Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan

Aktenzeichen  W 1 K 16.32223

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 und 7

 

Leitsatz

1 Ungeachtet der bestehenden gesellschaftlichen Ausgrenzung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan, weil die Übergriffe nicht die dafür erforderliche Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte aufweisen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Trotz des Konzepts für die Einhaltung des Aktionsplans zur Verhinderung der Rekrutierung Minderjähriger und der dadurch erreichten deutlichen Fortschritte, kommen noch Fälle zwangsweiser Rekrutierungen (auch von Minderjährigen) durch einzelne staatliche Sicherheitskräfte sowie bewaffnete regierungsnahe Gruppen vor, obwohl diese seit Februar 2015 unter Strafe gestellt sind. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 In der Hauptstadt Kabul könnte der Kläger internen Schutz erlangen und wäre außerhalb seines Heimatgebietes vor Zwangsrekrutierungsversuchen geschützt, weil die afghanische Regierung und die Sicherheitskräfte in ihrer Gesamtheit Zwangsrekrutierungspraktiken deutlich ablehnen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4 Trotz der gravierenden sozialen Probleme und des Versorgungsbedarfs kann von einem alleinstehenden leistungsfähigen Mann erwartet werden, dass er auch ohne nennenswertes Vermögen oder familiären Rückhalt in Kabul in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. (Rn. 33) Einer extremen Gefahrenlage wäre er bei einer Rückkehr nicht ausgesetzt. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 2. November ist einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
1. Ausgangspunkt für die Prüfung, ob dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht, ist die Frage, ob ihm in dem Land seiner Staatsangehörigkeit Verfolgung droht. Dagegen ist es unerheblich, ob er in einem Drittstaat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Verfolgung befürchten muss. Denn eines Schutzes vor Verfolgung bedarf es zur Erreichung des mit § 3 AsylG verfolgten Zieles nicht, wenn derjenige, der in einem Drittstaat verfolgt worden ist, den Schutz des Staates in Anspruch nehmen kann, dem er angehört (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 9 C 158.80 – BVerwGE 68, 106). Der Kläger ist aufgrund seines eigenen Vortrages afghanischer Staatsangehöriger. Gründe, dies in Zweifel zu ziehen, bestehen vorliegend nicht. Eine Prüfung des § 3 AsylG erfolgt daher nur insoweit, ob dem Kläger in Afghanistan beachtliche Gefahren drohen, nicht jedoch in Bezug auf den Iran. Insofern kommt dem klägerischen Vortrag vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, wonach der iranische Staat ihn des Öfteren schikaniert habe und er im Iran sogar von der Polizei beschossen worden sei, keine Bedeutung für das hiesige Verfahren zu, da dieser Vortrag in keiner Hinsicht geeignet ist, eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan zu begründen. Der Kläger kann sich auch nicht auf die Vermutungsregelung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie berufen, wonach bei einem vorverfolgt ausgereisten Kläger vermutet wird, dass die Verfolgungsfurcht i.S.d. § 3 AsylG im Falle einer Rückkehr begründet ist bzw. der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden i.S.d. § 4 AsylG zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen im Einzelfall gegen diese Annahme. Denn die Gefahr einer Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens betreffend die individuelle Situation des Klägers im Iran weist wesentliche Unterschiede zu den im Heimatstaat befürchteten Verfolgungsmaßnahmen auf und ist unter wesentlich abweichenden politischen Verhältnissen erfolgt. Der innere Grund für die Anwendung der Vermutungsregel des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie entfällt, wenn die in der Vergangenheit liegende Verfolgung sich wesentlich von den in der Zukunft befürchteten Nachstellungen unterscheidet oder keinerlei Verbindung mit diesen aufweist, weil sich in diesem Fall die beendete Verfolgung nicht als wiederholungsträchtig erweist und daher kein erhöhtes Risiko auslöst (vgl. BVerwG, a.a.O.). So liegt der Fall auch hier.
2. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund seiner Volkszugehörigkeit zur Bevölkerungsgruppe der Hazara oder seiner Religionszugehörigkeit als Schiit droht.
Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris) voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar ist.
Dies zugrunde gelegt bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund seiner Volkszugehörigkeit zur Bevölkerungsgruppe der Hazara oder seiner Religionszugehörigkeit als Schiit durch nichtstaatliche Akteure i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG droht. Ungeachtet der unbestritten bestehenden gesellschaftlichen Ausgrenzung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan, weil die genannten Benachteiligungen und vereinzelten gewaltsamen Übergriffe nicht die dafür erforderliche Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG aufweisen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 6.11.2015 – Stand November 2015 – S. 11 und vom 19.10.2016 – Stand September 2016 – S. 9; ebenso st. Rspr., z.B. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 27; U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 24; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris; B.v. 19.12.2016 – 13a ZB 16.30581 – juris; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris).
Auch durch die jüngsten Lageberichte des Auswärtigen Amtes wird diese Einschätzung nicht erschüttert. Zwar wird darin berichtet, dass die Hazara in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert seien. Auch gesellschaftliche Spannungen bestünden fort und lebten in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Zudem sei es im Jahre 2015 zu Entführungen von Hazara mit Todesfällen gekommen. Insgesamt habe sich jedoch die Lage der insbesondere unter der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsbelehrten (Ulema) als auch im hohen Friedensrat seien auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonten, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den IS angegriffen. Dabei seien 85 Menschen ums Leben gekommen und rund 240 verletzt worden. Dieser Schlag habe sich fast ausschließlich gegen Schiiten gerichtet (vgl. zum Ganzen: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 9 ff., Lagebeurteilung für Afghanistan des Auswärtigen Amtes vom 28.7.2017, S. 10). Auch unter Berücksichtigung dessen sowie der weiteren Anschläge im Zusammenhang mit dem Aschura-Fest in 2016 sowie gegen eine Moschee im Laufe des November 2016, die sich gegen Schiiten richteten und zu denen sich der islamische Staat bekannt hat, verfügen die Verfolgungshandlungen, denen die Hazara und die Schiiten in Afghanistan ausgesetzt sind, nach Auffassung des Gerichts nicht über die dargestellte für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklung im Laufe des Jahres 2017.
Der Kläger war überdies auch keinen persönlichen Angriffen aufgrund seiner Volkszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt. Er hat insoweit lediglich allgemein auf die nach seiner Meinung in Afghanistan bestehenden Bedrohungen, Anfeindungen bis hin zu Ermordungen gegenüber den Hazara durch die Taliban und andere Volksgruppen, insbesondere Paschtunen und Kuchis, verwiesen. Auf die ausdrückliche Frage, ob er selbst aufgrund seiner Volkszugehörigkeit in Afghanistan bedroht worden sei, hat er dies vor dem Bundesamt verneint und auch in der mündlichen Verhandlung keine individuelle Gefährdung geltend gemacht.
3. Darüber hinaus kann dem Kläger sein individueller Verfolgungsvortrag, dass er in seinem Heimatland als Minderjähriger durch Angehörige der Regierung bzw. der staatlichen Streitkräfte oder aber zumindest von mit diesen verbündeten Kampfeinheiten zwangsweise für den Kampfeinsatz habe rekrutiert werden sollen, nicht geglaubt werden. Der Kläger ist vielmehr nach Überzeugung des Gerichts nicht vorverfolgt aus Afghanistan ausgereist und es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass ihm im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Zwar ist aus der Erkenntnismittellage bekannt, dass Fälle von zwangsweisen Rekrutierungen (auch von Minderjährigen) auch durch einzelne staatliche Sicherheitskräfte sowie bewaffnete regierungsnahe Gruppen in Afghanistan noch vorkommen, auch wenn seit Juli 2014 ein Konzept für die Einhaltung des Aktionsplanes zur Verhinderung der Rekrutierung Minderjähriger besteht, diese seit Februar 2015 unter Strafe gestellt wurde und betreffend diese Problematik deutliche Fortschritte erreicht worden sind (vgl. etwa UNHCR-Richtlinien v. 19.4.2016, S. 52 f.; Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12 f.).
Allerdings hat der Kläger vorliegend einen derartigen Zwangsrekrutierungsversuch nicht glaubhaft machen können. Sein diesbezüglicher Vortrag war bereits vor dem Bundesamt ausgesprochen oberflächlich, vage und detailarm. Der Kläger hat sich insoweit auf die Behauptung eines solchen Vorfalls beschränkt, ohne die näheren äußeren Umstände dieser Begebenheit oder seine innere Gefühlslage hierbei auch nur ansatzweise näher zu schildern. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dieses angebliche Verfolgungsschicksal in keiner Weise eingehender dargelegt und hat damit nicht glaubhaft machen können, dass er hierbei von einem tatsächlich erlebten Ereignis berichtet. Vielmehr hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung sogar nicht einmal mehr von einem konkret ihm persönlich gegenüber stattgefundenen Zwangsrekrutierungsversuch berichtet, sondern seinen Vortrag lediglich allgemein auf die Benennung der angeblich im Heimatort bestehenden Praxis des „Einsammelns der jungen Leute für den Krieg“ beschränkt. Von einem Zwangsrekrutierungsversuch gegenüber dem Kläger persönlich ist damit nicht auszugehen. Aufgrund dieser Oberflächlichkeit des Klägervortrags ist auch nicht davon auszugehen, dass bei dem Kläger eine solche Zwangsrekrutierung unmittelbar bevorstand. So hat der Kläger es in diesem Zusammenhang bereits vor dem Bundesamt nicht vermocht, auf Nachfrage die angeblichen Zwangsrekrutierungsfälle in seiner Nachbarschaft zeitlich näher einzuordnen, was ihm jedoch möglich sein müsste, wenn er hieraus eine Lebensgefahr für sich ableitet und aus diesem Grunde aus seinem Heimatland geflohen sein will. Überdies erscheint es wenig lebensnah, dass sich die Personen, die ihn angeblich hätten rekrutieren wollen, auf eine Ablehnung seinerseits einfach wieder entfernt haben, wenn sie tatsächlich ein ernsthaftes Interesse gehabt hätten, den Kläger für ihre Zwecke zu gewinnen.
Überdies weisen die Ausführungen des Klägers eine Reihe von Ungereimtheiten und Widersprüchen auf, die einer Glaubhaftigkeit seines Vortrages ebenfalls entgegenstehen. So hat der Kläger vor dem Bundesamt erklärt, dass er am Folgetag nach dem Zwangsrekrutierungsversuch das Land bereits verlassen habe. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dagegen erklärt, dass die Flucht vom Heimatort aus bis in den Iran insgesamt etwa 7-8 Tage in Anspruch genommen habe. Wenn der Kläger überdies vor dem Bundesamt erklärt hat, dass seine Verfolger am Folgetag des Zwangsrekrutierungsversuchs wieder gekommen seien, so steht diese Behauptung auch in Widerspruch dazu, dass der Kläger seit dem Verlassen seines Elternhauses keinen Kontakt mehr mit seiner Mutter gehabt haben will. Demzufolge kann er auch nicht wissen, dass die Personen, die ihn hätten zwangsrekrutieren wollen, am Folgetag wieder bei ihm zu Hause vorstellig geworden sind. Dies erscheint konstruiert, um eine fortbestehende Verfolgungsgefahr darzulegen. Der persönlichen Glaubwürdigkeit des Klägers steht überdies entgegen, dass er widersprüchliche Angaben hinsichtlich seines Vaters gemacht hat. Auf Frage vor dem Bundesamt, ob noch weitere Verwandte im Heimatland leben, hat der Kläger angegeben: „Meine Eltern und ein Onkel (mütterlicherseits). Geschwister habe ich keine.“ Hiervon abweichend hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sein Vater verstorben sei, als er zwei Jahre alt gewesen sei. Wenn der Kläger auf entsprechenden Vorhalt des erkennenden Einzelrichters hin erklärt, dass ihn vor dem Bundesamt niemand gefragt habe, ob sein Vater noch lebe, so geht dies angesichts der eindeutig formulierten Frage ins Leere. Auch sein Hinweis darauf, dass der Dolmetscher kein Iraner gewesen sei und er viele afghanische Ausdrücke nicht gekannt habe, ist als reine Schutzbehauptung zu werten. Der Kläger ist in Afghanistan aufgewachsen, hat dort ca. 16 Jahre gelebt und hat sich erst danach für etwas mehr als zwei Jahre im Iran aufgehalten. Aus welchem Grund er afghanische Ausdrücke bei dieser Sachlage nicht verstanden haben will, erschließt sich in keiner Weise. Die Anhörung wurde in der Sprache Dari durchgeführt, die der Kläger selbst spricht, wie auch die Anhörung in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat. Sprachprobleme haben sich in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise gezeigt. Auch hat der Kläger unterschriftlich bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher vor dem Bundesamt gegeben habe.
Dem nach alledem nicht vorverfolgt ausgereisten Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts auch bei einer jetzigen Rückkehr nach Afghanistan als Volljährigem nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung nach § 3a AsylG. Im Hinblick auf eine Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppen, die in Einzelfällen vorkommen kann, bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte, zumal eine diesbezügliche Vorverfolgung bereits nicht geltend gemacht wurde. Aber auch im Hinblick auf eine Zwangsrekrutierung durch Regierungstruppen oder regierungsnahe Kräfte besteht keine Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, zumal diesbezüglich erhebliche Fortschritte bei deren Bekämpfung erreicht worden sind (vgl. UNHCR-Richtlinien v. 19.4.2016, S. 52 f.; Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12 f.).
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG ist nicht gegeben.
4. Unabhängig von vorstehenden Ausführungen bestünde jedoch für den Kläger in Afghanistan die Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG in Kabul, wenn man – entgegen obiger Ausführungen – davon ausginge, dass der Kläger vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist wäre, indem er dort einem Zwangsrekrutierungsversuch von Seiten staatlicher Streitkräfte bzw. regierungsnaher Truppen ausgesetzt war.
Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Hierbei sind die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsland und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen.
Das Gericht geht – auch unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie – davon aus, dass der Kläger in der afghanischen Hauptstadt Kabul internen Schutz erlangen kann und dort keine Verfolgungsgefahr zu befürchten hat. Es sprechen nämlich stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger erneut von einer Verfolgung bedroht würde, wie er sie in seinem Asylverfahren vorgetragen hat.
Zunächst hat der Kläger selbst nur geltend gemacht, dass er wegen seiner Volkszugehörigkeit in einer anderen Provinz nicht leben könne. Er hat demgegenüber eine Gefahr aufgrund einer auch dort etwaig drohenden Zwangsrekrutierung durch staatliche Streitkräfte nicht geltend gemacht und geht damit offensichtlich selbst nicht von einer entsprechenden Gefahr außerhalb seines Heimatsgebietes aus. Eine effektive Schutzmöglichkeit in Kabul scheitert vorliegend auch nicht daran, dass der Kläger eine staatliche bzw. regierungsnahe Verfolgung geltend macht. Denn der Erkenntnismittellage ist – wie bereits dargelegt – zu entnehmen, dass die afghanische Regierung Zwangsrekrutierungen aus den eigenen Reihen den Kampf angesagt hat, hierzu entsprechende gesetzliche Vorschriften erlassen hat und auch tatsächlich deutliche Fortschritte bei der Umsetzung erzielt wurden. Es bestehe je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalles für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten lebten, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden verfügten, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz (vgl. UNHCRRichtlinien v. 19.4.2016, S. 53). Selbst wenn man demzufolge davon ausginge, dass am Heimatort des Klägers derartige Machtstrukturen geherrscht haben, so ist dies doch für die völlig anders gearteten Strukturen und Machtverhältnisse in der Hauptstadt Kabul in keiner Weise anzunehmen, zumal – wie dargelegt – die afghanische Regierung und die Sicherheitskräfte in ihrer Gesamtheit Zwangsrekrutierungspraktiken deutlich ablehnen. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Kläger auch in keiner Weise um ein hochrangiges Verfolgungsziel, das ein fortbestehendes Interesse an dessen Ergreifung durch staatliche Sicherheitskräfte oder regierungsnahe Truppen auch in Kabul auch nur ansatzweise wahrscheinlich sein lässt. Der Kläger sollte vielmehr (bei Annahme einer Vorverfolgung) als einfacher Soldat, offensichtlich auch nur lokal begrenzt, eingesetzt werden. Auch haben sich die Eltern des Klägers (zumindest im Zeitpunkt der Ausreise) weiterhin am Herkunftsort aufgehalten, was nicht anzunehmen wäre, wenn der Kläger ernsthaft verfolgt würde, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass auch seine Eltern anstelle des Klägers in das Visier der Verfolger geraten bzw. diese sich stellvertretend an am Heimatort verbliebenen Familienmitgliedern rächen. Schließlich wechselt der Kläger seinen Wohnsitz nicht nur innerhalb seiner Heimatprovinz, sondern über die Provinzgrenze hinweg in die Millionenstadt Kabul, was seine Sicherheit weiter signifikant erhöht. Nach alledem sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland in Kabul erneut von einer Verfolgung der vorgetragenen Art bedroht wäre.
Der Kläger könnte darüber hinaus sicher und legal nach Kabul reisen. Schließlich kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Kabul niederlässt. Erforderlich ist hierfür, dass am Ort des internen Schutzes die entsprechende Person durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zweiweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht im Rahmen des internen Schutzes über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 6.6.2016 – 13 A 18182/15.A – juris).
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan und in der Hauptstadt Kabul stellen sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (a.a.O. S. 21 ff.) aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2015 lediglich Rang 171 von 187 im Human Development Index belegt habe. Die afghanische Wirtschaft ringe in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 nicht nur mit der schwierigen Sicherheitslage, sondern auch mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90%. So seien ausländische Investitionen in der ersten Jahreshälfte 2015 bereits um 30% zurückgegangen, zumal sich die Rahmenbedingungen für Investoren in den vergangenen Jahren kaum verbessert hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe durch die schwache Investitionstätigkeit geprägt. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 36% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Zwischen den Jahren 2012 und 2015 werde das Bevölkerungswachstum auf rund 2,4% pro Jahr geschätzt, was in etwa einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb einer Generation gleichkomme. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben des afghanischen Statistikamtes sei die Arbeitslosenquote im Oktober 2015 auf 40% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familienbzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch.
Aus der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes für Afghanistan vom 28. Juli 2017 ergibt sich insoweit nichts grundlegend Abweichendes: In fast allen Regionen werde von der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit als das größte Problem genannt. Die Zahl der neu hinzugekommenen Binnenvertriebenen sei im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 25% gesunken. Die afghanische Regierung habe unter Beteiligung der internationalen Geberschaft sowie internationaler Organisationen mit der Schaffung einer Koordinierungseinheit zur Reintegration der Binnenflüchtlinge und Rückkehrer reagiert. Ein Großteil der internationalen Geberschaft habe zudem beschlossen, die Finanzmittel für humanitäre Hilfe im Rahmen eines Hilfsappells des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Angelegenheit OCHA aufzustocken. Trotz internationaler Hilfe übersteige der derzeitige Versorgungsbedarf allerdings das vorhandene Maß an Unterstützungsmaß-nahmen seitens der Regierung.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage vom 30. September 2016, Seite 24 ff.) führt aus, Afghanistan bleibe weiterhin eines der ärmsten Länder weltweit. Die bereits sehr hohe Arbeitslosenrate sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte Ende 2014 wegen des damit zusammenhängenden Nachfrageschwundes rasant angestiegen, das Wirtschaftswachstum betrage nur 1,5%. Die Analphabtenrate sei noch immer hoch und der Pool an Fachkräften bescheiden. Die Landwirtschaft beschäftige bis zu 80% der Bevölkerung, erziele jedoch nur etwa 25% des Bruttoinlandprodukts. Vor allem in Kabul gehöre wegen des dortigen großen Bevölkerungswachstums die Wohnraumknappheit zu den gravierendsten sozialen Problemen. Auch die Beschäftigungsmöglichkeiten hätten sich dort rapide verschlechtert. Nur 46% der afghanischen Bevölkerung verfüge über Zugang zu sauberem Trinkwasser und lediglich 7,5% zu einer adäquaten Abwasserentsorgung. Unter Verweis auf den UNHCR sähen sich Rückkehrende beim Wiederaufbau einer Lebensgrundlage in Afghanistan mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontiert. Geschätzte 40% seien verletzlich und verfügten nur über eine unzureichende Existenzgrundlage sowie einen schlechten Zugang zu Lebensmitteln und Unterkunft. Außerdem erschwere die prekäre Sicherheitslage die Rückkehr. Gemäß UNHCR verließen viele Rückkehrende ihre Dörfer innerhalb von zwei Jahren erneut. Sie wichen dann in die Städte aus, insbesondere nach Kabul.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist von dem Kläger vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in Kabul niederlässt. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet er sich in einer vergleichsweise guten Position. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR – auf den die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich der Situation der Rückkehrenden Bezug nimmt –, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern – wie dem 20-jährigen Kläger – eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (vgl. UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). An dieser Einschätzung des Gerichts ändert sich auch durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts. Der UNHCR weist zwar in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zudem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft werden müsse. Abgesehen davon, dass der UNHCR für die beschriebene Einschätzung seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser auch gleichzeitig ausdrücklich an seinen Richtlinien von April 2016 fest, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt, wovon das Gericht auch bei dem hiesigen Kläger ausgeht.
Bei dem Kläger ist darüber hinaus individuell zu berücksichtigen, dass er zwar – wie vorgetragen – keine Schule besucht hat und nur gedruckte Texte in Dari lesen und ganz wenig schreiben kann. Jedoch ist er damit bereits gegenüber den vielen Analphabeten in Afghanistan zumindest leicht im Vorteil. Zudem kann eine sehr große Zahl von Menschen in Afghanistan nicht richtig lesen und schreiben, so dass dies nicht weiter negativ ins Gewicht fällt, wobei zumindest eine Vielzahl von Hilfstätigkeiten existiert, bei denen das Lesen und Schreiben nicht von Bedeutung ist. Auch aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen und Sprachkenntnisse – der Kläger hat die Berufsschule besucht und arbeitet aktuell als Produktionshelfer – befindet sich der Kläger in einer vergleichsweise guten Position. Positiv ist zu erwähnen, dass der Kläger bereits berufliche Erfahrungen als Maurer im Baugewerbe und als Schneider gesammelt hat. Hiermit war es ihm möglich, im Iran selbstständig für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und darüber hinaus knapp 5000,00 EUR für seine Flucht nach Deutschland anzusparen. Er hat damit im Iran bereits in jungen Jahren auf eigenen Füßen gestanden und erfolgreich Strategien für ein in finanzieller Hinsicht selbständiges Leben entwickelt und umgesetzt. Er hat damit unter Beweis gestellt, dass er auch unter schwierigen Bedingungen (als offensichtlich illegaler Flüchtling im Iran) in der Lage ist, erfolgreich für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, was ihm nach Überzeugung des Gerichts auch in Afghanistan gelingen wird. Die genannten beruflichen Erfahrungen wird der Kläger hierbei sicherlich auch im Heimatland gewinnbringend einsetzen können. Überdies hat der Kläger etwa 16,5 Jahre in Afghanistan gelebt und kennt infolgedessen die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse seines Heimatlandes. Ohne dass es hierauf aus rechtlichen Gründen noch ankäme, ist darüber hinaus anzunehmen, dass der Kläger wieder in seinen Familienverband, zu seinen Eltern bzw. seinem Onkel mütterlicherseits, die sich bei seiner Ausreise noch in Afghanistan aufgehalten haben, zurückkehren kann bzw. im Falle der Inanspruchnahme des internen Schutzes in Kabul zumindest auf deren finanzielle Unterstützung zählen könnte. Denn es ist im Kulturkreis des Klägers absolut üblich, dass in Notsituationen über derartige Kontakte Unterstützung geleistet wird und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies vorliegend nicht geschehen würde.
Eine extreme Gefahr für Leib und Leben i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann der Kläger auch dadurch abwenden, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen seit dem Jahr 2016 Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und Starthilfen im Umfang von 500 EUR beinhalten. Darüber hinaus besteht seit Juni 2016 das Reintegrationsprogramm ERIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen z.B. Service bei Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei einer Geschäftsgründung. Die Unterstützung wird weitgehend als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei ca. 700 EUR (vgl. Auskunft des Bundesamts vom 12.8.2016 an das VG Ansbach; VG Augsburg, U.v. 18.10.2016 – AU 3 K 16.30949 – juris). Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem normal Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen. Ebenfalls nicht entgegenstehend ist der Umstand, dass der Kläger längere Zeit in Europa verbracht hat. Vielmehr wirkt sich dies eher begünstigend auf seine Erwerbsperspektive in Afghanistan aus (vgl. auch OVG NRW, B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15 A – juris).
Eine Rückkehr nach Afghanistan scheitert nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris), der sich das Gericht anschließt, grundsätzlich auch nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet sich der Kläger vielmehr in einer vergleichsweise guten Position. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall, denn der Kläger hat sich bis zum Alter von 16,5 Jahren in Afghanistan aufgehalten, danach hat er noch rund 2 Jahre lang im islamisch geprägten Iran gelebt. Der Kläger spricht darüber hinaus auch Dari als eine der beiden Landessprachen Afghanistans. Auch steht der Annahme, dass der Kläger in Afghanistan keiner unzumutbaren Gefahrensituation ausgesetzt sein wird, nicht die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und der Religionsgruppe der Schiiten entgegen. Denn es ist nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger dieser ethnischen bzw. religiösen Minderheit keine Chance hätte, sich etwa als Tagelöhner zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten hierfür keine entsprechenden Hinweise (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris). Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt sein (vgl. Friederike Stahlmann, Überleben in Afghanis…, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff. (77 f.). Denn nach Überzeugung des Gerichts bieten die geschilderten persönlichen und familiären Ressourcen des Klägers ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, zumindest für den hiesigen Kläger ein Leben in Afghanistan zumutbar erscheinen zu lassen. Eine extreme Gefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nach alledem ausgeschlossen.
Nach alledem kann der Kläger internen Schutz in der Hauptstadt Kabul in Anspruch nehmen, so dass auch aus diesem Grunde ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausscheidet.
II.
Der Kläger hat weiterhin auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt insoweit bereits an einem glaubhaften Vortrag, zumindest aber besteht für den Kläger die Möglichkeit internen Schutzes in Kabul nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 3 AsylG wird vollumfänglich verwiesen.
2. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Maydan-Wardak; dasselbe gilt für den Ort des internen Schutzes, der Hauptstadt Kabul. In der Zentralregion, zu der sowohl die Provinz Maydan-Wardak als auch die Hauptstadt Kabul gehören, wurden im Jahre 2016 2.348 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Annual Report 2016 Afghanistan, Februar 2017, S. 11 f.). Die Anschlagswahrscheinlichkeit für die Zentralregion lag damit im Jahr 2016 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Im Jahr 2017 hat sich diese Zahl (unter Verdoppelung der Halbjahreszahlen) bis zur Jahresmitte in der Zentralregion leicht erhöht. Dort wurden im ersten Halbjahr 2017 bisher 1.254 Zivilpersonen getötet oder verletzt (vgl. UNAMA, Midyear Report 2017, Juli 2017, S. 10). Auch damit ist derzeit nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Relevante individuelle gefahrerhöhende Umstände sind bei dem Kläger darüber hinaus nicht erkennbar. Auch wenn es in der jüngeren Vergangenheit zu mehreren Anschlägen auf Hazara und Schiiten in Afghanistan gekommen ist – wie oben beschrieben –, so hat sich die Gefahr für den Kläger nach Überzeugung des Gerichts mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnismittel und die Zahl der gezielten Anschläge noch nicht in einer Weise verdichtet, dass er aufgrund seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit bereits eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG befürchten müsste (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris). Im Übrigen ist dem Kläger wegen seiner Volkszugehörigkeit in Afghanistan zu keiner Zeit etwas zugestoßen, was auch im Rückkehrfalle nicht zu erwarten ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG vollumfänglich verwiesen.
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu den §§ 3, 4 AsylG vollinhaltlich verwiesen. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt darüber hinaus ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Not-wendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N..; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I. 4. verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Kabul besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift abzulehnen.
Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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