Verwaltungsrecht

Klage der Nachbargemeinde gegen Ausweisung eines Gewerbegebiets im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet

Aktenzeichen  8 ZB 15.230

Datum:
19.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 110021
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WHG § 78 Abs. 2, Abs. 6
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Ist ein angefochtenes verwaltungsgerichtliches Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, ist ein Antrag auf Zulassung der Berufung nur dann erfolgreich, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es mag Manches dafür sprechen, dass Bestimmungen zum vorbeugenden Hochwasserschutz (§ 78 WHG) jedenfalls dann drittschützende Funktion haben, wenn die Planungshoheit einer benachbarten Gemeinde betroffen ist. Die Frage wird jedoch offengelassen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) richten sich nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 2 K 14.408 2014-09-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich gegen die im Wege einer Ausnahme zugelassene Ausweisung eines Gewerbegebiets im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet des H. Bachs durch die achte Änderung des Flächennutzungsplans seiner Nachbargemeinde, der Beigeladenen zu 1. Die bisher als Flächen für die Landwirtschaft dargestellten Grundstücke stehen im Eigentum des Beigeladenen zu 2, der beabsichtigt, den H. Bach umzugestalten, indem die gewerblich zu nutzenden Flächen mit Kies aus dem gewässernahen Bereich aufgefüllt und hochwasserfrei gelegt werden und der H. Bach mit Ausgleichs- und Retentionsflächen neu angelegt wird. Das Planungsgebiet liegt zum Teil im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet des H. Bachs und grenzt unmittelbar an das Gemeindegebiet des Klägers an, der auf einem an das Planungsgebiet angrenzenden Grundstück auf dem Gemeindegebiet der Beigeladenen zu 1 eine kommunale Kläranlage betreibt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die im Wege einer Ausnahme erteilte Zulassung, im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet des H. Bachs im Rahmen der Flächennutzungsplanänderung ein Gewerbegebiet auszuweisen, abgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladenen treten dem Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung entgegen und verteidigen die erstgerichtliche Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.
1. Aus dem Vorbringen des Klägers sind keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ersichtlich.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechts-sätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B. v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77/83; B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838; BayVGH, B. v. 24.2.2006 – 1 ZB 05.614 – juris Rn. 11; B. v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2). Ist die angefochtene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, ist ein Zulassungsantrag nur dann erfolgreich, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt (BVerwG, B. v. 2.3.2016 – 2 B 66.15 – juris Rn. 6 m. w. N.; BayVGH, B. v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 31 m. w. N.).
Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung zum einen damit begründet, das Verbot nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 WHG 2010 und die Ausnahmemöglichkeit des § 78 Abs. 2 WHG 2010 seien jedenfalls bei bloßer Darstellung eines neuen Baugebiets im Flächennutzungsplan nicht drittschützend und die Klage daher wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig.
Die in der Zulassungsbegründung hiergegen vorgebrachten Einwendungen können die Ergebnisrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht in Zweifel ziehen. Zwar mag vielleicht Manches dafür sprechen, dass die Bestimmungen zum vorbeugenden Hochwasserschutz jedenfalls dann drittschützende Funktion haben, wenn die Planungshoheit einer benachbarten Gemeinde hierdurch betroffen ist. Der Senat lässt diese Frage jedoch weiterhin offen (vgl. BayVGH, B. v. 4.2.2014 – 8 CS 13.1848 – juris Rn. 12 zu § 78 Abs. 3 Satz 1 WHG 2010 m. w. N.; vgl. auch BayVGH, U. v. 6.6.2000 – 22 ZS 00.1252 – BayVBl 2001, 20 zu Art. 61 Abs. 2 Satz 2 BayWG a. F.; B. v. 3. 8. 2006 – 15 CS 06.1696 – juris Rn. 16 zu Art. 61 Abs. 2 Satz 1 BayWG a. F.; VGH BW, B. v. 18.11.2013 – 5 S 2037/13 – NVwZ-RR 2014, 265 Rn. 6). Ebenso kann dahinstehen, ob sich die Frage nach der drittschützenden Wirkung des Verbots der Ausweisung neuer Baugebiete in festgesetzten Überschwemmungsgebieten danach richtet, in welchem konkreten Zusammenhang die Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 2 WHG 2010 erteilt ist, und ob eine solche jedenfalls für die bloße Darstellung eines im Überschwemmungsgebiet gelegenen Baugebiets im Flächennutzungsplan verneint werden kann.
Hierauf kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an. Denn das Verwaltungsgericht hat die Zurückweisung der Klage nicht ausschließlich auf die von ihr angenommene fehlende Klagebefugnis gestützt, sondern im Weiteren dargelegt, die Klage sei bei unterstellter Zulässigkeit jedenfalls wegen des Fehlens einer Rechtsverletzung des Klägers unbegründet, weil das Gemeindegebiet des Klägers selbst bei einem hundertjährlichen Hochwasserereignis auch mit Klimazuschlag nicht betroffen sei und sich die Hochwassersituation für die klägerische Kläranlage durch die Nebenbestimmungen des angefochtenen Ausnahmegenehmigungsbescheids verbessere.
Hiergegen wendet der Kläger zwar ein, dass seine auf dem Gemeindegebiet der Beigeladenen zu 1) liegende gemeindliche Kläranlage durch die erteilte Ausnahmegenehmigung erheblich beeinträchtigt und dadurch das kommunale Selbstverwaltungsrecht verletzt werde. Dem klägerischen Vorbringen lässt sich jedoch nicht entnehmen, worin die behauptete erhebliche Beeinträchtigung konkret liegen soll. Das Verwaltungsgericht hat sich bei seinen Ausführungen auf das amtliche Gutachten des Wasserwirtschaftsamts vom 26. August 2010 und die Untersuchung der Firma Dr. B. vom 28. Juli 2009 gestützt und dargelegt, dass die Kläranlage des Klägers, welche im Ist-Zustand bei einem HQ 100 teilweise überflutet wird, durch die in der Ausnahmegenehmigung unter Ziffer II.4 vorgesehene Nebenbestimmung künftig vor Hochwasser geschützt werde. Dies stellt der Kläger, der selbst einräumt, dass die Kläranlage derzeit nicht dem Schutz vor einem hundertjährlichen Hochwasserereignis entspricht, nicht infrage. Vielmehr wendet er in diesem Zusammenhang lediglich ein, dass er die Einhaltung der Nebenbestimmung nicht unmittelbar selbst sicherstellen könne, sondern diese gegebenenfalls über das Landratsamt oder klageweise erzwingen müsse. Dieser Umstand ändert jedoch nichts an der Verbesserung des Hochwasserschutzes für die gemeindliche Kläranlage infolge der in der Ausnahmegenehmigung vorgesehenen Auflage, die die Errichtung eines Damms bzw. die Erhöhung des Betonsockels der Kläranlagenumzäunung vorsieht, wodurch eine Überflutung des Kläranlagengeländes nach den unbestrittenen fachgutachterlichen Stellungnahmen künftig auch bei einem Bemessungshochwasser HQ 100 verhindert wird. Von einer erheblichen Beeinträchtigung der gemeindlichen Einrichtung kann daher keine Rede sein, zumal nach der Auskunft des Landratsamts E. im Rahmen des derzeit laufenden Plangenehmigungsverfahrens zur Umgestaltung des H. Bachs die Anforderungen geschaffen werden, die die Hochwassersicherheit der Kläranlage bei einem HQ 100 gewährleisten. Danach bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Nebenbestimmung nicht umgesetzt bzw. ihre Umsetzung vom Landratsamt nicht eingefordert wird; dies wird auch vom Kläger selbst nicht behauptet.
Entgegen dem klägerischen Vorbringen stellt es auch keinen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG dar, dass der Beigeladene alternativ zur Errichtung des Damms oder zum Hochsetzen der Umzäunung der Kläranlage verpflichtet wird. Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet zum einen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können (Vollstreckbarkeit). Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (BVerwG, U. v. 16.10.2013 – 8 C 21.12 – BVerwGE 148, 146 Rn. 13 m. w. N.). Nebenbestimmungen müssen als Bestandteil der Hauptregelung selbst dem Bestimmtheitsgebot genügen, d. h. ihr Entscheidungsgehalt muss für den Adressaten und die betroffenen Dritten nach Art und Umfang aus sich heraus erkennbar und verständlich sein (U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 36 Rn. 27).
Danach erweist sich die im angefochtenen Bescheid enthaltene Nebenbestimmung, mit der der verbesserte Hochwasserschutz des Kläranlagengeländes sichergestellt wird, als ausreichend bestimmt. In Ziffer II.4 des angefochtenen Bescheids werden zwei konkret beschriebene Maßnahmen dargestellt, die geeignet sind, das fragliche Grundstück vor Überflutungen schützen. Für den Beigeladenen zu 1 ist deren Art, Lage und der Umfang ohne Weiteres erkennbar, ebenso, dass er eine von beiden verpflichtend verwirklichen muss. Der Umstand, dass ihm die Wahlfreiheit verbleibt, welche der beiden Alternativen er umsetzen will, steht dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht entgegen, sondern trägt vielmehr dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Nachdem die Möglichkeit, den Betonsockel der Umzäunung zu erhöhen, unter dem Vorbehalt der Abstimmung des Beigeladenen zu 1 mit dem Kläger steht und eine solche, wie der Kläger zutreffend vorträgt, weder von ihm noch vom Beigeladenen zu 1 einseitig erzwungen werden kann, erscheint das Aufzeigen einer Alternative, durch welche die Hochwassersituation für die gemeindliche Kläranlage gleichermaßen verbessert werden kann, als sachgerecht. Hierdurch wird bei fehlender Einigung der vollstreckungsfähige Inhalt der Auflage sichergestellt. Wie der Kläger selbst ausführt, kommt eine Durchsetzung im Wege der Rechtsaufsicht in Betracht.
2. Besondere rechtliche Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO weist die Rechtssache nicht auf. Die von Klägerseite insoweit aufgeführten Fragen (vgl. Zulassungsbegründung S. 7) beziehen sich ausschließlich auf die Zulässigkeit der Klage und sind demnach nicht entscheidungserheblich, weil ihre Beantwortung entsprechend obigen Ausführungen nichts am Ausgang des Verfahrens ändert.
3. Auch die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor. Ungeachtet der Frage, ob das Vorbringen des Klägers den Anforderungen an die Darlegungslast (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) genügt, kommt es wegen der vom Senat offen gelassenen Frage der Klagebefugnis auf die grundsätzliche Bedeutung der von ihm für klärungsbedürftig erachteten Fragen, inwieweit § 78 Abs. 2 WHG 2010 drittschützend ist und welche Rechtschutzmöglichkeiten Dritte gegen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung haben, nicht entscheidungserheblich an.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen sind im Berufungszulassungsverfahren in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B. v. 11.10.2001 – 8 ZB 01.1789 – BayVBl 2002, 378). Ein von dieser Regel abweichender Sachverhalt liegt hier nicht vor. Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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