Verwaltungsrecht

Keine entgegenstehenden gesundheitlichen Gründe für Abschiebung nach Sierra Leone

Aktenzeichen  9 ZB 19.30143

Datum:
26.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7254
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60a Abs. 2c
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 30 K 17.44626 2018-11-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2019 – 9 ZB 18.31719 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Die im Zulassungsvorbringen aufgeworfene Frage: „Muss angesichts der Tatsache, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt, der Kläger nachvollziehbar ausgeführt hat, dass er sich nicht dem Schutz einer Großfamilie unterstellen kann, davon ausgegangen, dass sich der Kläger zumindest sein Existenzminimum sichern kann oder muss davon ausgegangen werden, dass angesichts der Gesamtumstände und auch den speziellen Umständen beim Kläger bei einer Rückkehr davon ausgegangen werden muss, dass er unter dem Existenzminimum (und somit unter den inländischen Maßstäben unter Verstoß eines selbstbestimmten würdevollen Lebens) bleiben muss“, lässt sich bereits keine allgemeine, über den Einzelfall des Klägers hinausreichende Bedeutung entnehmen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger als junger und erwerbsfähiger Mann in der Lage sein werde, sich gegebenenfalls auch ohne familiären Rückhalt – zumindest eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Dem wird im Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegengetreten. Der Kläger wendet sich hier vielmehr im Gewand einer Grundsatzrüge gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Damit wird kein in § 78 Abs. 3 AsylG genannter Zulassungsgrund dargetan (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 9 ZB 18.32733 – juris Rn. 14).
b) Soweit im Zulassungsvorbringen ausgeführt wird, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der Kläger bei Bekanntwerden der Asylantragstellung mit politischer Verfolgung rechnen muss, kann der Antrag ebenfalls keinen Erfolg haben. Unabhängig davon, dass dieser (neue) Sachvortrag weder im Verfahren der Anhörung vor dem Bundesamt noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom Kläger thematisiert wurde und damit im Zulassungsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen sein dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2018 – 1 ZB 17.31272 – juris Rn. 10), genügt dieses Vorbringen jedenfalls auch nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Es fehlt hier jede Ausführung zur Klärungsbedürftigkeit oder Klärungsfähigkeit.
2. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG).
a) Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 6 des angefochtenen Bescheids die erhobene Anfechtungsklage als unzulässig abgewiesen. Es sei ein Verpflichtungsantrag zu stellen gewesen. Die Klägerbevollmächtigte macht in ihrem Zulassungsvorbringen insoweit geltend, das Gericht hätte in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Hinweis erlassen müssen. Hierin ist kein Gehörsverstoß zu sehen.
§ 88 VwGO erlegt dem Verwaltungsgericht zwar die Aufgabe auf, das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln und stellt zugleich klar, dass es auf das wirkliche Begehren und nicht auf die Fassung der Anträge ankommt. In diesem Rahmen muss das Gericht eine ausdrücklich gewählte Klageart umdeuten oder gemäß § 86 Abs. 3 VwGO darauf hinwirken, dass Unklarheiten bei Anträgen beseitigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2019 – 9 ZB 18.32532 – juris Rn. 11 m.w.N.). Indes folgt aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch in der Ausprägung, den er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, keine Pflicht des Gerichts zur umfassenden Erörterung sämtlicher entscheidungserheblicher Gesichtspunkte. Das Tatsachengericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen und offen zu legen, wie es seine Entscheidung im Einzelfall zu begründen beabsichtigt (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2016 – 5 B 11.16 – juris Rn. 20 m.w.N.). Nach diesem Maßstab bestand für das Verwaltungsgericht keine Verpflichtung, die Zulässigkeit des unzweifelhaft auf Aufhebung der Nr. 6 des angefochtenen Bescheids gerichteten Klagebegehrens im Vorfeld zu einer Entscheidung näher zu erörtern.
b) Der Kläger macht geltend, das Gericht habe eine von ihm angeregte und beantragte Beweiserhebung zu der Frage der Rückkehrgefährdung des Klägers durch seine Krankheit unterlassen. Damit wird ebenfalls kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör aufgezeigt.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einen tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.). Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Wie dem Urteil des Verwaltungsgerichts entnommen werden kann, hat das Gericht keine Veranlassung gesehen, der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Beweisanregung des anwaltlich vertretenen Klägers hinsichtlich der Einholung eines Gutachtens zu seinem Gesundheitszustand im Hinblick auf seine Hepatitis B-Erkrankung nachzugehen, weil es davon ausgegangen ist, dass der Kläger die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, das seiner Abschiebung nach Sierra Leone gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, nicht erfolgreich widerlegt hat, weil das Attest vom 25. Februar 2017 schon nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entspricht. Im Zulassungsantrag wird nicht dargelegt, aus welchen Gründen das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen; dieser materiell-rechtliche Standpunkt ist auch dann maßgeblich, wenn er rechtlichen Bedenken begegnen sollte (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 8 ZB 17.30339 – juris Rn. 10 m.w.N.). Einen förmlichen Beweisantrag auf Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens hat der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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