Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eines afghanischen Soldaten wegen Drohbriefes der Taliban

Aktenzeichen  M 17 K 17.31284

Datum:
22.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5, § 4, § 77 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 lit. d
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Das afghanische Militär ist keine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 2 Nr. 4 AsylG iVm Art. 10 Abs. 1 lit. d der Richtlinie 2011/95/EU, da es beim afghanischen Militär an angeborenen Merkmalen wie auch an einem gemeinsamen, unveränderbaren Hintergrund der Gruppenmitglieder fehlt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass ein Mitglied der staatlichen afghanischen Sicherheitskräfte in dieser Eigenschaft als Repräsentant des afghanischen Staates von den Taliban als Gegner angesehen und bekämpft wird, liegt in der Natur der Sache, kann aber allein nicht dazu führen, ihm zu einer Flüchtlingseigenschaft iSd § 3 Abs. 1 AsylG zu verhelfen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Volkszugehörige der Hazara sind weder in ganz Afghanistan noch in der Heimatprovinz des Klägers einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden, gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung durch die Taliban oder andere nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, die die Annahme einer Gruppenverfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG rechtfertigen würde (ebenso VGH München BeckRS 2017, 101006).  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung nach Afghanistan nicht entgegen, da die allgemeine bzw. humanitäre Lage dort nicht so ernst ist, dass die Abschiebung eines arbeitsfähigen, gesunden jungen Mannes zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führen würde. (Rn. 46 – 47) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 13. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Auch ein Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht. Die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das dreißigmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
1.1. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Von einer „Verfolgung“ kann dabei nur ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen, so dass der davon Betroffene gezwungen ist, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es dabei regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat, etwa in Folge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen. Dementsprechend muss auch eine kriminelle Verfolgung an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können (OVG NW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris Rn. 17 f.).
1.2. Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Heimatlandes, weil die vorgetragene individuelle Verfolgung nicht an diese Merkmale anknüpft.
1.2.1. Soweit die Klagepartei eine Furcht vor Verfolgung darauf stützt, dass das afghanische Militär eine bestimmte soziale Gruppe im Sinn des § 3b Abs. 2 Nr. 4 AsylG sei und der Kläger als Angehöriger der afghanischen Armee dieser Gruppe angehört habe, dringt die Klagepartei nicht durch.
Das afghanische Militär ist keine bestimmte soziale Gruppe im Sinn des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 2 Nr. 4 AsylG i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2011/95/EU. Für eine solchermaßen erforderliche Gruppenidentität fehlt es beim afghanischen Militär an angeborenen Merkmalen wie auch an einem gemeinsamen, unveränderbaren Hintergrund der Gruppenmitglieder. Angehörige des afghanischen Militärs teilen weder eine Glaubensüberzeugung oder ein anderes bedeutsames identitätsstiftendes und insoweit auch unverzichtbares Merkmal für die Identität oder des Gewissens (vgl. VG München, U.v. 4.4.2016 – M 24 K 16.30170; VG Dresden, U.v. 10.5.2017 – 3 K 1710/16.A – juris Rn. 25).
1.2.2. Nach Auffassung des Gerichts befindet sich der Kläger auch nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes, weil die vorgetragene individuelle Verfolgung nicht an dieses Merkmal anknüpft.
Aufgrund der vorgelegten Unterlagen und der schlüssigen Darstellung durch den Kläger zweifelt das Gericht im Gegensatz zum Bundesamt nicht daran, dass dieser von 2013 bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan 2014 Mitglied der Afghan National Army (ANA) war. Der Kläger hat dies in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar geschildert. Zwar stehen einzelne Angaben im Widerspruch zu seinem Vortrag bei der Anhörung gemäß § 25 AsylG, die wesentlichen Angaben stimmen jedoch weitgehend überein und der Kläger machte bei seinen Schilderungen insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck. Auf Nachfrage war er im Stande, den Namen des damaligen Befehlshabers des Generalsstabs, … …, zu nennen, die Ausbildung näher zu umschreiben und die Struktur der Armee zu erläutern, indem er u.a. darlegte, dass einer Infanterieeinheit, genannt ´ …´, angehörte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger aus einfachen Verhältnissen stammt. Weiterhin ist er auf einen Sprachmittler angewiesen, um sich verständlich zu machen. Die in der Bundesamtsakte enthaltene Kopie des vom Kläger vorgelegten Militärausweises, hält das Gericht dem äußeren Anschein und dem Inhalt nach daher für authentisch.
Ebenso erscheint es nachvollziehbar, dass der Vater des Klägers Drohbriefe durch Talibankämpfer erhalten hat, obgleich Zweifel hinsichtlich der Echtheit des vorgelegten Drohbriefes nicht vollständig ausgeräumt werden konnten, da dieser weder ein Datum noch ein Aktenzeichen, in der hierfür vorgesehenen Zeile des Briefkopfes, enthält und es damit an der Möglichkeit einer zeitlichen Einordnung mangelt. Davon abgesehen hält UNAMA Drohbriefe für die größte Quelle der Einschüchterung und stellt fest, dass diese eine verbreitete Taktik der Taliban in den meisten Gebieten darstellten, einschließlich der Provinzen im Süden, Südosten, Westen und sogar in … Laut UNAMA werden die Personen normalerweise durch mehrere Briefe gewarnt (vgl. Danish Immigration Service: Report from Danish Immigration Service`s fact finding mission to …, Afghanistan, Mai 2012, S. 32). Laut UNHCR schließt die Bedrohung oft auch Familienmitglieder des Opfers ein (vgl. Danish Immigration Service a.a.O., S. 31). Das Gericht hält es damit für möglich, dass der Kläger aus diesen Gründen „ins Visier“ örtlicher Talibanangehöriger geraten sein kann.
Dieser Vortrag steht zweifelsohne in Einklang mit der Erkenntnislage zu Afghanistan, wonach Regierungs- und Behördenmitarbeiter sowie Angehörige der Sicherheitskräfte in besonderer Weise gefährdet sind, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Dienstes Opfer von Anschlägen durch die Taliban zu werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016, S. 5, 17; Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 30. September 2016, S. 21 f.; UNHCR Richtlinien vom 19. April 2016, Seite 41 f.; United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Jahresbericht 2015, Februar 2016; VG Augsburg v. 06.10.2011 – Au 6 K 11.30209 – juris Rn. 24; VG Würzburg U.v. 30.7.2013 – W 1 K 12.30186 – juris Rn. 20).
Gleichwohl führt dies nicht dazu, dass sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet. Zwar mögen die radikalislamistischen Taliban einen Teil des afghanischen Staatsgebiets beherrschen und eine andere Ordnung des Staates insgesamt anstreben. Um dieses Ziel zu erreichen, werden von ihren Kämpfern nach den vorliegenden Erkenntnissen (s. o.) in erster Linie Mitglieder der staatlichen afghanischen Sicherheitskräfte attackiert und bedroht. Dem liegt jedoch nicht zugrunde, dass diese eine von der Auffassung der Taliban abweichende Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG vertreten. Vielmehr geht es darum, das staatliche Sicherheitsgefüge als solches zu erschüttern und in Frage zu stellen. Allerdings besteht die dienstliche Aufgabe des Klägers als Soldat gerade darin, diesem Ziel entgegenzutreten und die Bevölkerung vor Aktionen der Taliban zu schützen. Dass er in dieser Eigenschaft als Repräsentant des afghanischen Staates von den Taliban als Gegner angesehen und bekämpft wird, liegt in der Natur der Sache, kann aber allein nicht dazu führen, ihm zu einer Flüchtlingseigenschaft zu verhelfen (vgl. VG Dresden, U.v. 10.5.2017 – 3 K 1710/16.A – juris Rn. 24; a.A. VG Würzburg, U.v. 17.3.2017 – W 1 K 16.30817 – juris Rn. 19).
1.3. Die in der mündlichen Verhandlung erstmals geltend gemachte Desertion des Klägers als Infanteriesoldat der afghanischen Armee (ANA) begründet gleichermaßen keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (vgl. VG Würzburg, U.v. 18.7.2016 – W 2 K 15.30787 – juris Rn. 25). Nach Angaben des Auswärtigen Amtes besteht in Afghanistan keine Wehrpflicht. Es sei ein gängiges Phänomen, dass Soldaten das Militär vorübergehend verließen, um zu ihren Familien zurückzukehren. Diese „Deserteure“ würde schon aufgrund der sehr hohen „attrition rate“ (unerlaubte Abwesenheiten oder Fahnenflucht) nach der Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen (Auswärtiges Amt, Bericht vom 19. Oktober 2016 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan Stand September 2016, S. 12). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich führt in seiner Länderinformation der Staatendokumentation aus, etwa 4.000 Soldaten verließen monatlich die afghanischen Sicherheitskräfte. Das Problem der Abwesenheit in der ANA sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass Soldaten oftmals nicht in ihrer Heimatprovinz dienten. Laut Verteidigungsministerium gebe es keine Strafe für Desertion (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, 21.1.2016, letzte Kurzinformation eingefügt am 5.4.2016, unter Bezugnahme auf die NYT – The New York Times v. 27.6.2011). Diese Angaben stimmen mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. September 2013 (Au 6 K 13.30065 – juris) überein. In diesem Verfahren hatte das Verwaltungsgericht eine Auskunft zu der Frage eingeholt, ob Deserteure bei einer Rückkehr nach Afghanistan Bestrafung zu erwarten hätten. Das Auswärtige Amt teilte mit, dass dies nicht der Fall und Desertion in Afghanistan durchaus üblich sei. Wer in die Armee zurückkehren wolle, werde wieder aufgenommen (VG Augsburg, U.v. 9.9.2013 – Au 6 K 13.30065 – juris unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 2.7.2013).
1.4. Dem Kläger droht auch nicht als Zugehöriger der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan eine Gefährdung, die die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt. Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sind aber weder in ganz Afghanistan noch in der Heimatprovinz des Klägers einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden, gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung durch die Taliban oder andere nichtstaatliche Akteure ausgesetzt (BayVGH, B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 11 m.w.N.). Gemäß der aktuellen Auskunftslage, insbesondere nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes, hat sich die Lage für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 9).
1.5. Unabhängig davon ist aber auch davon auszugehen, dass für den Kläger im Hinblick auf seine individuellen Umstände gemäß § 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 Abs. 1 QualRL eine sogenannte interne Schutzalternative besteht. Dem Ausländer wird der Flüchtlingsstatus sowie der subsidiäre Schutzstatus (§ 4 Abs. 3 AsylG) nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und von vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Dem Ausländer dürfen in dem in Betracht kommenden Gebiet keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, B.v. 10.11.1989 – 2 BvR 403/84 – juris; Hailbronner, Asyl und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 1325). Der Flüchtling muss für eine gewisse Dauerhaftigkeit Schutz erhalten und sich dort niederlassen können. Die Verweisung auf eine interne Fluchtalternative ist daher nur zumutbar, wenn dort nicht andere, unzumutbare Nachteile drohen. Eine drohende konkrete Beeinträchtigung elementarer Menschenrechte kann eine Unzumutbarkeit begründen. Zumutbar ist eine Rückkehr nur dann, wenn der Ort der inländischen Schutzalternative ein wirtschaftliches Existenzminimum ermöglicht, zum Beispiel durch zumutbare Beschäftigung oder auf sonstige Weise, oder durch Mittel der Existenzsicherung aufgrund von Leistungen humanitärer Organisationen. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn den Asylsuchenden am Ort der internen Schutzalternative ein Leben erwartet, dass zu Hunger, Verelendung und zum Tod führt oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100/05 – juris; BVerwG, B.v. 21.5.2003 – 1 B 298/02 – juris). Im Hinblick auf den internen Schutz gem. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG muss für den Rückkehrer in dem schutzgewährenden Landesteil auch die Existenzgrundlage damit soweit gesichert sein, dass von ihm erwartet werden kann, dass er sich vernünftigerweise dort aufhält. Dies geht als Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus, wobei das Bundesverwaltungsgericht bislang offen gelassen hat, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 35; U.v. v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG a. F.; NdsOVG, U.v. 19.09.2016 – 9 LB 100/15 – juris; OVG NW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 14). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen vom 19. April 2016 hält eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan nur für zumutbar, wenn der betreffende Ausländer dort Zugang zu Obdach, Grundleistungen wie Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, Gesundheitsfürsorge und Bildung sowie die Möglichkeit, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen, hat. Als Ausnahme vom Erfordernis einer externen Unterstützung sieht er alleinstehende, leistungsfähige Männer und Ehepaare im Arbeitsalter an, die nicht aufgrund persönlicher Umstände auf eine besondere Unterstützung angewiesen sind. Solche Personen können dazu in der Lage sein, ohne die Unterstützung durch die Familie oder durch eine Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten zu leben, die unter staatlicher Kontrolle sind und die nötige Infrastruktur und die Möglichkeit bieten, die Grundbedürfnisse zu befriedigen (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for accessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19.4.2016, S. 83 f.; NdsOVG, U.v. 19.9.2016 – 9 LB 100/15 – juris Rn. 76). Außerdem muss das Zufluchtsgebiet für den Betroffenen sicher und legal erreichbar sein (Hailbronner, Asyl und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 1325).
Gemessen daran ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Kläger in Afghanistan für ihn zumutbar an einem Ort niederlassen kann, an dem er nach seinem individuellen Risikoprofil verfolgungssicher ist.
Für den Kläger ist es zumutbar, sich in … oder … niederzulassen, wo er aufgrund der Anonymität der Großstadt und unter Berücksichtigung der bisher geringen Bedrohungsintensität nicht aufgefunden würde, da dort auch die Gebietsgewalt beim afghanischen Staat liegt. Diese Einschätzung entspricht auch der aktuellen Auskunftslage (vgl. VG Ansbach, U.v. 13.01.2017 – AN 11 K 15.31065 – juris Rn. 29; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 25 ff.; VG Augsburg, B.v. 14.3.2017 – Au 5 E 17.31264 – juris Rn. 32 ff.). Nach Angaben des Auswärtigen Amtes bieten größere Städte aufgrund ihrer Anonymität eher Schutz als kleinere Städte oder Dorfgemeinschaften (Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 – Stand September 2016 – S. 16). Daher könnte sich der erwerbsfähige Kläger in … oder … niederlassen, ohne einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, in … oder … einen Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums insoweit zu verdienen, dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich dort aufzuhalten (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 25 ff.; OVG NW, B.v. 8.6.2016 – 13 A 1222/16.A – juris Rn. 10; NdsOVG, U.v. 20.07.2015 – 9 LB 320/14 – juris S. 8; OVG NW, U.v. 27.01.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 46; U.v. 26.08.2014 – 13 A 2998/11.A – juris Rn. 197). Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VG München, U.v. 16.3.2017 – M 17 K 16.35014; BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 13a ZB 16.30824 – juris; B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris, Rn. 10; B.v. 5.2.2015 – 13a ZB 14.30172 – juris, Rn. 7, B.v. 27.5.2014 – 13a ZB 13.30309 – juris, Rn. 4, B.v. 19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris und B.v. 18.7.2012 – 13a ZB 12.30150 – juris Rn. 7 ff.; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris, Rn. 73; B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15.A – juris Rn. 8; VG Lüneburg U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 29 ff.; U.v. 6.2.2017 – 3 A 126/16 – juris Rn. 46 ff.).
Dass es der Kläger bisher versucht habe, innerhalb von Afghanistan Schutz zu suchen, wurde nicht vorgetragen. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger heute in das Visier seiner vermeintlichen Verfolger gelangen sollte. Das Ausmaß der Vorverfolgung des Klägers ist – unterstellt man den Wahrheitsgehalt der klägerischen Angaben – als eher gering einzuschätzen. Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung und seiner Anhörung vor dem Bundesamt wurde der Kläger selbst außerhalb von Kampfhandlungen seiner Infanterieeinheit, die sich zudem nur in der Provinz … zutrugen, nicht von Taliban bedroht. Die Bedrohungen fanden ausschließlich über die Drohbriefe der Taliban statt. Eine direkte Bedrohung auch seiner Familie gegenüber habe es nicht gegeben.
Zudem ist es nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht zunächst den Schutz seines Dienstherrn bzw. seiner Kollegen in Anspruch genommen hat bzw. nimmt, indem er bei seiner Infanterieeinheit geblieben wäre oder dorthin zurückkehrt. Dies erscheint umso unverständlicher, als er davon berichtet hat, dass lediglich sein Vater in seiner Heimatregion einen Drohbrief erhalten hat, weder dieser noch er selbst jedoch direkten Beeinträchtigungen ausgesetzt gewesen seien. Er hat dagegen nicht vorgetragen, dass ihn Taliban auch an seinem Dienstort aufgespürt oder bedroht hätten. Insoweit ist auch nicht zu prognostizieren, dass dies in Zukunft der Fall sein wird.
Dem Kläger, als gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann, sind die Lebensumstände und der Arbeitsmarkt in … bereits bekannt, da er dort als Tagelöhner auf Baustellen gearbeitet hat, bevor er zur Armee gegangen ist. Auch während seiner Armeezugehörigkeit hielt sich der Kläger nach seinen eigenen Angaben in … auf ohne dort Ziel von Talibankämpfern geworden zu sein. Er ist 24 Jahre jung und hat den Großteil seines Lebens, nämlich die Zeit von seiner Geburt bis zur seiner Ausreise in Afghanistan verbracht, ist also mit der dortigen Kultur und den dortigen Lebensumständen vertraut. Zwar trifft es zu, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan allgemein schwierig ist. So wird die Arbeitslosenrate in Afghanistan auf bis zu 50% geschätzt (Fortschrittsbericht der Bundesregierung von Nov. 2014, Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Jedes Jahr gelangen weitere ca. 500.000 junge Personen auf den Arbeitsmarkt (Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Es gibt kaum legale Erwerbsmöglichkeiten, insbesondere nicht für Menschen ohne qualifizierte Berufsausbildung oder persönliche Beziehungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.3.2015). Dem Kläger kommt allerdings zugute, dass er jung und arbeitsfähig ist sowie über eine praktische berufliche Erfahrung verfügt, so dass ihm in seiner Heimat der Aufbau eines Lebens, beispielsweise in …, zumutbar ist. Er besitzt eine solide Schulbildung (12 Jahre), kann lesen und schreiben. Wie dargestellt, ist auch nicht auszuschließen, dass er nach seiner Rückkehr nach Afghanistan in die Armee zurückkehren kann (AA, Lagebericht a.a.O., S. 12; VG Augsburg, U.v. 9.9.2013 – Au 6 K 13.30065 – juris). Es ist daher davon auszugehen, dass er als volljähriger, junger, gesunder Mann, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten hat, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Er war schließlich in der Lage seine Reisekosten aus seinen eigenen Ersparnissen zu finanzieren, wobei er sich auch Teile davon geliehen hat. Außerdem leben die Eltern, Geschwister und seine Großfamilie in Afghanistan. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Familienangehörigen des Klägers bei seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mehr willens oder in der Lage wären, diesen zu unterstützen. Somit liegen keine Erkenntnisse vor, dass er in eine existentielle Notlage geraten würde. Demnach kann es dem Kläger zugemutet werden, sich in diesem sicheren Landesteil aufzuhalten.
2. Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
2.1. Dass dem Kläger in Afghanistan die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe von Seiten des afghanischen Staates droht, ist nicht ersichtlich. Soweit der Kläger geltend macht, durch die Taliban bedroht zu sein, ist es unter Hinweis auf die Ausführungen zum Flüchtlingsschutz und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihm bei Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden droht. Auch insofern wird im Übrigen auf die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative verwiesen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 e AsylG).
2.2. Aber auch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG kann nicht bejaht werden.
2.2.1. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist rechtsgrundsätzlich geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F., nunmehr § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) besteht und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte u.a. einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf (BVerwG, B.v. 27.6.2013 a.a.O.).
Für die Frage, ob der Kläger bei Rückkehr in sein Heimatland einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist zu prüfen, ob von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 4; BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487 = juris Rn. 23; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 7; U.v. 17.11.2011 a.a.O.; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198). Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen. Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 19; U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – BVerwGE 134,188 Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 19; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 Rn. 33). In jedem Fall setzt § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht, was sich aus dem Tatbestandsmerkmal „… tatsächlich Gefahr liefe …“ in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG ergibt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 20). Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“; BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 20 unter Anführung von EGMR, U.v. 28.2.2008 – Saadi/Italien, Nr. 37201/06 – NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (BVerwG, U.v. 27.4.2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG; BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Zur Ermittlung einer für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist – in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) – aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsprovinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht das vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ermittelte Risiko für das Jahr 2009 von ca. 1:800 oder 0,12%, in der Herkunftsprovinz verletzt oder getötet zu werden, sowie die auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt sei, im Ergebnis revisionsgerichtlich nicht beanstandet (BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 22).
2.2.2. Gemessen daran ist die Annahme subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für den Kläger nicht gerechtfertigt.
Vorliegend kann dahinstehen, ob in der Heimatprovinz des Klägers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht, weil jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sein Leben oder seine Unversehrtheit in … oder … infolge willkürlicher Gewalt bedroht ist. Weder in … noch in … geht für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr aus, die sich in der Person der Kläger so verdichtet, dass sie für diese eine erhebliche individuelle Gefahr (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 17) bzw. Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt.
Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im o.g. Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nach dessen Vorbringen nicht in einem rechtlich relevanten Maße. Insbesondere die Tatsache, dass er Schiit und Hazara ist, führt zu keiner Gefahrenerhöhung (s.o. unter 1.4.). Zwar ist auch insoweit zu berücksichtigen, dass für den Kläger, soweit er seinen Beruf als Soldat weiter ausübt, wiederum ein „berufsbedingt“ höheres Risiko bestehen wird, als für eine Zivilperson. Das Gericht verkennt nicht, dass für Soldaten ein weitaus höheres Risiko besteht, als für die Zivilbevölkerung. Dies ist jedoch berufsimmanent und letztlich der labilen Sicherheitslage geschuldet, die gerade von dieser Berufsgruppe verbessert werden soll (VG Dresden, U.v. 10.5.2017 – 3 K 1710/16.A – juris Rn. 26).
In der Nord-Ostregion Afghanistans, zu der auch die Heimatregion des Klägers … gehört, wurden laut UNAMA (www.unama.unmissions.org; Afghanistan – protection of civilians in armed conflict, annual report 2016) im Jahr 2016 1.270 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 3,855 Millionen (Badakhshan ca. 950.953 Einwohner; … ca. 910.784 Einwohner; Kunduz ca. 1.010.037 Einwohner und Takhar ca. 983.336 Einwohner), ergibt sich ein Risiko von 1:3.035, verletzt oder getötet zu werden. Selbst bei einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1.011, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – Rn. 22).
Dem Kläger wäre es – wie dargestellt – aber z.B. auch zumutbar, sich in … oder … niederzulassen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der jüngsten Anschläge in Afghanistan (vgl. auch VG Lüneburg, U.v. 15.5.2017 – 3 A 156/16 – juris hinsichtlich der Provinz Balkh unter Bezugnahme auf aktuelle Anschläge; BayVGH, B.v. 17.08.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris Rn. 10; OVG NW, B.v. 8.6.2016 – 13 A 1222/16.A – juris Rn. 10; NdsOVG, B.v. 27.4.2016 – 9 LA 46/16; B.v. 13.4.2015 – 9 LA 58/13). Die Mehrzahl der Binnenflüchtlinge zieht es dementsprechend gerade auch nach … (vgl. etwa Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 48). In der Zentralregion Afghanistans, zu der auch … gehört, wurden laut UNAMA (www.unama.unmissions.org; Afghanistan – protection of civilians in armed conflict, annual report 2016) im Jahr 2016 2.348 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 6,5 Millionen (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 32), ergibt sich ein Risiko von 1:2768, verletzt oder getötet zu werden. Selbst bei einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:922, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – Rn. 22). In der westlichen Region, in der … liegt, gab es 836 Opfer. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 3,5 Millionen ergibt sich ein Risiko von nur ca. 1:4.187 bzw. – bei Berücksichtigung der Dunkelziffer – von 1:1.396 (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 35 ff.). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vierteljahresbericht von UNAMA vom 25. April 2017. Danach wurden zwischen 1. Januar 2017 und 31. März 2017 2.181 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Hochgerechnet auf das Jahr ergäben sich damit 8.724 Opfer, so dass sich – bezogen auf die Bevölkerungszahl Afghanistans von ca. 33,3 Millionen (vgl. www.wikipedia.org) – ein Risiko von 1:3.817 bzw. 1:1.272 errechnet.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar entschieden, dass es neben der quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung bedarf. Ist allerdings die Höhe des quantitativ festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens – wie hier – weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, vermöge sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken. Zudem sei die wertende Gesamtbetrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte möglich (U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23; 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33).
Nach alledem ist es auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände weder in … noch in … oder … beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden. Zumindest für alleinstehende männliche Staatsangehörige besteht in Afghanistan keine extreme Gefahrenlage (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016. Die Bewertung beruht auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den dargelegten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung decken (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rn. 6 f.; B.v. 4.4.2017 – 13a ZB 17.30231 – juris Rn. 12; B.v. 28.3.2017 – 13a ZB 17.30212 – juris Rn. 5; B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v.19.12.2016 – Au 5 K 16. 31939 – juris Rn. 42).
3. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16f.).
3.1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tat-sächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit. Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
In Afghanistan ist die allgemeine bzw. humanitäre Lage aber nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn.12; VG München, U.v. 9.3.2017 – M 17 K 16.35022; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 55 ff.). Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Dies ist bei der Rückkehr von arbeitsfähigen, gesunden jungen Männern unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen jedoch nicht der Fall.
3.2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nicht vor.
Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15).
Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 60). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch die Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in Nachbarländer Afghanistans geflohen sind, wesentlich höher (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 21).
Im Hinblick auf eine mögliche Eigenexistenzsicherung hat der Kläger die hierfür erforderliche Leistungsfähigkeit eines gesunden jungen Mannes (s.o.). Die Chancen des Klägers im Verdrängungskampf um die knappen Arbeitsmarktressourcen sind zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt als nicht aussichtslos im Vergleich bei der derzeitigen afghanischen Konkurrenzsituation einzuschätzen.
Nach alledem ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsjobs in der Herkunftsregion bzw. …, wohin eine Abschiebung erfolgen würde (vgl. zum Abschiebeweg Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 26), ein Einkommen zu erzielen, dass ein Leben über dem Existenzminimums ermöglicht und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
4. Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
5. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Nr. 5 des Bescheids vom 13. Januar 2017 keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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