Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen sunnitischen Nachnamens

Aktenzeichen  RN 6 K 16.32374

Datum:
15.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 1
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3e Abs. 1, § 4

 

Leitsatz

1. Die nach § 3a Abs. 3 AsylG zwischen diesen Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen erforderliche Verknüpfung liegt bei einem Drohanruf nicht vor, wenn dadurch nur die Vermutung unsubstantiiert dargelegt werden kann, dass der Asylantragsteller aufgrund seines sunnitischen Glaubens Ziel dieser Drohung gewesen sei. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein aus einem sunnitischen Nachnamen ergibt sich keine Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG, weil eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak nicht angenommen werden kann und auch ein sunnitischer Nachname im Rahmen der Prüfung der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG nicht als gefahrerhöhender Umstand anzusehen ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gefahrendichte in Bagdad ist nicht so hoch, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung iSd § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, weil der Bescheid des Bundesamts vom 5.9.2016 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder eines subsidiären Schutzstatus noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.
I.
Die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sind nicht erfüllt.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet.
Eine Verfolgung kann gemäß § 3 c AsylG ausgehen von
a) dem Staat,
b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C-32/12 – juris).
1. Nach Auffassung des Gerichts haben die Kläger weder vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren ein individuelles Verfolgungsschicksal im Sinne der §§ 3 ff. AsylG glaubhaft gemacht.
Der von den Klägern geschilderte Drohanruf erfüllt die Anforderungen an eine Verfolgungshandlung nach § 3 Abs. 1 AsylG nicht.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG kommt nur dann in Betracht, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Wesentlichen auf die asylrelevanten Merkmale Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politische Überzeugung zurückzuführen ist. Nach § 3 a Abs. 3 AsylG muss zwischen diesen Verfolgungsgründen und den in § 3 a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen, ansonsten ist allenfalls der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen.
Selbst wenn man die Schilderungen der Kläger als wahr zugrunde legt, fehlt es an einer derartigen Verknüpfung des Drohanrufs mit einem Verfolgungsgrund. Zunächst konnten die Kläger nicht darlegen, wer den Drohanruf getätigt haben soll. Auch ging aus dem angeblichen Anruf der Grund der Drohung nicht hervor, vielmehr war Gegenstand des Anrufs allein die Erwerbstätigkeit des Klägers zu 1). Hier konnten die Kläger nur ihre Vermutung darlegen, dass der Kläger zu 1) aufgrund seines sunnitischen Glaubens Ziel dieser Drohung gewesen sei, ohne dies ausreichend substantiiert vorzutragen. Das Bundesamt ging daher zu Recht davon aus, dass nicht ersichtlich sei, dass der Anrufer ein spezielles Interesse an der Konfessionszugehörigkeit des Klägers zu 1) gehabt habe oder dass die Bedrohung im Zusammenhang mit einem anderen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 b Abs. 1 AsylG stehe.
Darüber hinaus kommt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht, weil den Klägern die Möglichkeit internen Schutzes im Sinne des § 3 e Abs. 1 AsylG offensteht. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es den Klägern nicht möglich und zumutbar sein könnte, sich der von ihnen vorgetragenen Bedrohung durch den anonymen Anrufer durch einen Umzug in ein anderes Stadtviertel und einen damit einhergehenden Wechsel der Arbeitsstelle zu entziehen. Bei der irakischen Hauptstadt Bagdad handelt es sich um eine Großstadt mit mehreren Millionen Einwohnern, in der anonymes Wohnen und Arbeiten möglich ist.
Vor diesem Hintergrund war dem Antrag des Klägervertreters, eine Auskunft durch das Auswärtige Amt einzuholen, ob Erkenntnisse dazu vorliegen, dass in dem Stadtteil A2… in Bagdad gehäuft Sunniten durch schiitische Milizen an Leib und Leben bedroht werden, nicht nachzukommen. Zum einen handelt es sich bei dem Beweisantrag bereits um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Zum anderen sah die Einzelrichterin keinen tatsächlichen Anlass zur beantragten Sachaufklärung, weil die Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert darlegen konnten, dass der Kläger zu 1) aufgrund seines sunnitischen Glaubens telefonisch aufgefordert wurde, seine Arbeitsstelle aufzugeben. Weil kein Zusammenhang zwischen dem vorgetragenen Sachverhalt und der unter Beweis gestellten Tatsache ersichtlich ist, kommt es auf die unter Beweis gestellte Frage, ob in dem Stadtteil A2…, in dem der Kläger zu 1) gearbeitet habe, häufig Sunniten durch schiitische Milizen bedroht würden, nicht an. Überdies ergibt sich die fehlende Entscheidungserheblichkeit aus der den Klägern zur Verfügung stehenden Möglichkeit internen Schutzes nach § 3 e Abs. 1 AsylG.
Es war auch nicht Beweis darüber zu erheben, ob sich dem Nachnamen des Klägers zu 1) entnehmen lässt, dass er Sunnit ist. Zwar gaben die Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung an, dass der anonyme Anrufer den vollen Namen des Klägers zu 1) gekannt habe. Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Bedrohung im Zusammenhang mit dem sunnitischen Glauben des Klägers stand, denn allein aus der Nennung eines Nachnamens lässt sich nicht auf eine Verfolgung aus religiösen Motiven schließen. Außerdem kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich allein aus einem sunnitischen Nachnamen eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ergeben könnte, weil – wie im Folgenden noch dargelegt wird – eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak nicht angenommen werden kann und auch ein sunnitischer Nachname im Rahmen der Prüfung der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht als gefahrerhöhender Umstand anzusehen ist. Die unter Beweis gestellte Tatsache war damit nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen bestehen aus Sicht des Gerichts bezüglich der Aussage des Klägers, dass sein Name seine Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben erkennen lasse, keine Zweifel.
Auch die übrigen Schilderungen der Kläger führen nicht zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Sowohl bei der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung gaben die Kläger zu 1) und 2) an, nicht persönlich bedroht oder Ziel von Gewalt gewesen zu sein. Sie erklärten zwar, in ihrem Alltag indirekten Drohungen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt zu sein. Allerdings erreichten diese Vorfälle, ungeachtet der Frage, ob die Religionszugehörigkeit der Kläger für sie tatsächlich ursächlich war, nicht die Schwelle einer relevanten Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a Abs. 1 AsylG. Ob das Versterben der Tochter im Jahr 2013, wie von den Klägern vorgetragen, darauf beruhte, dass sich die Kläger als Sunniten nicht frei bewegen und daher das Krankenhaus nicht rechtzeitig erreichen konnten, ist für das Gericht auf der Grundlage des nicht ausreichend substantiierten Vortrags der Kläger nicht nachprüfbar. Im Übrigen reisten die Kläger erst Ende des Jahres 2015 aus dem Irak aus, sodass auch anzunehmen ist, dass es an dem erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang zwischen behaupteter Verfolgungshandlung und Ausreise fehlt. Dies gilt auch für den Vortrag der Kläger, dass der Bruder des Klägers zu 1) im Jahr 2010 aufgrund seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit erschossen worden sei.
Ebenso führt die Schilderung, dass ein Nachbar von uniformierten Personen mitgenommen worden sei, nicht zu der Annahme, dass den Klägern bei einer Rückkehr in den Irak eine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht, weil die Kläger von diesem Vorfall nicht selbst betroffen waren und zudem nach eigenen Aussagen auch keine Gewissheit darüber haben, ob es sich bei den uniformierten Personen um Angehörige der irakischen Regierung oder schiitischer Milizen gehandelt hat.
2. Es kann keine Gruppenverfolgung der Sunniten im Irak angenommen werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 21.4.2009 – 10 C-11/08 – juris) ist für die Annahme einer Gruppenverfolgung – abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungsprogramms – die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass darauf für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
Es wird nicht übersehen, dass derzeit von gewaltsamen Übergriffen schiitischer Milizen gegen Sunniten insbesondere in den ehemals durch die Terrorgruppe IS besetzten Gebieten berichtet wird (siehe z.B. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017 und Amnesty International, Amnesty Report 2017 Irak vom 22.2.2017). Dennoch erfüllen die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak nicht die Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Von einer Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ist derzeit nicht auszugehen, weil es angesichts der Größe der Gruppe der Sunniten an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte fehlt (BayVGH, B. v. 9.1.2017 – 13a ZB 16.30740 – juris; so auch VG Ansbach, U. v. 15.12.2016 – AN 2 K 16.30398 – juris). Die irakische Bevölkerung setzt sich zu 60 bis 65% aus arabischen Schiiten, zu 17 bis 22% aus arabischen Sunniten und zu 15 bis 20% aus kurdischen Sunniten zusammen (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017), sodass nicht angenommen werden kann, dass für jeden Iraker sunnitischen Glaubens ohne weiteres die aktuelle Gefahr besteht, von Verfolgungshandlungen betroffen zu sein.
II.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG.
Ihnen droht bei der Rückkehr in den Irak kein ernsthafter Schaden in Form der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Der Kläger zu 1) ist nach eigenen Angaben der Forderung des anonymen Anrufers nachgekommen und hat seine Arbeitsstelle aufgegeben. Die Kläger haben keinen weiteren Sachverhalt vorgetragen, der darauf schließen lässt, dass ihnen bei einer Rückkehr in den Irak weiterhin Gefahren durch den anonymen Anrufer drohen. Im Übrigen wäre es den Klägern möglich und zumutbar, sich innerhalb Bagdads einen neuen Wohnsitz zu suchen. Den Klägern droht auch nicht schon allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG. Insofern wird auf die Ausführungen zur Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verwiesen.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich für die Kläger bei einer Rückkehr in den Irak eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ergibt.
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (BVerwG, U. v. 24.6.2008 – 10 C-43/07 – juris). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nicht schon bei inneren Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen vor. Vielmehr muss ein Konflikt ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie dies etwa bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen der Fall ist (BVerwG, U. v. 24.6.2008 – 10 C-43/07 – juris).
Eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben kann sich aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine derartige Verdichtung der Gefahr in der Person des Antragstellers liegt zum einen vor, wenn eine außergewöhnliche Situation mit einem derartig hohen Gefahrengrad gegeben ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Zum anderen kann sich eine Gefahrenverdichtung ergeben, wenn in der Person des Antragstellers selbst gefahrerhöhende Umstände liegen (BVerwG, U. v. 14.7.2009 – 10 C-9/08 – juris).
Unabhängig davon, ob im Irak oder im Gebiet der Stadt Bagdad ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG besteht, ist die Gefahrendichte in Bagdad nicht so hoch, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist.
Zur Ermittlung einer für die Annahme einer erheblichen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsregion lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie die Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Bezug zu setzen und bedarf erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung einer wertenden Gesamtbetrachtung (BVerwG, U. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; BayVGH, B. v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris).
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts hatte sich die Sicherheitslage im Irak ab Mitte 2014 vor allem durch den Vormarsch der terroristischen Organisation IS dramatisch verschlechtert und hat sich in den Jahren 2015 und 2016, außer in einigen vom IS zurückeroberten Gebieten, nicht verbessert. Ein Schwerpunkt terroristischer Aktivitäten ist auch Bagdad (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017). Die Situation im Gebiet der Stadt Bagdad, dem Herkunftsort der Kläger, stellt sich in quantitativer Hinsicht unter Zugrundelegung der von der UNO-Unterstützungsmission im Irak UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) veröffentlichten Zahlen (http://www.uniraq.org, UN Casualties Figures for Iraq, abgerufen am 11.4.2017) wie folgt dar: Im Jahr 2016 sind im Gebiet der Stadt Bagdad durch Anschläge insgesamt 3.132 Zivilpersonen getötet und 8.829 Zivilpersonen verletzt worden (Zahlen Todesopfer/Verletzte der einzelnen Monate des Jahres 2016: Januar: 299/785, Februar: 277/838, März 259/770, April: 232/642, Mai: 267/740, Juni: 236/742, Juli: 513/887, August: 231/676, September: 289/838, Oktober: 268/807, November 152/581, Dezember 109/523). In den ersten drei Monaten des Jahres 2017 wurden insgesamt 332 Todesopfer und 990 Verletzte gezählt (Januar 2017: 128/444, Februar 2017: 120/300, März 2017: 84/246).
Setzt man die Zahl von insgesamt mindestens 11.961 zivilen Opfern im Jahr 2016 in das Verhältnis zur Wohnbevölkerung Bagdads von ca. 7,6 Millionen Personen (Länderinformation Irak, abrufbar unter http://www.auswaertiges-amt.de, abgerufen am 11.4.2017), so lag die Gefahr dafür, in Bagdad im Jahr 2016 durch einen Anschlag verletzt oder getötet zu werden, bei ca. 0,16% (VG Karlsruhe, U. v. 26.1.2017 – A 3 K 4020/16 – juris: 0,17%; VG Aachen, U. v. 20.1.2017 – 4 K 2040/15.A – juris: 0,21%). Die für die ersten drei Monate des Jahres 2017 vorliegenden Zahlen legen eine weitere Verschärfung des Konflikts nicht nahe.
Unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei den von der UN-Unterstützungsmission UNAMI veröffentlichen Daten nur um Mindestzahlen handelt (VG Karlsruhe, U.v. 26.1.2017 – A 3 K 4020/16 – juris: Erhöhung der Zahlen um eine Dunkelziffer von einem Drittel), kann auch vor dem Hintergrund der angespannten medizinischen Versorgungssituation (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017) nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger in Bagdad allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung durch willkürliche Gewalt ausgesetzt wären (so auch VG Karlsruhe, U.v. 26.1.2017 – A 3 K 4020/16 – juris; VG Aachen, U. v. 20.1.2017 – 4 K 2040/15.A – juris; VG Ansbach, U. v. 15.12.2016 – AN 2 K 16.30398 – juris; das Bundesverwaltungsgericht ging in seinem Urteil vom 17.11.2011 – 10 C. 13/10 – davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit von 0,12%, in Mosul im Jahr 2009 durch einen Anschlag getötet zu werden, „so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt“ sei, dass sich auch der Mangel der Würdigung der medizinischen Versorgungslage nicht auswirke).
Des Weiteren haben die Kläger keine gefahrerhöhenden Umstände in ihrer Person vorgetragen. Insbesondere wirkt sich ihre sunnitische Religionszugehörigkeit nicht schon ohne weiteres gefahrerhöhend aus. Zwar finden, wie bereits dargelegt, im Irak Übergriffe auf Sunniten statt, angesichts der Größe der Gruppe der Sunniten in Bagdad kann allerdings nicht von einer Gefahr für jeden Iraker sunnitischer Religionszugehörigkeit ausgegangen werden. Daher musste – wie bereits dargelegt – auch insoweit nicht Beweis darüber erhoben werden, ob der Nachname des Klägers zu 1) auf seinen sunnitischen Glauben schließen lässt.
III.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet aus, insbesondere weil der Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 5 AufenthG, soweit Art. 3 EMRK betroffen ist, weitgehend identisch mit demjenigen des Art. 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris) und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass den Klägern bei einer Rückkehr in den Irak eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Auch haben die Kläger keine Umstände vorgetragen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Im Hinblick auf die Sicherheitslage in Bagdad besteht keine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere vor dem Hintergrund der angeblichen Bedrohung durch schiitische Milizen liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Es wird auf die Ausführungen zur Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verwiesen.
Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Im Einzelfall kann vor dem Hintergrund einer allgemeinen Gefahr ein Abschiebungsverbot ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn eine Abschiebung in den Heimatstaat aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer allgemeinen Gefahr verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer im Falle der Abschiebung „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, B. v. 14.11.2017 – 10 B 47/07 – juris). Es ist, wie bereits dargelegt, nicht ersichtlich, dass den Klägern für den Fall der Rückkehr nach Bagdad eine derartige Gefahrenlage drohen würde. Es kann trotz der schwierigen Sicherheits- und Versorgungslage im Irak nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder in den Irak zurückkehrenden Person aufgrund der allgemeinen Verhältnisse vor Ort eine existenzielle Gefahr droht. Im Übrigen hat das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr mit Rundschreiben vom 10.8.2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3.3.2014 verfügt, dass irakische Staatsangehörige mit Ausnahme von Straftätern aus den autonomen Kurdengebieten nicht zwangsweise zurückgeführt und weiterhin im Bundesgebiet geduldet werden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass hinsichtlich allgemeiner Gefahren ein wirksamer Schutz vor Abschiebung besteht.
IV.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids im Übrigen bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. VwGO.


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