Verwaltungsrecht

Keine vorzeitige Entlassung eines Soldaten auf Zeit zur Übernahme des Familienbetriebs

Aktenzeichen  M 21b K 18.2696

Datum:
11.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9335
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 55 Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Bescheid vom 17. Januar 2018 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 24. April 2018 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entlassung nach § 55 Abs. 3 SG.
Hiernach ist ein Soldat auf Zeit auf seinen Antrag zu entlassen, wenn das Verbleiben im Dienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, beruflicher oder wirtschaftlicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde.
Der Gesetzgeber verfolgte bei dieser Ausnahmeregelung (ebenso wie mit der entsprechenden Regelung für Berufssoldaten gem. § 46 Abs. 6 SG) das Ziel, dem vorzeitigen Ausscheiden von besonders ausgebildeten und deswegen in ihrer Funktion nicht ohne weiteres zu ersetzenden Soldaten aus der Bundeswehr entgegenzuwirken. Die Vorschrift dient mithin nicht ausschließlich dem Schutz wirtschaftlicher Interessen der Beklagten, sondern ihr Zweck ist es, die Personalplanung und damit die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr zu sichern (BVerwG, U.v. 21.4.1982 – 6 C 3/81 – juris Rn. 20). Daher ist der Begriff der besonderen Härte eng auszulegen (VG Stuttgart, U.v. 20.2.2019 – 8 K 17531/17 – BeckRS 2019, 18860 Rn. 19; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 118, § 55 Rn. 19). Es handelt sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BayVGH, U.v. 31.3.1993 – 3 B 92.2123 – juris Rn. 12). Zudem hat die Behörde bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 55 Abs. 3 SG keine Ermessensentscheidung zu treffen. Vielmehr hat der Soldat einen Anspruch auf Entlassung, wenn eine besondere Härte vorliegt. Für ergänzende Abwägungsentscheidungen und Zumutbarkeitskriterien ist dann kein Raum (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 117).
Das Verbleiben im Wehrdienst stellt für den Soldaten dann eine besondere Härte dar, wenn er in den persönlichen, d.h. außerdienstlichen, Verhältnissen durch den Eintritt unvorhergesehener, außergewöhnlicher, schicksalhafter und in der Regel existenzgefährdender Veränderungen, denen er sich aus rechtlicher oder sittlicher Pflicht nicht zu entziehen vermag, so hart betroffen wird, dass die daraus folgenden Belastungen nur durch seine vorzeitige Entlassung aus dem Wehrdienst beseitigt werden können (BVerwG, U.v.16.4.1970 – VII C 183.67 – juris Rn. 9 f.; BayVGH, U.v. 31.3.1993 – 3 B 92.2123 – juris Rn. 12; vgl. zu § 46 Abs. 6 SG Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 10. Auflage 2018, § 46 Rn. 36;
Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 119 m.w.N.). Dies ist nur dann gegeben, wenn dem Soldaten ein weiterer Verbleib schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann (VG München, B.v. 15.10.2009 – M 21 E 09.4209 – juris Rn. 29). Davon ist ausschließlich dann auszugehen, wenn es sich um eine Ausnahmesituation handelt; Belastungen, die für jeden Soldaten in einer bestimmten Situation allein infolge der Pflicht zur militärischen Dienstleistung typischerweise auftreten oder auftreten können, reichen nicht aus (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 119). Es muss sich um Veränderungen im persönlichen Lebensbereich handeln, die der Soldat nicht selbst, und sei es auch nur mittelbar, veranlasst oder in die Wege geleitet hat (Hamburgisches OVG, B.v. 27.8.2013 – 1 Bf 256/12.Z – juris Rn. 16 m.w.N.; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 118; Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 10. Auflage 2018, § 46 Rn. 38 m.w.N.). Zudem muss es sich um Umstände handeln, die nach Beginn des Dienstverhältnisses eingetreten oder in ihrer Tragweite erkennbar geworden sind (BVerwG, U.v. 16.4.1970 – VII C 183.67 – juris Rn. 16). Eine berufliche Umorientierung oder geänderte Einstellung zum Soldatenberuf reicht nicht aus (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 119; Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 10. Auflage 2018, § 46 Rn. 38; VG Gießen, B.v. 11.5.2000 – 8 G 1511/00 – juris Rn. 10).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, handelt es sich bei dem Umstand, dass der Kläger als Geschäftsführer des Familienunternehmens vorgesehen ist und dieses in die dritte Generation überführen soll, nicht um einen solchen, der ihn nach seinem Diensteintritt schicksalhaft getroffen hat und dem er sich aus sittlicher Pflicht nicht entziehen kann.
Dies scheitert zunächst schon daran, dass nicht substantiiert vorgetragen bzw. hinreichend wahrscheinlich ist, dass der familiäre Schlossereibetrieb ohne eine Übernahme durch den Kläger untergehen wird und nur durch den Eintritt des Klägers in den Betrieb gerettet werden kann. Denn – wie die Beklagte zu Recht ausführt – ist der Kläger bislang nach seinen eigenen Angaben weder sofort in der Lage, das Unternehmen zu leiten, noch ist ersichtlich, warum die Übernahme durch ihn die einzige Möglichkeit der Rettung – des bislang noch nicht einmal wirtschaftlich bedrohten – Unternehmens sein solle. Dass die wirtschaftliche Existenz der Familie nicht bis hin zur Mittellosigkeit bedroht ist zeigt im Übrigen schon, dass die Schwester des Stiefvaters des Klägers einen eigenständigen, vom Schlossereibetrieb unabhängigen Geschenkehandel betreibt. Soweit der Kläger vorträgt, bei einer nicht rechtzeitigen Übernahme der Geschäftsführung durch ihn werde die Existenz des Unternehmens und damit mittlerweile acht Arbeitsplätze gefährdet, handelt es sich primär um eine Härte für die betroffenen Personen und nicht für den Kläger selbst. Zumal derzeit zweifelhaft ist, ob die restlichen sieben Jahre Dienstzeit, die der Kläger noch abzuleisten hat, nicht durch eine Übergangslösung – beispielweise über seinen mittlerweile volljährigen, jüngeren Stiefbruder oder eine externe Lösung – überbrückt werden können.
Unabhängig hiervon steht die Familie seit August 2017 vor der Herausforderung, einen adäquaten Unternehmensnachfolger zu finden, da der Zwillingsbruder des Klägers sich mit seiner (Stief-)Familie überworfen hat und aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. Mit dem Kläger konnten sie hierbei allerdings nicht rechnen, da dieser bereits vor dem Zerwürfnis mit seinem Zwillingsbruder in einem Dienstverhältnis bei der Beklagten stand. Der Familie musste daher bewusst gewesen sein, dass der Kläger frühestens nach Ablauf seiner Stehzeitverpflichtung zur Verfügung stehen würde. Dass der Stiefvater des Klägers gesundheitlich nicht in der Lage ist, diesen Zeitpunkt abzuwarten, ist in Anbetracht der Übernahme eines Unternehmens, der hiermit verbundenen Arbeitsbelastung und der bereits seit 2013 an Krebs erkrankten Mutter des Klägers kein Umstand, der nicht vorhersehbar war. Es war vielmehr absehbar, dass der Kläger erst viele Jahre nach Übernahme des Betriebs durch seinen Stiefvater seine Stehzeitverpflichtung erfüllt haben würde und dass es daher unter Umständen zu der Situation kommen könnte, dass eine Übergangslösung gefunden werden muss. Insofern manifestiert sich hierin exakt das unternehmerische Risiko, das der Stiefvater des Klägers bei Betriebsübernahme eingegangen ist. Bei dem Umstand, dass ein nahtloser Übergang der Geschäftsführung auf den Kläger geplant ist, handelt es sich um eine persönliche Veränderung, die er selbst mitveranlasst hat, indem er nicht von vorneherein auf seine Stehzeitverpflichtung hingewiesen hat. Bei dieser beruflichen Umorientierung handelt es sich folglich nicht um eine Situation, die es dem Kläger schlechterdings unmöglich macht, im Dienstverhältnis bis zum Ablauf seiner Stehzeitverpflichtung zu verbleiben (vgl. VG Stuttgart, U.v. 20.2.2019 – 8 K 17531/17 – BeckRS 2019, 18860 Rn. 22).
Schließlich war auch das Ausscheiden des Zwillingsbruders des Klägers aus dem Betrieb nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft. Dass es hierbei Anzeichen für ein späteres Zerwürfnis mit seiner Familie gab, war schon vor der Verpflichtungserklärung des Klägers vom 22. November 2016 offensichtlich. Wie der Kläger selbst vorträgt, hielt es dessen Zwillingsbruder nicht einmal für nötig, sich ein Geschoss im gemeinsamen Zuhause nach oben zu begeben, um seine schwer an Krebs erkrankte Mutter zu besuchen. Hierin ist ein gewichtiger Anhaltspunkt zu sehen, der die Wahrscheinlichkeit des später tatsächlich eingetretenen Zerwürfnisses und vollständigen Kontaktabbruchs zur Familie prophezeit. Zumindest musste der Familie aber bewusst sein, dass auf den Zwillingsbruder des Klägers in der Hinsicht kein Verlass ist, dass er der familiären Gemeinschaft, der er sich schon seit damals in Kernelementen wie Fürsorge und Pflege entzog, erhalten bleiben wird.
Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Klage erfolglos ist, war die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren nicht gem. § 162 Abs. 2 VwGO für notwendig zu erklären.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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