Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung als Flüchtling über die Zuerkennung subsidiären Schutzes hinaus aufgrund fehlender Verfolgungsgefahr – Zurückdrängung des IS aus dem Gebiet um Mossul

Aktenzeichen  AN 2 K 16.31390

Datum:
18.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3

 

Leitsatz

1. Seit Anfang Juli 2017 ist der IS aus dem Gebiet um Mossul durch die irakische Armee und ihre Verbündeten soweit zurückgedrängt worden, dass er dort keine quasi-staatliche Macht iSv § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, so dass dort von ihm keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinne mehr ausgehen kann. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einberufung zu einem Militärdienst oder Kampfeinsatz stellt grundsätzlich keine diskriminierende Behandlung in Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG da, sondern (allenfalls) eine Gefahr im Sinne von § 4 AsylG.(Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Irak besteht auch keine generelle Verfolgungssituation für aus (ehemals) vom IS besetzten Gebieten stammende Sunniten von staatlicher Seite. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben

Gründe

Über die Klage kann, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (die Klägerseite mit Schriftsatz vom 19.9.2016 bzw. 14.9.2017 und die Beklagte mit allgemeiner Erklärung vom 27.6.2017), ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die allein auf die Anerkennung als Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 AsylG gerichtete Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheide des BAMF vom 6. September 2016 ist, soweit dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft versagt wird, rechtmäßig und verletzen ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat keine Umstände dargelegt, die – über den Status des subsidiären Schutzes hinaus – zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen würden. Eine allgemeine Verfolgungsgefahr i.S.v. § 3 AsylG ergibt sich aktuell für den Kläger bei einer Rückkehr nach Mossul nicht mehr. Zugunsten des Klägers kann zugrunde gelegt werden, dass er Mossul im August 2015 aus Furcht vor Übergriffen vor IS-Terroristen und um seine Rekrutierung durch den IS zu verhindern, geflüchtet ist. Selbst wenn die damals allgemein für gemäßigte Sunniten, Schiiten und Nichtmuslimen bestehende Gefahr von Übergriffen durch IS-Terroristen als Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG qualifiziert werden müsste, steht dies einer Rückkehr aktuell jedenfalls nicht mehr entgegen, da sich die Lage im Gebiet um Mossul grundlegend geändert hat und eine Bedrohung im Sinne einer Verfolgung durch den IS dort nicht mehr besteht. Seit Anfang Juli 2017 ist der IS aus dem Gebiet um Mossul durch die irakische Armee und ihre Verbündeten soweit zurückgedrängt worden, dass er dort keine quasi-staatliche Macht i.S.v. § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, so dass vom IS dort keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinne mehr ausgehen kann. Seit der Rückeroberung der Gebiete durch die Regierungstruppen ist auch nicht mehr mit der im Asylrecht erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass Rückkehrern in die dortigen Gebiete kein staatlicher Schutz gegen eventuelle vereinzelte Übergriffe des IS aus dem Hinterhalt gewährt wird. Eine Bedrohung im Sinne einer Verfolgung, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich ist, besteht nicht mehr.
Was eine (wohl auch nur latente, aber dem Kläger nicht konkret und individuell drohende) Gefahr betrifft, vom IS als Kämpfer rekrutiert zu werden, ist in dieser Gefahr keine Verfolgungshandlung im Sinne des Asylrechts zu erblicken, sondern (allenfalls) eine Gefahr im Sinne von
§ 4 AsylG, da die Einberufung zu einem Militärdienst oder Kampfeinsatz grundsätzlich keine diskriminierende Behandlung in Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellt. Die Einberufung sollte der Unterstützung der IS-Truppen im Kampf dienen, nicht aber der Diskriminierung bzw. Vernichtung der Betroffenen. Auch die gegebenenfalls ernsthaft drohenden und schwerwiegenden Konsequenzen für den Fall, dass sich ein Betroffener der Rekrutierung entzieht, stellen mangels Zielgerichtetheit der Maßnahme auf Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe keine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG dar.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer besteht im Irak auch keine generelle Verfolgungssituation für Sunniten von staatlicher Seite. Dies gilt auch für aus (ehemals) vom IS besetzten Gebieten stammende Personen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.4.2009, 10 C 11/08 – juris) liegt eine asylrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr für Mitglieder einer Gruppe dann vor, wenn Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Dies gilt nach den vom Gericht beigezogenen Erkenntnisquellen für Sunniten nicht allgemein. Zwar existieren im Irak der Auskunftslage nach mehrere schiitische Milizen, die zum Teil gewaltsam gegen Sunniten vorgehen. Dabei handelt es sich aber – auch in den vom IS befreiten Gebieten – um einzelne Übergriffe, die kein solches Ausmaß erreichen, dass von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit auszugehen ist.
Die allgemeinen, im Einzelnen noch zum Teil sehr schweren Lebensverhältnisse in den (ehemals) vom IS besetzten Gebieten durch die Zerstörungen und mangelhafte Versorgungslage mögen einer Rückkehr dorthin im Konkreten durchaus entgegenstehen, können aber nicht die Flüchtlingseigenschaft begründen, sondern sind durch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG in jedem Fall ausreichend abgedeckt. Ohne das Bestehen einer Verfolgung im Rechtssinn ist die Flüchtlingseigenschaft auch dann nicht zu gewähren bzw. aufrecht zu erhalten, wenn die neue Gefahr an die Stelle der Verfolgung getreten ist (vgl. insoweit EuGH, U.v. 2.3.2010, C-175/08 u.a. – juris).
Die Kostenentscheidung der damit abzuweisenden Klage resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.


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