Verwaltungsrecht

Keine Rücknahmefiktion bei Antrag auf Familienasyl

Aktenzeichen  Au 4 K 18.30645

Datum:
23.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17289
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26, § 33

 

Leitsatz

Ein Antrag auf internationalen Schutz als Familienangehöriger nach § 26 AsylG ist kein Asylantrag iSd § 33 AsylG. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 16.03.2018 (Gesch.-Z.: 7386288-475) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für die Fiktion einer Antragsrücknahme wegen Nichtbetreibens des Verfahrens gem. § 33 Abs. 1, Abs. 2 AsylG lagen nicht vor.
Zum einen ist § 33 AsylG im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 33 Abs. 1 AsylG gilt die Antragsrücknahmefiktion für einen „Asylantrag“. Erfasst werden folglich Asylanträge gem. § 13 Abs. 1, Abs. 2 AsylG und gem. § 71 Abs. 1 AsylG (auch dort ist von einem – erneuten – Asylantrag die Rede), sowie gem. § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylG auch Zweitanträge gem. § 71a Abs. 1 AsylG (vgl. Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 33 AsylG Rn. 6). Die Klägerin hat jedoch in ihrem Schreiben vom 19. Dezember 2017 eindeutig einen Antrag gem. § 26 AsylG gestellt, d.h. einen Antrag auf internationalen Schutz als Familienangehörige. Ein solcher Antrag ist vom Begriff des „Asylantrags“ gem. § 33 AsylG nicht erfasst.
§ 26 AsylG verweist – anders als § 71a Abs. 2 Satz 1 AsylG – nicht auf § 33 AsylG. Wie sich vielmehr insbesondere aus dem Wortlaut von § 26 Abs. 1, Abs. 2 AsylG ergibt, differenziert der Gesetzgeber zwischen dem (eigenständigen) Antrag gem. § 26 und der Stellung eines Asylantrags. Zwar mag das Bundesamt von sich aus (zunächst) davon ausgehen, dass neben dem nach § 26 AsylG erforderlichen Antrag auch ein Asylantrag gestellt wurde (z.B. um späteren Zweifeln bezüglich der Unverzüglichkeit gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG zu begegnen). Eine entsprechende Klärung, was vom Antragsteller begehrt ist, mag dann in der Anhörung gem. § 25 AsylG vorgenommen werden. Im vorliegenden Fall war eine solche Klärung jedoch noch nicht erfolgt, so dass, jedenfalls was das Entgegenhalten eines Nichtbetreibens gem. § 33 AsylG angeht, ausschließlich von einem – § 33 AsylG nicht unterfallenden – Antrag gem. § 26 AsylG auszugehen war.
Zwar betrifft die Verfahrenseinstellung nach dem Wortlaut des Bescheidtenors den „Asylantrag“. Nach der Bescheidbegründung und den Gesamtumständen ist jedoch davon auszugehen, dass der Bescheid gerade auf den von der Klägerin mit Schreiben 19. Dezember 2017 gestellten Antrag (eingegangen beim Bundesamt am 27.12.2017) zielt. Dementsprechend ist nicht erkennbar, dass das Bundesamt lediglich einen Asylantrag der Klägerin als zurückgenommen und ihren Antrag nach § 26 AsylG als weiter anhängig betrachtet hat. Vielmehr ist das Bundesamt offenbar davon ausgegangen, dass der Antrag der Klägerin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt nicht weiter zu behandeln sei.
Selbst wenn jedoch im Rahmen des § 26 AsylG auf § 33 Abs. 1, Abs. 2 AsylG zurückgegriffen würde, würde vorliegend die dort genannte Vermutung nicht greifen, bzw. diese wäre widerlegt. Die Klägerin ist i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG den Aufforderungen zur Anhörung unstreitig deshalb nicht nachgekommen, weil ihr ausweislich der an das Bundesamt zurückgesandten Postzustellungsurkunden die entsprechenden Ladungsschreiben nicht zugestellt wurden (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 41 f., Bl. 51 f.). Die Klägerin hat jedoch jedenfalls i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG unverzüglich nachgewiesen, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatte. Die Klägerin war unter der von ihr dem Bundesamt mitgeteilten Adresse bei der Stadt … gemeldet. Sie hat bereits mit Klageerhebung und damit unverzüglich, nachdem ihr die Verfahrenseinstellung wegen Nichterscheinens zur Anhörung bekannt wurde, geltend gemacht, dass dort auch ein mit ihrem Namen beschrifteter Briefkasten vorhanden ist. Diesen Vortrag hat die Klägerin mit Fotos (Schreiben vom 19. April 2018) belegt. In diesen Briefkasten hätte eine Ersatzzustellung der Ladungsschreiben gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG, § 180 ZPO erfolgen können. Zwar ist dieser Briefkasten nach den von der Klägerin vorgelegten Fotos nicht zur …-Straße hin, sondern an der von dieser Straße abgewandten Gebäudeseite, nämlich zur …straße, angebracht. Allerdings liegt das Gebäude, in dem sich die Wohnung der Klägerin befindet, im Eck- bzw. Kreuzungsbereich zwischen …-Straße und …straße. Eine augenscheinlich eindeutige Zuordnung des Anwesens zu einer dieser Straße ist ausweislich der klägerseits vorgelegten Fotos nicht möglich. Auch erfolgt der Zugang zu dem von der Klägerin bewohnten Anwesen – was im hier vorliegenden innerstädtischen Bereich immer wieder vorkommt – nicht von der postalische Adresse (…-Straße), sondern von einem versetzten bzw. rückwärtigen Bereich (…straße). Insofern ist die Situierung des Briefkastens der Klägerin (noch) nicht dergestalt erfolgt, dass eine Zustellung der Ladungsschreiben zwangsläufig fehlschlagen musste. Dem entspricht es, dass offenbar jedenfalls der streitgegenständliche Bescheid der Klägerin zugestellt werden konnte. Auch die gerichtliche Eingangsmitteilung zum vorliegenden Verfahren hat die Klägerseite erreicht, wie sich aus der Angabe des Aktenzeichens im klägerischen Schreiben vom 19. April 2018 ergibt. Insofern dürfte es maßgeblich vom jeweiligen Zusteller, ggfs. auch von dessen Arbeitsanfall, abhängen, ob gerichtliche oder behördliche Post die Klägerseite erreicht. Eine generelle und einschränkungslose Erreichbarkeit der Klägerin für das Bundesamt ist jedoch gegeben. Die Vermutung eines Nichtbetreibens des Verfahrens durch die Klägerin ist hier nach allem nicht gerechtfertigt bzw. widerlegt.
Der Klage war damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3, 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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