Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden in der Region Kurdistan-Irak

Aktenzeichen  Au 5 K 17.34297

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 4
AufenthG AufenthG § 60a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1 Es liegen keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Yeziden in der Region Kurdistan durch den IS oder andere Gruppen, auch nicht durch die kurdische Regierung vor.   (redaktioneller Leitsatz)
2 Belästigungen oder Witzeleien über die Religionszugehörigkeit fehlt es an der Intensität einer Vorverfolgung.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Aussetzung der Abschiebung irakischer Staatsangehöriger aufgrund Erlasses des Bayerischen Staatsministerium des Innern vermittelt wirksamen Schutz vor Abschiebung, sodass es des zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht bedarf. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte wurde zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 2. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, weil die Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 AsylG in seiner Person nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
1.1 Soweit der Kläger seine Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG begehrt, bleibt die Klage ohne Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannte Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Soweit der Kläger im Wesentlichen bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2017 auf Belästigungen am vormaligen Arbeitsplatz in Erbil (Hotel) wegen seiner yezidischen Glaubenszugehörigkeit verwiesen hat, vermögen diese nicht zu einer Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Insoweit fehlt es bereits an der Intensität einer Vorverfolgung im Zielstaat. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers hat es sich insoweit im Wesentlichen um verbale Belästigungen ohne körperliche Auswirkungen auf den Kläger gehandelt. Der Kläger hat sich im Wesentlichen durch die Belästigungen bzw. Witzeleien über seine Religionszugehörigkeit gekränkt gefühlt und insoweit keine Lebensbzw. Berufsperspektive im Irak gesehen. Soweit der Kläger im Weiteren auf Vorfälle in * verweist, waren diese bereits nicht ursächlich für die spätere Ausreise des Klägers im November 2016.
Auch der allgemeine Vortrag, Angst vor den Übergriffen der Terrormiliz IS zu haben, führt nicht zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Die allgemeine Angst bzw. die angespannte Sicherheitslage begründet für sich noch nicht die Voraussetzungen des § 3 AsylG. Überdies sind die Kurdischen Autonomiegebete, in denen der Kläger nach seinem Vorbringen mindestens eineinhalb Jahre vor seiner Ausreise aus dem Irak gelebt hat, nicht unmittelbar von den Kämpfen in den westlichen und südlichen Nachbarprovinzen betroffen, wenn auch die Sicherheitslage dort weiterhin angespannt ist.
Dem Kläger ist es überdies in den Kurdischen Autonomiegebieten gelungen, Wohnraum anzumieten bzw. eine Beschäftigung im Hotelgewerbe aufzunehmen. Dass ihm dies bei einer erneuten Rückkehr in den Irak nicht erneut gelingen sollte, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist prognostisch auch in Zukunft mit einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure in den Kurdischen Autonomiegebieten nicht zu rechnen. Es besteht derzeit keine Verfolgungswahrscheinlichkeit in den Autonomiegebieten, die von der kurdischen Regionalregierung beherrscht werden (vgl. VG München, U.v. 8.2.2017 – M 4 K 16.31581 – juris).
Das Gericht hat vom Kläger in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger vor allem wegen der besseren Lebensbedingungen und der besseren Zukunftsperspektiven in Deutschland seine Heimat letztlich verlassen hat. Dies ist zwar menschlich durchaus nachvollziehbar, bleibt aber flüchtlingsrechtlich irrelevant.
1.2 Soweit der Kläger geltend macht, dass ihm bei einer Rückkehr in seine Heimat aufgrund seiner Religionszugehörigkeit zur Gemeinschaft der Yeziden Verfolgungshandlungen im Sinne der §§ 3, 3a AsylG drohen, ergibt sich hieraus ebenfalls kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
Der Kläger wurde aufgrund seiner Religionszugehörigkeit weder persönlich mit der erforderlichen Intensität bedroht, noch liegen die Voraussetzungen einer sogenannten Gruppenverfolgung der Yeziden im Irak vor.
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sogenannte Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassten gruppengerichteten Verfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich beschützten Rechtsgütern erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin wegen eines in § 3b AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Für die Gruppenverfolgung gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts dem Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt, wenn keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die auch vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. VGH BW, U.v. 5.10.2016 – A 10 S. 332.12 – juris).
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen liegen keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Yeziden in der Region Kurdistan durch den IS oder andere Gruppierungen, geschweige denn durch die kurdische Regierung, vor (vgl. VG München, U.v. 8.2.2017 – M 4 K 16.31581 – a.a.O.; U.v. 13.5.2016 – M 4 K 16.30558 – juris; VG Bayreuth, U.v. 20.3.2017 – B 3 K 17.30047 – juris Rn. 38).
Die Kurdischen Autonomiegebiete Dohuk, Erbil, Sulaymania sind von den Kämpfen in den westlichen und südlichen Nachbarprovinzen nicht unmittelbar betroffen, wenn auch die Sicherheitslage dort weiterhin angespannt ist. Der Kläger kann sich daher nicht auf eine Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte berufen. Zwar besteht in weiten Teilen des Iraks seit Mitte 2014 eine Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt des IS, jedoch sind nach den Erkenntnissen des Gerichts und des Auswärtigen Amtes (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18.2.2016; Gutachten Europäisches Zentrum für kurdische Studien vom 7.9.2015) die Kurdischen Autonomiegebiete davon nicht betroffen. Vielmehr leben dort in großer Anzahl Flüchtlinge, die vor den Umtrieben des IS geflohen sind. Dies hat zur Folge, dass der Kläger jedenfalls in den Autonomiegebieten Zuflucht finden kann. Dies gilt umso mehr als der Kläger bereits längere Zeit vor seiner Ausreise in den Kurdischen Autonomiegebieten gelebt und dort seinen Lebensmittelpunkt hatte. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist prognostisch auch in Zukunft mit einer politischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure dort nicht zu rechnen. Nach der Rückeroberung der Großstadt Ramadi aus den Händen der IS-Miliz durch irakische Militär und einer Verminderung der tschihadistischen Kämpfer im Irak besteht derzeit keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit in den Autonomiegebieten, die von der kurdischen Regionalregierung beherrscht werden (vgl. zur Situation von Yeziden in den Kurdischen Autonomiegebieten auch BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 13a ZB 16.30689 – juris Rn. 3 f.).
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu gewähren. Auch subsidiärer Schutz wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer internen Schutz in Anspruch nehmen kann (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG).
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG wegen seiner yezidischen Glaubenszugehörigkeit. Der inzwischen volljährige Kläger ist jedenfalls bei einer Rückkehr in das Kurdische Autonomiegebiet, in dem er bereits vor seiner Ausreise seinen Lebensmittelpunkt hatte, nicht gefährdet. Eine derartige Gefährdung hat der Kläger bereits nicht aufgezeigt.
Die Gefahr eines ernsthaften Schadens in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG kann vorliegend nicht festgestellt werden. Für die Beurteilung der Frage des Bestehens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist, sofern der Konflikt nicht landesweit besteht, auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Ist für die maßgebliche Region eine individuelle Bedrohung entweder wegen gefahrerhöhender individueller Umstände oder ausnahmsweise wegen eines besonders hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen eines bewaffneten Konflikts anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob der Kläger in anderen Teilen des Irak, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz finden kann (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris). Der inzwischen volljährige Kläger hat die letzten mindestens eineinhalb Jahre vor seiner Ausreise in der Autonomen Region Kurdistan zeitlich nachfolgend zuerst in Dohuk und danach in Erbil gelebt. Es ist ihm und seiner Familie gelungen, dort eine Unterkunft zu finden. Gleiches gilt für eine berufliche Tätigkeit des Klägers.
Das Gericht geht aufgrund der Auskunftslage davon aus, dass in der Region Kurdistan-Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG stattfindet und auch in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Die Truppen der Terrormiliz IS sind nicht mit Erfolg in diese Region vorgedrungen. Vielmehr suchen viele Binnenflüchtlinge aus den übrigen Landesteilen des Irak in der Autonomen Region Kurdistan Zuflucht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 7. Februar 2017, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak: Sicherheitssituation in der KRG-Region vom 28. Oktober 2014 mit Update vom 28. März 2015).
Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren in der Person des Klägers führen könnten, sind bei einer Rückkehr in das Kurdische Autonomiegebiet nicht ersichtlich bzw. zu befürchten.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben bzw. vorgetragen.
Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat der Kläger nicht geltend gemacht bzw. sind auch sonst nicht ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Für die beim Kläger angeblich vorliegenden Depressionen wurden keine aussagekräftigen ärztlichen Atteste dem Gericht im Verfahren vorgelegt.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden, wie sie der Kläger auch geltend macht, auch Gefahren durch die desolate Versorgungslage neben Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekanntgegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiter in dem Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420). Demzufolge ist in Bayern die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger weiterhin ausgesetzt (vgl. BayVGH, U.v. 10.5.2005 – 23 B 05.30217 – juris Rn. 30). Damit liegt aber eine Erlasslage im Sinne des § 60 a AufenthG vor, welche dem Kläger derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass dem Kläger nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung etwa in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren wäre (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30809 – nicht veröffentlicht; BVerwG, B.v. 1.9.2005 – 1 B 68/05 – juris; B.v. 22.3.2006 – 1 C 13.05 – veröffentlicht unter www.bverwg.de).
Sofern man davon ausgeht, dass für kurdische Volkszugehörige aus den Autonomiegebieten selbst eine Rückführung nach Erbil derzeit möglich ist, sind ebenfalls keine Gründe zu Gunsten des Klägers erkennbar, diesem ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzuerkennen.
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das Gericht erachtet für den Kläger eine Rückkehr in die Autonomen Gebiete Kurdistans für zumutbar, zumal der Kläger über eine neunjährige abgeschlossene Schulausbildung verfügt und es ihm gelungen ist, in der Region Kurdistan eine Erwerbsstelle zu finden. Vor diesem Hintergrund ist der Kläger auch nicht darauf angewiesen, dass sich weitere Familienangehörige von ihm in der Region Kurdistan aufhalten. Der volljährige Kläger ist auch in Zukunft darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt allein sicherzustellen, zumal nach seinem übrigen Vorbringen keiner seiner Familienangehörigen einer Erwerbstätigkeit nachgeht.
4. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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