erschöpften. Auffallend war zudem, dass der Kläger Schwierigkeiten hatte, auf konkrete Fragen nach bestimmten Ereignissen bzw. Zeiträumen einzugehen und damit von seiner chronologischen Schilderung beim Bundesamt abzuweichen. So brachte er auf die Frage, was ihm nach seiner Rückkehr nach Lagos im September 2016 seitens der Polizei widerfahren sei, vor, dass es bereits vor seinem Aufenthalt in A* … viele Vorfälle in Lagos gegeben habe und zog sich dann auf die allgemeine Behauptung zurück, dass es ab September wie eine Verfolgung gewesen sei, alle hinter ihm her gewesen seien und er überall gesucht worden sei. Auf mehrfache weitere Nachfrage des Gerichts, was ihm seitens der Polizei seit September 2016 bis zu seiner Ausreise aus Nigeria widerfahren sei, brachte er schließlich vor, dass es da schon zwei Vorladungen seitens der Polizei gegeben habe. Er habe auch einen Anwalt gehabt. Dieser habe ihm erläutert, dass es aufgrund der Beweislage und der Fakten schwer sein würde, aus der Sache wieder raus zu kommen. Zudem habe er auch Angst vor der Justiz der Massen gehabt. Auf Frage seiner Bevollmächtigten, ob er die Vorfälle mit der Polizei in Lagos 2016 genauer beschreiben könne, gab der Kläger – wiederum der konkreten Frage ausweichend – an, dass er sich an einen Vorfall im Dezember 2015 – und damit den einzigen beim Bundesamt geschilderten Vorfall mit der Polizei – erinnern könne. Erst auf Hinweise seiner Bevollmächtigten machte er Angaben zu einem angeblichen Vorfall im Oktober 2016.
Die oft ausweichenden und allgemein gehaltenen Antworten des Klägers sowie sein wiederholtes Bemühen an die (chronologische) Schilderung beim Bundesamt anzuknüpfen und Angaben aus der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt eins zu eins wiederzugeben, vermittelten dem Gericht den Eindruck, dass sein Vortrag einstudiert wurde ohne auf real Erlebtem zu basieren. Dabei stellt sich der klägerische Vortrag zu den Ereignissen, welche zu seiner Ausreise geführt haben sollen, auch nicht als derart einzigartig oder derartige Besonderheiten beinhaltend dar, dass schon allein deshalb der Schluss auf ein tatsächlich selbst erlebtes Geschehen gerechtfertigt wäre. Vielmehr fiel auf, dass der Kläger sich auf allgemein bekannte und asylrechtlich relevante Herkunftslandinformationen bezog, wie den „Same Sex Marriage Prohibition Act“, die Homosexuellen im Norden des Landes drohenden Strafen oder die Tabuisierung von Homosexualität in der nigerianischen Gesellschaft im Allgemeinen, es dabei aber gerade an einem eigenen authentischen Vortrag zu eigenen Erfahrungen und Erlebnissen oder auch Gedanken und Gefühlen fehlen ließ. Elemente spontanen Erinnerns oder das Hinzufügen von Nebensächlichkeiten waren im Rahmen seiner informatorischen Befragung ebenfalls nicht erkennbar.
Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, dass es auch Vorladungen gegeben habe und er in Nigeria sogar einen Anwalt gehabt habe, weist sein Vorbringen auch Steigerungstendenzen auf. Eine überzeugende Erläuterung für das gesteigerte Vorbringen blieb dabei aus. Auf Frage des Gerichts, warum der Kläger die Vorladungen und seinen Anwalt nicht bereits beim Bundesamt erwähnt habe, gab er an, dass er damals den Beweis noch nicht gehabt habe. Er habe mittlerweile aber die Vorladungen und den Schriftverkehr zwischen der Polizei und seinem Anwalt von diesem erhalten. Vorlegen wollte er bzw. seine Bevollmächtigte die Dokumente jedoch auch auf mehrfache Rückfrage des Gerichts ausdrücklich nicht. Auch soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, dass es ab September 2016 wie eine Verfolgung gewesen sei, alle hinter ihm her gewesen seien und er überall gesucht worden sei, stellt sich seine Schilderung – insbesondere auch angesichts der Schwierigkeiten des Klägers mit der Schilderung konkreter Vorfälle mit der Polizei – als übersteigert dar.
Waren die Angaben des Klägers demnach ihrem Inhalt nach nicht ansatzweise dazu geeignet, das Gericht von einer bei ihm vorliegenden homosexuellen Orientierung zu überzeugen, so vermochte auch die Art und Weise seines persönlichen Vortrags nichts hieran zu ändern. Denn der gesamte Vortrag des Klägers in seiner informatorischen Anhörung war emotionslos und nüchtern.
Auch im Übrigen konnte die Einzelrichterin weder inhaltlich betrachtet noch nach der Art und Weise des persönlichen Vortrags des Klägers bei seiner ausführlichen Befragung in der mündlichen Verhandlung – und sei es auch nur aufgrund eines einzelnen, besonderen Details oder aufgrund einer besonders überzeugenden Darstellung auch nur eines einzelnen, ggf. auch nur nebensächlichen Aspekts – die erforderliche Überzeugung davon erlangen, dass er zu den Gründen für seine Ausreise aus Nigeria und seinen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr tatsächlich wahrheitsgemäß vorgetragen hat. An der fehlenden Überzeugung des Gerichts von der homosexuellen Orientierung des Klägers vermögen schließlich auch die vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen, insbesondere der – sehr allgemein gehaltene – Schriftverkehr mit LGBTQ-Organisationen, nichts zu ändern.
Das Gericht vermag auch nicht festzustellen, dass dem Kläger aufgrund anderweitiger, insbesondere aufgrund nach der Ausreise aus Nigeria eingetretener Umstände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmales oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 AsylG drohen könnte. Der Kläger ist im Falle seiner Rückkehr insbesondere keiner ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Zwar bestehen in Nigeria mit den Angriffen und den Auseinandersetzungen mit der Gruppierung „Boko Haram“ im Nordosten, den Auseinandersetzungen zwischen Hirten und Bauern im „Middle Belt“, dem „Biafra-Konflikt“ im Südosten und den Spannungen im Niger-Delta verschiedene Konfliktherde. Es gibt in Nigeria jedoch keine klassischen Bürgerkriegsgebiete (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, S. 16 f.). Das Ausmaß der vorbezeichneten – regional begrenzten – Konflikte ist in Intensität und Dauerhaftigkeit nicht mit Bürgerkriegsauseinandersetzungen vergleichbar.
Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigeria liegen ebenfalls nicht vor. Dies gilt zunächst im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers. Insofern wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger im Hinblick auf die allgemeine Situation in Nigeria oder aufgrund besonderer individueller Umstände eine Gefährdung im Sinne der § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG drohen sollte. Dabei verkennt das Gericht die wirtschaftliche und soziale Lage in Nigeria nicht.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, S. 21). Ein großer Teil der Bevölkerung lebt zudem in absoluter Armut (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Nigeria – Gesamtaktualisierung am 12.4.2019, S. 49; EASO, Country of Origin Information Report – Nigeria – Key socio-economic indicators, November 2018, S. 31). Die Arbeitslosigkeit im Land ist sehr hoch (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Nigeria – Gesamtaktualisierung am 12.4.2019, S. 49; EASO Country of Origin Information Report – Nigeria – Key socio-economic indicators, November 2018, S. 22 f.). Von Bedeutung sind insbesondere der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, S. 21). Zugang zu Wasser und Strom haben viele Menschen nicht bzw. nur unter erschwerten Bedingungen. Die Gesundheitsversorgung, vor allem auf dem Land, ist mangelhaft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, S. 22). Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht. Aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung groß-familiärer Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Hinzu kommen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Folgewirkungen der Covid-19-Pandemie, wie Ausgangs- bzw. Bewegungsbeschränkungen und sonstige Beschränkungen des öffentlichen Lebens, welche sich unter anderem auch auf die Arbeits- und Wohnungssuche sowie die Versorgungslage und somit die Existenzsicherung in Nigeria auswirken können (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Länderinformation Covid-19-Pandemie – Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich – Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, Covid-19 – aktuelle Lage, vom 10. Juni 2020; EASO Special Report – Asylum Trends and Covid-19, vom 11. Juni 2020).
Zwar ist damit festzustellen, dass die Lebensbedingungen in Nigeria schwierig sind. Dafür, dass der Kläger im Hinblick auf die Lebensbedingungen in Nigeria bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, wie es für die ausnahmsweise Annahme von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich wäre, ist allerdings nichts erkennbar. Im Falle des Klägers ist auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK unter dem allgemeinen Gesichtspunkt schwieriger humanitärer Bedingungen im Herkunftsland gegeben. Ein außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe gegen eine Abschiebung entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind, liegt nicht vor. Das Gericht ist vielmehr der vollen Überzeugung, dass der Kläger auch ohne familiären Rückhalt bzw. Unterstützung Dritter dazu in der Lage ist, sich mindestens eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Denn es handelt sich beim ihm um einen erwerbsfähigen Mann, der mit den Lebensgewohnheiten des Landes vertraut ist und über eine für nigerianische Verhältnisse überdurchschnittliche Bildung verfügt. Er hat in Nigeria sein Abitur gemacht und dort sogar studiert. Zudem war er nach seinen eigenen Angaben auch vor seiner Ausreise berufstätig und in der Lage sich seinen Lebensunterhalt durch eine eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Auch in der Bundesrepublik Deutschland geht er einer Beschäftigung nach. Bei einer Rückkehr nach Nigeria ist es ihm daher auch angesichts der dort herrschenden schwierigen Lebensbedingungen möglich und zumutbar, sich mindestens sein Existenzminimum durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder auch durch Gelegenheitsarbeiten zu sichern.
Die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie die Entscheidung des Bundesamts bezüglich des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
Im Übrigen wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.


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