Verwaltungsrecht

Keine Aussetzung der Abschiebung für einen wegen IS-Unterstützung ausgewiesenen faktischen Inländer

Aktenzeichen  M 12 E 16.5403

Datum:
19.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Einem faktischen Inländer kann bei Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere im Hinblick auf die von ihm ausgehende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter, eine Rückkehr in sein Heimatland (hier: Mazedonien) zumutbar sein. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 1.250,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist mazedonischer Staatsangehöriger und wurde am … in München geboren. Am 25. September 2007 wurde ihm eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Derzeit lebt der Antragsteller mit seiner Mutter in …
Aufgrund von Mitteilungen des Polizeipräsidiums …, wonach Tatsachen vorlägen, die die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass der Antragsteller die terroristischen Vereinigungen „Islamischer Staat“ und „Al Qaida“ unterstütze, hat die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Bescheid vom 17. November 2016 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1 des Bescheids) und die Wirkungsdauer der Sperrwirkungen der Ausweisungsverfügung auf sieben Jahre befristet (Nr. 2 des Bescheids). Dem Antragsteller wurde eine Ausreisefrist bis zum 14. Dezember 2016 gesetzt. Für den Fall der nichtfristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Mazedonien oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 3 des Bescheids). Der Antragsteller wurde verpflichtet, sich am 15. Dezember 2016 bis 12.00 Uhr in die Gemeinschaftsunterkunft in …, …, zu begeben, dort seinen Wohnsitz zu nehmen und bis zu seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet in der Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen (Nr. 4 des Bescheids). Der Aufenthalt des Antragstellers wurde ab 15. Dezember 2016 auf das Gemeindegebiet … beschränkt (Nr. 5 des Bescheids). Der Antragsteller wurde verpflichtet, sich ab 15. Dezember 2016 einmal täglich zwischen 10.00 Uhr und 12.00 Uhr unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapieres bei der zuständigen Polizeiinspektion in …, …, zu melden (Nr. 6 des Bescheids) sowie mit sofortiger Wirkung bis zur Ausreise EDV-gestützte Kommunikationsmittel, Mobiltelefone aller Art, öffentliche und private Fernsprecher aller Art und Faxgeräte aller Art nicht zu nutzen (Nr. 7 des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1, 5 und 6 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 8 des Bescheids). Für den Fall, dass der Antragsteller der Verpflichtung aus Nr. 4 des Bescheids nicht freiwillig nachkommt, wurde unmittelbarer Zwang angedroht (Nr. 9 des Bescheids). Für den Fall, dass der Antragsteller gegen Nrn. 5, 6 oder 7 verstößt, wurde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von Euro 200,- festgesetzt (Nr. 10 bis 12 des Bescheids).
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom … November 2016, bei Gericht am 30. November 2016 eingegangen, hat der Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. November 2016 aufzuheben.
Gleichzeitig hat er beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsanordnung, die Aufenthaltsbeschränkung und die Meldepflicht im Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. November 2016 anzuordnen und
der Antragsgegnerin aufzugeben, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Ausweisung des Antragstellers sei mindestens unverhältnismäßig, da sein Bleibeinteresse bei der Abwägung nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Eine Ausweisung sei auch nicht erforderlich, da für ihn als faktischen Inländer auch andere, mindestens gleich geeignete Mittel zur Verfügung stünden. Der Antragsteller sei 25 Jahre alt, in München geboren und hier aufgewachsen. Er sei Inhaber einer Niederlassungserlaubnis. Er habe in … die Schule besucht und diese mit einem Volksschulabschluss abgeschlossen. Anschließend habe er eine Berufsschule und die …schule „…“ besucht. Der Antragsteller habe keine Angehörigen oder Freunde in Mazedonien und sei der mazedonischen Sprache nicht fähig. Er habe sein gesamtes bisheriges Leben in Deutschland verbracht und sei hier gut integriert. Er sei in Deutschland sozial, familiär und wirtschaftlich tief verwurzelt. Er wohne mit seiner Mutter zusammen und arbeite in Vollzeit; er sei auch davor immer beruflich tätig gewesen. Er sei deshalb nie Empfänger von Sozialleistungen gewesen. Der Antragsteller sei damit als faktischer Inländer zu bezeichnen, da sein Aufwachsen und Leben von einem Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit nicht zu unterscheiden sei. Es liege schon kein Gefährden der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik vor. Der Antragsteller habe 25 Jahre lang ein straffreies Leben geführt. Der Erlass des Strafbefehls aufgrund des Verstoßes gegen Verbote nach dem Vereinsgesetz stelle die erste Auffälligkeit des Antragstellers dar. Der Antragsteller habe bei seiner polizeilichen Vernehmung bereits angegeben, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass das Zeigen der Flagge, die auch der Islamische Staat verwende, und diese Vereinigung selbst verboten seien. Er verwende die Fahne nur, weil darauf sein Glaubensbekenntnis stehe. Sie stelle für ihn seine Gottesfahne dar. Wenn auf der Fahne noch etwas vom IS oder ähnliches gestanden hätte, hätte er sie nicht verwendet. Ihm gehe es bei dem Verwenden des Bildes nur um das Bekenntnis seines Glaubens und nicht um eine Provokation oder um ein Bekenntnis zum IS. Auch die weiter aufgeführten, durch den Antragsteller versendeten Bilder über Whatsapp oder Facebook könnten ein Gefährden der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik nicht begründen. Insbesondere das junge, jugendliche Alter des Antragstellers sei dabei zu berücksichtigen. Unter Jugendlichen würden allerhand Fotos, Videos oder Sprüche über soziale Netzwerke und Medien verbreitet. Durch das Posten von Bildern wollten sich Jugendliche Aufmerksamkeit und Anerkennung bei ihren Freunden und Bekannten einholen. Darunter sei auch das Veröffentlichen der Bilder des Antragstellers zu sehen. Insbesondere durch grenzüberschreitende Bilder oder Sprüche solle eine Aufmerksamkeit bei Freunden erreicht werden. Die Verbreitung und die Teilhabe an den auf Facebook veröffentlichten Bildern des Antragstellers sei nicht groß gewesen. Meist hätten weniger als fünf Personen das Bild geliked oder geteilt. Mehr als zehn Personen seien es nie gewesen. Damit sei die Wirkung der veröffentlichten Bilder minimal gewesen. Das Veröffentlichen und Verbreiten dieser Bilder und Sprüche sei auf einen aufgrund seines jugendlichen Alters bestehenden Leichtsinn und ein vorschnelles und unüberlegtes Handeln zurückzuführen. Dem Antragsteller sei aufgrund des Strafbefehls bewusst geworden, dass sein Handeln die Grenze des Erlaubten überschritten habe und unangemessen sei. Er habe bereits von solchen Dingen Abstand genommen. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller nach eigener Aussage die deutschen Werte anerkenne. Dies sei ersichtlich, da er in der Vergangenheit nicht auffällig geworden sei. Er lehne auch jede Art von Gewalt gegenüber Zivilisten ab, egal in welchem Zusammenhang. Deshalb lehne er den IS ab, halte ihn nicht für einen rechtmäßigen Staat und könne die Gräueltaten in keiner Weise gutheißen. Die im Bescheid genannten Personen, zu denen der Antragsteller Kontakt gehabt haben solle, habe er teilweise bei dem Besuch von Moscheen kennengelernt. Zu allen genannten Personen habe er schon länger keinen Kontakt mehr. Sobald er bemerkt habe, dass diese Leute verherrlichende Ansichten und damit eine andere Einstellung hätten als er selbst, habe er den Kontakt sofort abgebrochen, weil er damit nichts zu tun haben wolle. Auch mit dem „…-Projekt“, wozu er lediglich zweimal Kontakt gehabt habe, habe er schon länger nichts mehr zu tun. Weiter interessiere sich der Antragsteller für die Rechtswissenschaft der Gelehrten. Aufgrund dessen habe er sich auch darüber informiert, welche Argumente von diesen, auch für extreme Ansichten, vorgebracht werden. Dadurch habe er sich alleine Wissen darüber aneigenen wollen. Damit könne jedoch noch kein Befürworten oder Unterstützen dieser Ansichten angenommen werden. Da der Antragsteller faktischer Inländer sei, solle er auch bei den Konsequenzen seines Verhaltens als solcher behandelt werden. Probleme, die in Deutschland entstanden seien, könnten am effektivsten in Deutschland gelöst werden. Nachdem er keine Kontakte in Mazedonien habe und der Sprache nicht mächtig sei, seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, wie dort eine Integration möglich sein könne.
Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2016 hat die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es mangele an einen Anordnungsanspruch gem. § 123 Abs. 1 VwGO. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise stünden der geplanten, aber noch nicht konkret terminierten Abschiebung keine Hinderungsgründe entgegen. Der Antragsteller habe insoweit keine Umstände geltend gemacht noch seien solche ersichtlich.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsanordnung, die Aufenthaltsbeschränkung und die Meldepflicht im Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. November 2016 anzuordnen, wurde mit Beschluss des Gerichts vom 14. Dezember 2016 (Az. M 12 S 16.5400) abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird die auf Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, nach § 920 Abs. 2 i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung und damit in der Folge auf eine entsprechende Mitteilung gegenüber der Ausländerbehörde des Landratsamtes … glaubhaft gemacht.
Gem. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Derartige Gründe sind vorliegend nicht ersichtlich.
Insbesondere ergibt sich aus Art. 8 EMRK kein rechtliches Abschiebungshindernis. Gem. Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Der Antragsteller ist zwar faktischer Inländer. Dem Antragsteller ist bei Abwägung der Gesamtumstände und insbesondere im Hinblick auf die von ihm ausgehende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter aber eine Rückkehr nach Mazedonien zumutbar. Er ist volljährig, unverheiratet und kinderlos, so dass der Aufbau einer neuen Existenz in Mazedonien möglich und zumutbar erscheint. Zwar soll der Antragsteller nach Angaben seines Bevollmächtigten die mazedonische Sprache nicht sprechen. Das Gericht geht demgegenüber jedoch davon aus, dass der Antragsteller durchaus Kenntnisse der mazedonischen Sprache hat. Hierfür spricht, dass er bei seiner Mutter aufgewachsen ist, die ebenfalls mazedonische Staatsangehörige ist, so dass davon ausgegangen werden kann, dass ihm diese entsprechende Kenntnisse vermittelt hat. Dies wird auch belegt durch die Mitteilung des Polizeipräsidiums … vom … Januar 2016 (Bl. 360 der Behördenakte), aus der hervorgeht, dass sich der Antragsteller während einer Durchsuchung mit seiner Mutter nicht auf Deutsch, sondern vermutlich auf Mazedonisch unterhalten hat. Dem Antragsteller ist es zumutbar, diese vorhandenen Sprachkenntnisse ggf. weiter auszubauen. Die Mutter des Antragstellers ist auch nicht auf dessen Unterstützung angewiesen. Vielmehr lebt der Antragsteller in der Wohnung seiner Mutter. Umgekehrt ist der Antragsteller als erwachsener junger und gesunder Mann aber auch nicht mehr auf die Unterstützung seiner Mutter angewiesen. Kontakt mit seiner Mutter ist angesichts der überschaubaren Entfernung sowohl durch Besuche der Mutter in Mazedonien als auch über Fernkommunikationsmittel möglich. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 14. Dezember 2016 (Az. M 12 S 16.5400) verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG, Nr. 8.3 und 1.5 Streitwertkatalog.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben