Verwaltungsrecht

Keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr eines Apostaten bei Rückkehr in den Iran

Aktenzeichen  W 8 K 19.31960

Datum:
2.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 316
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1, § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 25, § 77 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 60
RL2011/95/EU Art. 10

 

Leitsatz

1. Relevant für die Gefahr einer Verfolgung von Apostaten im Iran ist, dass Aktivitäten nach außen hin erfolgen, wie z.B. eine Missionierung oder eine Unterrichtung anderer Personen im Glauben. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. An die Annahme einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie bzw. wegen Atheismus sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als bei einer Konversion. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zur Konversion vom Islam zum Christentum können grundsätzlich auch auf Personen übertragen werden, die vom Islam abgefallen sind, ohne sich einer anderen Religion zuzuwenden (BayVGH, B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930, BeckRS 2019, 1012). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln sowie mit der einschlägigen Rechtsprechung.
In der Sache ist das Gericht zum gegenwärtigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht davon überzeugt, dass bei dem Kläger im Iran die begründete Gefahr (politischer) Verfolgung bestand bzw. besteht oder ihm sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe (vgl. dazu Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG).
Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründen in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand oder besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Gericht legt bei seiner Beurteilung die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisse zugrunde, die sich zusammengefasst im Wesentlichen wie folgt skizzieren lassen:
Im Iran kann – ebenso wie eine Konversion zu einer anderen Religion – auch schon der schlichte Abfall vom Glauben zu Verfolgungsmaßnahmen führen, wenn es zu öffentlichen Äußerungen bzw. insbesondere zur Missionstätigkeit kommt. Denn die Behörden zwingen im Iran allen Glaubensrichtungen einen Kodex für das Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen “Apostasie” (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden, auch wenn es nicht ausdrücklich im Strafgesetzbuch so verlautbart ist. Zumeist erfolgt aber nicht die Bestrafung wegen Apostasie, sondern aufgrund anderer Delikte. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie selten. Bei keiner Hinrichtung in den letzten zehn Jahren hat es Hinweise darauf gegeben, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund gewesen ist. Aber gerade eine Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Trotzdem konvertieren offenbar zahlreiche Menschen zum Christentum, wobei eine Konversion und ein anonymes Leben nicht allein zu einer Verhaftung führen. Relevant ist aber, wenn Aktivitäten nach außen hin erfolgen, wie z.B. eine Missionierung oder eine Unterrichtung anderer Personen im Glauben. Wenn eine Person aber nicht missioniert und auch nicht für ihre Auffassung wirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über sie Bescheid wissen. Ohne Außenaktivitäten besteht seitens der Behörden auch kein Interesse an einer Verfolgung (BFA, Bundesamt für Fremdwesen und Asyl Republik Österreich, Länderinformation bei der Staatendokumentation Iran vom 14.6.2019, S. 43 ff. und 46 ff. mit weiteren Nachweisen).
Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes drohen insbesondere bei jeglicher Missionstätigkeit Verfolgung und schwerste Sanktionen bis hin zur Todesstrafe. Gleichwohl geht die Zahl von Konvertiten im Iran mittlerweile in die Hunderttausende (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 12.1.2019, Stand: November 2018, S. 12 und 14).
Nach Aussage der Schweizerischen Flüchtlingshilfe droht eine Todesstrafe insbesondere für die Missionierung von muslimischen Personen. Zwar deutet der Koran nicht auf die Bestrafung von Apostasie hin, jedoch ist sich die Mehrheit der islamischen Rechtsgelehrten einig, dass Apostasie mit dem Tod bestraft ist. Das Risiko ist aber abhängig vom Grad der Religiosität und auch von der Verbindung von der Familie etwa zu Behörden. Eine Gefährdung besteht insbesondere, wenn die Apostasie oder auch die Konversion den Behörden bekannt ist oder sonst entdeckt wird. Dies ist vor allem der Fall, wenn eine Person ihren Glauben öffentlich ausübt, wobei es für Rückkehrende durchaus schwierig sein kann, ihre Auffassung geheim zu halten, so dass das Umfeld Veränderungen nicht bemerkt. Infolgedessen könnte eine Gefährdung auch gegeben sein, wenn eine Person nicht aktiv missioniert, da sie aus Sicht der Behörden insbesondere eine Bedrohung darstellt, da sie den Glauben – den schiitischen Glauben – verlassen hat. Die Gefährdung ist aber insgesamt von verschiedenen Faktoren abhängig, wie die aktive und offene Äußerung des Glaubens bzw. der Abkehr vom Islam, die Äußerung in sozialen Medien, die Kenntnis der iranischen Behörden vor der Abreise und die Verbindung von Angehörigen oder Bekannten zum iranischen Staat (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Gefährdung von Konvertierten vom 7.6.2018 mit weiteren Nachweisen).
Nach einer Darlegung von ACCORD unter Bezugnahme auf amnesty international sind keine Fälle von Personen bekannt, die sich im Iran öffentlich zum Atheismus bekannt hätten. Demnach lägen auch keine Referenzfälle von Personen vor, die aufgrund ihrer Bekenntnis zum Atheismus Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Gerichtsprozesse wegen Apostasie seien ein seltenes Phänomen (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran: Rechtslage für AtheistInnen, Strafbarkeit bzw. Bestrafung von Abfall vom Islam, vom 25.3.2015).
Unter Gesamtwürdigung insbesondere der vorstehenden Erkenntnisse kann es nach Überzeugung des Gerichts – je nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalles – bei entsprechendem Verhalten mit Außenwirkung, das ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates erweckt, zu Repressalien gegenüber Atheisten bzw. ab Apostaten im Iran kommen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gelangt – auch konkret bezogen auf den Iran – zu der Auffassung, dass die Berufung auf die negative Religionsfreiheit nur dann eingeschränkt sein könnte, wenn diese bei einer Rückkehr in asylrechtlich relevanter Weise eingeschränkt wäre, was eine schwerwiegende Verletzung dieser Freiheit erfordert. An die Annahme einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie (ohne Aufnahme eines neuen Glaubens) bzw. wegen Atheismus sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als bei einer Apostasie (unter Aufnahme eines neuen Glaubens), also bei einem Glaubenswechsel. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zur Konversion vom Islam zum Christentum können grundsätzlich auch auf Personen übertragen werden, die vom Islam abgefallen sind, ohne sich einer anderen Religion zuzuwenden. Dementsprechend kommt es für die Frage einer Verfolgungsgefahr im Iran wegen Apostasie (ohne Aufnahme eines neuen Glaubens) bzw. Atheismus maßgeblich darauf an, ob die vom Glauben abgefallene Person ihre Religionslosigkeit für sich selbst als verpflichtend empfindet, um ihre nicht-religiöse Identität zu wahren, und deshalb im Falle ihrer Rückkehr in den Iran davon auszugehen ist, dass sie ihre Religionslosigkeit – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – aktiv im Iran ausüben oder nur erzwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf die allein entsprechende Lebensform verzichten wird. Die Entscheidung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Gerichts gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930 – juris Rn. 15 f m.w.N.).
Ausgehend von der Erkenntnislage und unter Zugrundelegung der soeben zitierten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran wegen seiner Apostasie und seines Atheismus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder Bestrafung droht. Denn erforderlich wäre, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran das Bedürfnis hat, seine Religionslosigkeit und die damit verbundene Abkehr vom Islam als prägenden Bestandteil seiner Lebensauffassung aktiv und mit Öffentlichkeitswirkung auszuüben. Daran fehlt es. Der Kläger müsste – genauso wie in der Vergangenheit – nicht auf die Ausübung der seiner Vorstellung entsprechenden Lebensform verzichten. Das Gericht hält es für möglich, dass der Kläger – etwa in der Anonymität einer Großstadt bzw. auch wieder in seiner Familie – leben und arbeiten könnte – genauso wie viele andere Iraner und Iranerinnen -, ohne streng religiösen Maßstäben folgend islamischen Rituale einhalten und ohne aufzufallen zu müssen. Der Kläger hat nicht vorgebracht, entsprechend seiner Lebensauffassung ein dauerhaft prägendes, zwingendes Bedürfnis zu haben, sein atheistisches Selbstverständnis aktiv nach außen mitteilen zu müssen.
Der Kläger erklärte zwar, man könne sich im Iran nicht frei entscheiden, sondern müsse zunächst am Islam teilnehmen. Der Islam sei eine geänderte, zusammengebastelte Religion, eine Waffe. Sie würde missbraucht. Man könne im Islam nicht frei leben. Der Kläger erklärte aber auch ausdrücklich auf Frage des Gerichts, dass der Hauptgrund für seine Glaubensentscheidung sein Vater gewesen sei, der ihn unterdrückt und ihn aufgefordert habe, in die Moschee zu gehen und zum Ramadan (Fasten). Er habe Angst gehabt; der Vater habe ihm gedroht. Er wisse aber nicht, ob der Vater dies ernst gemeint habe. Der Kläger verwies weiter auf seine Probleme in der Schule. Man habe ihm mit dem Rauswurf aus der Schule gedroht und Punkte abgezogen, wenn er gesagt habe, er sei nicht gläubig. Auch habe er bei der Jobsuche schon einmal Probleme bekommen. Aber der Kläger erklärte auch ausdrücklich, dass er so mit staatlichen Stellen noch keine Probleme gehabt habe. Der Kläger fügte weiter an, dass der wahre Grund, wieso er die Schule nicht fortgesetzt habe, gewesen sei, dass er habe ausreisen und hierher nach Deutschland habe kommen wollen. Die Initiative sei von seiner Mutter ausgegangen.
Der Kläger erklärte weiter, er glaube an keinen Gott oder ein höheres Wesen und an keine Religion; er glaube aber an die Menschheit. Man müsse Respekt vor anderen haben. Man müsse diese nicht akzeptieren, aber man müsse mit den anderen verhandeln und respektvoll miteinander umgehen. Man solle zu Lebzeiten ein ruhiges Leben führen und mit seinen Taten niemanden schaden. Auch nach dem Tod glaube er nicht an einen Geist. Er gehe wieder zurück in die Natur. Er habe bei seiner Weltauffassung keine Rituale. Er wolle wie die anderen ganz normal, arbeiten gehen, nach Hause kommen. Das sei seine Lebensanschauung, so wie er lebe.
Der Kläger führte weiter ausdrücklich aus, dass er andere nicht missionieren wolle. Er werde mit anderen bei Gelegenheit über seine Anschauung reden. Die sollten sich selbst entscheiden. In Deutschland habe er mit anderen Moslems diskutiert, aber Streit hätten sie nicht gehabt. Er habe schon im Iran guten Freunden und auch der Familie von seiner Lebensauffassung erzählt und von seiner Abkehr vom Islam, aber er habe es natürlich nicht überall erzählt. Fünf seiner Freunde sowie neben Eltern und Geschwistern würde auch drei Onkel und Tanten Bescheid wissen. Mit den Freunden habe es keine Probleme gegeben, auch mit den Onkeln und Tanten gebe es keine Probleme. Sie hätten seine Auffassung nicht gemocht, aber sie hätten sich nicht dazu geäußert. Mutter und Schwester seien ebenfalls damit klargekommen, aber sowohl der Vater als auch der Bruder seien nicht damit klargekommen.
Auf Frage des Gerichts, was das schlimmste Erlebnis im Iran gewesen sei, erklärt der Kläger, dass der Schulleiter, als er, der Kläger, einmal Probleme mit einem anderen Schüler gehabt habe, ihn als schuldig bezeichnet, befristet von der Schule ausgeschlossen und Punkte in der Note abgezogen habe.
Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass es dem Kläger zuzumuten ist, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Er könnte dort, wie auch in der Vergangenheit, leben, ohne dass er auf die seiner Vorstellung entsprechende Lebensform verzichten müsste und ohne dass ihm deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohen müsste.
Vor diesem Hintergrund sieht es das Gericht auch nicht als beachtlich wahrscheinlich an, dass dem Kläger Bestrafung droht, weil womöglich drei Zeugen bezeugen könnten, dass er ungläubig sei bzw. dass es anderen erlaubt sei, ihn jederzeit umzubringen. Diese theoretische Möglichkeit ist jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich.
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen ihres Auslandsaufenthalts oder ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Zwar kann es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen; die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Darüber hinaus kommt es jedoch zu keinen staatlichen Repressionen. Keiner westlichen Botschaft ist bisher ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren. Zudem wurde auch kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Zurzeit gibt es keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis. Schließlich können Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Mit dieser “gesetzlichen Wiedereinreise” werden die früheren illegalen Ausreisen legalisiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 12.1.2019, Stand: November 2018, S. 24 ff.) Vorstehendes gilt auch in Bezug auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. März 2010 (R.C./Sweden, Nr. 41827/07). Denn die dort entschiedene Fallkonstellation ist nicht mit der hier vorliegenden vergleichbar, weil der Europäische Gerichtshof in jenem Fall seiner Beurteilung eine Vorverfolgung (Demonstrationsteilnahme mit anschließender Verhaftung und Folter) als substanziiert glaubhaft gemacht zugrunde gelegt hat (OVG NRW, B.v. 10.2.2017 – 13 A 293/17.A – juris; B.v. 16.6.2011 – 13 A 1188/11. A – Asylmagazin 2011, 246; VGH BW, U.v. 15.4.2015 – A 3 S 1459/13 – juris; SächsOVG, U.v. 14.1.2014 – A 2 A 911/11 – juris; BayVGH, B.v. 25.2.2013 – 14 ZB 13.30023 – juris; B. v. 21.1.2013 – 14 ZB 12.30456 – juris; NdsOVG, B.v. 13.5.2011 – 13 LA 176/10 – AuAS 2011, 174).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, ist ergänzend noch anzumerken, dass realistischerweise nicht anzunehmen ist, dass der Kläger tatsächlich vor Erreichen der Volljährigkeit abgeschoben wird. Abgesehen davon, dass der Kläger in wenigen Tagen 18 Jahre alt wird, müsste die Behörde ohnehin die Vorgaben des § 58 Abs. 1 AufenthG berücksichtigen. Nach Erreichen der Volljährigkeit könnte der Kläger theoretisch mit Hinweis auf die Änderung der Sach- und Rechtslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Folgeantrag stellen (vgl. zum Ganzen etwa auch Hocks in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 58 AufenthG Rn. 29).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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