Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Litauen

Aktenzeichen  M 7 K 16.50404, M 7 S 16.50405

Datum:
5.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EU) 604/2013 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art.12 Abs. 2
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Es bestehen keine systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Litauen, insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Unionsrechts. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je ein Drittel.
III.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragsteller, ukrainische Staatsangehörige, verließen am 28. Januar 2016 ihr Heimatland und reisten über Polen mit dem Bus am 29. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie sind im Besitz von Visa, die von der litauischen Auslandsvertretung am 6. Januar 2016 in Kiew ausgestellt wurden und bis zum 12. Juli 2016 gültig sind. Am 19. April 2016 stellten sie im Bundesgebiet einen Asylantrag. Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens gaben sie an, dass nie geplant gewesen sei, nach Litauen zu gehen. Sie hätten direkt nach Deutschland gewollt, aber nur über Litauen hätten sie ein Visum bekommen. Das wäre die einzige Möglichkeit gewesen, auszureisen und hier her zu kommen. Litauen nehme keine Flüchtlinge.
Die deutschen Behörden baten Litauen am 28. April 2016 aufgrund der ausgestellten Visa um eine Übernahme der Antragsteller. Mit Schreiben vom 1. Juni 2016 stimmten die litauischen Behörden der Übernahme gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO zu.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Asylanträge als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides), ordnete die Abschiebung nach Litauen an (Nr. 2 des Bescheides) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Litauen aufgrund der erteilten Visa gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Antragsteller führe nicht dazu, dass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedstaat werde. Die Anordnung der Abschiebung nach Litauen beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Eine Abschiebung habe gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Folge, dass die Drittstaatsangehörigen nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten dürfen. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Monate sei angemessen. Der Bescheid des Bundesamtes wurde den Antragstellern gegen Empfangsbekenntnis am 17. Juni 2016 ausgehändigt.
Am 22. Juni 2016 erhoben die Antragsteller gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 14. Juni 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragten gleichzeitig,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Litauen die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Es werde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Die Antragstellerin zu 1) führte aus, dass der Hauptgrund, warum sie geflüchtet sei, die Sorge um ihre Kinder sei. Ihr Exmann habe mehrfach die Kinder und sie bedroht und gesagt, dass er sie umbringen werde. Er trinke viel und sei unberechenbar. Nach Litauen wolle sie nicht gehen, da dort die Verhältnisse für die Flüchtlinge sehr schlecht seien. Sie würden in Litauen nur eine kurze Zeit bleiben können und dann in die Ukraine zurückgeschickt werden.
Mit Schriftsatz vom 23. Juni 2016 bestellten sich die Prozessbevollmächtigten im Klageverfahren und beantragten,
den Klägern für das Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Kläger seien nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten dieses Rechtsstreits aufzubringen. Die Klage habe hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Das Bundesamt übersandte am 29. Juni 2016 die Asylakte.
Mit Beschluss des Gerichts vom 4. Juli 2016 wurde die Entscheidung der Verwaltungsstreitsache im Klageverfahren auf den Einzelrichter übertragen.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Die zulässigen Anträge haben keinen Erfolg.
Gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft; er wurde fristgerecht gestellt. Auch die Klage wurde innerhalb der Wochenfrist erhoben (vgl. § 74 Abs. 1 2. Halbs. AsylG).
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zwischen dem sich aus der Regelung des § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des ablehnenden Bescheides und dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragsteller regelmäßig zurück. Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Bescheid des Bundesamtes vom 14. Juni 2016 rechtmäßig. Das Bundesamt hat zu Recht die Abschiebung der Antragsteller nach Litauen angeordnet.
Das Bundesamt ordnet gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden Dublin-III-Verordnung (vgl. Art. 49 Unterabs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, sog. Dublin-III-VO) ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO). Dies ist hier Litauen. Die Antragsteller besitzen ein von der Auslandsvertretung Litauen ausgestelltes gültiges Visum (Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO) und die litauischen Behörden haben der Übernahme der Antragsteller zugestimmt.
Die Antragsgegnerin ist auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO gehindert, die Antragsteller nach Litauen zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Es gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Allerdings hat nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat zur Folge, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert ist, den Antragsteller an diesen Mitgliedstaat zu überstellen. Nur wenn ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. a. – juris Rn. 75, 80, 82, 85 und 86). Diese vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätze sind nunmehr auch ausdrücklich in die Dublin-Verordnung aufgenommen worden. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 19.03.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
Systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Litauen, die einer Abschiebung der Antragsteller entgegenstehen würden, wurden weder vorgetragen noch sind diese ersichtlich. Insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Unionsrechts (vgl. United States/US Department of State Lithuania 2013, human rights report vom 22.4.2014, abrufbar in MILo; Österreichischer Asylgerichtshof, Erkenntnis v. 19.10.2012 – S3 429.262-1/2012 – Rn. 108; VG Ansbach, U.v. 27.1.2016 – AN 14 K 15.50615 – juris Rn. 32; VG Düsseldorf, B.v. 14.12.2015 – 22 L 3629/15.A – juris Rn. 25).
Es liegt auch kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vor. Das Bundesamt hat im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG die (rechtliche und tatsächliche) Durchführbarkeit der Abschiebung und damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, B.v. 17.09.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 11 mit Verweis auf die einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung). In der Person der Antragsteller liegende Vollzugshindernisse sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich.
Damit waren sowohl der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als auch der gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Das Antrags- und Prozesskostenhilfeverfahren ist gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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