Aktenzeichen B 4 K 17.30071
VwVfG § 51 VwVfG
Leitsatz
1 Nach der Änderung des Asylgesetzes 2016 ist die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen, um deren Aufhebung zu erreichen und eine Entscheidung über den Asylantrag zu erlangen. Eine Verpflichtung der Gerichte zum “Durchentscheiden” besteht angesichts der Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht (mehr). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Koptische Christen sind derzeit in Ägypten keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt. Auch wenn sie in den letzten Jahren massiver gesellschaftlicher und staatlicher Diskriminierung ausgesetzt waren, erreichen die Spannungen und Gewaltausbrüche in der Gesamtwürdigung nicht die Dichte, dass für jeden Gruppenangehörigen die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG erfasst auch Folgeanträge. In noch anhängigen Asylfolgeverfahren ist die Feststellung, ob nationale Abschiebungsverbote vorliegen, unabhängig davon zu treffen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 bzw. Abs. 5 VwVfG vorliegen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.12.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
a. Statthaft ist lediglich der Klageantrag zu 1, soweit darin die Aufhebung des Bescheids der Beklagten von 22.12.2016 beantragt wird.
Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 -, juris, Rn. 15 ff.) ist seit Inkrafttreten des Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016 (BGBl. I S. 1939) am 06.08.2016 – also nach der Änderung des Asylgesetzes, die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wird, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag eine Verpflichtung der Gerichte zum „Durchentscheiden“ angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist, hält das BVerwG, dessen Auffassung sich das erkennende Gericht anschließt, daran mit Blick auf die Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht mehr fest
b. In der Sache hat die Anfechtungsklage jedoch keinen Erfolg. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (§ 71 Abs. 1 AsylG) noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Als rechtmäßig erweisen sich auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
aa. Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG ist auf einen Folgeantrag hin ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – vorliegen, d.h., wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Abs. 1 Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung her beigeführt haben würden (Abs. 1 Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten seit dem Tag gestellt werden, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, ist der Folgeantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 als unzulässig abzulehnen. Gemäß § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG sind dann die §§ 34, 35 und 36 AsylG entsprechend anzuwenden.
Der Folgeantrag des Klägers wurde zu Recht abgelehnt.
Individuelle Gründe für ein Wiederaufgreifen seit dem bestandskräftigen Abschluss des Erstverfahrens hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht. Soweit er angibt, er sei im Erstverfahren zu seinen Ausreisegründen nicht angehört worden, ist dies darauf zurückzuführen, dass sein Vormund bereits vor einer Anhörung den Asylantrag zurückgenommen hat. Der Kläger hat entgegen den Angaben im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten auch nicht bestritten, dass das Stadtjugendamt … den Asylantrag mit seinem Einverständnis zurückgenommen hat. Er habe es sich erst danach wieder anders überlegt. Somit kann der Kläger mit den Gründen, die zu seiner Ausreise geführt haben (Probleme mit irgendwelchen kriminellen Personen in der Schule) im Folgeverfahren nicht mehr gehört werden. Seine Angabe, seine Mutter sei von diesen Personen überfahren und schwer verletzt worden, ist als neue Tatsache in keiner Weise substantiiert. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich um einen reinen Verkehrsunfall gehandelt hat.
Soweit sich der Kläger auf eine Gefährdung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit beruft, ist ebenfalls kein Wiederaufgreifensgrund gegeben.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass koptische Christen in Ägypten derzeit einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind.
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen (was ersichtlich nicht der Fall ist), oder es ist eine bestimmte Verfolgungsdichte erforderlich, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (höchstrichterliche Rechtsprechung vgl. zuletzt BVerwG v. 21.04.2009, Az.: 10 C 11.08, AuAs 2009, 173-175, zu Sunniten im Irak; ferner BVerwG v. 01.02.2007, Az.: 1 C 24.06, NVwZ 2007, 590 = InfAuslR 2007, 211 = AuAS 2007, 68, zu Tschetschenen; BVerwG v. 05.01.2007, Az.: 1 B 59.06, juris; BVerwG v. 18.07.2006, Az.: 1 C 15.05, BVerwGE 126, 243 = NVwZ 2006, 1420 = DVBl 2006, 1512 = ZAR 2006, 410 = InfAuslR 2007, 33 = BayVBl 2007, 151, zu Christen im Irak; jeweils mit weiteren Nachweisen).
Koptische Christen die etwa 10% der Gesamtbevölkerung in Ägypten (mehr als 80 Mio.) ausmachen, stellen nach ihrer eigenen Wahrnehmung keine Minderheit dar. Sie waren in den letzten Jahren massiver gesellschaftlicher und staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Bereits im August 2013 kam es zu einer Welle der Gewalt, die im Mai 2016 wieder aufflammte, wobei koptische Kirchen attackiert und Christen getötet wurden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15.12.2016; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf vom 20.01.2017). Die unbestreitbar vorliegenden Spannungen und damit einhergehenden Gewaltausbrüche erreichen in der Gesamtwürdigung aber nicht die Dichte, die für die Betroffenen eine Verfolgung begründen könnte. Es ist nicht erkennbar, dass Verfolgungshandlungen auf alle sich im Verfolgungsgebiet aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (VG Köln, U.v. 10.11.2016 – 6 K 5496/15.,A, juris; VG Aachen, U.v. 26.07.2016 – 3 K 664/16.A, juris.).
Die vom Klägervertreter aufgezählten Angriffe und Opfer aus neuerer Zeit sind über die Auskünfte und Medien verifiziert, bzw. können als wahr angenommen werden. Sie stellen aber weder qualitativ noch quantitativ eine Steigerung gegenüber den bereits zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers bekannten Ausschreitungen gegen Christen dar und somit keine neue Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.
bb. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurden zu Recht nicht zuerkannt.
Dabei ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG seit dem Inkrafttreten des Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016 (BGBl. I S. 1939) am 06.08.2016 auch unzulässige Asylanträge – also auch Folgeanträge (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG) – erfasst. Nach dieser Vorschrift ist u.a. in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Dies bedeutet, dass in noch anhängigen Asylverfahren, die einen Asylfolgeantrag zum Gegenstand haben, jedenfalls nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Regelung die Feststellung, ob die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots vorliegen, entgegen der früheren Rechtslage unabhängig davon zu treffen ist, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen oder das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. den §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zurückgenommen oder widerrufen wird (so auch VG Oldenburg, Beschluss vom 13.03.2017 – 3 B 1322/17, juris, Rn. 11). Das Bundesamt – oder ggf. im weiteren Verfahren das Gericht – hat daher ohne die Einschränkungen des § 51 Abs. 1 bzw. Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG im Falle eines Folgeverfahrens eine Prüfung der nationalen Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG durchzuführen.
Vorliegend hat die Beklagte bezüglich der Abschiebungsverbote nur eine Entscheidung nach § 51 VwVfG getroffen. Dies verletzt den Kläger jedoch nicht in seinen Rechten, denn in der Begründung des Bescheides vom 22.12.2016 (Seite 3) hat die Beklagte selbst ausgeführt, dass unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidungen zu § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht in Betracht kommt. Insoweit hat sie das Vorliegen von Abschiebungsverboten zumindest inzident geprüft und verneint.
Ein Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG ist auch im gerichtlichen Verfahren nicht ersichtlich, nachdem individuelle Gründe für ein Rückkehrhindernis nicht glaubhaft gemacht sind.
Der Kläger kommt nach eigenen Angaben aus einer Stadt mit ca. 150.000 Einwohnern in dem mittelägyptischen Departement Al-Minya. Sein Vater ist dort Beamter in der …, seine Mutter arbeitet Teilzeit …, seine Schwester ist Schülerin und sein Bruder lebt und arbeitet in Kairo. Es ist nicht ersichtlich, wieso der Kläger bei einer Rückkehr in den Kreis seiner Familie einer relevanten Gefahr ausgesetzt wäre.
cc. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Nr. 3, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert worden sind, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sein Folgeantrag ist, wie oben ausgeführt, unzulässig und ihm stehen weder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu, noch besitzt er einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel (§ 34 AsylG).
dd. Gegen die Bemessung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG (Nr. 4) bestehen ebenfalls keine Bedenken.
2. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b Abs. 1 AsylVfG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO