Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für einen Angehörigen der Volksgruppe Rohingya in Myanmar

Aktenzeichen  M 17 K 17.32291

Datum:
4.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4 Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 60
AufenthG AufenthG § 59

 

Leitsatz

1 An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint. (redaktioneller Leitsatz)
2 Angehörige der Volksgruppe der Rohingya werden in Myanmar nicht als Staatsangehörige anerkannt, so dass der in der Abschiebungsandrohung genannte Zielstaat nicht zwingend mit dem Staat identisch sein muss, dessen Staatsangehörigkeit der Betreffende besitzt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 3. April 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagefrist (§ 74 AsylG) nicht abgelaufen.
Zwar scheiterte laut Postzustellungsurkunde vom 31. Oktober 2016 die Zustellung des Bescheids vom 24. Oktober 2016 daran, dass der Kläger unter der Adresse V. Weg 6, A. nicht zu ermitteln gewesen sei. Wie die Klägerseite aber glaubhaft versichert hat, war der Kläger nicht nur ununterbrochen unter dieser Adresse wohnhaft, sondern es war auf dem Briefkasten auch stets der Name des Klägers angebracht. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Kläger der streitgegenständliche Bescheid erst im Rahmen des Klageverfahrens rechtswirksam zuging. Zumindest wäre ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren, da er nach den geschilderten Umständen unverschuldet verhindert war, die Klagefrist einzuhalten.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Das Bundesamt hat zu Recht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) abgelehnt
1.1 Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. d) Richtlinie 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. VG Ansbach, U.v. 28.4.2015 – AN 1 K 14.30761 – juris Rn. 65ff. m.V. auf: BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936).
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162).
Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist für die Glaubwürdigkeit auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit – insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit – abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für eine Verfolgung bzw. Gefährdung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27.85 – juris).
1.2 Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da der Vortrag des Klägers sowohl bei der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2017 sehr pauschal und detailarm, zudem auch teilweise widersprüchlich und damit nicht glaubwürdig war.
So gab er beim Bundesamt an, … Anfang Januar 2013 verlassen zu haben, während er in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2017 ausführte, dass er im Dezember 2012 ausgereist sei. Des Weiteren äußerte sich der Kläger bei der Anhörung am … Januar 2016 dahingehend, dass seine Lebensbedingungen in … sehr schlecht gewesen seien und die Polizei ihn nach Myanmar habe zurückschicken wollen. Er sei das erste Mal Mitte oder Ende 2008 und das letzte Mal Mitte oder Ende 2012, insgesamt sechs- bis siebenmal von der Polizei angegriffen worden, wobei er mit Stöcken geschlagen und seine Schlammhütte abgerissen worden sei. Dagegen schilderte er in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2017, dass er zusammen mit anderen Rohingya im Jahr 2012 verhaftet worden sei, weil man sie der Brandstiftung eines Hindutempels verdächtigt habe, und er erst drei Tage später gegen Geldzahlung freigelassen worden sei. Die diesbezüglichen Schilderungen waren aber trotz mehrfacher Nachfragen des Gerichts sehr oberflächlich und unsubstantiiert. Zudem gab er erst an, dass der Brand des Tempels und des Slums Ende Oktober 2012 gewesen sei, dann, dass sich dies August/September 2012 ereignet habe, und zuletzt, dass dieses Ereignis Anfang August 2012 gewesen sei. Den Brand des Tempels und das anschließende Inbrandsetzen des Slums sowie seine Verhaftung für drei Tage erwähnte er beim Bundesamt überhaupt nicht. Ebenso wenig erzählte er bei der ersten Anhörung, dass er kurze Zeit später in Chittagong von Polizisten derart misshandelt worden sei, dass diese ihn an einem Bach hätten liegen lassen, weil sie ihn für tot gehalten hätten, obwohl es sich bei einem derartigen Vorfall doch um ein sehr einschneidendes Erlebnis handeln würde. Dagegen sagte er in der mündlichen Verhandlung nicht, dass Polizisten seine Schlammhütte abgerissen hätten, wie er beim Bundesamt geltend machte. Vielmehr gab er an, dass der Slum wegen des Brandes des Hindutempels angezündet worden sei. Misshandlungen vor 2012, die er – allerdings äußerst pauschal und detailarm – beim Bundesamt geschildert hatte, erwähnte er vor Gericht mit keinem Wort. Auch dass die Polizei ihn nach Myanmar habe zurückschicken wollen, wurde von ihm nicht angesprochen.
2. Aufgrund der fehlenden Glaubwürdigkeit konnte dem Kläger auch nicht der subsidiäre Schutzstatus (§ 4 AsylG) zuerkannt oder Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) bejaht werden.
Allein wegen der harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnisse in … vermag sich der Kläger weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung von Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, S. 1167ff. – juris Rn. 23 ff. sowie Rn. 38; VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine Existenzgrundlage bei seiner Rückkehr gänzlich fehlen würde, sind nicht ersichtlich. Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen. Als junger arbeitsfähiger Mann ist er grundsätzlich in der Lage, seinen Lebensunterhalt in seinem Herkunftsland durch eigene Tätigkeit sicherzustellen. So gab er auch selbst bei der Anhörung vor dem Bundesamt an, sich mit Gelegenheitsarbeiten, wie z.B. als Erntehelfer, Teeverkäufer oder Schweißer, über Wasser gehalten und zumindest einen Teil der für die Reise nach Deutschland angefallen Kosten angespart zu haben.
3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass die Abschiebung nach … und nicht nach Myanmar angedroht wurde. Der in der Abschiebungsandrohung genannte Zielstaat muss nicht zwingend mit dem Staat identisch sein, dessen Staatsangehörigkeit der Betreffende besitzt (vgl. Gemeinschaftskommentar zum AsylG, § 34 AsylG, Rn. 45, 47). Selbst wenn man aber die Auffassung vertritt, dass im Rahmen der Abschiebungsandrohung vorrangig der Staat der Staatsangehörigkeit als Zielstaat anzugeben ist, ist es nach der Rechtsprechung für die rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung grundsätzlich unerheblich, ob der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des Zielstaates tatsächlich besitzt (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, zum vergleichbaren § 34 AsylVfG Rn. 25f. m.w.N.). Ob eine Abschiebung nach … später tatsächlich durchgeführt werden kann oder nicht, ist vielmehr eine Frage der Vollstreckung des streitgegenständlichen Bescheids.
Hinzukommt, dass der Kläger behauptet, Rohingya zu sein. Angehörige dieser Volksgruppe werden aber bekanntermaßen in Myanmar nicht als Staatsangehörige anerkannt (vgl. UNHCR, Auskunft v. 10.12.2015 an das VG Augsburg). Die Androhung der Abschiebung nach … als dem Land des gewöhnlichen Aufenthalts ist daher rechtmäßig.
3. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 24. Oktober 2016 keinen rechtlichen Bedenken.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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