Verwaltungsrecht

Kommunalabgaben, Straßenausbaubeitrag, Vorauszahlung, Gemeindeanteil, vorteilsgerecht abgestufte Eigenbeteiligung

Aktenzeichen  W 2 K 19.730

Datum:
5.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17874
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 4. September 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Schweinfurt vom 21. Mai 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Beklagtenbevollmächtigten vom 18. Februar 2021 und dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 3. März 2021 vor.
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vorm 4. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes Schweinfurt vom 21. Mai 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Vorliegend findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 7 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) in der Fassung vom 24. Mai 2019 (GVBl S. 266) das Kommunalabgabengesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung Anwendung.
2. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach der hier geltenden alten Gesetzeslage sollen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind.
Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Vorauszahlung ist Art. 5 Abs. 5 KAG, ohne dass es einer satzungsrechtlichen Umsetzung durch den Beklagten bedürfte. Danach können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorauszahlungen auf den Beitrag verlangt werden, wenn mit der Ausführung der Maßnahmen begonnen worden ist, für die der Beitrag erhoben werden soll. Aus dem Wesen der Vorauszahlung als einer Zahlung vor Entstehung einer Beitragspflicht und aus der darin begründeten Abhängigkeit von einer künftigen Beitragsschuld nach Grund und Höhe fordert ihre Festsetzung jedoch das Vorhandensein der gültigen Beitragsregelung in Gestalt einer Abgabensatzung nach Art. 2 Abs. 1 KAG, weil nur so die rechtlichen Voraussetzungen für die spätere Begründung einer Beitragspflicht geschaffen werden können (vgl. BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 6 BV 10.2467 – juris Rn. 31).
Eine solche Regelung hat die Beklagte mit der Satzung über die Erhebung von Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkplätzen und Grünanlagen vom 1. Oktober 2015 (Ausbaubeitragssatzung – ABS -) erlassen. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzung bestehen nicht. In materieller Hinsicht erweist sie sich jedoch als rechtswidrig und unwirksam, so dass es dem streitgegenständlichen Bescheid an einer tragfähigen Rechtsgrundlage fehlt. Die in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS festgelegten Eigenbeteiligungsregelungen genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Nach Art. 5 Abs. 3 KAG a.F. ist in der Abgabesatzung eine Eigenbeteiligung der Gemeinde vorzusehen, wenn die Einrichtung neben den Beitragspflichtigen nicht nur unbedeutend auch der Allgemeinheit zugutekommt (Satz 1). Die Eigenbeteiligung muss die Vorteile für die Allgemeinheit angemessen berücksichtigen (Satz 2). Satzungen zur Erhebung eines Straßenausbaubeitrags haben eine vorteilsgerecht abgestufte Eigenbeteiligung einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet vorzusehen (Satz 3).
Aus der gesetzlichen Vorgabe, den öffentlichen Nutzen „angemessen“ in die Eigenbeteiligung einzustellen, sowie der Erkenntnis, dass sich aus Straßenbaumaßnahmen erwachsende Vorteile einer rechnerisch exakten Bemessung von vornherein entziehen, weshalb nur nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab vorgegangen werden kann, folgt zwangsläufig, dass der Gemeinde bei der Entscheidung über die Eigenbeteiligungssätze im Einzelnen ein weiter Gestaltungs- und Bewertungsspielraum zuzubilligen ist, der nicht voll der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerwG, B.v. 3.9.2014 – 9 B 47.14 – juris Rn. 4). Die Ermächtigung des Satzungsgebers, diesen Spielraum auszuschöpfen, findet ihre rechtliche Grenze erst in den allgemeinen abgaberechtlichen Grundsätzen, nämlich dem Prinzip, dass der Beitrag einen Ausgleich für einen Vorteil darstellen muss, der Verhältnismäßigkeit und dem Willkürverbot. Innerhalb dieser Grenzen ist es jedoch nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinde typische Fallgruppen in einer vereinheitlichenden Weise erfasst, die das Heranziehungsverfahren praktikabel, überschaubar und effizient gestaltet (BayVGH, U.v. 27.9.2018 – 6 BV 17.1320 – juris Rn. 18; U.v. 27.6.2019 – 6 BV 19.81 – juris Rn. 22).
Ausgehend hiervon ist die gemeindliche Selbstbeteiligung so abzustufen, dass der Vorteil, der der Allgemeinheit im Verhältnis zu den Anliegern zuwächst, ausreichend differenziert berücksichtigt wird. Der Satzungsgeber hat daher bei seiner Wertung zu berücksichtigen, ob und inwieweit den Anliegern durch ihre räumliche Beziehung zu der Straße und deren Inanspruchnahme ein Vorteil zuwächst und in welchem Umfang der Vorteil der Allgemeinheit sich hierdurch gegebenenfalls verringert. Entscheidendes Kriterium ist dabei das Maß der zu erwartenden Inanspruchnahme der ausgebauten Straße durch die Anlieger einerseits und die Allgemeinheit andererseits (BayVGH, U.v. 29.10.1984 – 6 B 82 A.2893 – BayVBl 1985, 117 ff.; U.v. 27.9.2018 – 6 BV 17.1320 – juris Rn. 19; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 366 ff.). Bei der Abwägung zwischen dem individuellen Vorteil des Anliegers und dem Vorteil der Allgemeinheit ist die Verkehrsbedeutung der jeweiligen Straße das wichtigste Kriterium. Es ist notwendig, zumindest drei Straßenkategorien (einschließlich ihrer Teileinrichtungen) entsprechend der Verkehrsfunktion aufzustellen, nämlich Anliegerstraßen, Haupterschließungsstraßen und Hauptverkehrsstraßen, wobei für die konkrete Einordnung die in der Satzung notwendigerweise enthaltene Definition des jeweiligen Straßentyps heranzuziehen ist. Je mehr die ausgebaute Einrichtung erfahrungsgemäß von der Allgemeinheit benutzt wird, desto höher ist der Wert des durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der Allgemeinheit vermittelten Vorteils zu bemessen und desto höher muss dementsprechend der Gemeindeanteil sein. Umgekehrt muss der Anliegeranteil umso höher sein, je mehr die ausgebaute Einrichtung erfahrungsgemäß von den anliegenden Grundstücken aus benutzt wird. Dabei ist auch nach den einzelnen Teileinrichtungen der Ortsstraßen zu differenzieren (BayVGH, U.v. 16.8.2001 – 6 B 97.111 – juris).
In einer Anliegerstraße können die Vorteile für die Anlieger im Verhältnis zur Allgemeinheit für alle Teileinrichtungen gleich bemessen werden; entsprechendes gilt für Fußgängerbereiche, zumal bei diesen die Unterscheidung zwischen den Teileinrichtungen Fahrbahn und Gehweg definitionsgemäß entfällt. Bei Haupterschließungsstraßen und Hauptverkehrsstraßen hingegen unterscheiden sich die von unterschiedlichen Teileinrichtungen ausgehenden Vorteile so stark voneinander, dass ein einheitlicher Gemeindeanteil zu pauschal wäre, um dem Vorteilsprinzip noch zu genügen. Schließlich darf der gemeindliche Anteil nicht so hoch bemessen sein, dass die Gemeinde der gesetzlichen Beitragserhebungspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. nicht mehr nachkommt. Abgesehen von diesen gesetzlichen Vorgaben sowie von den durch das Vorteilsprinzip gesetzten Grenzen ist es Sache des Satzungsgebers, den Gemeindeanteil in der Satzung zu bestimmen. Die satzungsmäßige Festlegung von Gemeindeanteil und Anliegeranteil ist nur dann rechtswidrig, wenn der jeweils gewählte Anteil unter Vorteilsgesichtspunkten schlechterdings nicht mehr vertretbar ist, d.h. die Überschreitung des höchstzulässigen oder die Unterschreitung des mindestens Gebotenen völlig eindeutig ist und außer Frage steht (BayVGH, U.v. 6.2.2020 – 6 B 19.1260 – juris Rn. 28).
3. Gemessen an diesen Maßstäben begegnen die Eigenbeteiligungsregelungen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS erheblichen Bedenken.
a) Die Satzung der Beklagten sieht in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS für unselbständige Grünanlagen in allen drei Straßenkategorien (Anliegerstraßen, Haupterschließungsstraßen, Hauptverkehrsstraßen) unter Verstoß gegen das Differenzierungsgebot einen einheitlichen Gemeindeanteil von 50 v.H. vor. Da auch die Teileinrichtung unselbständige Grünanlage allen Nutzern der jeweiligen Anlage dient, ist hinsichtlich des Gemeindeanteils zwingend anhand der Verkehrsbedeutung zu differenzieren. Der Vorteil, welcher der Allgemeinheit im Verhältnis zu den Anliegern zuwächst, ist hier nicht ansatzweise differenziert berücksichtigt worden.
Hinzu kommt, dass der Gemeindeanteil von 50 v.H. für unselbständige Grünanlagen bei Anliegerstraßen auch für sich genommen nicht mehr vertretbar ist. Angesichts des Vorteilsprinzips (Art. 5 Abs. 3 KAG) muss bei Anliegerstraßen, die nur in geringem Umfang von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden, der Anliegeranteil den Gemeindeanteil deutlich übersteigen, also mindestens etwa 60% betragen (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2005 – 6 ZB 02.319 – juris Rn. 21). Somit kann die gemeindliche Eigenbeteiligung bei einer Anlieger straße und deren Teileinrichtungen zwischen 20 v.H. und 40 v.H. liegen (BayVGH, U.v. 27.9.2018 – 6 BV 17.1320 – juris Rn. 22). Hier liegt der Gemeindeanteil 10 Prozentpunkte darüber. Durch diesen sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden überhöhten Gemeindeanteil wird gegen die gesetzliche Beitragserhebungspflicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. verstoßen.
b) Auch die Festlegung der Gemeindeanteile für Radwege, Gehwege und gemeinsame Geh- und Radwege ist mangels hinreichender Differenzierung rechtswidrig. Die Satzung sieht in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ABS folgende Gemeindeanteile vor:
Teileinrichtung
Anliegerstraße
Haupterschließungsstraße
Hauptverkehrsstraße
Radweg
40%
40%
80%
Gehweg
30%
40%
50%
Gemeinsamer Geh- und Radweg
30%
40%
50%
Bei Anliegerstraßen und Hauptverkehrsstraßen differenziert die Beklagte zunächst zwischen Radweg und Gehweg und geht offensichtlich von einem höheren Anteil des Durchgangsverkehrs beim Radverkehr aus. Bei der Teileinrichtung „gemeinsamer Geh- und Radweg“ hingegen werden jeweils die Gemeindeanteile des Gehwegs angesetzt, ohne auch hier die unterschiedlichen Anteile der jeweiligen Verkehre zu berücksichtigen und entsprechend zu differenzieren. Dies stellt einen Verstoß gegen das Gebot der vorteilsgerechten Abstufung dar.
Zudem ist auch der Gemeindeanteil von 80 v.H. für Radwege als solches nicht mehr vertretbar. Die Mustersatzung des Bayer. Gemeindetages (Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Stand: September 2016, Teil VI Ziff. 2.16) sieht diesbezüglich einen Gemeindeanteil von 45 v.H. vor. Der BayVGH hält dabei eine Erhöhung von 15 Prozentpunkten für noch vertretbar (vgl. BayVGH, U.v. 27.9.2018 – 6 BV 17.1320 – juris Rn. 21). Hier liegt der Gemeindeanteil 35 Prozentpunkte darüber. Eine solche Erhöhung des Gemeindeanteils stellt einen Verstoß gegen die Beitragserhebungspflicht des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. dar.
4. Mit diesen Verstößen überschreitet die Beklagte ihren Beurteilungsspielraum. Dies führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Regelungen. Fehlt es somit an einer vollständigen wirksamen Eigenbeteiligungsregelung, schlägt dieser Mangel auf die gesamte Satzung durch. Eine solche Satzung enthält nicht den gesetzlich zwingend erforderlichen Mindestinhalt und kann deshalb nicht Grundlage für eine Beitragserhebung sein (BayVGH, B.v. 1.10.2018 – 6 ZB 18.1466 – juris Rn. 11).
Liegt dem streitgegenständlichen Bescheid keine wirksame Rechtsgrundlage in Form einer gültigen Abgabesatzung zugrunde, erweist sich dieser bereits deshalb als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die im Übrigen aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere nach dem Umfang der Beitragspflicht, der inhaltlichen Bestimmtheit der Bescheide und der teilweise verweigerten Akteneinsicht, sind somit nicht entscheidungserheblich und können offen bleiben.
5. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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