Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung sunnitischer Iraker aus Bagdad

Aktenzeichen  AN 2 K 16.31365

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG §§ 3, 4
AsylG AsylG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Im Irak besteht keine Gruppenverfolgung von Sunniten aus Bagdad. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 9. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, § 113 Abs. 5 VwGO.
Die Kläger sind nicht als Asylberechtigte im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzuerkennen, da sie nach eigenen Angaben über den Landweg in die Bundesrepublik eingereist sind. Gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG können sich die Kläger daher nicht auf das Asylgrundrecht berufen, da nach momentaner Rechtslage alle an die Bundesrepublik angrenzende Staaten ent weder Staaten der Europäischen Union oder sichere Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Anlage I zu § 26a AsylG sind Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass die Kläger keine Flüchtlinge im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG sind. Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Im Rahmen des Asylverfahrens gehört es zu den Obliegenheiten des Klägers, seine Verfolgungsgründe darzulegen und unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 -juris Rn. 15). Den Klägern gelingt es hingegen nicht substantiiert darzulegen, inwiefern ihnen bei einer Rückkehr in den Irak individuell und konkret seitens der schiitischen Miliz eine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Die in der Anhörung vor dem Bundesamt am 2. August 2017 vorgetragenen Vorfälle mit der schiitischen Miliz stellen sich als kriminelle Handlungen dar, die nicht konkret an ein Verfolgungsmerkmal im Sinne von § 3b AsylG anknüpfen. Nach den Angaben des Klägers zu 1. ging es der schiitischen Miliz vor allem darum, sich in seinem Laden umsonst zu bedienen. Zudem soll sich die Miliz über die Schilder vor seinem Laden geärgert haben. Dass die Miliz ihn wegen eines Verfolgungsmerkmals im Sinne von § 3b AsylG bedroht hat, geht hieraus nicht hervor.
Im Übrigen ist nicht erkennbar, inwiefern die schiitische Miliz persönlich und individuell gegen die Kläger vorgehen wollte. Daher ist auch zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft, dass knapp zwei Jahre nach der Ausreise der Kläger die schiitische Miliz an den Vater des Klägers zu 1. herantritt und diesen bedroht, um an den Kläger zu 1. heranzukommen. Die Erklärung der Kläger, die Miliz habe seinen Vater vorher in Bagdad nicht finden können, widerspricht der Einlassung der Kläger, dass sie in Bagdad von der schiitischen Miliz sofort aufgegriffen würden, da die Miliz so einen starken Einfluss hätte. Dass die Eltern des Klägers fast zwei Jahre in Bagdad in der totalen Isolation ohne jeden Kontakt zur Außenwelt gelebt haben sollen, widerspricht jeglicher Lebenserfahrung. Hinzu kommt, dass der Kläger zu 1. trotz mehrfacher Nachfrage seitens des Gerichts und seitens der Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 13. September 2017 nicht schildern konnte, wie genau die Miliz seinen Vater bedroht habe und inwiefern der Vorfall mit ihm zusammenhing. Erst nach mehrfacher konkreter Nachfrage gab der Kläger zu 1. pauschal an, dass die Miliz seinem Vater gedroht hätte, ihn zu umzubringen, wenn er den Kläger zu 1. nicht der Miliz übergeben würde.
Dem Bundesamt ist auch zuzustimmen, wenn es im Bescheid vom 9. September 2016 anführt, dass der vom Kläger vorgelegte Drohbrief keine individuell gegen den Kläger gerichteten Bedrohungen enthält. Insbesondere zeigt sich kein Zusammenhang des Drohbriefs mit den Vorfällen, die der Kläger seinen Angaben nach persönlich mit der Miliz erlebt hat. Der Drohbrief nimmt weder Bezug auf die vom Kläger angeblich aufgestellten Schilder vor seinem Laden noch auf seine Freundschaft mit einem Christen. Den vom Kläger vorgelegten Lichtbildern kommt ein geringer Beweiswert zu, da bereits nicht erkennbar ist, wo und wann diese Aufnahmen gemacht wurden. Die gezeigte Flagge kann ohnehin lediglich beweisen, dass es in Bagdad schiitische Milizen gibt. Dies ergibt sich jedoch aus den dem Verfahren zu Grunde gelegten Erkenntnismitteln und kann zur Frage, ob die Kläger persönlich eine Verfolgung durch die schiitische Miliz zu befürchten haben, nichts beitragen.
Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung gelingt es den Klägern jedenfalls nicht konkret und substantiiert darzulegen, dass und warum ihnen im Irak eine individuelle Verfolgung seitens der schiitischen Miliz droht. Die pauschale Behauptung der Kläger, dass der Kläger zu 1. sicher umgebracht werden würde, ist nicht ausreichend.
Die von den Klägern vorgebrachte allgemeine Angst vor Verfolgung wegen ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit stellt keine begründete Furcht vor Verfolgung dar. Nach der Auskunftslage existiert keine nach der Rechtsprechung des Bundeverwaltungsgerichts für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte hinsichtlich sunnitischer Iraker aus Bagdad. Für die Annahme einer entsprechenden Verfolgungsdichte ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, U.v. 21. April 2009 – 10 C 11/08 – juris Rn. 13 ff.). Nach den zum Bestandteil des Verfahrens gemachten Auskünften existieren zwar im Irak schiitische Milizen, die zum Teil auch gewaltsam gegen Sunniten vorgehen. Dabei handelt es sich aber um einzelne Übergriffe. Für Sunniten aus Bagdad erreichen diese Übergriffe seitens schiitischer Milizen kein solches Ausmaß, dass für jeden Iraker sunnitischen Glaubens ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Der Umfang der Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, die an die sunnitische Religionszugehörigkeit anknüpfen, rechtfertigt im Verhältnis zu der Größe dieser Gruppe nicht die Annahme einer alle Mitglieder erfassenden Gruppenverfolgung (BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 13a ZB 16.30740 – juris Rn. 5; B.v. 1.2.2017 – 13a ZB 16.30990 – juris Rn. 5). Sunniten, die aus Gebieten flüchten, die von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ besetzt sind oder waren, sind auf Grund des pauschalen Verdachts der Kollaboration zwar verstärkt Verfolgung und Racheakten ausgesetzt. Dies trifft auf die Kläger jedoch gerade nicht zu, da Bagdad nicht ehemals von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ besetzt war.
Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass den Klägern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG im Irak droht, hat das Bundesamt zu Recht ausgeführt, dass die Kläger nicht alles versucht haben, staatlichen Schutz im Sinne von § 3d AsylG zu erlangen. Die Angaben des Klägers zu 1. zu dieser Frage sind widersprüchlich. Einerseits trug er in der mündlichen Verhandlung pauschal vor, dass die Polizei oder die Gerichte ihm nicht helfen würden, andererseits legte er Dokumente vor, nach denen es seinem Vater gelungen ist, Anzeige zu erstatten. Warum sein Vater den Ausgang des Verfahrens im Irak nicht abgewartet hat, konnte der Kläger zu 1. nicht schlüssig darlegen. Dass seine Eltern Angst hatten, dass die Miliz von der Anzeige bei Gericht erfährt, ist nicht überzeugend, da die Eltern nach Angaben des Klägers bereits nach der ersten Anzeige bei der Polizei solche Befürchtungen hatten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass trotz dieser Angst ein zweites Mal Anzeige erstattet wird. Zudem spricht die weitere Einlassung des Klägers zu 1., er habe seinem Vater geraten, die Anzeige zu erstatten, um in einem etwaigen Asylverfahren offizielle Dokumente vorlegen zu können, dafür, dass die Kläger sich nicht ernsthaft um staatlichen Schutz bemüht haben.
Aber auch unter der Annahme, den Klägern stünde gegen eine etwaige Verfolgung kein staatlicher Schutz zur Verfügung, könnten sich die Kläger einer solchen Bedrohung jedenfalls durch einen Umzug innerhalb Bagdads entziehen. Insoweit besteht eine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG. Die Einlassung des Klägers zu 1., dass ihn die schiitische Miliz überall aufspüren würde, ist nicht nachvollziehbar. Auch seinen Eltern ist es nach Angaben des Klägers zu 1. gelungen, sich knapp zwei Jahre in Bagdad aufzuhalten, ohne dass sie Probleme mit der schiitischen Miliz hatten. Wie bereits dargestellt, ist es nicht glaubhaft, dass die Eltern des Klägers zu 1. nie aus dem Haus gegangen sind und auch sonst keinen Kontakt zur Außenwelt hatten. Zumal der Kläger angibt, sein Vater habe ihn über den Zustand seines Hauses und seines Ladens informiert und diese wieder instand gesetzt. Der Vater muss somit in irgendeiner Weise Kontakt zu seiner Umwelt gehabt haben.
Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht nicht, da den Klägern in ihrem Herkunftsland, insbesondere in ihrer Herkunftsregion, kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG droht.
Die Kläger stammen aus Bagdad und haben dort grundsätzlich bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak gelebt. In Bagdad droht den Klägern kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, da in Bagdad kein innerstaatlicher Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt. Von einem innerstaatlichen Konflikt im Sinne dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 – juris Rn. 35). Dem Ausländer droht dann ein ernsthafter Schaden auf Grund des Konflikts, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12 – juris Rn. 30). Zwar ist die Sicherheitslage im Irak angespannt und kommt es gerade auch in Bagdad immer wieder zu terroristischen Anschlägen. Die angespannte Sicherheitslage resultiert jedoch aus inneren Unruhen und Spannungen, die nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkriegs aufweisen. Das erkennende Gericht sieht unter Zugrundelegung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass die Kläger als Zivilpersonen bei ihrer etwaigen Rückkehr in den Irak, speziell nach Bagdad, allein durch ihre Anwesenheit in dieser Region tatsächlich Gefahr liefen, einer hier verfahrensrelevanten Bedrohung ausgesetzt zu sein.
Den Klägern droht bei ihrer Rückkehr in den Irak auch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Insofern wird auf die Ausführungen im Rahmen des Flüchtlingsschutzes verwiesen.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor. Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG. Insbesondere ist kein Abschiebungsverbot aus humanitären Gründen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Kläger bei einer Rückkehr nach Bagdad dort ein Existenzminimum erwirtschaften können. Der Kläger zu 1. ist erwerbsfähig und hat nach eigenen Angaben den Beruf des Malers gelernt.
Die in Ziffer 5 des Bescheides vom 9. September 2016 ausgesprochene Abschiebungsandrohung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG ist nicht zu beanstanden, § 114 Satz 1 VwGO.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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