Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für irakische Staatsbürger sunnitischen Glaubens

Aktenzeichen  W 4 K 16.31692

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145410
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3

 

Leitsatz

1 Für die Kläger als Sunniten besteht jedenfalls im Zentralirak eine inländische Fluchtalternative, die für die Kläger auch zumutbar erscheint. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Belastbare Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak durch schiitische Milizen oder andere nicht staatliche Akteure wegen des sunnitischen Glaubens liegen nicht vor. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet. Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. September 2016 ist in Ziffer 2 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 AsylG) im Fall der Kläger nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Bei der Beurteilung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise i.S. einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen, in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936 ff.; VG München v. 28.1.2015 – M 12 K 14.30579 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden (vgl. VG Augsburg vom 11.7.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris Rn. 21). Dadurch werde der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seiner Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauerer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es i.d.R., wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH Baden-Württemberg v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren der Kläger nicht zum Erfolg. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kläger vor ihrer Ausreise aus dem Irak landesweit von religiöser Verfolgung i.S.v. § 3 AsylG betroffen waren, wie der Klägervertreter meint. Insoweit kann auf die Begründung des Bescheids vom 5. September 2016 verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist zudem folgendes auszuführen: Auch die Ausführungen des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung führen nicht zu einem anderen Ergebnis, da sie äußerst unsubstantiiert sind. Der Kläger zu 1) selbst hat betont, dass er nur die Vermutung habe, dass die Regierung hinter den Drohungen stecke. Im Übrigen hat das Gericht erhebliche Zweifel an dem gesamten Vortrag des Klägers zu 1), da dieser wenig nachvollziehbar ist. Einerseits behauptet der Kläger zu 1), sein Vater und die gesamte Familie seien seit 2005 bedroht worden, damit sein Vater, der eine leitende Position bei einem staatlichen Ölkonzern innehabe, seine Arbeit aufgebe. Deshalb sei sogar sein Bruder getötet worden. Andererseits ist sein Vater, wenn man dem Kläger zu 1) weiter glauben mag, immer noch Beamter im Ölministerium und geht offenbar unbehelligt seinem Beruf nach. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Kläger Sunniten sind. Sie müssen sich insofern jedenfalls gemäß § 3e AsylG auf die bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verweisen lassen.
Für die Kläger als Sunniten besteht jedenfalls im Zentralirak eine inländische Fluchtalternative, die für die Kläger auch zumutbar erscheint (vgl. VG Augsburg, U.v. 11.7.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris). Die Sunniten gehören zu den wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen im Irak. Dies sind die Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten bzw. Süden des Landes bewohnen, die Sunniten, die 17 bis 22% der Bevölkerung ausmachen und mit ihrem Schwerpunkt im Zentral- und Westirak leben, sowie die vor allem im Norden des Landes lebenden Kurden, die ca. 15 bis 20% der Bevölkerung ausmachen und überwiegend sunnitisch, aber auch yezidisch und in kleinen Teilen schiitisch geprägt sind (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 18.2.2016, S. 5 Ziff. I. 2). Für die Kläger ist ein künftiger Aufenthalt in einem sunnitischen geprägten Landesteil oder in einem sunnitischen Stadtteil von Bagdad durchaus zumutbar.
Weiter ist auch nicht von einer Gruppenverfolgung der Sunniten im Irak auszugehen. Belastbare Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung durch schiitische Milizen oder andere nicht staatliche Akteure wegen des sunnitischen Glaubens liegen nicht vor. Die Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen weder im Staat Irak in seiner Gesamtheit noch in Bagdad die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte auf (vgl. BayVGH, U.v. 9.1.2012 – 13a B 11.30277 – juris Rn. 15). Angesichts der Größe der Bevölkerungsgruppe der Sunniten am Anteil der Gesamtbevölkerung im Irak kann nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte angenommen werden. Selbst wenn man annimmt, dass schiitische Milizen auch in den mehrheitlich sunnitischen Gebieten Einfluss haben, vermag dies einen Fluchtgrund nicht zu begründen, da die Einflussnahme oder Machtausübung als solche keine asylrelevante Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG darstellt.
Nach alldem ist der Bescheid des Bundesamtes, soweit er angefochten wurde, rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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