Verwaltungsrecht

Keine Flüchtlingseigenschaft einer alleinstehenden syrischen Lehrerin

Aktenzeichen  20 B 19.30621

Datum:
7.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20329
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4, § 77 Abs. 1 S. 1
VwGO § 87a Abs. 2, § 87a Abs. 3

 

Leitsatz

1. Eine Ausreise von syrischen Staatsbediensteten ohne vorherige Genehmigung zieht nach der Auskunftslage im Falle der Rückkehr nicht generell eine Verfolgung in Anknüpfung an die als oppositionelle Handlung gewertete Ausreise nach sich (Anschluss an OVG Lüneburg BeckRS 2019, 554). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Gruppenverfolgung allein zurückkehrender syrischer Frauen und Mädchen lässt sich nach der aktuellen Auskunftslage nicht feststellen (Anschluss an VGH München BeckRS 2018, 23745). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein die Herkunft aus einem Gebiet der Opposition („Rebellenhochburg“) führt nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (Anschluss an VGH München BeckRS 2019, 7788 Rn. 40). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 2 K 17.33075 2017-09-05 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 5. September 2017 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte über die Berufung durch den Berichterstatter entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis damit erklärt haben, §§ 87a Abs. 2 und 3, 125 Abs. 1 VwGO.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sodass das Urteil zu ändern war. Die Klägerin hat zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin weder im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin ihr Herkunftsland verlassen hat (2.).
1. Die Klägerin ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat die Klägerin nicht geltend gemacht.
2. Die Klägerin kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht nicht.
Davon wäre nur dann auszugehen, wenn der Klägerin bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, sodass ihr nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Klägerin nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Die Klägerin kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a.).Daran ändert auch die Tatsache, dass die Klägerin zeitweise an einer Schule als Lehrerin tätig war, nichts (b.). Auch unter dem Gesichtspunkt der beachtlichen Gefahr der Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstentziehung ihrer Söhne droht ihr keine flüchtlingsschutzrelevante Gefahr (c.). Die Klägerin muss eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte auch nicht deshalb befürchten, weil sie als alleinstehende Frau ohne einen unterstützenden Familienverband zurückkehren würde (d.). Schließlich droht ihr dies auch nicht deshalb, weil sie bis zu ihrer Ausreise in einem (früher) von der Opposition kontrollierten Ort im Umland von Damaskus gelebt hat (e.) Dies gilt auch, wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet (f.).
Die allgemeine Situation in Syrien stellt sich im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung wie folgt dar: Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten Bashar al-Assad sowie den drei um ihn gruppierten Clans (Assad, Makhlouf und Shalish) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ vom 19.2.2016). Sie geht in ihrem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung – im Folgenden UNHCR-Erwägungen 2017 – unter Verweis auf: United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, 13.4.2016; Amnesty International, Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, 7.2.2017; UN Human Rights Council, Out of Sight, out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 3.2.2016). Seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 13.11.2018). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert; das syrische Regime stellt falsche Totenscheine offenbar mit dem Ziel aus, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf US Department of State, 2016 Country Reports on Human Rights Practices – Syria, 3.3.2017). Das Schicksal und der Aufenthaltsort zehntausender Menschen, die seit Ausbruch des Krieges von Regierungskräften inhaftiert worden waren und seitdem „verschwunden“ sind, sind nach wie vor unbekannt. Während der Haft werden Folter und andere Misshandlungen systematisch angewendet (Amnesty International, Report Syrien 2018, 22.2.2018; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf Human Rights Watch, World Report 2017 – Syria; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, 19.1.2016) (vgl. BayVGH, U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – BeckRS 2019, 1..2018 Rn. 26; U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 21, unter Fortführung seiner Rechtsprechung aus der Entscheidung vom 20. Juni 2018 – 21 B 17.31605 – juris). Im Laufe der Jahre 2017 und 2018 hat das syrische Regime große bisher von oppositionellen Kräften gehaltene Gebiete zurückerobert. Als letztes größeres Gebiet, das von der Opposition kontrolliert wird, ist (abgesehen von den von kurdisch dominierten Milizen gehaltenen Gebieten im Nordosten Syriens) die Provinz Idlib verblieben. Innerhalb dieses Gebiets kämpfen jedoch unterschiedliche Gruppierungen auch untereinander um die Vorherrschaft (EASO, COI Meeting Report – SYRIA: COI Meeting 30. November – 1. December 2017, S 21 ff).
a. 
Die Klägerin kann sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen.
Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung in Deutschland, dass die illegale Ausreise und die Stellung eines Asylantrags sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte führen (vgl. hierzu auch VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335/19 – juris Rn. 45; VGH BW, U.v. 23.10.2018 – A 3 S 791/18 – juris Rn. 24; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 13.9.2018 – 2 LB 38/18 – juris Rn. 34 unter Verweis auf U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 36- 75; OVG NRW, U.v. 3.9.2018 – 14 A 837/18.A – juris Rn. 44 ff. mit einer Übersicht über die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung Rn. 45 -48; OVG Nds., U.v. 5.9.2017 – 2 LB 186/17 – Rn. 55 ff.; BayVGH, U.v. 12. April 2019 – 21 B 18.32459 – a.a.O. Rn. 27- 41).
Der Senat schließt sich dieser Auffassung der deutschen Oberverwaltungsgerichte an (vgl. auch U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534, 20 B 19.30643 und 20 B 19.30793 – alle juris). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
b.
An dieser Einschätzung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Klägerin vor ihrer Ausreise ca. zwei Jahre als Lehrerin an einer Schule im Dorf Doma bei Damaskus gearbeitet hat. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass es sich dabei um eine staatliche Schule gehandelt hat. Zwar ist sämtlichen Staatsbediensteten das Verlassen des Landes ohne eine entsprechende Erlaubnis ihrer Beschäftigungsbehörde grundsätzlich untersagt (Danish Refugee Council / Danish Immigration Service (DRC/DIS), Recruitment Practices in Governmentcontrolled Areas, August 2017, S. 20). Jedoch erhalten verschiedenen Quellen zufolge Bedienstete in nicht sensiblen Bereichen wie etwa Lehrer eine solche Erlaubnis in der Regel ohne Schwierigkeiten und binnen weniger Stunden (DRC/DIS, August 2017, S. 38, 48, 71, 104). Wer ohne Ausreiseerlaubnis an der Grenze kontrolliert werde, werde für zwei oder drei Stunden festgehalten, während derer seine Identität und der Zweck der Reise geklärt würden. Danach sei auch dann eine Ausreise unproblematisch möglich (DRC/DIS, August 2017, S. 49). Wer das Land unerlaubt verlassen habe, müsse bei seiner Rückkehr mit einer Untersuchung rechnen, die eine Aufklärung der Gründe zum Ziel habe. Abhängig vom Ergebnis werde dann versucht, eine Lösung zu finden, um eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erleichtern. Diese Kompromissbereitschaft habe ihre Ursache darin, dass dem Regime daran gelegen sei, sich seine Unterstützer zu erhalten (DRC/DIS, August 2017, S. 58). Eine Ausreise von Staatsbediensteten ohne vorherige Genehmigung zieht nach der Auskunftslage im Falle der Rückkehr daher nicht generell eine Verfolgung in Anknüpfung an die als oppositionelle Handlung gewertete Ausreise nach sich (ebenso OVG Bremen, U.v. 24.1.2018 – 2 LB 194/17 – juris Rn. 60/61; OVG Saarland, U.v. 20.8.2018 – 1 A 619/17 – juris Rn. 36ff; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 20.9.2018 – 1 A 10215/17.OVG – juris; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 8.11.2018 – 2 LB 50/18 – juris Rn 77; OVG Lüneburg, U.v. 22.1.2019 – 2 LB 811/18 – juris Rn. 36).
Im Falle der Klägerin kommt noch hinzu, dass die Schule, an der sie tätig war, nach ihren Angaben bei der Anhörung durch eine Bombe zerstört worden war und sie danach bereits zwei Jahre nicht mehr als Lehrerin gearbeitet hat. Eine Flucht unter diesen Gegebenheiten bietet nach Auffassung des Senats keinen Anlass, der Klägerin eine oppositionelle Haltung zu unterstellen.
c.
Auch unter dem Gesichtspunkt der beachtlichen Gefahr der Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstentziehung ihrer Söhne droht ihr keine flüchtlingsschutzrelevante Gefahr.
Es besteht Einigkeit in der Rechtsprechung der deutschen Oberverwaltungsgerichte, dass Angehörige von Wehrdienstpflichtigen wegen deren Entziehung vom Wehrdienst allein nicht mit flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte rechnen müssen. Daran wird festgehalten. Zur Begründung wird auf die Rechtsprechung des 21. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 20.6.2018 – 21 B 17.31605 – juris Rn. 52 ff; U.v. 22.6.2018 – 21 B 18.30852 – juris Rn. 39), des erkennenden Senats (U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534 – juris Rn. 63 -81), des VGH Baden-Württemberg (U.v. 9.8.2017 – A 11 S 710.17 – juris Rn. 50), des Sächsischen OVG (U.v. 7.2.2018 – 5 A 1246/17.A – juris Rn. 49-50) und des Nordrhein-Westfälischen OVG (U.v. 12.12.2018 – 14 A 847/18.A – juris Rn. 37) Bezug genommen.
d. 
Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht aus dem Grund eine Verfolgung i.S.v. § 3 AsylG, als sie (bei der unterstellten und den gewährten Schutzstatus nach § 4 AsylG außer Acht lassenden Betrachtung) als alleinstehende Frau zurückkehren würde, die völlig schutzlos systematischer Vergewaltigung und Versklavung ausgesetzt wäre.
Das angefochtene Urteil unterstellt derartige Gefahren als Gruppenverfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG, ohne konkrete Anhaltspunkte zu nennen. Insbesondere fehlt es an einer (näherungsweisen) zahlenmäßigen Ermittlung der Verfolgungsfälle in Anknüpfung an das vom Verwaltungsgericht angenommene Gruppenmerkmal (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris Rn. 18). Damit missachtet das Verwaltungsgericht die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zur Feststellung einer Gruppenverfolgung.
Dessen ungeachtet lässt sich eine Gruppenverfolgung allein zurückkehrender Frauen und Mädchen nach der aktuellen Auskunftslage für Syrien aber auch nicht feststellen. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen des 21. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in dessen Urteil vom 20. Juni 2018 (21 B 17.31605 – juris Rn. 50), die er sich zu Eigen macht. Den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln lässt sich nicht entnehmen, dass durch staatliche Stellen oder nichtstaatliche Akteure im Bürgerkriegsgebiet alle alleinstehenden Frauen wegen ihres Geschlechts Verfolgungshandlungen ausgesetzt und menschenrechtswidrig behandelt würden. Bezüglich des Umlands von Damaskus lässt sich nicht feststellen, dass es dort zu systematischen Vergewaltigungen alleinstehender Frauen z.B. als Mittel der Kriegsführung seitens der Kriegsparteien kommen würde. Etwas anderes ist weder den Feststellungen und Empfehlungen des UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Aktualisierte Fassung, 11/2017 S. 65-69), dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. November 2018, S. 18-19, noch der Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse Syrien: Geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt vom 19. April 2018, entnehmen. Dort wird zwar der systematische Einsatz von Vergewaltigung im gesamten Kriegsgebiet als Kriegsmittel neben anderen Formen von Übergriffen auf Frauen erwähnt, jedoch weder zeitlich noch örtlich näher eingeordnet. Auch ein systematisches Verfolgungsprogramm ist danach nicht erkennbar. Eine beachtliche Gefahr für die Klägerin, im Zusammenhang mit Kriegshandlungen gezielt Opfer sexueller Gewalt als Angehörige einer sozialen Gruppe zu werden, ergibt sich hieraus folglich nicht. Der möglicherweise bestehenden allgemeinen Gefahr, in Kriegsgebieten Opfer von Vergewaltigung und/oder Versklavung zu werden, ist über die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG hinreichend Rechnung getragen.
Diese Auffassung wird von mehreren Oberverwaltungsgerichten im Ergebnis geteilt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 29.3.2017 – 3 L 249/16 – juris Rn. 24; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 13.9.2018 – 2 LB 38/18 – juris Rn. 50).
e.
Die Klägerin muss eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte auch nicht deshalb befürchten, weil sie vor ihrer Ausreise in einem (früher) von der Opposition kontrollierten Ort im Umland von Damaskus gelebt hat.
Die Frage, ob allein die Herkunft aus einem Gebiet der Opposition („Rebellenhochburg“) zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führt, ist mittlerweile in der obergerichtlichen Rechtsprechung in Deutschland einheitlich negativ entschieden (BayVGH, U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 40 – 43; U.v. 20.6.2018 – 21 B 17.31605 – juris Rn. 44 ff.; OVG NRW, U.v. 3.9.2018 – 14 A 837/18.A – juris Rn. 34 – 43; OVG Bremen, U.v. 20.2.2019 – 2 LB 122/18 – juris Rn. 57; OVG Nds., U.v. 5.9.2017 – 2 LB 186/17 – juris Rn. 55; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 83 ff.; U.v. 13.9.2018 – 2 LB 38/18 – juris Rn. 43; VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335/19 – juris Rn. 42).
Von dieser einheitlichen Position weicht der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinen Urteilen vom 6. Juni 2017 (3 A 3040/16.A – juris Rn. 51) und 26. Juli 2018 (3 A 403/18.A – juris Rn. 14), in denen jeweils einem Wehrdienstentzieher aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet, Flüchtlingsschutz gewährt wurde, nur auf den ersten Blick ab: Denn den Entscheidungen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob nach der Bewertung des Senats dem syrischen Staat allein die Herkunft eines Rückkehrers aus einer (vermeintlich) regierungsfeindlichen Zone ausreicht, um ihm eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen, an die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen anknüpfen (BayVGH, U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 43). Vielmehr deutet die zuletzt genannte Entscheidung ebenso wie das später ergangene Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Dezember 2018 (3 A 2267/18.A – juris Rn. 22) in die andere Richtung. Es wird hier somit keine explizit entgegenstehende Position zu dieser Frage vertreten.
Der Senat schließt sich der von der obergerichtlichen Rechtsprechung einheitlich vertretenen Auffassung an (vgl. auch die Urteile v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534, 20 B 19.30643 – juris). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
f.
Auch wenn man in die zu treffende Prognoseentscheidung alle vorgenannten Umstände – die illegale Ausreise und den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung, die Berufstätigkeit als Lehrerin, die Wehrdienstentziehung der Söhne der Klägerin, die Herkunft aus einen (früherem) Oppositionsgebiet und die (unterstellte) Rückkehr als alleinstehende Frau ohne einen unterstützenden Familienverband einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei der Klägerin liegen keine besonderen individuellen Umstände vor, weshalb ihr vom syrischen Staat eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihr deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten (so auch OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 151).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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