Verwaltungsrecht

Kein vorhergehender Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Behörde

Aktenzeichen  M 10 S 22.701

Datum:
7.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13692
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 355,25 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer durch die Antragsgegnerin.
Der Antragsteller ist seit 21. Januar 2019 in München mit Hauptwohnung in der … straße 19 und mit Nebenwohnung in der … straße 7 gemeldet.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Februar 2019 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 28. Februar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 14. Januar 2021 wurde der Antragsteller für das Jahr 2019 (anteilig ab 1.2.2019) zur Zweitwohnungsteuer für die Wohnung … straße 7 herangezogen. Über die hiergegen beim Verwaltungsgericht München erhobene Klage vom 9. Februar 2021 (Az. M 10 K 21.680) ist noch nicht entschieden.
Nach Aktenlage legte der Antragsteller gegen die Zweitwohnungsteuerbescheide für die Steuerjahre 2020 und 2021 keine Rechtsbehelfe ein.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2022 setzte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller für die Wohnung … straße 7 Zweitwohnungsteuer in Höhe von 1.421 EUR für das Jahr 2022 fest.
Mit Schreiben vom 8. Februar 2022, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am 11. Februar 2022, ergänzt der Antragsteller seine unter dem Aktenzeichen M 10 K 21.680 geführte Klage um den sinngemäßen Antrag,
zur bereits erhobenen Klage beginnend mit dem Zweitwohnungsteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Januar 2022 (zugestellt am 17.1.2022) gemäß § 80 Abs. 4 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) das Aussetzen der Vollziehung per Beschluss zu gewähren.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide der Antragsgegnerin seit 2019 bestünden. Ein fortgesetztes Vollziehen der Bescheide bedeute für den Antragsteller einen nicht zumutbaren Vermögensnachteil, nachdem die Zweitwohnungsteuerforderungen für die Jahre 2019 bis 2021 bezahlt worden seien. Im Übrigen wird auf die Schriftsätze im Verfahren M 10 K 21.680 verwiesen.
Auf richterlichen Hinweis hat der Antragsteller mit Schreiben vom 15. Februar 2022, das am gleichen Tag beim Verwaltungsgericht München eingegangen ist, klargestellt, dass der Zweitwohnungsteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Januar 2022 in das laufende Klageverfahren M 10 K 21.680 einbezogen werden solle, und dessen Aufhebung begehrt.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 29. Februar 2022:
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
Zur Begründung wird vorgetragen, der gestellte Antrag sei bereits unzulässig, weil nicht zunächst ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 6 VwGO bei der Antragsgegnerin gestellt worden sei. Da die Steuer erst zum 1. Juli 2022 fällig werde, drohe zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Vollstreckung. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet; insoweit werde auf die Klageerwiderung im Verfahren M 10 K 21.680 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 10 K 21.680, verwiesen.
II.
1. Der gestellte Antrag ist nach dem erkennbaren Rechtsschutzbegehren (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11. Januar 2022 sowie für die Zukunft nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu verstehen. Denn der Antragsteller begehrt „beginnend mit dem Zweitwohnungsteuerbescheid […] vom 11. Januar 2022“ die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 und Abs. 5 VwGO. Nach der eindeutigen Formulierung des Antrags geht es dem Antragsteller um Eilrechtsschutz nur gegen den Bescheid vom 11. Januar 2022 (für das Steuerjahr 2022) sowie für die Zukunft, nicht aber um Eilrechtsschutz betreffend die Zweitwohnungsteuerbescheide für die Vorjahre. Dies wird letztlich auch in der Antragsbegründung deutlich, zumal der Antragsteller die Zweitwohnungsteuer für die Jahre 2019 bis 2021 bereits bezahlt hat.
2. Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg, da er unzulässig ist.
a) Soweit der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11. Januar 2022 gerichtet ist, ist er mangels vorheriger Durchführung eines behördlichen Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO unzulässig.
Gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO der Antrag nach Abs. 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat.
aa) Der Antragsteller hat nach Aktenlage und unwidersprochenem Sachvortrag der Antragsgegnerin einen solchen vorherigen Antrag nicht gestellt. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob der Behördenantrag nach Anhängigkeit des Eilantrags bei Gericht noch mit heilender Wirkung nachgeholt werden kann (dagegen die fast einhellige Meinung, vgl. hierzu die Nachweise bei Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 74; kritisch hierzu: BayVGH, B.v. 9.6.2008 – 8 CS 8.1117 – NVwZ-RR 2009, 135 unter Verweis auf die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG). Denn jedenfalls hat der Antragsteller die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht nachträglich erfüllt. Er hat weder vorgetragen, dass er wenigstens nachträglich einen Aussetzungsantrag bei der Antragsgegnerin gestellt hätte (s. hierzu: BayVGH, B.v. 9.6.2008, a.a.O., S. 136), noch hat er den Ausführungen der Antragsgegnerin zum fehlenden Behördenantrag im Schriftsatz vom 29. Februar 2022 widersprochen.
bb) Eine Antragstellung nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist auch nicht gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO entbehrlich, da im konkreten Fall (noch) keine Vollstreckung droht. Eine Vollstreckung im Sinne dieser Vorschrift droht nur dann, wenn die Behörde den Beginn von Vollstreckungsmaßnahmen für einen unmittelbar bevorstehenden Termin ankündigt oder konkrete Vorbereitungen für eine alsbaldige Durchsetzung des Anspruchs trifft (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2008, a.a.O., S. 136). Dies ist hier nicht der Fall, da die Zweitwohnungsteuerforderung aus dem Bescheid vom 11. Januar 2022 derzeit noch nicht einmal fällig ist (Fälligkeitstermin 1.7.2022).
b) Soweit der Antragsteller darüber hinaus die Anordnung der aufschiebenden Wirkung für die Zukunft begehrt, ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Der Antragsteller ist im Hinblick auf die Zukunft (Steuerjahre 2023 sowie Folgejahre) noch nicht konkret beschwert. Insoweit sind noch keine Zweitwohnungsteuerbescheide ergangen. Auch der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 11. Januar 2022 trifft keine Anordnung für die Folgejahre. Vielmehr ergibt sich hieraus explizit, dass für das Veranlagungsjahr 2023 ein gesonderter Bescheid ergehen werde.
Der insoweit erstrebte vorbeugende Rechtsschutz ist allenfalls in engen Ausnahmefällen zulässig. Vorliegend ist eine solche ausnahmsweise Zulässigkeit weder vorgetragen noch ersichtlich. Da bei Erlass von Zweitwohnungsteuerbescheiden für das Steuerjahr 2023 und die Folgejahre gegen die neuen Bescheide der Rechtsweg eröffnet sein wird, ist es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsweggarantie von Art. 19 Abs. 4 GG zum jetzigen Zeitpunkt nicht erforderlich, hiergegen vorbeugend (Eil-)Rechtsschutz erhalten zu können.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5, 3.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (1/4 der in der Hauptsache angegriffenen Steuerfestsetzung).


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