Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung wegen Entführung durch “einfache” Kriminelle

Aktenzeichen  M 4 K 16.31584

Datum:
24.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Einer Entführung durch “normale” Kriminelle mit dem Ziel der Erzielung von Lösegeld ist kein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal zu entnehmen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 13. April 2017 entscheiden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
I.
Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Asylgesetz -AsylG-), des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
1. Der Kläger hat zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, §§ 3 ff. AsylG.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Vorliegend fehlt es hinsichtlich der vom Kläger vorgetragenen Verfolgungsgeschichten (Entführung) schon an einer Verfolgung aufgrund eines flüchtlingsrechtlich relevanten Anknüpfungsmerkmals. Der Kläger hat nichts glaubhaft vorgetragen, was nahe läge, dass er aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werde. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragen, er sei von der Miliz „Asaib al Hak“ entführt worden und nicht von „normalen“ Banditen und dass es Ziel seiner Entführer gewesen sei, gebildete Menschen bzw. Menschen aus wichtigeren Familien zu erwischen. Insofern erachtet das Gericht den Sachvortrag des Klägers jedoch nicht als glaubhaft. In seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger auf gezielte Nachfragen hin an, dass er von ihm unbekannten Leuten entführt worden sei. Es habe sich um Kriminelle gehandelt und keine Miliz, da die Leute ihn auf eine Art und Weise beschimpft hätten, wie es keine religiösen Gruppen machten. Sie hätten nur das Geld gewollt, es seien einfache Kriminelle gewesen. Aufgrund dieser sehr deutlichen früheren Aussagen des Klägers erscheint dem Gericht die nunmehr nachgeschobene Behauptung, es habe sich um eine irakweit agierende Miliz gehandelt, die ihn als Angehöriger einer gebildeten Schicht entführt hätten, als unglaubhaft. Auch vermag die Begründung des Klägers für sein spätes Vorbringen nicht zu überzeugen. Dass der Kläger Angst um seine Familie gehabt haben soll, wenn er den Namen der Miliz in Deutschland bei seiner Anhörung nennt, erscheint als deutlicher Widerspruch zum bisher geschilderten Verhalten im Irak. Dort hatten der Kläger bzw. sein Vater sogar darauf bestanden, den Namen der Miliz in die Anzeige bei der Polizei mitaufzunehmen. Damit bleibt es bei der vom Kläger ursprünglich vorgetragenen Entführung durch „einfache“ Kriminelle. Ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ist der Entführung nicht zu entnehmen.
Jedenfalls stünde dem Kläger nach Auffassung des Gerichts beispielsweise mit … (oder aber anderen Städten des Südiraks) eine sichere innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG zur Verfügung. Wie bereits dargestellt ist es für das Gericht nicht glaubhaft, dass der Kläger von der im ganzen Irak agierenden Miliz „Asaib al Hak“ entführt wurde. Hieran ändern auch der vorgetragene Tod des Bruders und die in diesem Zusammenhang vorgelegten Dokumente nichts. Zum einen ist ein Zusammenhang zur Entführung des Klägers insoweit nicht zwingend und wird bisher lediglich vermutet, zum anderen wurde der Bruder in … getötet. Der Kläger würde aber gerade nicht dorthin zurückkehren, sondern nach … Dort ist auch den anderen Familienmitgliedern bisher nichts passiert.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15c der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
a) Die Norm des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegt erkennbar nicht vor. Hinsichtlich des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG steht dem Kläger jedenfalls mit dem mehrheitlich von Schiiten besiedelten Südirak eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (§§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG, siehe hierzu die Ausführungen zur Flüchtlingseigenschaft).
b) Auch herrscht in … sowie in den Gebieten südlich hiervon – darunter … – kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Dass nicht gleichsam jede Zivilperson im Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt bereits daraus, dass bei einer Gesamtbevölkerung mit etwa 32 bis 34 Millionen Einwohnern (vgl. http: …www.asien-auf-einen-blick.de/irak/; http: …www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Irak.html) die Zahl der zivilen Todesopfer im Jahr 2015 mit insgesamt 17.578 (2014: 20.169 vgl. https: …www.iraqbodycount.org/database/ vom 13.04.2017) angegeben ist. Für 2016 beträgt Wert 16.393 und zeigt damit einen weiteren Rückgang. Auch wenn die Opferzahlen 2017 ansteigen sollten, reicht die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aus. Eine Rückkehr nach … bzw. … erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich. Aus aktuellem Anlass ist noch darauf hinzuweisen, dass die Situation im Irak derzeit unübersichtlich und in einigen Gebieten durch die Kampfhandlungen der ISIS offenbar gefährlich ist. Doch reicht diese bisherige Entwicklung für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BVerwG vom 27.04.2010 – Az. 10 C 4/09) nicht aus, noch dazu, da der täglichen Berichterstattung der Medien deutlich zu entnehmen ist, dass der IS sich auf dem Rückzug befindet. Festzustellen ist, dass …, der Heimatort des Klägers, sowie auch große Teile des Südiraks, darunter …, von den Kämpfen selbst nicht betroffen waren/sind.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
a) Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich. Der Kläger würde in den Irak auch nicht ohne jegliche familiäre Strukturen zurückkehren; im Gegenteil befindet sich seine Familie nach wie vor dort.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
(1) Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Iraks auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
(2) Die Voraussetzungen für einen Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund einer individuellen Gefahrenlage liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik gleichwertig sein muss, wobei eine ausreichende medizinische Versorgung nach Satz 4 auch dann vorliegt, wenn sie nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet wird.
Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinne kann beim Kläger nicht angenommen werden bzw. ist nicht vorgetragen.
4. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziff. 5, wonach der Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert wird, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn er ist, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtling anzuerkennen noch stehen ihm subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu; er besitzt auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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