Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung in den kurdischen Autonomiegebieten im Irak

Aktenzeichen  M 4 K 16.35592

Datum:
22.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Derzeit besteht im Irak keine Verfolgungsgefahr in den kurdischen Autonomiegebieten durch  nichtstaatliche Akteure in Gestalt des IS. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 In den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak besteht kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der die Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der vom Bayerischen Staatsministerium des Inneren erlassene “Abschiebungsstopp” für  Staatsangehörige aus dem Irak vermittelt wirksamen Schutz vor Abschiebungen hinsichtlich allgemeiner Gefahren, sodass Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht gewährt werden muss. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2017 entschieden werden, obwohl auf Beklagtenseite niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seine Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, insbesondere liegen die Voraussetzungen des §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 AsylG nicht vor. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
1. Soweit der Kläger seine Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG beantragt, hat der Antrag keinen Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder indem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesener Maßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Der Kläger ist kein Flüchtling in diesem Sinne.
a) Der Kläger hat keinerlei persönliche Verfolgungsgeschichte vorgetragen, auf die sich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gründen könnte. Eine persönliche Verfolgung ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger hat sich in den kurdischen Autonomiegebieten aufgehalten. Der IS ist bis dorthin nicht vorgedrungen. Der Kläger hat sich vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung in so erhebliche Widersprüche verwickelt, dass ihm das Gericht insgesamt nicht glaubt.
Auch hat der Kläger keine asylrelevanten Verfolgungsgründe i.S.v. § 3 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG vorgetragen; er ist weder wegen seiner politischen Überzeugung noch wegen seiner Religion verfolgt worden. Es hat sich, soweit seine Lieder einen politischen Inhalt hatten, um Auftragsarbeiten gehandelt, die er nach seinen Angaben in der m. V. für jede Partei geschrieben hat/ hätte. Auch haben die telefonischen Bedrohungen – diese als wahr unterstellt – nicht die Schwelle für eine asylrelevante Bedrohung erreicht. Der IS ist in die kurdischen Autonomiegebiete nicht vorgedrungen.
Zumindest hatte der Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative. Er hätte sich irgendwo anders in den kurdischen Autonomiegebieten niederlassen können.
b) Der Kläger ist auch aufgrund seiner muslimischen Religionszugehörigkeit keiner Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG ausgesetzt.
c) Die kurdischen Autonomiegebiete …, … … sind von den Kämpfen in den westlichen und südlichen Nach barprovinzen nicht unmittelbar betroffen, wenn auch die Sicherheitslage dort weiterhin angespannt ist. Der Kläger kann sich daher nicht auf eine Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte berufen. Zwar besteht in weiten Teilen des Iraks seit Mitte 2014 eine Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt des IS, jedoch sind nach den Erkenntnissen des Gerichts und des Auswärtigen Amtes (vgl. den Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak v. 18.02.2016, s.a. das Gutachten europäisches Zentrum für kurdische Studien v. 07.09.2015) die kurdischen Autonomiegebiete davon nicht betroffen. Vielmehr leben dort in großer Anzahl Flüchtlinge, die vor den Umtrieben des IS geflohen sind. Dies hat zur Folge, dass der Kläger an dem von ihm auch schon vorher bewohnten Ort im Irak (* …*) zurückkehren, jedenfalls aber anderswo in den Autonomiegebieten Zuflucht finden kann. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist prognostisch aus in Zukunft mit einer politischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure dort nicht zu rechnen. Nach der Rückeroberung der Großstadt Ramadi aus den Händen der IS-Miliz durch das irakische Militär (Spiegel-online v. 28.12.2015) und einer Verminderung der dschihadistischen Kämpfer im Irak (Spiegel-online v. 05.02.2016) besteht derzeit keine Verfolgungswahrscheinlichkeit in den Autonomiegebieten, die von der kurdischen Regionalregierung beherrscht werden.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu. Insbesondere kann von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffnete Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam die Oberhand gewinnen zu scheint. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht (vgl. den Bericht des AA über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak v. 18.02.2016; s.a. das Gutachten europäisches Zentrum für kurdische Studien v. 07.09.2015). Der Kläger muss daher dort nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, so dass von ihm vernünftiger Weise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil oder diesen Landesteilen aufhält.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
a) Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer dem zu Folge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebungsstopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage, auch Gefahren durch kriminelle Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Inneren hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekanntgegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und der Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, sodass es keines zusätzlichen Schutzes in Verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.07.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministerium des Inneren erfasst werden, sind nicht ersichtlich.
4. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziffer 5, wonach der Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert ist, keinerlei Anlass zu bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber dem Kläger entgegen stünden, nicht ersichtlich, denn er ist, wie oben ausgeführt weder als Asylberechtigte oder Flüchtling anzuerkennen, noch stehen ihm subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Er besitzt auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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