Verwaltungsrecht

Keine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei einer entgegenstehenden Titelerteilungssperre

Aktenzeichen  10 ZB 18.2188

Datum:
27.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3420
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5, § 10 Abs. 3, § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 4, § 54 Abs. 2 Nr. 9
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, welcher schon dann ausscheidet, wenn eine Einreise ohne das erforderliche Visum stattfand und somit die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 21841). Zwar kann hiervon gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG abgesehen werden. Da diese Entscheidung aber im Ermessenswege zu treffen ist, liegt kein Anspruch iSd § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG vor. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt nur in Betracht, wenn ein Ausweisungsinteresse nicht vorliegt, also ein Ausweisungstatbestand nicht verwirklicht ist. Ob die Ausweisung im Einzelfall rechtsfehlerfrei verfügt werden könnte, ist insoweit unerheblich (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 44265 ). (Rn. 7 – 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 17.1602 2018-08-28 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seinem deutschen Kind weiter.
Der Antrag ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 AufenthG entgegenstehe. Der Kläger, der kein Sorgerecht habe und mit seinem Sohn auch nicht in einer familiären Beistandsgemeinschaft lebe, könne keinen strikten Rechtsanspruch geltend machen, weil er ohne das erforderliche Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und die Nachholung des Visumverfahrens auch nicht unzumutbar sei (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG). Die Beklagte habe im Falle einer Ausreise des Klägers im Visumverfahren eine zeitnahe Entscheidung zugesichert. Zudem bestehe im Fall des Klägers aufgrund einer Vielzahl strafrechtlicher Verurteilungen ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Schließlich komme auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht in Betracht, weil die Nachholung des Visumverfahrens zu keiner unverhältnismäßig langen Trennung des Klägers von seinem Sohn führen würde. Es sei Sache des Klägers, in Absprache mit den Behörden den Ausreisezeitpunkt und die Ausreisemodalitäten so zu gestalten, dass die familiären Belastungen so gering wie möglich gehalten würden.
Demgegenüber macht der Kläger im Zulassungsverfahren im Wesentlichen geltend, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die Beziehung zwischen ihm und seinem Sohn über eine Begegnungsgemeinschaft hinausgehe. Er treffe seinen Sohn wöchentlich jeden Montag für mehrere Stunden und unterstütze diesen im Rahmen seiner Möglichkeiten. Es bestehe eine starke Bindung zu ihm. Eine abrupte Trennung könnte sich negativ auf Persönlichkeitsentwicklung des Kindes auswirken. Soweit das Gericht auf die Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abstelle, stehe dem § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entgegen. Es sei dem Kläger wegen des mit der Trennung einhergehenden Zeitaufwands nicht zumutbar, das Visumverfahren nachzuholen. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte der Visumerteilung nicht zustimmen werde, weil sie bereits eine Vorabzustimmung verweigert habe. Schließlich liege auch kein Ausweisungsinteresse vor. Eine umfassende Berücksichtigung aller Einzelfallumstände habe die Beklagte insofern nicht vorgenommen. Gleichzeitig sei es dem Kläger nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen des Schutzes der Ehe und Familie nicht möglich, das Bundesgebiet zu verlassen.
Diese Einwendungen begründen jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG oder § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegensteht. Dem Kläger kommt auch nicht die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG zugute, wonach im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis § 10 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AufenthG keine Anwendung finden. Denn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in diesem Sinne setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben muss. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27 m.w.N.).
Ein solcher strikter Rechtsanspruch steht dem Kläger aber schon deswegen nicht zur Seite, da er ohne das erforderliche Visum eingereist ist und demzufolge die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 19). Zwar kann hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Da diese Entscheidung aber im Ermessenswege zu treffen ist, liegt kein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor.
Darüber hinaus besteht in der Person des Klägers aufgrund der zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen auch ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt die Erteilung eines Aufenthaltstitels nur in Betracht, wenn ein Ausweisungsinteresse nicht vorliegt, also ein Ausweisungstatbestand nicht verwirklicht ist; ob die Ausweisung im Einzelfall rechtsfehlerfrei verfügt werden könnte, ist insoweit unerheblich (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2016 – 10 ZB 14.2634 – juris Rn. 6). Eine hypothetische Ausweisungsprüfung erfolgt demnach nicht (Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 5 Rn. 48 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis auch zutreffend erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift scheitert vorliegend bereits an der Sperrwirkung aus § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, da die Ablehnung des Asylantrags des Klägers gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG als „offensichtlich unbegründet“ erfolgte (s. Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge v. 16.5.2011, Bl. 72 ff. der Behördenakte). Damit ist auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes grundsätzlich unzulässig (vgl. Maor, BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, § 10 Rn. 10 m.w.N.).
Unabhängig davon würde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG auch deswegen ausscheiden, weil – wie oben dargelegt – die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 10 C 18.1782 – juris Rn. 7; B.v. 24.1.2019 – 10 CE 18.1871, 10 C 18.1874 – juris Rn. 25; Maaßen/Kluth in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, § 25 Rn. 148), und zwar unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 3; B.v. 30.10.2018 – 10 C 18.1782 – juris Rn. 7; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 43/17 – ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 – 1 B 21/17 – BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 – 11 S 2359/10 – InfAuslR 2011, 250). Zwar kann nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen in § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG abgesehen werden. Substantiierte Einwendungen gegen die von der Beklagten insofern getroffene und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) Ermessensentscheidung hat der Kläger auch im Zulassungsverfahren nicht vorgebracht. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist auch im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 GG oder von Art. 8 EMRK nicht angezeigt. In Bezug auf den Kläger ist insoweit festzustellen, dass er weder das Sorgerecht hat, noch mit seinem Sohn in einer familiären Lebensgemeinschaft lebt, sondern allein der Mutter die Versorgung und Erziehung des Sohnes obliegt. Allein aus dem Umstand, dass sich der Sohn auf die wöchentlich stattfindenden Treffen mit dem Kläger freue, der Kläger Spielsachen mitbringe, Fußballspielen gehe und im Rahmen der Möglichkeiten finanzielle Unterstützung leiste, können kein so intensiver Kontakt und keine tatsächliche Verbundenheit abgeleitet werden (vgl. BayVGH, U.v. 26.9.2016 – 10 B 13.1318 – juris Rn. 32 ff.; 39), die eine auch nur vorübergehende Abwesenheit des Klägers zur Nachholung des Visumverfahrens als unzumutbar erscheinen ließen. Entgegen dem Vortrag des Klägers kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Beklagte der Visumerteilung nicht zustimmen werde. Vielmehr hat sie in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht jedenfalls eine zeitnahe Entscheidung im Visumverfahren zugesichert (s. Sitzungsprotokoll v. 28.8.2018, S. 2).
Soweit der Kläger die Würdigung des Verwaltungsgerichts für fehlerhaft hält, weil die „Aussage der Zeugin (…) bei der Entscheidung des Gerichts nicht gewürdigt“ worden sei, und damit sinngemäß einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) rügt, dringt er damit ebenfalls nicht durch. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 21 m.w.N.). Vorliegend hat das Erstgericht den Kern der Angaben der als Zeugin einvernommenen Kindsmutter zutreffend erfasst und bei seiner Entscheidungsfindung gewürdigt. Es ist indes dabei nicht verpflichtet, auch nicht unter dem Aspekt der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG), den gesamten Inhalt der Zeugenaussage in den Entscheidungsgründen wiederzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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