Verwaltungsrecht

Kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  M 10 S 16.30798

Datum:
23.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 2

 

Leitsatz

Die Glaubhaftmachung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses iSd § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG erfordert den substantiierten Vortrag der Krankheit, wozu regelmäßig die Vorlage eines fachärztlichen Attests gehört, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Diesen Anforderungen genügt ein ärztliches Attest mit der Aussage, der Antragsteller sei nach Wegfall der klinischen Symptomatik mit häuslicher Medikation aus der Klinik entlassen worden, bei Weitem nicht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Bundesamtes für … (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
Hinsichtlich des Sachverhalts nimmt das Gericht zunächst Bezug auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 1. April 2016, denen es folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 6. April 2016 zur Post gegeben.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 14. April 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben lassen (Az. M 10 K 16.30797) mit den Anträgen, den Bescheid des Bundesamtes vom 1. April 2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
Gleichzeitig hat er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund eines schweren Unfalls an einer gravierenden epileptischen Erkrankung mit lebensbedrohlichen Schüben und weiteren Erkrankungen leide. Der Antragsteller habe in den letzten Monaten mehrere epileptische Anfälle erlitten. Überdies sei die wirtschaftliche Lage im Kosovo schlecht, der Antragsteller habe dort keine Arbeit mehr.
Die Antragsgegnerin übersandte am 9. April 2016 vorab die Behördenakte.
Mit Schreiben vom 21. April 2016 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe Klage und Eilantrag rechtzeitig per Fax versenden wollen, jedoch sei der Faxempfang des Gerichts für längere Zeit gestört gewesen, so dass der Schriftsatz erst zwanzig Minuten später als gewollt habe versendet werden können.
Am 18. August 2016 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers verschiedene Anlagen zu seinem Schriftsatz vom 14. April 2016 vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (auch im Verfahren M 10 K 16.30797) und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der nach § 88 VwGO auszulegende Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung gegen die im streitgegenständlichen Bescheid vom 1. April 2016 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Vorliegend ist der Antrag innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt worden. Der streitgegenständliche Bescheid wurde ausweislich des sich bei der Asylakte befindlichen Vermerkes am 6. April 2016 als Einschreiben zur Post gegeben. Ein Rückschein findet sich nicht bei den Akten. Daher gilt der Bescheid gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die einwöchige Antragsfrist hat somit am 9. April begonnen und endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1, 193 BGB mit Ablauf des 18. April 2016. Der am 15. April 2016 bei Gericht eingegangene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde somit fristgemäß erhoben.
2. Der Antrag ist unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Diese ernstlichen Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (grundlegend zur Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ und zum Umfang der gerichtlichen Prüfung: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. = juris Rn. 86 ff.). Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – juris Rn. 15).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur Rechtslage nach dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 AufentG entsprechenden § 51 Ausländergesetz 1990: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidung bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel. Nach derzeitigem Sach- und Streitstand erscheint es als offensichtlich, dass dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht zusteht. Eine Aufhebung des Bescheides diesbezüglich hat der Antragsteller auch nicht beantragt.
Die Ablehnung mit der Folge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung erfasst auch die Verneinung des Vorliegens von (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) sind solche hier für den Antragsteller nicht ersichtlich.
Das Gericht folgt den Feststellungen sowie der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird ausgeführt:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betreffende Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen, z. B. auch aus finanziellen Gründen, tatsächlich nicht erlangen kann (vgl. BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 – juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56 m. w. N.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss die Krankheit ferner substantiiert vorgetragen sein, wozu regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15).
In Anwendung dieser Maßstäbe kann im vorliegenden Fall von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden. Das vom Antragsteller vorgelegte ärztliche Attest des Herrn Dr. …, Facharzt für Allgemeinmedizin, vom 13. April 2016 und der Entlassungsbericht der Kliniken … … … vom 11. September 2015 genügen den vorgegebenen Mindestanforderungen bei Weitem nicht. Letzteres gibt sogar an, dass es dem Antragsteller ohne Therapie soweit ganz gut gehe und laborchemisch keine relevanten Auffälligkeiten gegeben seien. Nachdem es dem Antragsteller gut gegangen sei und er keine klinische Symptomatik gezeigt habe, sei er mit häuslicher Medikation wieder entlassen worden. Dass dem Antragsteller unmittelbar nach seiner Rückkehr eine wesentliche Verschlechterung seiner Erkrankung oder gar ein lebensbedrohlicher Zustand droht, ist nicht ersichtlich. Aus dem bislang vorgelegten ärztlichen Attest geht nicht hervor, dass im Falle der Rückkehr die Gefahr besteht, dass sich die Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass trotz der dort vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten, wenn auch möglicherweise nicht unmittelbar im Herkunftsort des Antragstellers, eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankungen alsbald nach der Rückkehr droht.
Damit ist die nach Maßgabe der §§ 34, 35 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassenen Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
Zwecks der Erteilung entsprechender Duldungen oder Aufenthaltstitel aufgrund der hier lebenden Ehefrau hat der Antragsteller sich an die zuständige Ausländerbehörde zu wenden.
Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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