Verwaltungsrecht

Keine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – Schwerwiegendes Ausweisungsinteresse wegen falscher Angaben

Aktenzeichen  B 4 K 16.205

Datum:
16.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 1, Abs. 2, § 25 Abs. 4, Abs. 5, § 50, § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Nr. 3, § 59, § 81 Abs. 4
AufenthV AufenthV § 39 Nr. 3
GG GG Art. 6

 

Leitsatz

1 Familiäre Bindungen im Bundesgebiet begründen keine rechtliche Unmöglichkeit einer Ausreise nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG, da ihnen in den §§ 27 ff. AufenthG speziell Rechnung getragen wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 Werden in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht, liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 lit. a AufenthG vor. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO ist der Beklagte nicht unter Aufhebung des Bescheides vom 17.06.2016 zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil der Bescheid rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
1.1 Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde zu Recht abgelehnt.
1.1.1 Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, scheitert bereits daran, dass der Kläger mit Ablauf seines Schengen-Visums gemäß § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, weil gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG die Antragstellung vor Ablauf des Schengen-Visums keine Fiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst hat.
Davon abgesehen stellt die beabsichtigte Vorbereitung eines Visumverfahrens keinen dringenden humanitären oder persönlichen Grund dar, der die vorübergehende weitere Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet erfordern würde. Alle für einen Visumantrag erforderlichen Maßnahmen können naturgemäß vom Ausland aus getroffen werden.
1.1.2 Der Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, wonach einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, ist ebenfalls nicht erfüllt. Die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet begründen keine rechtliche Unmöglichkeit seiner Ausreise, weil ihre Berücksichtigung in den §§ 27 ff AufenthG speziell geregelt ist. § 25 Abs. 5 AufenthG ist keine Auffangnorm für die Fälle, in denen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen an der Nichterfüllung allgemeiner Erteilungs-voraussetzungen scheitert.
1.1.3 Gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 GG erteilt. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, und zwar gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch dann, wenn entgegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Die sonstigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen müssen nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG erfüllt sein.
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Vorliegend besteht, wie in den Gründen des Bescheides vom 17.06.2016 zutreffend ausgeführt wurde, ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG, weil der Kläger in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht hat, indem er gegenüber der litauischen Botschaft angegeben hatte, für 10 Tage touristisch nach Litauen reisen zu wollen. Ein Abweichen von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht veranlasst, weil der Kläger entgegen seinem Vorbringen nicht gehindert war, mit richtigen Angaben das für einen Familiennachzug zu seinem deutschen Kind erforderliche nationale Visum gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG zu erlangen. Selbst im Falle einer Ablehnung wäre es zumutbar gewesen, den Rechtsweg zu beschreiten, anstatt das nationale Visumerfordernis bewusst und zielgerichtet zu umgehen.
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Der Kläger ist nicht mit dem für einen Familiennachzug zu seinem deutschen Kind erforderlichen nationalen Visum eingereist und hat die für die Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht.
Der Tatbestand des § 39 Nr. 3 AufenthV, wonach ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, wenn er ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, ist nicht erfüllt. Selbst wenn man mit Blick auf die Voraussetzung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG „zur Ausübung der Personensorge“ darauf abstellt, dass dem Kläger die Personensorge für sein deutsches Kind erst seit Abgabe der Sorgeerklärung beider Elternteile vom 18.05.2015 tatsächlich zusteht (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 BGB), sind nach der Einreise am 17.05.2015 bis zum Ablauf der Gültigkeit des Schengen-Visums am 26.05.2015 die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entstanden, weil, wie dargelegt, ein Ausweisungsinteresse besteht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 28.05.2015 – 10 CE 14.2123 – juris Rn. 9 ff).
Aus diesem Grund kann auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vom Visumerfordernis abgesehen werden, weil diese Ausnahme ebenfalls einen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels voraussetzt.
Schließlich ist die Nachholung des Visumverfahrens auch unter Berücksichtigung des gemäß § 11 Abs. 6 AufenthG angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbotes nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar. Zwar hat gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 8 AufenthG die Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 6 AufenthG keine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass der Kläger im Falle einer freiwilligen Ausreise unter Umständen eine 12-monatige Trennung von seiner Verlobten und seinem Kind hinnehmen muss, sofern das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht vorher im Hauptsacheverfahren aufgehoben wird. Abgesehen von der Möglichkeit, nach Maßgabe des § 11 Abs. 6 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes oder die Verkürzung der Frist von 12 Monaten zu beantragen, erscheint aber selbst eine Trennung für die Dauer eines Jahres zumutbar. Die Belastungen für Mutter und Kind halten sich in Grenzen, da nach der Auskunft der deutschen Botschaft in Baku fest damit gerechnet werden kann, dass der Kläger im Falle einer freiwilligen Ausreise nach Aserbaidschan das für eine dauerhafte Rückkehr erforderliche nationale Visum bei Vorliegen aller Voraussetzungen mit Ablauf des 12-monatigen Einreise- und Aufenthaltsverbotes erhält. Während der Trennung kann der familiäre Kontakt, wie auch in den vergangenen Jahren, in denen sich der Kläger nicht um eine Aufhebung des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbotes oder um die Verkürzung seiner Befristung bemüht hat, multimedial aufrecht erhalten werden. Das fachärztliche Attest vom 29.06.2016 und die psychotherapeutische Stellungnahme vom 13.07.2016 lassen keine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der Mutter bzw. des Kindes erwarten, die so schwerwiegend wäre, dass sie das Absehen vom Visumerfordernis, welches der Kläger mutwillig umgangen hat, rechtfertigen könnte. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot von 24 Monaten im Falle einer Abschiebung hätte der Kläger vermeiden können, indem er freiwillig ausreist.
1.2 Die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG wurde zu Recht abgelehnt, weil gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG die Antragstellung vor Ablauf des Schengen-Visums keine Fiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst hat.
1.3 Die Abschiebungsandrohung wurde nach Maßgabe des § 59 AufenthG erlassen. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die vom Beklagten bestimmten Ausreisefristen – 15.07.2016 bzw. für den Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer eventuellen Klage vier Wochen nach Bestandskraft des Bescheides – bewegen sich knapp unter der Höchstfrist von 30 Tagen und sind angemessen. Besondere Umstände des Einzelfalles, unter deren Berücksichtigung die Ausreisefrist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG für einen längeren Zeitraum hätte festgesetzt werden können, sind nicht ersichtlich. Die Fristbestimmung „bis spätestens 15.07.2016“ ist auch im Hinblick auf § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG nicht zu beanstanden, weil vor ihrem Ablauf die Vollziehbarkeit weder der Ausreisepflicht noch der Abschiebungsandrohung entfallen ist. § 59 Abs. 2 AufenthG, wonach in der Androhung der Abschiebungszielstaat bezeichnet und der Ausländer darauf hingewiesen werden soll, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, ist erfüllt. Das – nicht geltend gemachte – Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung stünde gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Androhung nicht entgegen.
1.4 Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes von einem Jahr für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Ausreisepflicht findet ihre Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 6 AufenthG, die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes für den Fall der Abschiebung auf zwei Jahre in § 11 Abs. 2 AufenthG.
2. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Kläger als der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben