Aktenzeichen M 13 K 16.32215
ZPO § 114 S. 1
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 34a Abs. 1 S. 1, S. 2
Leitsatz
Hat Bulgarien einer Person Flüchtlingsschutz gewährt, lehnt aber deren Übernahme ab und verweist darauf, dass für die Entscheidung über die Rückübernahme die bulgarische Grenzpolizei zuständig sei, ohne dass seitens der Bundesrepublik Deutschland ein Antrag gestellt worden wäre, steht nicht abschließend fest, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann und die Abschiebungsanordnung ist rechtswidrig. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwalt B3., M., beigeordnet, soweit sich die Klage gegen die Ziffern 2. und 3. des Bescheids 28. Juli 2016 richtet.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 28. Juli 2016 gerichtete Klage.
1. Der im Februar 1997 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger.
Nach seinen Angaben im Rahmen der Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates hat er im Januar 2015 Syrien verlassen und sich nach Durchquerung der Türkei für etwa sechs Monate in Bulgarien aufgehalten. Von dort aus ist über Frankreich im Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland weitergereist und hat hier im Januar 2016 einen Asylantrag gestellt.
Nach der Feststellung eines EUORDAC-Treffers für Bulgarien hat das Bundesamt am 22. März 2016 bei der zuständigen Dublin-Behörde in Bulgarien die Übernahme des Klägers nach den Regelungen des Dublin-Systems beantragt. Die bulgarische Dublin-Behörde („Dublin-Unit“) hat zu diesem Übernahmeschreiben am 29. März 2016 im Einzelnen mitgeteilt (Bl. 70 der Behördenakte), dass dem Kläger mit Entscheidung vom 15. Mai 2016 in Bulgarien internationaler Schutz („refugee status“) zuerkannt worden ist. Eine Rückübernahme nach den Regelungen der Dublin III-Verordnung ist somit ausgeschlossen ist und wird deshalb abgelehnt. Für eine Rückführung des Klägers nach Bulgarien ist eine separate Anfrage an die bulgarische Grenzschutzbehörde in Anwendung des Rückführungsabkommens (zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bulgarien) notwendig.
Eine weitere Anfrage an die bulgarische Grenzschutzbehörde erfolgte nicht.
Am 12. Juli 2016 wurde der Kläger persönlich erneut beim Bundesamt insbesondere zu seinen persönlichen Bindungen im Bundesgebiet angehört. Auf die diesbezügliche Niederschrift wird im Einzelnen verwiesen.
Mit Bescheid vom 28. Juli 2016, zugestellt am 2. August 2016, wurde der Antrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1. des Bescheids). Der Kläger wurde zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert, für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet. Gleichzeitig wurde eine Abschiebung nach Syrien ausgeschlossen (Ziffer 2. des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 3. des Bescheids).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag nach § 26 a AsylG als unzulässig abzulehnen sei, da dem Kläger in einem sicheren Drittstaat ein Schutzstatus zuerkannt worden sei. Die Abschiebung in diesen sicheren Drittstaat sei nach § 34 a AsylG anzuordnen, dem Kläger werde als milderes Mittel eine vorherige Ausreisefrist gesetzt. Mit der Abschiebung sei das gesetzliche Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG verbunden.
Auf die Begründung des Bescheides wird im Einzelnen verwiesen.
2. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. August 2016 ließ der Kläger dagegen Klage erheben.
Die nächsten Familienangehörigen des Klägers befänden sich nach der Anerkennung im Asylverfahren legal im Bundesgebiet, deshalb müsse auch das Asylverfahren des Klägers im Inland durchgeführt werden. Jedenfalls verletzte aber die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2. des Bescheids den Kläger in seinen Rechten. Für die dort geregelte Abschiebung nach Bulgarien fehle es an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Die Beklagte habe entgegen § 34a AsylG nicht die Abschiebung angeordnet, sondern dem Kläger eine Ausreisefrist gesetzt. Im Übrigen fehle es an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34a AsylG, da die Aufnahmebereitschaft des Drittstaates nicht geklärt sei.
Der Kläger lässt beantragen,
1. den Bescheid vom 28. Juli 2016 aufzuheben, soweit die Abschiebung nach Bulgarien angedroht ist,
2. die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen.
Für dieses Klageverfahren hat der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. Oktober 2016 die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung beantragt. Die vollständige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers wurde mit Schriftsatz vom 14. November 2016 vorgelegt.
Die Beklagte hat sich im Verfahren nicht geäußert, sie hat die Behördenakte vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung konnte nur teilweise entsprochen werden.
Nach § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nur insoweit erfüllt, als die Klage auf die Aufhebung von Ziffern 2. und 3. des angefochtenen Bescheids vom 28. Juli 2016 gerichtet ist (dazu nachfolgend zu 2.). Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig in Ziffer 1. des Bescheids vom 28. Juli 2016 wird die Klage aller Voraussicht nach erfolglos sein (dazu nachfolgend zu 1.).
Der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags zugrunde zu legen. Dies ist der Zeitpunkt, in dem das Prozesskostenhilfegesuch vollständig dem Gericht vorliegt, vorliegend also der Zeitpunkt nach dem Schriftsatz vom 14. November 2016 (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 166 Rn. 14a).
1. Mit Art. 6 Nr. 7 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939) wurde § 29 Asylgesetz (AsylG) mit Wirkung zum 6. August 2016 neu gefasst. Auf diese Neufassung ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG für die vorliegende Entscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 1 C 6/16 – NVwZ 2016, 1492 Rn. 8).
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist eine Asylantrag (unter anderem) unzulässig, wenn dem Ausländer in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union bereits internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden ist. Dies ist beim Kläger der Fall, da im nach der Mitteilung der bulgarischen Dublin-Behörde an die Beklagte in dem EU-Mitgliedsstaat Bulgarien Flüchtlingsschutz („refugee status“) gewährt worden ist. Dabei kann es dahinstehen, in welcher Form die Gewährung dieses Flüchtlingsschutzes in Bulgarien erfolgte. Denn nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stellt jede Zuerkennung von Schutz in einem Mitgliedsstaat der EU eine Form des internationalen Schutzes im Sinne des Abschnitts 2 Unterabschnitts 2 (§§ 3 ff. AsylG) dar (vgl. ausführlich VG Hamburg, U.v. 22.11.2016 – 16 A 5054/14 – juris Rn. 22 ff.).
b) Damit ist nach der nunmehr anzuwendenden Fassung des § 29 AsylG die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1. des Bescheids vom 28. Juli 2016 rechtmäßig erfolgt. Dabei spielt es für diese Beurteilung keine Rolle, dass die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung zur Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers mit Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2014 (10 C 7/13) und nicht in Anwendung von § 29 AsylG begründet hat.
Im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes mit dem Bescheid vom 28. Juli 2016 war die Neuregelung des § 29 AsylG noch nicht in Kraft getreten, so dass die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als unzulässig abzulehnen, darauf noch nicht gestützt werden konnte. Da § 29 AsylG eine gebundene Entscheidung darstellt („Ein Asylantrag ist (sic!) unzulässig“) kann der Ausspruch zu Ziffer 1. des Bescheids vom 28. Juli 2016 auf der Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG jedoch in der nunmehr nach dem Erlass des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung aufrechterhalten werden (vgl. ausführlich VG Hamburg, U.v. 22.11.2016 – 16 A 5054/14 – juris Rn. 34 ff.). Vor allem hat die Beklagte auch die Unzulässigkeit des Asylantrags im Bescheidstenor festgestellt, so dass es insoweit auch keiner weiteren Auslegung des Bescheids bedarf.
c) Im Ergebnis hat die Beklagte damit den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt. Die Klage wird damit, soweit sie unter Aufhebung von Ziffer 1. des Bescheids auf die Verpflichtung der Beklagten, ein Asylverfahren durchzuführen, gerichtet ist, erfolglos bleiben. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe war insoweit abzulehnen.
2. Soweit sich die Klage auf die Aufhebung von Ziffer 2. und 3. des Bescheids vom 28. Juli 2016 richtet, wird sie voraussichtlich Erfolg haben. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird voraussichtlich aufzuheben sein. Dem Kläger war deshalb insoweit Prozesskostenhilfe zu gewähren und der vertretungsbereite Bevollmächtigte beizuordnen.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerseite kann die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes auf § 34a AsylG gestützt werden. Denn für den nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, in der seit dem 6. August 2016 geltenden Fassung, unzulässigen Asylantrag kann das Bundesamt nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG gegenüber dem Kläger die Abschiebung anordnen, da aufgrund des Asylantrags des Klägers in Bulgarien dieser Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig war (und ist).
b) Allerdings setzt die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AsylG weiter voraus, dass „feststeht“, dass die Abschiebung „durchgeführt werden kann“. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
aa) Nach der Rechtsprechung sind die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG („sobald feststeht, dass (die Abschiebung) durchgeführt werden kann“) nur dann erfüllt, wenn der Zielstaat der Abschiebung durch die Übernahme des Asylbewerbers ausdrücklich zugestimmt hat (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. – BVerfGE 94, 49/87 = juris Rn. 156). Diese Zustimmung von Bulgarien liegt nicht vor.
bb) In dem Schreiben der bulgarischen Dublin-Behörde vom 29. März 2016 wurde zum einen die Übernahme des Klägers im Dublin-System ausdrücklich abgelehnt. Eine Rückübernahme nach dem Deutsch-Bulgarischen Rückübernahmeabkommen wurde ebenfalls nicht bestätigt. Vielmehr wurde darauf hingewiesen, dass für die Entscheidung über die Rückübernahme des Klägers nach den Regelungen des Rückübernahmeabkommens die bulgarische Grenzpolizei zuständig ist. Bei dieser wurde von Seiten der Beklagten bisher erkennbar kein Rückübernahmeantrag nach Art. 5 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Bulgarien über die Rückübergabe/Rückübernahme von Personen an der Grenze (Rückübernahmeabkommen) vom 1. Februar 2006 (BGBl II 2006, S. 90) gestellt.
cc) Im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht damit nicht abschließend fest, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann (ausführlich im gleichen Sinn: VG Augsburg, U.v. 13.11.2014 – 2 K 30421/14 – juris Rn. 16 ff.). Damit fehlt es aber an den tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2. des Bescheids vom 28. Juli 2016, so dass diese voraussichtlich aufzuheben sein wird.
c) Mit dem Wegfall der Abschiebungsanordnung – für eine Auslegung als Abschiebungsandrohung fehlt jeder Anhaltpunkt – fehlt es auch an der Rechtsgrundlage für das in Ziffer 3. des Bescheids vom 28. Juli 2016 geregelte Einreise- und Aufenthaltsverbot. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass der Kläger tatsächlich nach Bulgarien abgeschoben werden kann, da keine Rückübernahme zugesichert ist. Ohne diese Abschiebung fehlt es aber an den Voraussetzungen für das Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Damit kann es im vorliegenden Verfahren auch dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung der Beklagten die vorgetragenen persönlichen Umstände des Klägers in ihre Entscheidung zutreffend eingestellt hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).