Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Norwegen

Aktenzeichen  M 3 S 16.50860

Datum:
10.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 130292
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29
AsylG § 34a
Dublin-III-VO

 

Leitsatz

Norwegen verfügt über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, das prinzipiell funktionsfähig ist und sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der nach seinen Angaben am … 1985 in Kitigum geborene Antragsteller ist ugandischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 8. März 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 7. Juni 2016 Asylantrag stellte.
Bei seiner Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 7. Juni 2016 gab der Antragsteller an, dass er sein Heimatland im Dezember 2010 verlassen habe und dann über Kenia, Norwegen nach Deutschland gereist sei. In Norwegen sei er im Februar 2011 eingereist und habe dort Asyl beantragt; von dort sei er mit Flugzeug und Bus in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Bei seiner Zweitbefragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 30. August 2016 gab der Antragsteller an, er leide an Depression und nehme deshalb Schlafmittel, ein ärztliches Attest habe er nicht. In Norwegen sei nach einem Jahr sein Asylverfahren abgelehnt worden und er habe deshalb Norwegen verlassen müssen.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche des Bundesamts hatte einen Treffer der Kategorie I (NO* …*) für Norwegen ergeben.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 4. August 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an Norwegen. Mit Schreiben vom 16. August 2016 akzeptierten die norwegischen Behörden die Bitte auf Rücknahme des Antragstellers.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2016, zugestellt am 11. Oktober 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und ordnete die Abschiebung nach Norwegen an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen.
Der Antragsteller erhob mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 13. Oktober 2016, eingegangen am 14. Oktober 2016, Klage gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2016 (M 3 K 16.50859) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 5. Oktober 2016 anzuordnen.
Das Bundesamt legte die elektronischen Behördenakten vor und äußert sich nicht weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 31.7.2016 (BGBl I S. 1939) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31). Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Norwegen aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Norwegen hat das Übernahmeersuchen vom 4. August 2016 mit Schreiben vom 16. August 2016 akzeptiert. Da für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 ermittelt wurde, ist Norwegen nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Norwegen durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Norwegen ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend hiervon stehen der Rückführung des Antragstellers nach Norwegen systemische Mängel des norwegischen Asylverfahrens und des dortigen Flüchtlingsaufnahmesystems i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht entgegen. Hierzu wird weder konkret vorgetragen noch sind systemische Mängel ersichtlich. In Bezug auf Norwegen ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung dort eine menschenunwürdige Behandlung droht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Norwegen über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss.
Soweit die 8. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts München in ihrem Beschluss vom 30. September 2016 (M 8 S 16.50314) systemische Mängel in Norwegen für nicht ausgeschlossen hält, legt sie als Konstellation hierfür eine Einreise von Asylbewerbern nach Norwegen über Russland zu Grunde, insbesondere im Falle von Syrern, was beim Antragsteller beides nicht zutrifft.
Nach alledem erweist sich die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids daher als rechtmäßig.
Die in Nummer 2 des Bescheids getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – nicht vorliegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zur Begründung wird insoweit auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, denen die erkennende Kammer folgt.
Auch die in Nummer 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheids auf Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordnete Abschiebung nach Norwegen ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Ein der Abschiebung nach Norwegen entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, S. 244 ff. – juris Rn. 11 f.; OVG NRW, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Soweit der Antragsteller vorbringt, unter Depressionen zu leiden und deswegen Schlafmittel einzunehmen, ist diese Behauptung nicht durch ärztliche Atteste belegt.
Die im streitgegenständlichen Bescheid unter Nummer 4 gemäß § 11 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 6 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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