Verwaltungsrecht

Keine Duldung für Kosovaren wegen Abschiebung nach Serbien

Aktenzeichen  10 CE 16.898

Datum:
18.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 59 Abs. 2, § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2
VwGO VwGO § 123 Abs. 3
ZPO ZPO § 920 Abs. 2

 

Leitsatz

Das Vorbringen, in Serbien von den Mitgliedern eines kosovarischen Drogenrings wegen einer Aussage in einem Strafverfahren zur Rechenschaft gezogen zu werden, begründet trotz Drohungen gegenüber im Kosovo lebenden Familienangehörigen keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG, sodass kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung wegen der rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG besteht. (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

M 25 E 16.1971 2016-05-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,–Euro festgesetzt.

Gründe

I. Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Duldung zu erteilen.
Der Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Oktober 1998 im Alter von 15 Jahren in das Bundesgebiet ein. Seit dem 7. Oktober 2006 war er in Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
Mit Bescheid vom 28. August 2013 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus dem Bundesgebiet aus. Sie ordnete bzw. drohte die Abschiebung in den Kosovo oder in einen anderen Staat an, in den der Antragsteller einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Den Ausweisungsanlass bildete bandenmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Antragsteller war deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.
Mit Urteil vom 14. Mai 2014 hob das Bayerische Verwaltungsgericht München die Abschiebungsandrohung insoweit auf, als die Abschiebung in den Kosovo angedroht wurde. Es bestehe ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG, weil der Antragsteller im Strafverfahren gegen andere Mitglieder des Drogenrings ausgesagt habe. Sein Bruder, der im Kosovo lebe, sei bereits bedroht worden. Der Chef des Drogenrings lebe unbehelligt im Kosovo. Der Antragsteller könne nicht den Schutz der kosovarischen Sicherheitsbehörden erhalten.
Der Antragsteller wurde am 10. März 2016 aus der Strafhaft entlassen und beantragte am 11. März 2016 bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Duldung.
Am 23. März 2016 erteilte die Republik Serbien ihre Zustimmung zu seiner Rückführung nach Serbien.
Seinen Antrag nach § 123 VwGO, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung eine Duldung zu erteilen, lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 3. Mai 2016 ab. Es liege kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG bezüglich Serbiens vor. Auch wenn der Antragsteller nicht serbisch sprechen sollte, bleibe ihm die Möglichkeit, sich in der mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnten Grenzregion Südserbiens zum Kosovo, in der albanisch gesprochen werde, niederzulassen. Als serbischer Staatsangehöriger habe er Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Laut des Lageberichts des Auswärtigen Amtes im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Drittland nach § 29a AsylVfG (jetzt: AsylG) könne er für zwei Wochen in einer Notunterkunft unterkommen. Später könne über das örtliche Zentrum für Sozialarbeit ein Quartier auf kommunale Kosten angemietet werden. Auch drohe dem Antragsteller keine Gefahr, als Albaner von den Serben verfolgt zu werden. In den albanischen Siedlungsgebieten Serbiens sei eine multi-ethnische Polizeitruppe in Aufbau.
Am 9. Mai 2016 erhob der Antragsteller gegen den Beschluss vom 3. Mai 2016 Beschwerde. Die Antragsgegnerin teilte mit, dass seine Grenzübertrittsbescheinigung nochmals bis 19. Mai 2016 verlängert werde.
Im Beschwerdeverfahren beantragt der Antragsteller,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 3. Mai 2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, einstweilen von der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers durch Abschiebung nach Serbien abzusehen.
Dem Antragsteller drohe auch in Serbien eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch in Serbien sei er durch die im Kosovo lebenden Mitglieder des Drogenrings greifbar und könne zur Rechenschaft gezogen werden. Entsprechende Drohungen seien gegenüber Familienmitgliedern bereits ausgesprochen worden. Zu berücksichtigen sei ferner, dass ein Großteil der Familie des Antragstellers bei der UCK aktiv gewesen sei und deshalb getötet worden sei.
Ergänzend wird auf die Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof alleine zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung des Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht das Eilrechtsschutzbegehren abgelehnt hat.
Der Antragsteller hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO), weil sich aus den von ihm vorgebrachten Gründen nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen Wahrscheinlichkeit ergibt, dass ihm der behauptete Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zusteht.
Mit dem Vorbringen des Antragstellers, ihm drohe auch in Serbien die Gefahr, von den Mitgliedern des Drogenrings zur Rechenschaft gezogen zu werden, wie dies seinen Familienmitgliedern im Kosovo bereits angedroht worden sei, ist keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Antragstellers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und damit auch kein Anordnungsanspruch nach § 60a Abs. 2 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung glaubhaft gemacht.
Die Behauptung, den Mitgliedern des Drogenrings sei bereits bekannt, dass der Antragsteller nach Serbien abgeschoben werden solle, es werde dort nach ihm gesucht werden, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, lässt – unabhängig davon, dass sie nicht den Anforderungen des § 920 Abs. 2 ZPO entsprechend glaubhaft gemacht ist – keinen zwingenden Rückschluss auf eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers in Serbien zu. Für die erforderliche Glaubhaftmachung ist insbesondere nicht ausreichend, dass nach der Aussage des Bundesamtes in der Stellungnahme vom 13. Juni 2014 Albaner ohne Einschränkungen nach Serbien reisen und sich dort frei bewegen könnten. Denn der Antragsteller hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die serbische Polizei erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz vor kriminellen Übergriffen von dritter Seite zu bieten. Eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates ist zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-)Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind. Dies ist in Serbien – anders als das Verwaltungsgericht im Urteil vom 14. Mai 2014 bezüglich des Kosovo angenommen hat – der Fall. Allein der Umstand, dass die staatlichen Organe trotz prinzipieller Schutzbereitschaft nicht immer und überall in der Lage sind, die Betroffenen vor derartigen Übergriffen Dritter wirkungsvoll zu schützen, reicht nicht aus, um eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Antragstellers durch die „Drogenmafia“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzunehmen.
Eine solche erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben ergibt sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller die Feststellungen des Auswärtigen Amtes zur Lage der ethnischen Minderheiten in Serbien (Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG vom 23. November 2015 S.8/9) pauschal in Frage stellt. Eine konkrete Gefährdungslage, die sich daraus ergäbe, dass er in Serbien einer ethnischen Minderheit angehört, ist damit jedenfalls nicht dargelegt; sie wäre im Übrigen im Rahmen eines Asylverfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festzustellen.
Mit dem Vorbringen, die im Jahr 1999 getöteten Familienmitglieder seien fast alle Mitglieder der UCK gewesen, es seien Verfahren gegen führende Mitglieder der UCK geplant, ist ebenfalls keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers in Serbien dargelegt und glaubhaft gemacht. Bei dem vom Antragsteller angesprochenen Verfahren handelt es sich um Anklagen gegen im Kosovo lebende ehemalige UCK-Mitglieder wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Es erschließt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht ansatzweise, wie sich aus den von amnesty international im Jahresbericht 2015 erwähnten Kriegsverbrecherprozessen eine gegenwärtige Gefährdungslage für den Antragsteller in Serbien ergeben sollte.
Auch falls der Antragsteller, wie er lediglich behauptet, als Staatsangehöriger des Kosovo in Serbien keine staatliche Unterstützung vom serbischen Staat erhalten würde, bedeutete dies noch keine konkrete Gefährdung von Leib und Leben in Serbien im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, kann er in der Anfangsphase, solange bis er eine Beschäftigung gefunden hat, auf die Unterstützung seiner Familie in Deutschland und im Kosovo zurückgreifen.
Ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Antragsteller keinen serbischen Pass besitzt. Eine Abschiebung ist entsprechend § 59 Abs. 2 AufenthG auch in einen Staat zulässig, in den der jeweilige Ausländer einreisen darf oder der zu dessen Rückübernahme verpflichtet ist. Die Republik Serbien hat aber am 23. März 2016 die Zustimmung zu Rückführung des Antragstellers erteilt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben