Verwaltungsrecht

Keine drohende Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur pakistanischen Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft

Aktenzeichen  M 5 K 16.36335

Datum:
13.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5813
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 3e Abs. 1

 

Leitsatz

1 In Pakistan gibt es keine Gruppenverfolgung der Ahmadi. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft besteht insbes. in Rabwah (Chenab Nagar), dem spirituelle Zentrum der Ahmadis, interner Schutz, da 95% der dort lebenden Einwohner Ahmadis sind. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.
1. Die Klägerin hat kein Verfolgungs- oder Lebensschicksal geschildert, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde.
Für die Anerkennung politischer Verfolgung auf Grund im Heimatland drohender religiöser Verfolgung ist maßgeblich, dass die Asylbewerberin eine bestimmte Glaubensbetätigung lebt und ihr deshalb Verfolgung oder erhebliche Diskriminierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (siehe hierzu etwa BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 6 ZB 18.32614; B.v. 9.11.2017 – 9 ZB 17.30771 – juris; B.v. 10.1.2019 – 6 ZB 19.30104). Die Asylbewerberin muss darlegen, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für sie persönlich nach ihrem Glaubensverständnis ein zentrales Element ihrer religiösen Identität bildet und in diesem Sinne unverzichtbar ist (BayVGH a.a.O.; vgl. auch BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – juris Rn. 11). Die Tatsache, dass sie die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um ihre religiöse Identität zu wahren, muss die Asylbewerberin zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BayVGH a.a.O.; BVerwG, u.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 30; vgl. zum Ganzen auch VG München, U.v. 21.9.2017 – M 1 K 16.35606 – juris Rn.12). Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass bei der Klägerin eine derartige öffentlichkeitswirksame Religionsausübung identitätsprägend wäre.
a) Soweit die Klägerin hierzu vorträgt, dass sie Generalsekretärin der Ahmadiyya-Gemeinde in München sei, sowie an verschiedenen Bildungswettbewerben („Ijtma“) und auch religiösen Seminaren bzw. Einkehrtagen („Taleem“, „Tarbiyyat“) teilgenommen habe und auch Sicherheitsteams auf Frauenseite bei einem Besuch des Kalifen bei den Frauen sei, sind das Betätigungen, die alle ausschließlich innerhalb der Gemeinde wahrnehmbar sind. Das gilt auch für die regelmäßigen Gebete und Moscheebesuche sowie die Teilnahme an den Treffen ihrer Gemeinde, auch wenn diese überregional sind. Auch wenn die Klägerin den Koran auf Arabisch lesen kann, ist das auf die Gemeinde beschränkt. Ebenso ist eine besondere finanzielle Selbstverpflichtung zur Zahlung höherer Beiträge für die Gemeinschaft keine nach außen wahrnehmbare Glaubensbetätigung.
Für das Gericht ist aber nicht glaubhaft, dass die nach außen wahrnehmbare Glaubensbetätigung als Ahmadi ein zentrales Element ihrer religiösen Identität bildet in dem Sinne, dass dies unverzichtbar ist. Die nach außen wahrnehmbaren Betätigungen als Mitglied der Ahmadi-Gemeinde sind punktuell und sporadisch. Immer dann, wenn das von ihr verlangt wird.
Das zeigt sich bereits daran, dass sie Flyer nur bei konkretem Interesse übergeben hat. Bei Flyer-Aktionen, die zudem relativ unpersönlich sind, hat die Klägerin noch gar nicht mitgewirkt. Der Umstand, dass die Klägerin beim „Tag der offenen Tür“ ihrer Moschee auf der Frauenseite sowie beim „Missionierungsworkshop“ mitgeholfen hat, bedingt nichts anderes. Denn hierbei trat sie nicht persönlich identifizierbar und exponiert für ihren Glauben auf. Auch die Präsentation ihres Glaubens in der Schule erfolgte einmal als Unterrichtsaufgabe und ein weiteres Mal auf Bitten der Lehrer. Das zeigt keine nach außen wahrnehmbare Glaubensbetätigung als zentrales Element ihrer religiösen Identität. Denn sie wurde immer dann tätig, wenn sie darauf angesprochen wurde. Eine Präsentation ihres Glaubens individuell und ohne konkrete Aufforderung hierzu ist nicht ersichtlich. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Klägerin anderen Menschen von ihrem Glauben erzählen und diese auf den Weg der Ahmadi-Gemeinde bringen will. Das zeigt sich auch am Gespräch mit der Frau eines Abgeordneten in der S-Bahn. Sie hat sich mit der ihr bekannten Frau über Religion und ihren Glauben unterhalten. Als gezielte nach außen wahrnehmbare Glaubensbetätigung kann dieses Gespräch bei einer Zufallsbegegnung nicht gewertet werden. Ebenso gilt das für die Gespräche mit der Leiterin der Sozialberatung im Asylbewerberheim.
Entsprechend sind in der Mitgliedsbestätigung der Ahmadi-Gemeinde Deutschland vom 25. Februar 2019 ihre Tätigkeiten als Generalsekretärin der lokalen Frauenorganisation und ihre Hilfe gegenüber der lokalen Frauenorganisation bei allen ehrenamtlichen Aktivitäten angegeben. Zusammenfassend sei ihr Verhalten gegenüber der Gemeinde zufriedenstellend.
In diesen Rahmen war auch ihre Glaubensbetätigung in Pakistan eingebettet. Sie sei mit einer Gruppe in Missionierungsabsicht zu anderen Moslems gegangen. Ein besonderes individuelles Engagement, das gerade sie als Ahmadi identifizierbar macht, folgt daraus nicht. Noch dazu ist nicht dargelegt, dass diese Besuche mit einer ernsthaften Frequenz ausgeführt wurden. Die Tätigkeit als Assistentin der Leiterin der Kindergruppe für die Mädchen ist auf die Gemeinde beschränkt und stellt keine exponierte Tätigkeit dar.
Im Gesamteindruck wirkt ihre Glaubensbetätigung so, dass sie als gläubige Muslima in ihrer Glaubensgemeinschaft ihrem Glauben nachgeht. Organisatorische Aufgaben und Ämter übernimmt sie, wenn das von ihr verlangt wird. Das gilt auch für die Präsentation ihres Glaubens. Ein besonderes Engagement in dem Sinn, dass sie die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens nach außen für sich selbst als verpflichtend empfindet, um ihre religiöse Identität zu wahren, folgt daraus nicht. Eine herausgehobene Funktion, die bei einer Glaubensbetätigung entsprechend als zentrales, unverzichtbares Element naheliegen würde, ist nicht ersichtlich. Ihre Ämter in der Gemeinde beinhalten eher organisatorische Aufgaben, die von außen nicht wahrnehmbar sind. Auch ihre Aussagen zur Glaubensbetätigung in der mündlichen Verhandlung wirkten sehr aufgesetzt und mit der Tendenz zur Überziehung. Ihre Aktivitäten innerhalb der Gemeinde hat sie breit dargestellt. Im Kern jedoch bleibt davon jedoch wenig als von außen erkennbare Glaubensbetätigung übrig.
b) Eine politische Verfolgung des Klägers allein wegen seiner Zugehörigkeit zur pakistanischen Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft kommt nicht in Betracht. Nach den vom Bundesamt zutreffend ausgewerteten Erkenntnisquellen (siehe auch die gerichtliche Erkenntnismittelliste) kann nicht von einer Gruppenverfolgung der in Pakistan geschätzt etwa 600.000 bis vier Millionen Personen zählenden Ahmadis ausgegangen werden.
Davon abgesehen kann der Kläger den von ihm befürchteten Gefahren in seinem Heimatstaat ausweichen, § 3e AsylG (inländische Fluchtalternative). Ihm wäre ein Ausweichen auf andere Landesteile Pakistans möglich, was einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG einer Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG entgegensteht.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Ausländer muss am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden, d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, das er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 20; VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 21 ff.).
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass die Klägerin in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG finden kann.
In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan – Lagebericht -, Stand August 2018, S. 20). In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.254 qkm, ca. 200 Millionen Einwohner) ohne funktionierendem Meldewesen ist es nach den Erkenntnissen grundsätzlich möglich, bei Aufenthaltnahme in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014; vgl. allgemein zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative in Pakistan VG München, U.v.12.6.2015 – M 23 K 13.31345 – juris Rn. 23 m.w.N.). Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft bietet sich insbesondere ein Umzug nach Rabwah an, das offiziell in Chenab Nagar umbenannt wurde. Chenab Nagar ist das spirituelle Zentrum der Ahmadis. 95 Prozent der dort lebenden Einwohner sind Ahmadis. Der Aufenthalt in Chenab Nagar bietet Ahmadis einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort weitgehend unter sich sind. Das gilt insbesondere für den Kläger als jungen und erwerbsfähigen Mann, auch wenn er dort keine Verwandten hat.
Die Klägerin kann in Chenab Nagar oder den Großstädten und in anderen Landesteilen als erwachsener jüngerer erwerbsfähiger Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt, wo ihm die behaupteten Gefahren nicht drohen (vgl. zum Ganzen auch: VG München, U.v. 21.9.2017 – M 1 K 16.35606 – juris Rn.13 ff.).
Auch die von der Klagepartei vorgelegten neueren Dokumente, bedingen nichts anderes. Diese weiteren Erkenntnisquellen bedingen keine abweichende Beurteilung der Rückkehrsituation für Mitglieder der Ahmadi-Gemeinde nach Pakistan. Das gilt erst recht im Fall der Klägerin, der nach außen erkennbar weder sozial noch funktional ein besonders herausgehobenes Mitglied seiner Gemeinde war und ist. Auch im bereits zitierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: August 2018, ist von einer erheblichen Verschlechterung der Lage der Ahmadis nichts berichtet (Lagebericht, a.a.O., S. 13 f., 20). Auch aus der angeblichen Verschärfung der Passgesetze, die Ahmadis die Erklärung abverlangt, dass sie keine Muslime seien, bedingt keine abweichende Beurteilung der Lage. Denn darauf folgt nicht, dass alle Ahmadis einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wären.
Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Zur weiteren Begründung kann auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO. Nach § 83 b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.


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