Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung eines Zeitsoldaten als Kriegsdienstverweigerer

Aktenzeichen  M 4 K 15.4018

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG
KDVG § 5 KDVG

 

Leitsatz

1 Voraussetzung für die Annahme einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe iSv Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG ist nicht das „Zerbrechen der Persönlichkeit“ oder der Eintritt eines „schweren seelischen Schadens“. Es genügt vielmehr eine schwere Gewissensnot des Wehrpflichtigen, die im Einzelfall zu einem seelischen Schaden führen kann, aber nicht muss (Anschluss an BVerwG NVwZ 1989, 1066). (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei Soldaten auf Zeit ist für die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung der Nachweis einer „Umkehr“ der gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe zu fordern, die nicht nur durch ein „Schlüsselerlebnis“ oder entsprechend schwerwiegende Umstände herbeigeführt werden, sondern auch das Ergebnis eines längeren Wandlungsprozesses sein kann (Anschluss an BVerwG NVwZ-RR 1989, 419). (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Vorliegen einer solchen Gewissensentscheidung lässt sich vielfach nicht in vollem Umfang beweisen. Es kann daher genügen, dass ein aufgrund aller in Betracht kommender Umstände ermittelter hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für eine solche Entscheidung spricht (Anschlsus an BVerwG BeckRS 2014, 54716). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Klagegegenstand ist die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen.
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. September 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat keinen Anspruch darauf, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO).
Nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz -GG- darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Wer aus Gewissensgründen unter Berufung auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung i. S. des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, wird gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen (Kriegsdienstverweigerungsgesetz -KDVG-) als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Nach § 5 KDVG ist eine Person auf ihren Antrag hin als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen, wenn der Antrag vollständig ist, die dargelegten Beweggründe geeignet sind, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen, und das tatsächliche Gesamtvorbringen und die dem Bundesamt bekannten sonstigen Tatsachen keine Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers begründen oder die Zweifel aufgrund einer Anhörung nach § 6 KDVG nicht mehr bestehen.
Für eine verbindliche Gewissensentscheidung müssen konkrete Anhaltspunkte festgestellt werden (BVerwG, B. v. 6.2.1978 – VI B 36.77 – BVerwGE 55, 217). Eine Gewissensentscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U. v. 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – NJW 1961, 355) jede ernste, sittliche, an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne schwere seelische Not bzw. nicht ohne ernstliche Gewissensnot handeln kann. Wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 1. Februar 1989 (BVerwG, U. v. 1.2.1989 – 6 C 61/86 – BVerwGE 81, 239) klargestellt hat, ist Voraussetzung für die Annahme einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe i. S. von Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG nicht das „Zerbrechen der Persönlichkeit“ oder der Eintritt eines „schweren seelischen Schadens“. Es genügt vielmehr eine schwere Gewissensnot des Wehrpflichtigen, die im Einzelfall zu einem seelischen Schaden führen kann, aber nicht muss. Anders als bei Wehrpflichtigen, die vor oder bei Beginn des Wehrdienstes einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellen, ist bei Soldaten auf Zeit, die den Grundwehrdienst geleistet haben, ohne einen Konflikt mit dem Gewissen zu empfinden, für die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung allerdings der Nachweis einer „Umkehr“ der gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe zu fordern. Die Umkehr kann nicht nur durch ein „Schlüsselerlebnis“ oder entsprechend schwerwiegende Umstände herbeigeführt werden, sondern kann auch das Ergebnis eines längeren Wandlungsprozesses sein (BVerwG, U. v. 2.3.1989 – 6 C 10/87 – BVerwGE 81, 294 ff.).
Das Vorliegen einer solchen Gewissensentscheidung lässt sich vielfach nicht in vollem Umfang beweisen. Es kann daher genügen, dass ein aufgrund aller in Betracht kommender Umstände ermittelter hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für eine solche Entscheidung spricht (vgl. BVerwG, U. v. 18.10.1972 – VIII C 46.72 – BVerwGE 41, 53; BVerwG, B. v. 26.6.2014 – 6 B 17/14 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11, juris Rn. 7). Kann sich das Gericht jedoch bei wohlwollender Beurteilung des Sachverhalts im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nicht dazu entschließen, das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der erforderlichen Gewissensentscheidung abschließend zu bejahen, geht dies nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zulasten des seine Anerkennung begehrenden Kriegsdienstverweigerers. Der Maßstab des dergestalt umschriebenen hohen Grades von Wahrscheinlichkeit einer Gewissensentscheidung stimmt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit demjenigen der Überzeugung, dass eine solche Entscheidung hinreichend sicher angenommen werden kann, überein. Ist dieser letztgenannte Maßstab nicht erfüllt, bestehen wiederum Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers im Sinne des § 5 Nr. 3 KDVG (BVerwG, B. v. 26.6.2014 – 6 B 17/14 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11, juris Rn. 6f.)
2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu Recht abgelehnt. Nach Würdigung aller in Betracht kommender Umstände, insbesondere aufgrund des Eindrucks, den das Gericht bei der Befragung des Klägers im Rahmen seiner Einvernahme als Partei gewonnen hat, hält es das Gericht nicht für wahrscheinlich, dass beim Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt die behauptete verbindliche Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe vorgelegen hat. Er hat eine innere Umkehr nicht glaubhaft gemacht (vgl. zum Prüfungsmaßstab BVerwG, B. v. 26.6.2014 – 6 B 17/14 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11). Die von ihm dargelegten Beweggründe für seinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer konnten die von der Beklagten angeführten Zweifel an einem inneren Wandlungsprozess im Sinne der Rechtsprechung nicht ausräumen. Die Angaben des Klägers zu seinem längeren inneren Wandlungsprozess sind teilweise auch bei wohlwollender Betrachtung nicht überzeugend. Der Kläger hat in einer Gesamtschau seiner Äußerungen die Zweifel an der Darlegung seiner Angaben, dass der Kriegsdienst an der Waffe ihm aufgrund seines katholischen Glaubens nicht (mehr) möglich sei, nicht mit dem notwendigen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgeräumt.
a) Der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung enthielt Wertungswidersprüche, die insgesamt zu Zweifeln an seiner Wahrheit führten. So betonte der Kläger in seinen schriftlichen Ausführungen, dass er Töten als falsch und nicht zu rechtfertigen einstufe und es unchristlich sei. In der mündlichen Verhandlung führte er aus, dass er zwar persönlich nicht die Waffe gegen Kämpfer des Islamischen Staates richten könne, aber auch eine andere Entscheidung akzeptiere. Wenn Töten vor Gott nicht zu rechtfertigen ist, überzeugt es das Gericht nicht, bei anderen Menschen andere Maßstäbe anzulegen als bei sich selbst, zumal der Kläger in der Begründung seines Kriegsdienstverweigerungsantrags selbst ausführte, dass christliches Leben bedeute, Bereitschaft zu zeigen und Verantwortung nicht nur für das eigene Handeln zu übernehmen.
b) Auch die Antwort des Klägers auf die Nachfrage des Gerichts, ob er sich keine Gedanken darüber gemacht habe, dass man sich durch Unterlassung schuldig machen könne, wenn man z. B. tatenlos zusähe, wie sich der Islamische Staat ausbreite und in Kämpfen Christen, Yeziden und andere Volksgruppen massakriert werden, vermochte das Gericht nicht von der Ernsthaftigkeit einer Gewissensentscheidung des Klägers zu überzeugen. Die ausweichende und am Kern der Frage vorbeigehende Antwort des Klägers, dass man auch anders tätig werden könne, indem man präventive Maßnahmen ergreife und er persönlich nicht alles Leid der Welt verhindern könne, ließen beim Gericht Zweifel an einer ernsthaften Gewissensentscheidung aufkommen. Der Kläger hat sich offensichtlich nicht mit der Problematik des Tötens durch Unterlassen bzw. der Begehung von Unrecht durch Unterlassen auseinandergesetzt. Für das Gericht stehen seine Aussagen, dass Töten nicht zu rechtfertigen sei und Gott allein entscheiden dürfe, wann ein Leben beendet werde, und die Aussage, dass man akzeptieren müsse, wenn der Islamische Staat sich ausbreite und er den Tod der Yeziden nicht verhindern könne, in einem erheblichen Widerspruch, den der Kläger nicht – jedenfalls nicht in überzeugenden Weise – erklären konnte. Auch ist es nicht überzeugend, dass der Kläger offensichtlich den katholischen Glauben als für sein Leben bestimmenden Faktor ansieht und nach seinen Angaben in die katholische Kirche als Institution eingegliedert ist, sich aber nicht mit der offiziellen Haltung der katholischen Kirche zu diesem Thema auseinandergesetzt hat. So stufte der Vatikan die Anwendung von Gewalt gegen den Islamischen Staat als notwendig ein, um einen Völkermord zu verhindern, wenn eine politische Lösung nicht möglich sei (siehe bspw. die öffentliche Berichterstattung in der Zeit vom 15.3.2015 „Papst lehnt Gewalt gegen IS nicht ab; im Spiegel vom 18.8.2014 „Papst rechtfertigt Eingreifen gegen Dschihadisten im Irak“).
c) Die Zweifel an den Angaben des Klägers wurden weiterhin dadurch untermauert, dass dem Kläger die „amoris laetitia“ kein Begriff war. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar bzw. überzeugend, dass der Kläger, der den katholischen Glauben als den sein Leben bestimmenden Faktor einstuft, das offizielle nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus zu den Themen Familie, Ehe und Sexualität aus dem Jahr 2016 – eines oder das wichtigste Schreiben des jetzigen Papstes – nicht kennt.
d) Weiterhin hegt das Gericht Zweifel aufgrund des vom Kläger geschilderten zeitlichen Ablaufs. So hat der Kläger seine strengreligiöse Freundin bereits im Sommer 2011 kennengelernt und auch bereits im Jahr 2013 seinen Zweitwohnsitz in ihre Heimat verlegt, seinen Kriegsdienstverweigerungsantrag jedoch erst im Oktober 2014 gestellt. Auch insofern konnte der Vortrag des Klägers das Gericht nicht mit der notwendig hohen Wahrscheinlichkeit von der Ernsthaftigkeit seiner Gewissensentscheidung überzeugen.
e) In der Gesamtschau konnte der Kläger die Zweifel an der Wahrheit seiner Angaben nicht ausräumen. Er hat eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe i. S. v. Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG, § 1 KDVG nicht mit dem notwendigen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit glaubhaft dargelegt. Das Gericht konnte beim Kläger keinen Wandlungsprozess feststellen, der zu einer Umkehr seiner gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst geführt hat. Eine ernste, sittliche, die ganze Persönlichkeit des Klägers ergreifende unbedingte Entscheidung gegen das Töten im Krieg hat der Kläger nach der Auffassung der Kammer nicht getroffen.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen (§ 135 VwGO i. V. m. § 10 Abs. 2 KDVG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen die Nichtzulassung der Revision steht den Beteiligten die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Die Beschwerde muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Gerichtsbescheids zu begründen. Die Begründung ist beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einzureichen. In der Begründung sind die Gründe, aus denen die Revision zuzulassen ist, darzulegen.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 bis 6 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen.
Anstelle der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
mündliche Verhandlung beantragen.
Wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt.
Allen Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 5.000,00,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2Gerichtskostengesetz – GKG -).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 19 Abs. 2 Satz 1 KDVG).


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