Verwaltungsrecht

Kein subsidiärer Schutzstatus für Asylbewerber aus Somalia

Aktenzeichen  RN 12 K 16.30837

Datum:
15.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 1 S. 1, S. 4
AsylG AsylG § 4 Abs. 2 Nr. 3, § 34, § 36 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Auch in den unter Kontrolle der somalischen Regierung stehenden Gebieten ist wegen der Anschläge der Al-Shabaab nicht auszuschließen, dass dort weiterhin ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt iSd § 4 Abs. 2  Nr. 3 AsylG besteht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Mangels der erforderlichen Gefahrendichte fehlt das weitere Tatbestandsmerkmal der “ernsthaften individuellen Bedrohung”. (redaktioneller Leitsatz)
3. Fehlen für die quantitative und qualitative Bewertung der Gefahrendichte geeignete Grundlagen, muss auf die Einschätzung der Gefahrensituation u.a. des UNHCR, von Landinfo/Danish Immigration Service, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und EASO zurück gegriffen werden. In diesen Stellungnahmen wird überwiegend von einer Verbesserung der Sicherheitslage berichtet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Bundesamtes für … ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Er hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Gewährung subsidiären Schutzes oder Feststellung nationaler Abschiebungshindernisse, weshalb die ergangene Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist.
1. Es besteht kein Anspruch auf die Anerkennung als Flüchtling.
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat, den Staat beherrschende Organisationen oder internationale Organisationen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Der Nachweis einer entsprechenden Verfolgung ist beim Herkunftsland Somalia regelmäßig allein durch glaubhafte Schilderung der Lebensumstände und der Ausreisegründe möglich. Die Glaubhaftmachung setzt die Schilderung eines in sich stimmigen Sachverhalts voraus, aus dem sich bei verständiger Würdigung die Gefahr erneuter Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt. Die Angaben müssen durch Konkretheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum erkennen lassen, dass sie wahrheitsgemäß sind und der behauptete Sachverhalt tatsächlich selbst erlebt wurde. Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger hat schon seine Lebensverhältnisse nicht stimmig geschildert. Er hat in der mündlichen Verhandlung spontan seine drei Ehen anders geschildert als beim Bundesamt. Erst auf ausdrückliche Nachfrage hat er seine Angaben so korrigiert, dass sie mit denen beim Bundesamt einigermaßen vereinbar sind. Auffällig war auch, dass er zunächst angegeben hat, er habe seine Landwirtschaft mit seinen Kindern betrieben, auf Nachfrage im Hinblick auf das beim Bundesamt angegebene Alter der Kinder dann, er habe sie allein betrieben. Letztlich nicht schlüssig ist nach seinen Angaben zum Umfang der von ihm betriebenen Landwirtschaft weiter, dass er aus dem Verkauf seines Landes 15 000 $ erzielt haben will. Auch zur Ausreise ist festzustellen, dass der Kläger in der Anhörung am 5.12.2014 noch angegeben hat, diese sei am 1.1.2012 erfolgt, was auch mit der angegebenen Aufenthaltsdauer in der Türkei und Griechenland übereinstimmt. In der Anhörung am 1.6.2016 hat er dagegen behauptet, er sei im Dezember 2012 ausgereist und hat auf Nachfrage ausdrücklich bestätigt, dass er sich länger als ein Jahr in M. aufgehalten habe.
Nicht glaubhaft sind zudem die Angaben zum engeren angeblichen Verfolgungsschicksal. Auch insoweit sind schon die Zeitangaben unstimmig. Beim Bundesamt hat der Kläger erklärt, die A. Sh. habe ihn im August 2011 mitgenommen, bei Gericht dies sei Ende 2011 gewesen. Der Kläger hat erstmals in der mündlichen Verhandlung angegeben, die A. Sh. habe zweimal von ihm Geld haben wollen. Da ihm beim ersten Mal Gelegenheit gegeben worden sein soll, das Geld zu beschaffen, ist nicht nachvollziehbar, dass er beim zweiten Mal sofort inhaftiert worden sein soll. Widersprüche in Details – z.B. hat der der Kläger beim Bundesamt von Fesselung mit Seilen, bei Gericht von Fesselung mit Handschellen gesprochen hat und er hat beim Bundesamt von einem Gefängnis gesprochen, bei Gericht dagegen angegeben, es habe ausser ihm selbst keine Gefangenen gegeben – zeigen, dass der Kläger nicht von selbst tatsächlich erlebten Geschehnissen berichtet. Lebensfremd ist auch die Behauptung, eine Wache habe ihn auf seine Forderung hin nachts zum Fluss begleitet, sei aber so schlaftrunken gewesen, dass er habe fliehen können. Auch wird im angefochtenen Bescheid zu Recht ausgeführt, dass nicht schlüssig ist, dass der Kläger nach massiver Folterung imstande gewesen sein soll, selbständig zu Fuß nach M., d.h. eine Strecke von mehr als 400 km, zu gehen. Weiter ist der Vortrag des Klägers, dass er die Bestrafung durch die A. Sh. im Interesse seiner Kinder in Kauf genommen habe, nicht in Einklang damit zu bringen, dass er nach seiner Flucht keinerlei Kontakt zur Familie gehabt haben will und der Familie auch kein Geld aus dem Verkauf des Landes zurückgelassen haben will. Dieser angeblich erst von M. aus erfolgte Verkauf ist zudem insgesamt nicht nachvollziehbar. Es ist weder schlüssig, dass der Freund das Risiko eingegangen sein soll, Käufer für das Land zu suchen, wenn der Kläger tatsächlich von der A. Sh. gesucht worden wäre, noch ist die Erklärung des Klägers überzeugend, dass es für den Verkauf des Landes nicht der Übergabe von Urkunden bedurft habe, weil er dem Verkäufer ja bekannt gewesen sei. Vor dem Hintergrund des insgesamt unglaubhaften Vorbringens zum Anlass der Folterung durch die A. Sh. und der angeblichen Flucht kann den nach vorgelegten Fotos beim Kläger bestehenden Narben keine Bedeutung zukommen. Diese können nicht belegen, dass sich eine Verfolgung so zugetragen hat wie vom Kläger behauptet.
2. Es besteht auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes.
a) Wegen der Unglaubhaftigkeit der Vorverfolgung droht dem Kläger nicht individuell eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) aus anderen als den in § 3 AsylG aufgeführten Gründen.
b) Auch die Voraussetzung der ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) ist nicht gegeben.
Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 – Rs. C 285/12) eine Situation, in der die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder in der zwei oder mehrere bewaffnete Truppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzung, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteile v. 27.4. 2010 – Az. 10 C 4.09 und v. 24. 6 2008 – Az. 10 C 43.07) legt bisher den Begriff unter Berücksichtigung seiner Bedeutung im humanitären Völkerrecht aus (insbesondere aus den vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977; erforderlich sei aber nicht zwingend ein so hoher Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach der Genfer Konvention erforderlich ist. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 – Az. 10 C 43.07).
Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen stellt sich die allgemeine Situation in Somalia aktuell im Wesentlichen wie folgt dar:
In dem seit 1991 herrschenden Bürgerkrieg sind nunmehr im Süden des Landes die meisten größeren Städte schon längere Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die A. Sh. Diese hat im Januar 2010 offiziell bestätigt, dass sie sich der Al-Qaida zugehörig fühlt (vgl. EASO-Bericht 2014 Ziff. 1.3.6). In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die A. Sh. und andere islamistische Gruppen verüben aber immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte oder Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden. Die A. Sh. ist in den von der Regierung beherrschten Gebieten immer noch präsent und es kommt zu Übergriffen auf Personen, die ihrer Ideologie nicht entsprechen. Berichtet wird auch über Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Kräfte. Neben der Beeinträchtigung von Zivilpersonen durch den Kampf zwischen der A. Sh. und der Regierungsseite führt in Somalia das traditionelle Clansystem zu Auseinandersetzungen zwischen den Clans, zwischen von Clans gegründeten Milizen und zu Übergriffen von Angehörigen eines Clans auf die eines anderen. Dies führt dazu, dass eine Rückkehr regelmäßig nur in das Gebiet des eigenen Clans möglich ist. Auch dort werden Angehörige von Minderheitenclans in vielfacher Weise wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt. Sie haben keinen Zugang zur Rechtsverfolgung nach dem traditionellen Gewohnheitsrecht (Xeer), das von den Clanältesten ausgeübt wird. Das daneben bestehende staatliche Rechtssystem, das in den letzten Jahren nicht funktionsfähig war, ist von untergeordneter Bedeutung.
Bei der vom Kläger angegebenen Herkunftsregion … handelt es sich um ein Gebiet, dass noch unter der Kontrolle der A. Sh. steht (vgl. EASO-Bericht 216 Ziff. 2.14). Selbst wenn zwischenzeitlich somalische staatliche Kräfte oder mit diesen verbündete Kräfte die Herrschaft erlangt haben sollten, gibt es jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine dauerhafte „Befreiung“ des Gebiets. Nach der oben angeführten Definition ist daher davon auszugehen, dass dort ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht. Letztlich dahinstehen kann, ob im Fall des Klägers bei einer Rückkehr in diese Region auch das weitere Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, nämlich der „ernsthaften individuellen Bedrohung“ zu bejahen ist. Es ist im hier gegebenen Einzelfall nämlich davon auszugehen, dass der Kläger nicht in diese Region zurückkehren muss. Nach eigenen Angaben hat er bereits mehr als ein Jahr bei einem Freund in M. gelebt. Der Kläger hat keinerlei Angaben dazu gemacht, dass die Sicherung seines Lebensunterhalts in diesem Zeitraum problematisch gewesen wäre. Auch die angegebene Clanzugehörigkeit zur Gruppe der Biyamaal spricht nicht gegen einen Aufenthalt in M. Dabei handelt es sich um eine zu dem Mehrheitsclan der Dir gehörende Gruppe [vgl. Accord „Clans in Somalia“ (im Dez. 2009 veröffentlichter Bericht zum Vortrag von Dr. J. G.) ], die in Südsomalia verbreitet ist.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch in M., das seit August 2011 (vgl. EASO-Bericht 2014 Ziff. 1.3.6) unter der Kontrolle der Regierung steht wegen der noch regelmäßig stattfindenden Anschläge und Einzelübergriffe durch die Al Sh. und des weiterhin erforderlichen Einsatzes ausländischer und internationaler Truppen noch ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht – wovon auch das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Lagebericht vom 1.12.2015 ausgeht -, dann liegt dort nicht (mehr) das Tatbestandsmerkmal der „ernsthaften individuellen Bedrohung“ des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor. Dieses erfordert entweder eine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit im jeweiligen Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, oder persönliche Umstände, die das derartige Risiko erheblich erhöhen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerwG, Urteil v. 14.7.2009 – Az. 10 C 9.08; EUGH, Urteil v. 17.2.2009 – Az. C-465/07).
Eine Gefahrendichte im Sinne der erstgenannten Alternative ist in M. im nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) gegeben. Allerdings ist eine Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, z.B. Urteile v. 17.11.2011 – Az. 10 C 13.10 und v. 13.2.2014 – Az. 10 C 6.13), nicht möglich. Unklar ist schon die zugrunde zu legende Gesamtbevölkerungszahl als Ausgangsbasis. Im EASO-Bericht 2014 ist an mehreren Stellen erwähnt, dass es keine gesicherten Zahlen gibt, die wiedergegebenen Schätzungen differieren erheblich (z.B. EASO-Bericht 2014 Ziff. 1.1.4.2.3: 900 000 bis 2,5 Mio; Ziff. 1.2.1: 10 428 043; EASO-Bericht 2016 Ziff. 1: 12 316 895 im Jahr 2014). Weiter ist zu berücksichtigen, dass es eine sehr hohe Zahl von Binnenvertriebenen gibt (geschätzt 1,1 Mio. im September 2013 – vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 25.10.2013 – sowie 1 106 751 im Oktober 2014- vgl. EASO-Bericht 2016 Ziff. 1). Diese haben sich in verschiedenen Lagern in Sicherheit gebracht, weshalb eine Opferstatistik in ihren Herkunftsgebieten notwendigerweise das tatsächliche Risiko nicht realistisch wiedergeben würde. Weiterhin kann die Zahl der Zivilpersonen, die Opfer willkürlicher Gewalt geworden sind, nicht einmal annäherungsweise geschätzt werden, weil dazu belastbare Zahlen nicht vorhanden sind. Soweit die Beklagte in Bescheiden zum Herkunftsland Somalia auf in verschiedenen Quellen zitierte Angaben zu Opfern abstellt (z.B. Berichte von Danish Immigration Service und Norwegian Landinfo oder Datenbank ACLED), ist nicht nachvollziehbar, von wem und auf welcher Grundlage die genannten Zahlen ermittelt wurden. Es ist schon nicht ersichtlich, dass diese Zählung nur „Zivilpersonen“ erfasst, zumal bei der aktuellen Art der Kriegsführung durch terroristische Anschläge unklar ist, ob z.B. Politiker Zivilpersonen i.S. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG sind oder nicht. Zudem ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei den Opferzahlen neben der rein quantitativen Ermittlung zusätzlich eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Schwere der Schädigungen anzustellen (vgl. BVerwG, Urteil v. 17.11.2011 -Az. 10 C 13/10 unter Bezugnahme auf 27.4.2010 – Az. 10 C 4.09). Schon wegen der äußerst mangelhaften medizinische Versorgungslage in Somalia [vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.6.2013; EASO-Bericht 2014: „poor even by Sub-Saharan standards“] sind deshalb bei der Bewertung des Opferrisikos auch bloße Misshandlungen be achtlich. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass in den von der Beklagten herangezogenen Statistiken alle Einzelübergriffe enthalten sind, insbesondere nicht solche, bei denen das Opfer nicht zu Tode gekommen ist. Übergriffe der Islamisten wegen ihnen missliebigen Verhaltens dürften dem Umfeld nach der jahrzehntelangen Erfahrung der letzten Jahre nicht spektakulär erscheinen. Auch sonst gibt es keine vollständige und zuverlässige Berichterstattung über Vorkommnisse. So wird z.B. erwähnt, dass Berichterstattung von Journalisten über Übergriffe von Polizisten unterdrückt wird (vgl. EASO-Bericht 2014 Ziff. 4.3.3). Es fällt weiterhin auf, dass auch international über Bombenangriffe nicht immer berichtet wird (z.B. Vorfälle vom 2.1., 4.1. und 7.1.2015 anders als andere Attentate nicht bei Spiegel Online veröffentlicht).
Fehlen demnach für die quantitative und qualitative Bewertung der Gefahrendichte geeignete Grundlagen, dann kann dies aber nicht zur Folge haben, dass die erforderliche Gefahrendichte allein wegen eines innerstaatlichen Konflikts ohne weiteres bejaht wird. Es muss dann vielmehr auf die Einschätzung der Gefahrensituation durch Beobachter mit Erfahrung aus erster Hand abgestellt werden, auch wenn diese u.U. subjektiv ist. Solche werden in den in das Verfahren eingeführten Stellungnahmen u.a. des UNHCR, von Landinfo/Danish Immigration Service, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und der beiden Ausarbeitungen der EASO, die neben den in das Verfahren eingeführten auch weitere Berichte verwertet hat, wiedergegeben. In diesen Quellen wird überwiegend von einer Verbesserung der Sicherheitslage berichtet. Dies ist zwar in Relation zur früheren extremen Situation zu sehen und kann nicht damit gleichgesetzt werden, dass keine wesentliche Gefahr für die Zivilbevölkerung mehr gegeben ist. Dargestellt wird durchaus, dass (auch) in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden Gebieten weiterhin Zivilisten Opfer von individuellen Übergriffen durch die Islamisten, von Zwangsrekrutierungen, von willkürlichen Akten der Regierungsseite oder von Terroranschlägen werden. Dennoch ergibt sich aus den Berichten nicht, dass in den von der Regierung beherrschten Gebieten aktuell noch eine so hohe Gefahrendichte gegeben ist, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit im Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Der detaillierten Beschreibung der Situation vor Ort und den verwendeten Formulierungen ist zu entnehmen, dass die A. Sh. zwar in einzelnen Regionen noch offen auftritt, dass gezielte Übergriffe der islamistischen Seite aber v.a. bei Personen vorkommen, die zu den aufgezählten Risikogruppen gehören (z.B. Politiker, Journalisten, Lieferanten und Freunde von Regierungsangehörigen oder der Truppen). Selbst wenn sie bei anderen Personen vereinzelt vorkommen, sind sie demnach nicht mehr ein für jedermann vorhersehbares Risiko. Ebenso lassen die Einzelberichte darüber, dass Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei und die Regierungstruppen wegen des falschen Verdachts der Zugehörigkeit zur islamistischen Seite oder zur reinen Machtdemonstration bekannt geworden seien, nicht den Schluss zu, dass solche Vor kommnisse derart häufig sind, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedermann betroffen sein kann. Die in das Verfahren eingeführten aktuellen Zeitungsausschnitte belegen, dass es weiterhin regelmäßig zu Terroranschlägen in Form von Sprengstoffattentaten durch die A. Sh. kommt und dass diese auch häufig Opfer in der Zivilbevölkerung verursachen. Selbst wenn man unterstellt, dass nicht über alle Vorfälle international berichtet wird, sind die bekannt werdenden Opferzahlen insgesamt aber nicht so hoch, dass insoweit ein Risiko für einen erheblichen Teil der Bevölkerung im Sinne der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bejaht werden kann. Etwas anderes ergibt sich aus nicht aus dem Bericht des United Nations Security Council vom 6.9.2016. Dort wird zwar die Sicherheitslage landesweit als weiterhin schlecht beschrieben. Die Zahl der dazu aufgeführten einzelnen Anschläge und Konfllkte im Jahr 2016 lässt aber nicht den Schluss zu, dass Opferquoten im Sinne der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben sind.
Die vorstehende Einschätzung, dass im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in Süd- und Zentralsomalia die erforderliche Gefahrendichte für die Bejahung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht mehr generell gegeben ist, steht in Einklang mit aktuellen zweitinstanzlichen Entscheidungen (vgl. BayVGH, U. v. 17.3.2016 – Az. 20 B 13.30233, U. v. 30.6.2016 – Az. 20 B 14.30101 und OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 16.12.2015 – Az. 10 A 10689/15).
Gefahrerhöhende individuelle Umstände kann der Kläger nicht erfolgreich geltend machen. Die behauptete schon erlebte Verfolgung durch die A. Sh. ist – wie oben ausgeführt – schon nicht glaubhaft. Zudem wäre auch nicht zu erwarten, dass der Kläger der behaupteten Verfolgung durch örtliche A. Sh. Kräfte in … wegen nicht geleisteter Zahlungen in M. weiterhin ausgesetzt wäre. Eine Erhöhung des Risikos ergibt sich nicht schon aus seiner Situation als Rückkehrer nach einem Auslandsaufenthalt. Zwar sieht die A. Sh. Rückkehrer aus westlichen Ländern möglicherweise als Spione der Regierungstruppen an (EASO-Bericht 2014 Ziff. 4.3.5). Da sie in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden Gebieten nicht mehr frei agieren kann und angesichts der Zahl von rückkehrenden Personen, v.a. auch Binnenvertriebenen (vgl. EASO-Bericht 2014 Ziff. 5.3 und 5.5), ergibt sich daraus aber nicht für jeden Rückkehrer ohne weiteres die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung.
c) Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen allgemeiner Gewalt im Zielstaat erfordert eine gleichwertige Gefahrendichte (vgl. VGH BadenWürttemberg, Urteil v. 24.7.2013, Az. A 11 S 697/13).
d) Neben der Gefährdung von Leib und Leben durch willkürliche Gewalt kann die extrem schlechte Versorgungslage in Somalia einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG begründen, weil unter besonderen Voraussetzungen schlechte humanitäre Bedingungen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gemäß Art. 3 EMRK zu werten sind. Auf die Entscheidung vom 8.1.2015 (Az. RN 7 K 14.30016 -nicht rechtskräftig) wird insoweit verwiesen.
Im individuellen Fall des Klägers ist davon auszugehen, dass bei ihm die erforderliche extreme Ausnahmesituation trotz der allgemeinen Lage in Somalia nicht gegeben ist. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass er bei einer Rückkehr keine ausreichenden Möglichkeiten hat, sein Existenzminimum zu sichern. Selbst wenn man ihm zumindest glaubt, dass er vorhandenes Land verkauft und das Geld für seine Reise nach Europa verbraucht hat, dann ergibt sich aus seinem Vorbringen, dass er Kontakt zu dem Freund in M. hat, der ihn schon einmal für ein Jahr aufgenommen hat. Auch wenn der Kläger tatsächlich bisher nur in der Landwirtschaft tätig gewesen sein sollte, ist bei seinem Alter von 32 Jahren und der Zugehörigkeit zu einem Mehrheitsclan zu erwarten, dass er ergänzend zur Unterstützung durch den Freund in M. Gelegenheitsjobs übernehmen kann. Es wurde weder behauptet, noch ist es ersichtlich, dass die Rückenbeschwerden des Klägers, wegen denen er in Deutschland eine nicht näher spezifizierte ärztliche Behandlung in Anspruch nimmt, ihn daran hindern würden. Bei dieser Ausgangslage ist davon auszugehen, dass sein Existenzminimum zumindest so weit gesichert ist, dass eine Verletzung des Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention nicht zu erwarten ist. Dass der Kläger erst kurz vor der mündlichen Verhandlung erfahren haben will, dass es seiner Familie wirtschaftlich sehr schlecht geht, ist wenig glaubhaft. Im Hinblick darauf, dass er sich auch im Jahr vor der Ausreise nicht um diese gekümmert hat und jedenfalls er selbst schon vor dem Verkauf des Landes eine Existenzgrundlage in M. hatte, kommt es darauf aber auch nicht an.
3. Der Kläger hat keine Gründe vorgetragen, die aus anderen als den schon unter 2. genannten Sachverhalten die Feststellung nationaler Abschiebungshindernisse rechtfertigen könnten.
4. Mangels Anspruch auf Zuerkennung eines Schutzstatus oder der Feststellung von Abschiebungshindernissen sind die Voraussetzungen für den Erlass der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung (Ziff. 5 des Bescheids) nach § 34 und 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gegeben. Einwendungen hinsichtlich der Dauer der gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG erfolgten Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots wurden nicht erhoben, Gründe für die Rechtswidrigkeit sind auch nicht ersichtlich.
3. Die Klage war demnach mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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