Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Abschiebung

Aktenzeichen  M 32 K 17.43690

Datum:
12.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53650
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3c, § 78 Abs. 1, § 30 Abs. 3 Nr. 1 u. 5
AufenthG § 11 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.  

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts – der in seiner Ziffer 2 nicht angefochten wurde – ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids, § 77 Abs. 2 AsylG, und führt ergänzend Folgendes aus:
1. Das Gericht teilt die nachvollziehbar dargelegte Einschätzung des Bundesamts, dem Kläger fehle die erforderliche Glaubwürdigkeit. Vor Gericht hat sich dieser Eindruck noch vertieft. Schon von daher ist die Klage abzuweisen, und zwar in der qualifizierten Form als offensichtlich unbegründet nach § 78 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 30 Abs. 3 Nr. 1, und auch §§ 30 Abs. 3 Nr. 5, 15 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 5 AsylG. Im Einzelnen:
a. Der Kläger hat vor dem Bundesamt am 20.12.2016 angegeben, der Studentenorganisation ISO – bekanntermaßen die größte schiitische Studentenorganisation Pakistans – anzugehören. Obwohl er dem Bundesamt versprochen hat, darüber einen Nachweis zu erbringen, ist er diesen Nachweis ohne Angabe triftiger Gründe bis heute schuldig geblieben. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 12.3.2019, also gut zwei Jahre nach der Beteuerung vor dem Bundesamt, war der Kläger nicht in der Lage, seine Mitgliedschaft zu belegen. Er erklärte wie bisher nur seine Absicht. Damit steht das Vorbringen des Klägers zu einem Mordanschlag von Seiten der sunnitischen Gruppierung Sepah Sahaba wegen seiner ISO-Mitgliedschaft auf tönernen Füßen. Die Verweigerung des nach eigener Einlassung des Klägers möglichen Nachweises der Mitgliedschaft bei der ISO gibt Anlass, an der Glaubhaftigkeit der zu Grunde liegenden Behauptung zu zweifeln und stellt auch einen Grund für eine qualifizierte Klageabweisung wie oben angegeben dar.
b. Konstruiert wirkt der Vortrag des Klägers zu einer Verfolgung durch die Taliban wegen angeblicher Spionage für die Amerikaner. Dass der Cousin des Klägers jeden Tag aus Amerika telefonisch bei seiner Tante, deren Ehemann und ihm angerufen haben soll ist für sich genommen schon unwahrscheinlich, zumal der Kläger keine Gründe für eine derartige Kommunikationsdichte angibt und auch nicht, wieso sich die Taliban für diese Telefonate hätten interessieren sollen. Nicht plausibel ist es auch, wie es „den Taliban“ technisch möglich gewesen sein soll, diese Telefonkommunikation abzuhören. Wieder gibt der Kläger hierzu keine Hinweise. Vor allem aber irritiert der Grund, warum nach den Angaben des Klägers die Taliban den ursprünglichen Spionagevorwurf gegen ihn und seinen Onkel fallengelassen hätten, nämlich dass sie nunmehr den richtigen Spion in Gestalt des Kokosnüsse verkaufenden Jungen ermittelt hätten. Es überrascht sehr, dass die Taliban bei ihrer Abhöraktion nicht zwischen der Stimme eines Jungen und der einer Frau – der Tante des Klägers – oder von erwachsenen Männern (des Klägers und seines Onkels) hätten unterscheiden können.
c. Abenteuerlich wirkt der Vortrag des Klägers zu seiner Flucht aus den Fängen der Taliban. Es ist mit den Grundsätzen lebensnaher Betrachtung nicht zu vereinbaren, dass die Taliban etwa ein Dutzend Gefangene, von denen zwei demnächst zu töten sie als ihre heilige Pflicht angesehen hätten und die von daher nichts mehr zu verlieren hatten, nur von einer einzigen Person bewachen ließen und dass dieser einzige Wächter auch noch die Aufgabe der Essensausgabe einschließlich der Lösung der Handschellen übernommen und dabei auch noch dem Kläger, dem er offensichtlich als Erstem der Gruppe die Handschellen abgenommen hatte, den Rücken zugekehrt hätte. Soviel Dummheit kann man den Taliban, die vom Kläger ansonsten als gefährlich und technisch versiert dargestellt werden, wirklich nicht unterstellen. Hier wird ein Märchen erzählt.
d. Abstrus ist der Vortrag der Klageseite zu einer Anzeige gegen den Kläger wegen der angeblichen Entführung einer Frau. Obwohl die Anzeige nach den Worten des Klägers in der mündlichen Verhandlung im Jahr 2009 aufgenommen wurde, hat er sie nicht vor dem Bundesamt im Jahr 2016 erwähnt. Dies geschah erst vor Gericht mit Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 29.6.2017. Dieser Umstand befremdet, ist doch der Kläger gemäß § 25 Abs. 1 bis 3 AsylG verpflichtet, alle asyl- und abschiebungsrelevanten Gesichtspunkte in der – hier am 20.12.2016 stattgefundenen – Anhörung vor dem Bundesamt vorzubringen. Entscheidend für die Annahme der Unglaubwürdigkeit und auch der Unredlichkeit des Klägers ist aber die von ihm zur Stützung seiner Behauptung dem Gericht vorgelegte Kopie der Anzeige. Aufgrund der unzureichenden Qualität dieser Kopie war es dem gerichtlichen Übersetzer nicht möglich, auch nur ein Wort ihres Inhalts zu enträtseln. Selbst beim Datum der Anzeige vermochte er nur den Tag und den Monat wiederzugeben, nicht aber das Jahr. Ein solches Vortragsverhalten des Klägers ist dreist und belegt einmal mehr seine völlige Unglaubwürdigkeit.
2. Aber selbst wenn – wie nicht – dem Kläger Glaubwürdigkeit zuzubilligen wäre, käme eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG nicht in Betracht.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, vgl. § 3a Abs. 1 AsylG. Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt einschließlich sexueller Gewalt gelten (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG). Die Prüfung der Verfolgungsgründe ist in § 3b AsylG näher geregelt, in § 3c AsylG die Akteure, von denen die Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes ausgehen muss, und in § 3e AsylG die Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer inländischen Fluchtalternative im Herkunftsland.
a. Hinsichtlich der vom Kläger behaupteten Verfolgung wegen seiner schiitischen Glaubensausrichtung scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus.
aa. Es fehlt an einem in § 3c AsylG genannten Akteure, von dem die befürchtete Verfolgung des Klägers wegen des asylerheblichen Merkmals seiner Religion ausgehen müsste. Dass der pakistanische Staat (§ 3c Nr. 1 AsylG) ein solcher Akteur ist, wird vom Kläger nicht behauptet und findet auch in den Erkenntnisquellen keine Stütze. Auch ein Akteur nach § 3c Nr. 2 AsylG kommt nicht in Frage. Dafür müsste der Kläger hinreichend darlegen, dass die befürchtete Verfolgung, sei es in individueller Form oder in der Gestalt einer Gruppenverfolgung, durch Parteien oder Organisationen geschieht, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Insoweit hat der Kläger außer einem abstrakten Hinweis auf die sunnitische Gruppierung Sepah Sahaba oder „die Taliban“ nichts Substantiiertes vorgebracht, insbesondere nichts zur erforderlichen landesweiten Bedrohensmächtigkeit dieser Verfolgergruppen. Schließlich fehlt es auch an einem nichtstaatlichen Akteur nach § 3c Nr. 3 AsylG, etwa in Gestalt von Angehörigen der beiden genannten Gruppierungen, da nicht feststeht, dass der Kläger vor einem solchen Akteur erwiesenermaßen keinen Verfolgungsschutz durch die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten Schutzakteure erlangen kann, etwa durch staatliche Polizeikräfte.
Im Übrigen findet eine Gruppenverfolgung schiitischer Muslime in Pakistan nicht statt, auch nicht durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt sunnitischer Extremisten, weil die hierzu notwendige Verfolgungsdichte nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen nicht besteht. Das Gericht schließt sich insoweit folgenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts München im Urteil vom 22. Oktober 2018 – Az. M 23 K 16.35080 – an:
„Die Bevölkerung Pakistans wird auf etwa 196 bzw. 201 Millionen geschätzt (vgl. EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, Seite 19; Home Office, Pakistan: Background information, including actors of protection, and internal relocation, 2017, S. 8, abrufbar unter https://www.gov.uk/government/uploads/system/
uploads/attachment_data/file/622258/Pakistan_-_Background CPIN v2_0
June_2017_.pdf). Über 95% davon sind Muslime. Der Anteil der Schiiten wird auf 5 bis 25% der Gesamtbevölkerung (vgl. Home Office, Pakistan: Shia Muslims, 2015, S. 7, abrufbar unter https://www.gov.uk/government/uploads/
system/uploads/attachment_data/file/566240/cig_pakistan_shias.pdf; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 2017, S. 54, abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/5857ed0e4.html) bzw. 20 bis 25% der Muslime (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan, Stand 20.10.2017, S. 1 und EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, S. 20) geschätzt.
Dem gegenüber zu stellen ist die Zahl der Verfolgungshandlungen. Dazu finden sich in den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln insbesondere folgende Angaben: Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes kommt es in Pakistan zwischen radikalen und gemäßigten Sunniten sowie vor allem zwischen radikalen Sunniten und der schiitischen Minderheit immer wieder zu Gewaltakten. 2015 seien bei religiös motivierten Anschlägen 220 Menschen getötet und 283 Personen verletzt worden. Zu besonderen Feiertagen der Glaubensgemeinschaften setze die Polizei große Kontingente ein, um Übergriffe zu verhindern; radikale Prediger erhielten mitunter Redeverbot. Die Regierung gehe verstärkt gegen die illegale Nutzung von Moscheelautsprechern für kriegerische Botschaften sowie gegen Hassprediger vor und habe in erheblichem Umfang Material beschlagnahmt, das zu interreligiöser Intoleranz und Hass aufrufe sowie religiös motivierte Gewaltanwendung verherrliche (Lagebericht, a.a.O. Seite 15). Das britische Home Office stellt fest, dass schiitische und sunnitische Gemeinschaften im Allgemeinen integriert sind und im Alltag Seite an Seite leben. Eine erhebliche Anzahl Schiiten ist danach in vielen Landesteilen zu finden; große schiitische Gemeinschaften gibt es in vielen urbanen Zentren Pakistans, einschließlich Karachi, Lahore, Rawalpindi, Islamabad, Peschawar, Multan, Jhang und Sarghoda. Es gebe viele Städte ohne interkonfessionelle Spannungen. Im Allgemeinen seien die pakistanischen Behörden auch gewillt, Schiiten zu beschützen, insbesondere während des für die Schiiten besonders wichtigen Monats Muharram, und auch schiitischen Pilger auf dem Weg in den und aus dem Iran sei Schutz gewährt worden. Begrenzt werde die Schutzfähigkeit durch knappe Ressourcen (Home Office, Pakistan: Shia Muslims, 2015, S. 5). Gleichwohl habe das South Asia Terror Portal im Jahr 2013 eine Zahl von 81 gegen Schiiten gerichteten Ereignissen mit 504 Toten und 965 Verletzten aufgezählt (Home Office, Pakistan: Shia Muslims, 2015, S. 7 f.). In den meisten Fällen gebe es für Schiiten die Möglichkeit, in andere Teile Pakistans auszuweichen (a.a.O. S. 5). Einem Bericht des Home Office über interreligiöse Gewalt aus dem Jahr 2014 lässt sich entnehmen, dass diese seit 2010 stark angestiegen und im Wesentlichen auf Quetta, Kurram, Teile Karachis und Gilgit Balistan konzentriert ist. Die Mehrheit der Anschläge sei gegen die schiitische Gemeinschaft gerichtet. Antischiitische und militante Gruppen stellten die größte Gefahr für Schiiten in Pakistan dar, dazu gehöre unter anderem die Gruppe Sipa-e-Sahaba (Home Office, Pakistan: Fear of the Taliban and other militant groups, 2014, Seite 10, abrufbar unter https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/566243/Pakistan_CIG.Fear_Taliban.pdf). Nach Auskunft des European Asylum Support Office sind Schiiten in größerer Zahl zu finden in Peschawar, Kohat, Hangu und Derat Ismael Khan in Khyber Pakthunkhwa, in den Agenturen Kurram und Orakza in den FATA (Stammesgebieten unter Bundesaufsicht), in und um Quetta und an der Makran-Küste in Belutschistan, in Gebieten im Süden und der Mitte von Punjab und im ganzen Sindh. Große Schiitengemeinschaften fänden sich in vielen Städten in Pakistan. Der schiitische Glaube sei in Pakistan nicht auf bestimmte ethnische, sprachliche oder Stammesgruppen beschränkt. Mit Ausnahme der Hazaras ließen sich pakistanische Schiiten äußerlich oder sprachlich nicht von den pakistanischen Sunniten unterscheiden. Überall im Land seien sunnitische und schiitische Gemeinschaften im Allgemeinen gut integriert, lebten in gemischten Dörfern und heirateten auch untereinander. Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung in Pakistan sunnitisch sei, hätten Schiiten immer herausragende und machtvolle Positionen inne gehabt und Einfluss auf Struktur und Entwicklung des pakistanischen Staates genommen. Der Gründer Pakistans, Mohammed Al Jinnah, habe der schiitischen Gemeinschaft zugehört, genauso wie der politisch wohlbekannte Bhutto-Clan. Schiiten könnten Regierungsämter übernehmen und hätten hohe Ämter inne, so wie der frühere Präsident Asif Ali Zadari. Sie seien vertreten im pakistanischen Council of Islamic Ideology, dem in der Verfassung vorgesehenen Organ, das die Regierung in Fragen der islamischen Rechtsprechung und Praxis berate. Es gebe keine Gesetze oder Regierungsstrategien, die Schiiten diskriminierten. Auch werde die freie Religionsausübung der Schiiten durch kein Gesetz eingeschränkt. Es gebe wenig gesellschaftliche Diskriminierung, die Schiiten in ihrem Alltag einschränken könne. Gelegentlich komme es aber zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Gemeinschaften der Sunniten und Schiiten. Anschläge sunnitischer extremistischer Gruppen gegen die Schiitengemeinschaft hätten zahlreiche Todesopfer gefordert (EASO, Pakistan Länderüberblick, 2015, S. 108 ff.). Der UNHCR berichtet ebenfalls von konfessioneller Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen 2012 und 2015 seien 1.270 Menschen Opfer interkonfessioneller Gewalt geworden, zwischen Januar und gegen Ende November 2016 seien 24 Schiiten getötet und drei verletzt worden (UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 2017, S. 58 f.).
Bei Würdigung und Bewertung dieser Erkenntnismittel im Wege einer Gesamtschau ist das Gericht der Überzeugung, dass Schiiten allein aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit, also ohne hinzukommende persönlich-erhebliche Gefährdungsmerkmale, in Pakistan keiner hieran anknüpfenden landesweiten gruppengerichteten religiösen oder politischen Verfolgung durch extremistische Sunniten ausgesetzt sind und dementsprechend die Glaubenszugehörigkeit einer inländischen Fluchtalternative nicht entgegensteht. Eine religiöse oder politische Verfolgung von Schiiten durch die derzeitige pakistanische Regierung – in Gestalt eines staatlichen Verfolgungsprogramms – ist nach der Auskunftslage nicht ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht behauptet. Die in den Erkenntnismitteln berichteten Übergriffe durch radikale und terroristische Organisationen der mehrheitlichen Sunniten erreichen nach der Anzahl der Rechtsverletzungen im Verhältnis zur Gesamtzahl dieser Gruppe offensichtlich nicht die Schwelle, ab der eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche erhebliche Verfolgungsdichte anzunehmen wäre. Zwar ist die schiitische Bevölkerungsminderheit Terroraktionen durch sunnitische Extremisten ausgesetzt. Nach den zuvor zitierten Auskünften kann gleichwohl nicht festgestellt werden, dass für die Mehrheit der Schiiten in Pakistan eine aktuelle Gefahr eigener und persönlicher Betroffenheit besteht. Dies ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Größe der Bevölkerungsgruppe zur Anzahl der von Anschlägen betroffenen Personen. Geht man zugunsten des Klägers von dem niedrigsten genannten Anteil von 5% Schiiten von 201 Millionen Einwohnern Pakistans aus, so ist davon auszugehen, dass jedenfalls rund 10 Millionen Schiiten in Pakistan leben. Nach dem o.g. Bericht des Home Office aus 2014 – dieser enthält insoweit die höchste Opferzahl – waren im Jahr 2013 insgesamt rund 1.500 Schiiten Opfer extremistischer religiös motivierter Anschläge. Damit waren nicht einmal 0,02% der schiitischen Bevölkerungsgruppe von Anschlägen betroffen. Danach ist festzustellen, dass bei einer wertenden Betrachtungsweise nicht für jeden Schiiten in Pakistan ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Angesichts des Verhältnisses von Bevölkerungsgruppe und Übergriffen liegt nicht für jedes Gruppenmitglied im flüchtlingsrechtlichen Sinn eine aktuelle und hinreichend konkrete Gefahr, Opfer eines Anschlages zu werden, vor (vgl. auch VG Köln, U. v. 03.07.2015 – 23 K 581/14.A – juris; VG Augsburg, U.v. 22.08.2013 – Au 6 K 13.30182 – juris; VG München, U.v. 08.06.2011 – M 23 K 07.50966 – juris).“
bb. Ein Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes kommt auch deshalb nicht in Frage, weil dem Kläger eine inländische Fluchtalternative in Pakistan zur Verfügung steht, § 3e AsylG. Die Voraussetzungen einer solchen Alternative, nämlich dass der Kläger in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er in diesen Landesteil reisen, dort aufgenommen werden und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, sind erfüllt. Nach der aktuellen Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand August 2018, S. 20) können potentiell Verfolgte in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan aufgrund der dortigen Anonymität unbehelligt leben. In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.000 m², ca. 200 Mio. Einwohner) ohne funktionierendes Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines potentiellen Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an das VG Leipzig vom 15.1.2014). Besondere individuelle Ausschlussgründe sind beim Kläger, der ein junger erwerbsfähiger Mann ist, der als Maler und Elektriker bereits jahrelang seinen Lebensunterhalt verdient hat und sich – nebenbei bemerkt – vor seiner Einreise nach Deutschland jahrelang außerhalb Pakistans zurechtgefunden hat, nicht zu erkennen. Der Kläger kann sich in den großen Städten Pakistan, wo es starke schiitische Gemeinden gibt, ein hinreichend sicheres Leben als Schiit aufbauen. Dafür braucht er nicht nach Deutschland zu kommen.
b. Hinsichtlich der vom Kläger behaupteten Verfolgung wegen der Anzeige bei der Polizei und eines Haftbefehls wegen der Entführung einer Frau kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Frage.
Es fehlt bereits an einem asylerheblichen Merkmal nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, dessentwegen der Kläger vom pakistanischen Staat verfolgt sein will. Ein Haftbefehl dient wie in anderen Staaten auch der Ermittlung von Straftaten. Davor schützt das Flüchtlingsrecht nicht, auch wenn sich die strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme als ungerechtfertigt herausstellen sollte. Nur wenn strafrechtliche Maßnahmen ausschließlich für eine eigentlich bezweckte flüchtlingsrelevante Verfolgung eingesetzt und missbraucht werden, könnte sich eine andere Bewertung ergeben. Für diesen besonderen Ausnahmefall hat der Kläger im Hinblick auf die pakistanischen Polizeikräfte nichts vorgebracht. Dass nach Angaben des Klägers die Anzeige von den feindlichen Taliban im Rahmen seiner Verfolgung lanciert worden sein soll, kann dem
pakistanischen Staat nicht angelastet werden, es sei denn, die völlige Unbegründetheit des strafrechtlichen Vorwurfs wäre den staatliche Polizeikräften bekannt und sie handelten somit in vorsätzlicher Verfolgung Unschuldiger; auch dafür fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten.
2. Auch einen Anspruch auf den subsidiären Schutzstatus wegen eines mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden ernsthaften Schadens bei einer Rückkehr nach Pakistan gemäß § 4 AsylG hat die Beklagte ebenso ausführlich wie zutreffend verneint. Wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fehlt es gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3c AsylG bereits an einem Akteur im rechtlichen Sinne, auf den der befürchtete ernsthafte Schaden zurückzuführen wäre (zum Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren siehe ausführlich VG München, U.v. 15.2.2019 – M 32 K 16.35712 – juris). Ebenso zutreffend verneint das Bundesamt das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
3. Die Klage war von daher abzuweisen, und zwar, wie oben unter Ziffer 1 ausgeführt, in der qualifizierten Form als offensichtlich unbegründet. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Dieses Urteil ist unanfechtbar, § 78 Abs. 1 AsylG.


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