Verwaltungsrecht

Kurdische Autonomiegebiete im Irak als innerstaatliche Fluchtalternative

Aktenzeichen  M 4 K 16.33235

Datum:
28.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2, Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Religions- und Glaubensfreiheit sind in der Verfassung Iraks anerkannt. In der Region Kurdistan-Irak und in den Gebieten, die unter der Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind religiöse Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. (redaktioneller Leitsatz)
2 In den kurdischen Autonomiegebieten findet kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt statt. Dieses Gebiet ist vielmehr Zufluchtsort vieler Binnenflüchtlinge. (redaktioneller Leitsatz)
3 Da der Aufenthalt irakischer Staatsangehöriger im Bundesgebiet aufgrund eines Rundschreibens des Bay. Innenministeriums weiterhin geduldet wird, bedarf es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2017 entschieden werden, obwohl auf Beklagtenseite niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, insbesondere liegen die Voraussetzungen des §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 AsylG nicht vor. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
1. Eine Anerkennung als Asylberechtigte scheidet schon wegen Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz -GG-, § 26a Abs. 1 Asylgesetz -AsylG- aus, da die Kläger auf dem Landweg und somit über einen oder mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften bzw. sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist sind.
2. Die Kläger haben zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife auch keine Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz
AufenthG-, §§ 3 ff. AsylG. Es droht ihnen bei einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen ihrer religiösen Überzeugung.
a) Das Gericht folgt insoweit den Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung einen sehr unglaubwürdigen Eindruck hinterlassen; sie haben sich auf Vorhalt mehrfach berichtigt; bzw. wenn dies nicht möglich war, vorgetragen, dass das Protokoll des Bundesamtes falsch sei. Das Gericht glaubt deshalb die vorgetragene Geschichte nicht.
b) Doch selbst wenn man den Sachvortrag der Kläger als wahr unterstellt, droht den Klägern in ihrem Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verfolgung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit.
(1) Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung der Kläger durch ihre Familien stehen den Klägern jedenfalls die (anderen) Provinzen und Städte der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak als innerstaatliche Fluchtalternativen im Sinne von § 3e AsylG offen.
(2) Hinsichtlich der Situation aufgrund der Glaubenszugehörigkeit in den Kurdischen Autonomiegebieten ist zumindest dort von keiner staatlichen Verfolgung auszugehen. So erkennt die Verfassung des Iraks das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an und garantiert auch Religionsfreiheit inklusive der Freiheit ihrer Ausübung. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z.B. den Abfall vom Islam. Eine systematische Diskriminierung der Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Zwar kam es in den Hauptsiedlungsgebieten der religiösen Minderheiten im Nordirak seit Juni 2014 teilweise zu gezielten Verfolgungen von Jesiden und Christen durch den IS. In der Region Kurdistan-Irak wie auch in weiteren Gebieten, die unter der Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten jedoch weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 7.2.2017, S. 12, 14). Somit stünde einer Rückkehr der Kläger in die Region Kurdistan-Irak auch insofern nichts entgegen.
3. Der Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylG. Konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG (Todesstrafe, Folter, unmenschliche Behandlung oder Bestrafung) sind nicht ersichtlich. Ebenso sind die Kläger auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, weil ihnen eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. In der Region Sulaimania, die den Kurdischen Autonomiegebieten angehört, findet jedoch kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt statt. Im Gegenteil ist dieses Gebiet zum Zufluchtsort vieler Binnenflüchtlinge aus den übrigen Teilen des Iraks geworden. Das Vordringen von Kämpfern des IS ist an den Grenzen der Kurdischen Autonomiegebiete aufgehalten worden. Die Kurdischen Autonomiegebiete sind von Kämpfen oder sonstigen Ereignissen, die als „innerstaatlicher bewaffneter Konflikt“ angesehen werden könnten, nicht betroffen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18.2.2016, S. 4, 7, 12 ff.).
4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
a) Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer dem zu Folge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebungsstopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage, auch Gefahren durch kriminelle Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Inneren hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und der Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, sodass es keines zusätzlichen Schutzes in Verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.07.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministerium des Inneren erfasst werden, sind nicht ersichtlich.
5. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziffer 5, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert sind, keinerlei Anlass zu bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sie sind, wie oben ausgeführt, weder als Asylberechtigte oder Flüchtling anzuerkennen, noch stehen ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Voll-streckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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