Verwaltungsrecht

Keine flüchtlingsrelevante Verfolgung zurückkehrender syrischer Asylbewerber wegen illegalen Verlassens des Landes und des Aufenthalts im Ausland

Aktenzeichen  Au 4 K 19.30352

Datum:
15.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10311
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 3a Abs. 1, § 4, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Aus Syrien stammenden Personen droht bei einer Rückkehr nicht wegen ihrer (illegalen) Ausreise in Verbindung mit einem Asylantrag und dem Verbleib im westlichen Ausland Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 32966). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch Staatsbediensteten wird nicht wegen ihrer illegalen Ausreise grundsätzlich eine oppositionelle Haltung unterstellt und müssen daher nicht mit Verfolgung rechnen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2019, 2332).(Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Einer möglichen Verfolgung durch den IS bei einer Rückkehr der Klägerin steht entgegen, dass die syrischen Sicherheitskräfte alle Einreisepunkte unter ihrer Kontrolle haben, über die eine (hypothetische) Rückführung erfolgen würde (VGH Kassel BeckRS 2017, 112420), sodass eine hypothetische Rückführung nur in vom syrischen Staat beherrschte Gebiete erfolgen könnte(OVG Lüneburg BeckRS 2017, 118678). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der den Asylantrag insoweit ablehnende Bescheid vom 21. Februar 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Zur Überzeugung des Gerichts ist das Vorbringen der Klägerin vor dem Bundesamt in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend gewürdigt worden. Dies gilt insbesondere für den in der Klagebegründung angeführten Gesichtspunkt, dass der Vater der Klägerin sein Polizeiamt niedergelegt habe. Das Gericht nimmt daher insgesamt auf die Begründung des Bescheids Bezug und macht sie sich zu eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend gilt folgendes: Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte besteht schon wegen Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht, denn den Angaben der Klägerin vor dem Bundesamt lässt sich entnehmen, dass sie auf dem Landweg in die Bundesrepublik und damit aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (ausdrücklich genannt hat die Klägerin Griechenland und Kroatien) eingereist ist.
Die Angaben der Klägerin, nach der Niederlegung des Polizeiamts durch ihren Vater seien ihre Familie und sie von Personen des Regimes zu Hause aufgesucht und bedroht worden, diese Personen hätten auch Zerstörungen vorgenommen, rechtfertigt nicht die Annahme, die Klägerin sei vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Die Klägerin hat von sehr häufigen und intensiven Bedrohungen innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen berichtet; gleichwohl ist ihrer Familie und ihr, außer, dass sie nicht in die Schule habe gehen können, ausdrücklich nichts weiter passiert (Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 5). Hätten die von der Klägerin genannten Personen tatsächlich Handlungen beabsichtigt, die als Verfolgung gem. § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG gewertet werden könnten, wäre gerade angesichts der Massivität und der Intensität der Bedrohungen anzunehmen gewesen, dass solche Handlungen selbst innerhalb des kurzen Zeitraums von zwei Wochen verübt worden wären. Insofern ergeben sich aus den Schilderungen der Klägerin zwar massive, aber doch ohne konkrete Folgen gebliebene Einschüchterungen. Daneben ist entgegen § 3a Abs. 3 AsylG keine Verknüpfung etwaiger Verfolgungshandlungen mit flüchtlingsrelevanten Verfolgungsgründen (§ 3b AsylG) erkennbar. Dass die Klägerin Handlungen erlebt hat, die „wegen“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ihrer politischen Überzeugung deshalb vorgenommen wurden, weil das syrische Regime ihr wegen einer Niederlegung des Polizeiamts durch ihren Vater eine gegenüber dem Regime missliebige politische Gesinnung unterstellen würde (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG), ergibt sich aus den Angaben der Klägerin nicht. Die Klägerin und ihre Familie mögen zwar in der Folge der klägerseits angegebenen Amtsniederlegung des Vaters willkürliche Bedrohungen bis hin zur Gewaltausübung gegenüber Sachen erlebt haben. Solche, von den spezifischen Verfolgungsgründen des § 3 AsylG losgelösten Maßnahmen begründen indes keinen Anspruch auf Flüchtlingsschutz, sondern auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG, wie er der Klägerin auch zuerkannt worden ist. Gleiches gilt für die von der Klägerin geschilderte Bedrohung durch den IS; auch insoweit handelt es sich um willkürliche, aber von Verfolgungsgründen losgelöste Gewaltausübung.
Auch der Nachfluchttatbestand des § 28 Abs. 1a AsylG ist nicht erfüllt. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird mittlerweile allgemein angenommen, dass aus Syrien stammenden Personen bei einer Rückkehr nicht wegen ihrer (illegalen) Ausreise in Verbindung mit einem Asylantrag und dem Verbleib im westlichen Ausland Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2018 – 21 ZB 18.33098 – juris Rn. 8 m.w.N.). Aus den Angaben der Klägerin zu den Konsequenzen, die die Niederlegung des Polizeiamts durch ihren Vater gehabt habe, ergibt sich kein gefahrerhöhender Umstand. Wie ausgeführt, ist nicht erkennbar, dass das syrische Regime der Klägerin wegen einer Amtsniederlegung durch ihren Vater eine politisch missliebige Gesinnung zumindest unterstellt hätte. Die Klägerin hat zwar willkürliche, aber doch nicht verfolgungsspezifische Handlungen und Bedrohungen geschildert. Dass das Regime bei einer Rückkehr der Klägerin eine andere Bewertung vornehmen sollte, ist nicht erkennbar. Zudem hat sich die Klägerin vor ihrer Ausreise über mehrere Jahre im vom IS kontrollierten Gebiet aufgehalten; der Umzug des Vaters in sein Heimatdorf hat nach Angaben der Klägerin im Jahre 2013 / 2014 stattgefunden, zwei Wochen später ist die Klägerin mit der weiteren Familie umgezogen, die Ausreise der Klägerin erfolgte im August 2017. Ein bei einer Rückkehr auffälliger Zusammenhang zwischen der Ausreise und den Geschehnissen um die Amtsniederlegung durch den Vater besteht daher nicht; vielmehr stellt sich das Verlassen Syriens durch die Klägerin als Folge der Bürgerkriegszustände dar.
Schließlich wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung durchweg angenommen, dass Staatsbediensteten nicht wegen ihrer illegalen Ausreise grundsätzlich eine oppositionelle Haltung unterstellt wird und sie daher mit Verfolgung rechnen müssen vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 – OVG 3 B 27.17 – juris Rn. 41 m.w.N.; vgl. ferner OVG RhPf, U.v. 20.9.2018 – 1 A 10215/17.OVG – juris; VG Düsseldorf, U.v. 28.5.2018 – 4 K 730.16 A; VG Düsseldorf, U.v. 6.3.2018 – 17 K 10564/16.A – juris). Dies muss erst recht bei einer aus Syrien ausgereisten Angehörigen eines Staatsbediensteten gelten.
Einer möglichen Verfolgung durch den IS bei einer Rückkehr der Klägerin steht entgegen, dass die syrischen Sicherheitskräfte alle Einreisepunkte unter ihrer Kontrolle haben, über die eine (hypothetische) Rückführung erfolgen würde (HessVGH, U.v. 6.6.2017 – 3 A 3040/16.A – juris Rn. 96); eine hypothetische Rückführung könnte also nur in vom syrischen Staat beherrschte Gebiete erfolgen (OVG Lüneburg, U.v. 27.6.2017 – 2 LB 91/17 – juris Rn. 69).
Die Klage war damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 84 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3, § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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