Verwaltungsrecht

Keine Aufenthaltserlaubnis bei Wegfallen des Aufenthaltszwecks

Aktenzeichen  B 4 K 15.634

Datum:
26.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 7 Abs. 2, § 28 Abs. 1

 

Leitsatz

Soweit eine Aufenthaltserlaubnis alleine eine eheliche Lebensgemeinschaft zum Aufenthaltszweck hat, kann diese aufgehoben werden, wenn die Ehepartner auf Dauer getrennt leben.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 29.07.2015 wird in Ziffer 1 aufgehoben, soweit darin die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich auf einen früheren Zeitpunkt als den 17.08.2015 befristet wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom ist 29.07.2015 zulässig, aber überwiegend unbegründet. Nur soweit in Ziff. 1 des Bescheids die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich auf einen früheren Zeitpunkt als den 17.08.2015 verkürzt wurde, ist der Bescheid rechtswidrig und deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, nachfolgend 1.). Bereits unzulässig ist die Klage, soweit der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis oder hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen beantragt (nachfolgend 2.).
1. Die Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 29.07.2015 hat in geringem Umfang Erfolg, soweit in Ziff. 1 die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich rückwirkend auf den 31.07.2015 verkürzt wurde (a). Die Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist (Ziffern 2 und 3) erweist sich dagegen als rechtmäßig (b).
(a) Zwar hat der Beklagte dem Grunde nach zu Recht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nachträglich die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis des Klägers verkürzt, insbesondere das ihm eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt (aa), allerdings wäre die Verkürzung nur auf den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides am 17.08.2015 rechtmäßig gewesen und nicht rückwirkend auf das im Bescheid genannte Datum 31.07.2015 (bb).
(aa) Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen. Ist eine für die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wesentliche Voraussetzung entfallen, so kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden (§ 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sind das Interesse des Ausländers, bis zum Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Beendigung eines materiell rechtswidrig gewordenen Aufenthalts gegeneinander abzuwägen. Keine Bedeutung für die Ermessensentscheidung hat dabei das Interesse des Ausländers an einem Verbleib in Deutschland über die reguläre ursprüngliche Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis hinaus. Dieses Interesse ist erst im Rahmen der Prüfung eines anschließenden Aufenthaltsrechts zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 09.06.2009 – 1 C 11/08 – BVerwGE 134, 124/129. = NVwZ 2009, 1432/1434 jew. Rn. 15). Wird die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis auf den Zeitpunkt der Zustellung des Befristungsbescheides verkürzt, ist dieser Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich, wenn er vor der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts liegt (BVerwG, B. v. 22.05.2013 – 1 B 25/12 – BayVBl 2014, 56/57, Rn. 6).
Nachdem der Kläger und seine Ehefrau nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten seit 11.12.2014 auf Dauer getrennt leben, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entfallen und damit die tatbestandliche Voraussetzung für die nachträgliche Verkürzung erfüllt. Denn die Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet war der Aufenthaltszweck, aufgrund dessen dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis erteilt und einmal verlängert worden war.
Der Beklagte hat das ihm durch § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen gemäß Art. 40 BayVwVfG dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechend ausgeübt und in nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des rechtswidrig gewordenen Aufenthalts das Interesse des Klägers, bis zum Ablauf der Gültigkeit seiner Aufenthaltserlaubnis am 01.10.2016 in Deutschland zu bleiben, überwiegt.
Zu Recht hat der Beklagte dabei darauf abgestellt, dass der Kläger sich ohne die Ende Juli 2015 nachträglich erfolgte Befristung bis Anfang Oktober 2016 mit Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet hätte aufhalten dürfen, obwohl die eheliche Lebensgemeinschaft bereits seit Mitte Dezember 2014 aufgehoben war. Demgegenüber hat der Kläger keine gewichtigen Gründe für einen vorläufigen Verbleib in Deutschland vorgetragen. Die nachträgliche Verkürzung wahrt auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem bei Erlass des Bescheides knapp 26 Jahre alten Kläger, der sich damals erst drei Jahre im Bundesgebiet aufhielt, schlecht Deutsch spricht und keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, ist es nach dem Scheitern seiner Ehe zuzumuten, baldmöglichst in sein Heimatland zurückzukehren. Im Kosovo, wo seine Eltern und weitere Verwandte leben, hat er sich weitaus die längste Zeit seines Lebens aufgehalten, so dass einer raschen Wiedereingliederung in die dortigen Verhältnisse nichts entgegensteht.
Außer Betracht zu bleiben hat die vom Kläger geltend gemachte dauerhafte, jedoch nicht lebensbedrohliche Erkrankung, die nach seinen Angaben im Kosovo nicht sachgerecht behandelt werden kann. Sie wurde erst im August 2015 diagnostiziert und dem Beklagten erst durch die Klageschrift vom 16.09.2015 bekannt. Damit wurde dieser Umstand erst nach der Zustellung des Verkürzungsbescheides in das ausländerrechtliche Verfahren eingeführt und ist deshalb erst im Rahmen der vom Beklagten noch zu treffenden Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 oder § 25 Abs. 5 AufenthG zu berücksichtigen.
An der ordnungsgemäßen Ermessensentscheidung ändert es nichts, dass der Beklagte überflüssigerweise geprüft hat, ob der Kläger nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug als eigenständiges Aufenthaltsrecht hat.
(bb) Die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis durfte allerdings frühestens auf den 17.08.2015 und nicht auf den 31.07.2015 verkürzt werden. Da der Bescheid vom 29.07.2015 dem früheren Verfahrensbevollmächtigten erst am 17.08.2015 zuging, wurde damit ein Ende der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis festgelegt, das vor der Zustellung des Bescheides lag. Ein Eingriff in den Bestand einer Aufenthaltserlaubnis in der Vergangenheit ist nur durch einen Widerruf des Aufenthaltstitels zulässig, sofern die dafür in § 52 AufenthG abschließend aufgeführten Voraussetzungen vorliegen (OVG Bremen, B. v. 02.02.2010 – 1 B 366/09 – InfAuslR 2010, 193/195; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 7 AufenthG Rn. 46; Ziff. 7.2.2.4 AllgVwVAufenthG).
b) Die Abschiebungsandrohung unter Bestimmung einer Ausreisefrist (Ziffern 2 und 3 des Bescheides) ist rechtmäßig.
Der Erlass einer Abschiebungsandrohung, die die Funktion hat, die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form einer Abschiebung dem Ausländer anzukündigen und rechtlich zu ermöglichen, ist nur zulässig, wenn der Ausländer ausreisepflichtig ist. Keine Ausreisepflicht besteht insbesondere dann, wenn der Aufenthalt des Ausländers kraft Gesetzes gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorläufig erlaubt ist (Bauer in Bergmann/Dienelt, a.a.O. § 50 AufenthG Rn. 3). Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt.
Ein solcher rechtzeitig gestellter Antrag liegt jedoch nicht vor.
(aa) Aufgrund des Schreibens seines Bevollmächtigten vom 10.06.2015 entstand keine Fortgeltungswirkung, weil darin kein Antrag auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu sehen ist.
Wird ein Ausländer im Rahmen der beabsichtigten Fristverkürzung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug angehört, wird in seinem Vorbringen regelmäßig ein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG oder auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen zu sehen sein (BVerwG, U. v. 09.06.2009 -BVerwGE 134, 124/129 = NVwZ 2009, 1432/1433 jew. Rn.14). Ausnahmsweise kann das Vorbringen unter Berücksichtigung aller der Ausländerbehörde erkennbaren Umstände und der Mitwirkungspflichten des Ausländers objektiv betrachtet nicht als Antrag zu verstehen sein, weil die Erklärung kein Begehren nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einem bestimmten Aufenthalt im Bundesgebiet erkennen lässt ( BayVGH, B. v. 07.06.2016 – 19 ZB 15.737 – juris Rn. 13; Sußmann in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 43).
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist das vom damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Klägers verfasste Schreiben im Rahmen der Anhörung nicht als Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug als eigenständiges Aufenthaltsrecht zu verstehen. Denn darin kommt mit keinem Wort zum Ausdruck, dass der Kläger nach der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft weiterhin zumindest für ein Jahr in Deutschland bleiben will. Auf die Frage, ob ein Härtefall vorliegt, so dass vom dreijährigen Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft abzusehen ist, wird ebenfalls nicht eingegangen. Stattdessen wird der ausdrücklich als aufenthaltsrechtlich nicht relevant bezeichnete Hintergrund der ehelichen Auseinandersetzung geschildert. Auch eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Aufenthaltszweck wird mit dem Schreiben nicht begehrt.
(bb) Auch der am 15.09.2016 beim Beklagten gestellte Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ließ keine Fortgeltungswirkung entstehen.
Die Fortgeltungswirkung aufgrund § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG tritt nur ein, wenn die Verlängerung eines wirksam bestehenden Aufenthaltstitels beantragt wird (VG München, B. v. 20.09.2005 – M 23 S. 05.2470 – juris Rn. 30; zustimmend Hailbronner, Ausländerrecht, Stand April 2016, § 81 AufenthG Rn. 35, 35a).
Als die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 15.09.2016 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragte, war die Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Verkürzung ihrer Geltungsdauer ab dem 17.08.2015 abgelaufen und damit gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erloschen. Daran ändert nichts, dass die Klage gegen den Bescheid vom 29.07.2015 aufschiebende Wirkung entfaltet. Denn die Klage lässt unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit des Bescheides als sonstigem Verwaltungsakt, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet und die Ausreisepflicht herbeiführt, unberührt (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
2. Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 8 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG oder § 31 Abs. 1 AufenthG bzw. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt.
Eine Verpflichtungsklage ist grundsätzlich nur zulässig, wenn zuvor erfolglos im Verwaltungsverfahren ein Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsaktes gestellt wurde. Nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung ist es zunächst Sache der Verwaltung, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden. Außerdem geht auch § 68 Abs. 2 VwGO davon aus, dass vor der Erhebung einer Verpflichtungsklage ein Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes abgelehnt worden ist (BVerwG, U. v. 28.11.2007 – 6 C 42/06 – BVerwGE 130, 39/46 = NVwZ 2008, 575/577 jew. Rn. 23).
Der Kläger hat zwar in der Klagebegründung vom 16.09.2015 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG begehrt und im Schriftsatz vom 26.01.2016 geltend gemacht, es sei ihm zumindest eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Zudem hat sich der Beklagte im Klageverfahren zur Sache eingelassen. Den erforderlichen Antrag bei der Behörde hat der Kläger dagegen erst mit Schreiben vom 15.09.2016 gestellt. Da der Antrag jedoch bereits vor der Klageerhebung gestellt worden sein muss, wird weder durch das Vorbringen im Klageverfahren, auf das sich der Beklagte in der Sache eingelassen hat, noch durch den während des anhängigen Klageverfahrens beim Beklagten gestellten Antrag das Fehlen des Antrages geheilt, so dass an einer Zugangsvoraussetzung für die Klage fehlt (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rn. 6).
An der sich daraus ergebenden Unzulässigkeit ändert nichts, dass der Beklagte in den sechs Wochen seit Stellung des Antrages noch nicht darüber entschieden hat. Denn die Klage ist auch als Untätigkeitsklage nicht zulässig, weil seit dem Antrag nicht bereits drei Monate vergangen sind und nicht wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist für die Klageerhebung als frühestens drei Monate nach der Vornahme des Antrags geboten ist (§ 75 Satz 2 VwGO).
II.
Der Kläger trägt gemäß § 154 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Kosten werden ihm ganz auferlegt, weil der Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlag, indem er die ursprünglich bis 01.10.2016 geltende Aufenthaltserlaubnis nachträglich auf den 31.07.2015 statt auf den 17.08.2015 befristete (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 VwGO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es wegen der allenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht.


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