Verwaltungsrecht

Kein Schutzanspruch für jungen irakischen Asylbewerber

Aktenzeichen  RO 3 K 16.33501

Datum:
30.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Angesichts der Größe der Bevölkerungsgruppe der Sunniten im Irak kann die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte nicht festgestellt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist davon auszugehen, dass ein junger gesunder arbeitsfähiger Mann, der zudem keine weiteren Personen zu versorgen hat, sein Existenzminimum im Irak sichern kann. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es kann nicht angenommen werden, dass aufgrund des bestehenden Konflikts die willkürliche Gewalt ein derart hohes Niveau erreicht hätte, dass eine Zivilperson bei der Rückkehr in den Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der betroffenen Region tatsächlich Gefahr liefe, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Zuerkennung subsidiären Schutzes und auch nicht auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung weisen keine Rechtsfehler auf, die zu einer Bescheidsaufhebung führen würden. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO.
Zwar wurde die Anerkennung als Asylberechtigter nicht ausdrücklich beantragt, jedoch bezieht sich der Aufhebungsantrag auch auf Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts, so dass vorsorglich darauf hingewiesen wird, dass die Voraussetzungen, die zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter gemäß Art. 16 Abs. 1 GG führen, nicht gegeben sind. Die Asylanerkennung nach Art. 16 Abs. 1 GG scheitert bereits daran, dass der Kläger auf dem Landweg in das Bundesgebiet eingereist ist. Für die Einreise auf dem Luftweg bestehen keine Anhaltspunkte. Nach Art. 16 Abs. 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG kann sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anl. 1 eingereist ist, nicht auf das Asylgrundrecht berufen. Der Anwendung der Drittstaatenregelung steht nicht entgegen, wenn der genaue Reiseweg und demzufolge der Transitdrittstaat nicht bekannt sind (BVerwG v. 7.11.1995 – 9 C 73/95 – juris).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, da er sich nach Überzeugung der Einzelrichterin nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe außerhalb des Iraks befindet (§ 3 Abs. 1, 4 AsylG).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung gemäß § 3c AsylG kann ausgehen von
1.dem Staat,
2.Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder
3.nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob im Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, § 3e AsylG.
Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass sich aus dem Vorbringen des Klägers keine begründete Verfolgungsfurcht i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG herleiten lässt. Der Kläger hat beim Bundesamt vorgetragen, wegen der Probleme mit dem Onkel und wegen der Position des verstorbenen Vaters den Irak 2012 verlassen zu haben. Der Vater ist bereits 2006 verstorben. Eine angebliche Entführung des Klägers im Jahr 2005 hat der Vater vereitelt. Dass der Kläger wegen des Vaters und nach dem Regimewechsel konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wäre, hat er nicht geschildert. Es ergibt sich hierfür auch kein greifbarer Anhaltspunkt. Auch für eine bei Rückkehr in den Irak bestehende Bedrohung oder Verfolgung durch AlQaida bzw. den IS bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Hierzu hat der Kläger auch keine konkreten Angaben gemacht. Die Probleme mit dem Onkel mögen seine Mutter bzw. seine minderjährigen, insbesondere weiblichen Geschwister betroffen haben. Die Mutter hat nämlich angegeben, wegen ihres Glaubenswechsels als Sunnitin häuslicher Gewalt durch ihren schiitischen Bruder ausgesetzt gewesen zu sein. Es ergibt sich aber nicht, dass der volljährige Kläger als Sunnit konkreten Handlungen seines Onkels ausgesetzt gewesen wäre oder bei Rückkehr ausgesetzt würde. Die Behauptung, wäre er wegen des Onkels zur Polizei gegangen, wäre er an schiitische Milizen verraten worden, ist reine Spekulation, vage und unsubstantiiert. Der Kläger selbst hat beim Bundesamt zudem angegeben, er selbst habe keine Angst, in seine Heimat zurückzukehren. Soweit die Mutter und die Geschwister einzelfallbedingt Flüchtlingsschutz erhalten haben, kommt die Einzelrichterin im Rahmen der Einzelfallprüfung für den volljährigen und von der Familie der Mutter des Klägers erkennbar nicht abhängigen Kläger zu einer anderen Beurteilung. Denn im Gegensatz zu ihm ist die Mutter Witwe und muss alleinerziehend für ihre minderjährigen Kinder sorgen, wobei ihr der Bruder als Familienoberhaupt die Berufstätigkeit untersagt hat und sie sich von ihren Kindern hätte trennen müssen (vgl. Schreiben des Bundesamts vom 10.4.2017 mit Anlage Vermerk vom 27.7.2016). Der Kläger könnte sich zudem in der Großstadt Bagdad außerhalb der Reichweite des Onkels mütterlicherseits niederlassen. Auch besteht keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak. Insbesondere angesichts der Größe der Bevölkerungsgruppe der Sunniten am Anteil der Gesamtbevölkerung im Irak kann nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte angenommen werden (vgl. BayVGH, B. v. 1.2.2017 – 13a ZB 16.30990- juris).
Weder ergibt sich damit für den Kläger ein Anknüpfungspunkt im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, noch im Sinne des § 3c AsylG. Eine konkrete Verfolgungssituation hat der Kläger mithin nicht glaubhaft geschildert.
Gemessen an seinem Vorbringen besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Es ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden in Form der Todesstrafe, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG droht. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger, ein junger gesunder arbeitsfähiger Mann, der zudem keine weitere Personen zu versorgen hat, sein Existenzminimum im Irak sichern kann. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Ein den bestehenden Konflikt kennzeichnender Grad willkürlicher Gewalt müsste ein derart hohes Niveau erreicht haben, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in den Irak oder in die von einem bewaffneten Konflikt betroffene Region allein durch die dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 09/08 – juris; v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris). Ein derartig hoher Gefahrengrad kann für die Stadt … und damit für die Stadt, aus der der Kläger im Irak stammt, nach der Auskunftslage (vgl. insbesondere Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak – Lagebericht – vom 18.2.2016 und 7.2.2017) nicht angenommen werden. Dass der Kläger selbst von einem bewaffneten Konflikt bedroht gewesen wäre, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erfüllt. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger, ein junger gesunder arbeitsfähiger Mann, der zudem keine weitere Personen zu versorgen hat, sein Existenzminimum im Irak sichern kann. Insofern ist nicht entscheidend, dass nicht glaubhaft ist, dass der Kläger angesichts der im Irak üblichen Großfamilien väterlicherseits über keinerlei Verwandte (Onkel, Tanten, Cousins etc.) im Irak verfügt.
Anhaltspunkte, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Derzeit besteht für den Irak nach wie vor ein Abschiebestopp. Allgemeine Gefahren sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Die Versorgungslage stellt keine besonders extreme Gefahrenlage dar. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass, wie ausgeführt, der Kläger sein Existenzminimum bei Rückkehr in den Irak, insbesondere nach … sichern kann. Konkrete Anhaltspunkte für eine ernsthafte Erkrankung des Klägers liegen ebenfalls nicht vor.
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (§ 34 AsylG, § 59 AufenthG), der Ausreisefrist (§ 38 Abs. 1 AsylG) und der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots i.S.v. § 11 Abs. 1 AufenthG bestehen nicht.
Die Kosten der Entscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


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