Verwaltungsrecht

Keine generelle Schutzunwilligkeit georgischer Behörden

Aktenzeichen  W 7 K 16.32469

Datum:
7.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3, Art. 15 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Georgische Behörden sind nicht generell unwillens Schutz zu bieten, sodass es zumindest zumutbar ist, sich vor einer Flucht an eine Behörde zu wenden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Fehlt es gänzlich am Versuch der Schutzsuche bei der zuständigen staatlichen Behörde, ist eine Berufung auf den fehlenden Schutz durch den Heimatstaat ausgeschlossen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 29. November 2016 nicht rechtswidrig ist und der Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Denn der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG noch einen solchen auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, sowie auf die Verkürzung des gesetzlichen Einreise-und Aufenthaltsverbots im Fall einer Abschiebung. Dies ergibt sich aus Folgendem:
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 –, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 –, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Das Gericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:
Der Kläger konnte zwar glaubhaft machen, dass er von seiner Familie, insbesondere seinem Bruder, bedroht und beleidigt worden ist. Der letzte derartige Vorfall habe sich Ostern 2015 ereignet, als sein jüngerer Bruder angerufen und seine Lebensgefährtin und seine Tochter beleidigt habe. Letztere habe er als „Hurenkind“ bezeichnet, was diese mitbekommen habe. Sie habe daraufhin nicht mehr in die Schule gehen wollen. Sie sei krank geworden, habe sich geschämt und das Haus nicht mehr verlassen wollen.
Zur Polizei sei er nicht gegangen, weil es ein privates Problem sei.
Nachdem der Kläger selbst vorgetragen hat, dass er ausschließlich aufgrund privater Probleme sein Heimatland verlassen hat, fehlt es an einem flüchtlingsrechtlichen Anknüpfungspunkt, sodass eine Flüchtlingsanerkennung ausscheidet.
2. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG).
Es mag zwar zu einer Bedrohung des Klägers durch Verwandte gekommen sein, es wäre ihm jedoch zuzumuten gewesen, vor einer Ausreise zumindest zu versuchen, staatlichen Schutz zu erlangen. Aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen – auch nicht aufgrund der Ausführungen von Amnesty International im Jahresbericht 2016/2017 zu Georgien – kann nicht davon ausgegangen werden, dass die georgischen Behörden generell schutzunwillig sind. Wer nicht einmal den Versuch unternimmt, staatlichen Schutz zu erhalten, kann sich nicht darauf berufen, dass er nicht von seinem Heimatstaat geschützt wurde.
3. Es liegen aber auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid, denen das Gericht folgt, Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass dem Kläger bei einer Abschiebung eine solche Behandlung droht.
Ergänzend gilt, dass nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. November 2016 die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist. Rückkehrer, die fremde Unterstützung benötigen, sind bislang vor allem auf Familie und Freunde angewiesen. Internationale Organisationen – wie IOM und ICMPD – bieten ebenfalls Unterstützung an. Ein Mobilitätszentrum, eingerichtet beim Ministerium für Flüchtlinge, wurde gegründet und seit 2014 von der IOM fortgeführt. Hier wird Beratung und auch finanzielle Hilfe zur Reintegration in den Arbeitsmarkt (auch Hilfe zur Selbständigkeit) zur Verfügung gestellt, bei Bedarf auch eine Erstbzw. Zwischenunterkunft. Staatliche Repressalien gegenüber Rückkehrern sind nicht bekannt. Auch die Tatsache einer Asylantragstellung im Ausland ist bei der Rückkehr nach Georgien unerheblich.
Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG). Die Ausreisefrist entspricht den gesetzlichen Vorgaben des § 38 Abs. 1 AsylG. Gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung in Ziffer 6 des Bescheids bestehen ebenfalls keine Bedenken. Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben