Verwaltungsrecht

Kein Verschulden eines Bevollmächtigen als eigenes Verschulden

Aktenzeichen  2 B 20.1399

Datum:
31.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35037
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60 Abs. 1, § 125 Abs. 2, § 130a, § 132, § 154
ZPO § 85 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Berechnung einer Berufungsbegründungsfrist muss der Rechtsanwalt selbst vornehmen und entsprechend vermerken. Eine Delegierung der Berechnung auf eine Hilfsperson ist unzulässig. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 17.1874 2018-04-11 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,– Euro festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof kann nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Beschluss entscheiden.
1. Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO), weil die Frist zur Begründung der Berufung versäumt wurde (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Der Senat hatte die Berufung mit Beschluss vom 15. Juni 2020 zugelassen (Az. 2 ZB 18.1106). Dieser Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 23. Juni 2020 zugestellt. Die Monatsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO lief damit am Donnerstag, den 23. Juli 2020 ab. Eine Begründung erfolgte bis dahin nicht.
Die mit Schriftsatz vom 13. August 2020 – per Telefax am selben Tag eingegangene – beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren, weil der Kläger nicht unverschuldet verhindert war, diese Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO), und er sich das Verschulden seines Bevollmächtigen als eigenes Verschulden zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO). Ein Rechtsanwalt darf die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und die keine rechtlichen Schwierigkeiten bereiten, grundsätzlich gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 60 Rn. 14; BVerwG, B.v. 7.3.1995 – 9 C 390.94 – BayVBl 1995, 570). Nicht zu diesen üblichen Fristen gehören jedoch nach der ständigen Rechtsprechung die Rechtsmittelbegründungsfristen (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.2012 – 9 B 55.11 – NVwZ 2012, 580 zur Beschwerdebegründungsfrist nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO; B.v. 7.3.1995 – 9 C 390.94 – BayVBl 1995, 570 zur Revisionsbegründungsfrist m.w.N.). Nur wenn der Rechtsanwalt die Rechtsmittelbegründungsfrist selbst ordnungsgemäß berechnet hat, darf er sich zunächst darauf verlassen, dass eine damit beauftragte erfahrene Hilfsperson den Fristenkalender ordentlich führt und entsprechend den allgemeinen Anweisungen im Einzelfall die maßgeblichen Fristen beachtet. Selbst bei grundsätzlich delegierbaren Fristberechnungen und- eintragungen muss ein Rechtsanwalt den Fristablauf selbst nachprüfen, wenn ihm die Akte im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt wird (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2020, § 60 Rn. 15). Nur wenn die Berufungsbegründungsfrist berechnet ist und sich in den Handakten ein Vermerk über die Notierung im Fristenbuch befindet, kann sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken und braucht nicht zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist, außer es drängen sich Zweifel an der Richtigkeit auf (vgl. BGH, B.v. 19.9.2017 – VI ZB 40/16 – NJW-RR 2018, 58).
Vorliegend hat der Bevollmächtige des Klägers eidesstattlich versichert, dass die Rechtsanwaltsfachangestellten die gesamte Post öffnen und der richtigen Akte zuordnen. Anschließend werde von der Rechtsanwaltsfachangestellten K. die Frist berechnet und im elektronischen Terminkalender eingetragen sowie anschließend im Papierterminplaner. Gleichzeitig werde eine Vorfrist – eine Woche vor dem Fristablauf – notiert. Die Rechtsanwaltsfachangestellte K. hat an Eides statt versichert, dass sie die Frist übersehen und nicht notiert habe.
Das Verschulden des Bevollmächtigten liegt hier bereits darin, dass er die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist nach eigenem Vortrag grundsätzlich einer Hilfsperson überlässt. Zudem fand wohl bei Vorlage der Akte anlässlich des Berufungszulassungsbeschlusses keine Kontrolle seitens des Bevollmächtigten dahingehend statt, ob die Notierung der Frist in der Handakte vermerkt wurde. Spätestens anlässlich des gerichtlichen Anhörungsschreibens vom 25. Juni 2020 zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO hätte der Bevollmächtigte in der Handakte kontrollieren müssen, ob noch Weiteres veranlasst war. Der Bevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 6. Juli 2020 auf dieses Schreiben geantwortet – noch innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist -, ohne aber die Berufung zu begründen oder zumindest einen Antrag im Berufungsverfahren zu stellen. Erst auf das gerichtliche Anhörungsschreiben vom 29. Juli 2020 nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO – zugestellt ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 4. August 2020 – erfolgte eine Reaktion des Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 13. August 2020, in welchem der Wiedereinsetzungsantrag gestellt sowie die Berufung begründet wurde.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGOi. V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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