Verwaltungsrecht

Klage auf Fortführung eines durch Beschluss eingestellten Klageverfahrens, Wirksamkeit einer anwaltlichen Klagerücknahme, Türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, Bedrohungen und kurzfristige Inhaftierung des Ehemanns in der Türkei, Keine Probleme der Ehefrau in der Türkei, Einreise auf dem Landweg

Aktenzeichen  Au 6 K 21.30084

Datum:
27.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23915
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 92
GG Art. 16a
AsylG §§ 3, 4
§ 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Fortführung des Klageverfahrens Au 6 K 18.31291, da dieses durch wirksame Klagerücknahme beendet worden ist. Die Klägerin zu 2 hat im Übrigen, sollte für sie keine wirksame Klagerücknahme vorliegen, zum maßgeblichen Zeitpunkt aber auch keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Juli 2018 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
I. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Fortführung des Klageverfahrens Au 6 K 18.31291, da dieses durch wirksame Klagerücknahme beendet worden ist.
Die nach § 92 Abs. 1 VwGO wirksam erklärte Klagerücknahme hat das Klageverfahren Au 6 K 18.31291 beendet, was durch gerichtlichen Beschluss vom 6. Oktober 2020 auch zutreffend festgestellt wurde. Der Schriftsatz der ersten Klägerbevollmächtigten vom 29. September 2020 ging dem Verwaltungsgericht am 6. Oktober 2020 zu und wurde mithin als Willenserklärung wirksam.
Die hierin liegende Klagerücknahme erstreckte sich auch auf beide Kläger.
Soweit der heutige zweite Klägerbevollmächtigte erstens einwendet, der auf den 23. August 2018 datierten formblattmäßigen Vollmacht mit dem Betreff „…“ sei keine Vollmacht für die Klägerin zu 2 zu entnehmen, hat er mittlerweile auf gerichtlichen Hinweis, dass dann aber bereits keine wirksame weil vollmachtslose Klageerhebung für die Klägerin zu 2 vorliege, eingeräumt, auch die Klägerin zu 2 habe die erste Klägerbevollmächtigte mit der Klage beauftragt und bevollmächtigt. Dies hat die Klägerin zu 2 auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Sein zweiter Einwand, die erste Klägerbevollmächtigte habe ohne Einwilligung der Kläger die Klagerücknahme erklärt, ist rechtlich unerheblich, denn die von der ersten Klägerbevollmächtigten übersandte, auf den 23. August 2018 datierte formblattmäßige Vollmacht umfasst die Vollmacht „1. zur Prozessführung (u.a. nach §§ 81 ff. ZPO) einschließlich der Befugnis zur Erhebung und Zurücknahme von Widerklagen“ und umfasse „insbesondere die Befugnis, […] den Rechtsstreit […] durch Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis zu erledigen“. Dies entspricht dem gesetzlichen Umfang der anwaltlichen Vollmacht nach § 81 ZPO i.V.m. § 173 VwGO. Eine inhaltliche Beschränkung nach § 83 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO unter Ausschluss einer einseitigen Rücknahmeerklärung ist weder gesetzlich vorgesehen noch hier erfolgt. Die Beschränkung kann gesetzlich nur für die Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis erfolgen – die Klagerücknahme ist von einer Beschränkung im Umkehrschluss gesetzlich ausgeschlossen. Sie war aber hier gerade nicht beschränkt, weil sie nach dem ausdrücklichen Text der Vollmacht sogar die Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis umfasst.
Schließlich ist auch dem dritten Einwand nicht zu folgen, die Klagerücknahme beschränke sich prozessual ausdrücklich auf den im Betreff namentlich genannten Kläger zu 1, aber erfasse nicht die – anders als noch in der Klageschrift – namentlich nicht genannte Klägerin zu 2. Insoweit ist die Prozesserklärung der ersten Klägerbevollmächtigten vom gerichtlichen Empfängerhorizont her auszulegen. Zwar ist die Klägerin zu 2 anders als in der Klageschrift nicht ausdrücklich im Betreff erwähnt; gleichwohl ist sie auch in der Vollmacht für die erste Klägerbevollmächtigte überhaupt nicht erwähnt. Das Aktenzeichen der ersten Klägerbevollmächtigten hingegen war durchweg identisch („…“). Mithin variieren die Betreffangaben im Schriftverkehr der ersten Klägerbevollmächtigten und haben keine maßgebliche Bedeutung. Auf der anderen Seite ist dem Text der Klagerücknahme auch keine ausdrückliche Beschränkung auf den Kläger zu 1 zu entnehmen, sondern nur die Klagerücknahme als solche. Daher ist davon auszugehen, dass mit dem Schriftsatz der ersten Klägerbevollmächtigten vom 29. September 2020 das Klageverfahren insgesamt und damit für beide Kläger beendet werden sollte. So wurde es auch von der Berichterstatterin verstanden, so dass deren Beschluss vom 6. Oktober 2020 eine inhaltlich zutreffende Feststellung der wirksamen Beendigung des gesamten Klageverfahrens durch Klagerücknahme enthält und nicht rechtswidrig ist.
II. Die Klägerin zu 2 hätte auch – wäre das Klageverfahren Au 6 K 18.31291 nicht schon durch wirksame Klagerücknahme beendet – in der Sache keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 4. Juli 2018 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Klägerin zu 2 hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG, soweit dies von ihrer ersten Klägerbevollmächtigten noch beantragt worden war.
Vorliegend schließt bereits die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG die Asylzuerkennung aus.
Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder auf Grund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.1995 – 9 C 73/95 – BVerwGE 100, 23). Die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – DVBl 1996, 729) immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein kann.
Dies ist vorliegend wegen der Einreise per Lkw über den Klägern unbekannte Länder der Fall. Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet daher nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG aus. Ausnahmen nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylG liegen nicht vor.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, weil sie keine Verfolgung erlitten oder zu befürchten hat.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16) entspricht.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Daran fehlt es im vorliegenden Fall, denn die Klägerin ist von keinem territorial relevanten Akteur vorverfolgt worden oder künftig von Verfolgung bedroht: Der türkische Staat hat die Klägerin in keiner Weise durch aktives Handeln belangt oder bedroht. Sie hat vielmehr angegeben, sie persönlich habe in der Türkei keine Schwierigkeiten oder Probleme gehabt. Weder sie, noch ihre Familie hätten jemals Probleme mit Behörden oder der Polizei gehabt. Sie sei lediglich nach Deutschland gekommen, weil ihr Ehemann, der Kläger zu 1, habe ausreisen müssen. Dies hat die Klägerin zu 2 auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
3. Die Klägerin hat aus diesen Gründen auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 AsylG. Sie hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls offensichtlich nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt, dass das Existenzminimum in der Türkei für Rückkehrer gewährleistet ist (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.1.2020 – Au 6 K 17.35691 – juris Rn. 61 f. m.w.N., st. Rspr.), erst recht für die nach eigenen Angaben im Fall einer Rückkehr zu ihrer Familie zurückkehrende Klägerin zu 2. Sie habe keine Probleme in der Türkei.
5. Nachdem sich auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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