Verwaltungsrecht

Landesweite Verfolgung durch eine Society

Aktenzeichen  9 ZB 18.32699

Datum:
12.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3466
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
VwGO § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es genügt den Darlegungsanforderungen nicht, wenn die Behauptung aufgestellt wird, die tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es überprüfbarer Nachweise auf andere Gerichtsentscheidungen oder Erkenntnisquellen, die den Vortrag stützen, dass die gegenteilige Bewertung in der Zulassungsschrift zutreffend ist, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes ist allein Sache des erkennenden Gerichts. Hat das Gericht eine landesweite Verfolgungsgefahr verneint, kommt es auf die Aussagekraft der vom Kläger vorgetragenen Verletzungen im Hinblick auf seine herausgehobene Stellung in der Society nicht an, unabhängig davon, ob das Verwaltungsgericht ihm dies wegen seines gesteigerten Aussageverhaltens geglaubt hat oder nicht. (Rn. 9 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 18.31099 2018-09-06 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2018 – 9 ZB 18.32733 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Hinsichtlich der Frage, „ob die durch das Erstgericht angenommene Auskunftslage zu möglicher landesweiter Verfolgung durch die Society noch aktuell und sachgerecht ist, insbesondere im Hinblick darauf, dass das Gericht sich auf eine Auskunftslage bezieht, die über 10 Jahre alt ist und damit naturgemäß nicht mehr der aktuellen Situation entsprechen kann, insbesondere im Hinblick auf den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt der ihm drohenden Verfolgung“, ist die Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit nicht hinreichend dargelegt.
Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung – wie hier – auf bestimmte Erkenntnismittel, genügt es den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es in diesen Fällen zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2018 – 9 ZB 18.50044 – juris Rn. 14 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Darüber hinaus hat sich das Verwaltungsgericht bei der Prüfung, ob dem Kläger landesweit Verfolgung droht, entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht nur auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 gestützt, sondern ausdrücklich auf zwei Auskünfte des Auswärtigen Amtes, nämlich auch noch auf die in seiner Erkenntnismittelliste aufgeführte weitere Auskunft vom 9. Januar 2017 an das Verwaltungsgericht Augsburg. Mit der Bezugnahme auf diese zweite, viel jüngere Auskunft, die in der Entscheidung zwar nicht näher bezeichnet ist, deren Aussagen sich auszugsweise aber darin wiederfinden, soweit von Zwangsmaßnahmen die Rede ist, setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
2. Auch ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG).
Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe dem Kläger gesteigertes, unglaubwürdiges Verhalten vorgeworfen und dabei völlig außer Acht gelassen, dass er Verletzungen am Ohr sowie am Oberarm vorweisen könne, die Merkmale eines rituellen Hintergrundes aufwiesen. Aus diesen Verletzungen sei möglicherweise zu ersehen, dass der Kläger wahrheitsgemäß angegeben habe, als neuer Anführer des Geheimbundes ausgewählt worden zu sein.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 18.12.2015 – 9 ZB 15.50140 – juris Rn. 3). Allerdings ist die Feststellung und Würdigung des Tatbestands allein Sache des erkennenden Gerichts. Die Behauptung, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien falsch oder unzureichend, vermag deshalb grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG, E.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273). Für das Verwaltungsgericht bestand danach vorliegend kein Anlass, sich im Urteil näher mit den im Zulassungsantrag angeführten Verletzungsfolgen des Klägers auseinander zu setzen.
Wie aus dem Urteil hervorgeht, hat das Verwaltungsgericht den vom Kläger beschriebenen Vorfall, bei dem er am Ohr geschnitten und in den rechten Oberarm gestochen worden sei, nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr hat es in ihm, wie schon das Bundesamt, auf das es Bezug nimmt, keinen asylrelevanten Verfolgungstatbestand gesehen. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative für den Kläger angenommen, sodass es insoweit auf die Verletzungen nicht ankam.
Soweit der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung dahingehend zu verstehen war, dass er den Vorsitz des Vaters in der Society habe übernehmen sollen, hat das Verwaltungsgericht ihm zwar wegen seines gesteigerten Aussageverhaltens nicht geglaubt und im Ergebnis eine landesweite Verfolgungsgefahr verneint. Ein Gehörsverstoß lässt sich aus der im Zulassungsverfahren aufgeworfenen Frage der möglichen Aussagekraft der Verletzungen im Hinblick auf eine herausgehobene Stellung des Klägers in der Society dennoch nicht ableiten, weil sich der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren auf eine solche Deutungsmöglichkeit gar nicht berufen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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