Verwaltungsrecht

Maßgeblichkeit der tatsächlichen Nutzung für die Zweckentfremdung von Wohnraum

Aktenzeichen  M 9 E 19.2295

Datum:
27.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10034
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) vom 05.12.2017 (MüABl. S. 494) § 4 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Für die Nutzung von Räumen – und somit auch für die Zweckentfremdung von Wohnraum zu gewerblichen Zwecken – ist nicht die Ausstattung der Räume, sondern die tatsächliche Nutzung maßgeblich.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 50.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die drohende Vollstreckung von Zwangsgeldern durch die Antragsgegnerin.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. März 2017 wurde der Antragstellerin die Nutzung der verfahrensgegenständlichen Wohnung 5. OG Mitte, …straße, zu anderen als Wohnzwecken untersagt und ihr aufgegeben, den Wohnraum unverzüglich wieder Wohnzwecken zuzuführen (Ziff. 1 und 2 des Bescheids). Unter Ziff. 4 und 5 des Bescheids wurde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,- EUR angedroht, sofern die Verpflichtungen nicht binnen einer Frist von drei Monaten ab Zustellung des Bescheids erfüllt werden. Mit rechtskräftigem Urteil vom 11. April 2018 (M 9 K 17.1966) wurde die Klage dagegen abgewiesen.
Nach weiteren Ortseinsichten vom 18. Oktober 2018, 25. Oktober 2018 und 30. Oktober 2018 (Bl. 330, 334 Behördenakte – BA) wurde mit Schreiben/Bescheid vom 6. November 2018 das Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 40.000,- EUR wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen für fällig erklärt. Ein erneutes Zwangsgeld in Höhe von jeweils 30.000,- EUR für den Fall der Nichterfüllung binnen einer Frist von zwei Monaten wurde angedroht; ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München (M 9 S 18.5843) abgelehnt, das Klageverfahren ist noch offen (M 9 K 18.5842).
Mit Schreiben vom 15. Februar 2019 erklärte die Antragsgegnerin das mit Bescheid vom 6. November 2018 angedrohte weitere Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 60.000,- EUR (jeweils 30.000,- EUR) zur Zahlung fällig. Die Antragstellerin sei weiterhin ihrer Verpflichtung aus Ziff. 1 und 2 des Bescheids vom 30. März 2017 nicht nachgekommen; wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben/Bescheid vom 6. November 2018 und das Schreiben vom 15. Februar 2019 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 27. November 2018 und 12. März 2019 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin gemäß § 123 VwGO:
1. Es wird festgestellt, dass das mit Mitteilung der Beklagten vom 6. November 2018 fällig gestellte Zwangsgeld in Höhe von 40.000,- EUR nicht zur Zahlung fällig ist.
2. Es wird festgestellt, dass das mit Mitteilung der Beklagten vom 15. Februar 2019 fällig gestellte Zwangsgeld in Höhe von 60.000,- EUR nicht zur Zahlung fällig ist.
Die Antragstellerin habe die mit Bescheid vom 30. März 2017 unter Ziff. 1 und 2 aufgegebenen Verpflichtungen eingehalten und erfüllt. Damals wie heute werde unstrittig das „Zimmer 3“ gewerblich für die Parfümerie genutzt. Bei den übrigen drei Zimmern handele es sich hinsichtlich der Einrichtung und der Ausstattung um eine typische Wohnnutzung, so dass hier zweifelsfrei weniger als 50% der Wohnfläche zur gewerblichen Nutzung verwendet würden, § 4 Abs. 2 Nr. 3 Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS). Ausweislich der beigefügten Lichtbilddokumentation und ihrer Einlassung habe die Antragstellerin ihre Pflichten zur Veränderung der Nutzung der Wohnung durch die Möblierung auch erfüllt. Da bereits der Bescheid vom 6. November 2018 über die Androhung eines weiteren Zwangsgelds rechtswidrig gewesen sei, sei auch das erneute Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 60.000,- EUR nicht fällig geworden. Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens sei die Zwangsvollstreckung einstweilig einzustellen, da ein Anordnungsanspruch bestehe. Ein Anordnungsgrund für den Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO liege vor, da die drohende Vollstreckung in Höhe von einmal 40.000,- EUR und einmal 60.000,- EUR existenzbedrohende, auch durch eine Rückzahlung nicht wieder auszugleichende wirtschaftliche Folgen für die Antragstellerin habe.
Die Antragsgegnerin beantragte,
Antragsablehnung.
Die Antragstellerin habe trotz des bestandkräftigen Bescheids vom 30. März 2017, bestätigt mit Urteil des Verwaltungsgerichts (M 9 K 17.1966), die zweckfremde Nutzung der Wohnung nicht aufgegeben, sondern nach eigenen Angaben und nach Rechtsberatung vor dem Besichtigungstermin durch die Antragsgegnerin die Möblierung angepasst. Der Besichtigungstermin sei vereinbart worden, da die Antragstellerin bei unangekündigten Ortsermittlungen den Zutritt verweigert habe. Maßgeblich sei nicht eine bestimmte Anordnung von Möbeln oder der Wohnungseinrichtung, sondern, wie im Urteil des Verwaltungsgerichts festgestellt, die tatsächliche Nutzung. Die existenzbedrohende Höhe des Zwangsgeldes habe die Antragstellerin nicht weiter belegt. Durch Offenlegung ihrer finanziellen Verhältnisse müsse diese zunächst den Nachweis führen, dass ein solches Zwangsgeld von ihr nicht leistbar ist, ohne dass ihre Existenz dadurch ernsthaft bedroht werde. Die bloße Behauptung genüge nicht.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, die beigezogenen Behördenakten und die Akten in den Verfahren M 9 S 18.4843, M 9 K 18.5842, M 9 K 17.1966 sowie das Urteil vom 11. April 2018 über die Rechtmäßigkeit des Grundbescheids Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. Eilbedürftigkeit, und eines Anordnungsanspruchs, d.h. ein es zu sichernden materiell-rechtlichen Anspruchs in der Hauptsache. Beides ist glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO.
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Das mit Bescheid vom 30. März 2017 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von
40.000,- EUR, fällig gestellt mit Schreiben vom 6. November 2018, ist zweifelsfrei fällig geworden.
Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass die tatsächliche Nutzung zu gewerblichen Zwecken der 4-Zimmer-Wohnung nicht aufgegeben wurde und im Vergleich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den Grundbescheid lediglich die Möblierung geringfügig geändert wurde. Diese Möblierung und Dekorierung der Wohnung ist nach den von der Antragstellerseite im Klage- und Antragsverfahren vorgelegten Fotografien nicht als glaubhafter Nachweis für eine mittlerweile begonnene Wohnnutzung geeignet. Nach den vorgelegten Fotografien, bestätigt durch das Besichtigungsprotokoll der Mitarbeiter der Antragsgegnerin, wirkt die Wohnung im Wesentlichen dekoriert und unbewohnt. Nach wie vor fehlen nach dem Vortrag der Antragstellerin jegliche Anhaltspunkte dafür, dass mittlerweile eine Wohnnutzung auf Dauer im Sinne eines Lebensmittelpunktes dort stattfindet. Unter Berücksichtigung des sehr kleinen Ladengeschäfts und der von der Antragstellerin angebotenen Tätigkeiten benötigt die Antragstellerin nach ihrem Betriebskonzept die Wohnung als ergänzende Räumlichkeiten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird ergänzend auf die Gründe des Beschlusses im Verfahren M 9 S 18.5843 Bezug genommen.
Daran, dass das im Bescheid vom 6. November 2018, mit Schreiben vom 15. Februar 2019 für fällig erklärte Zwangsgeld in Höhe von 60.000,- EUR fällig geworden ist, bestehen keinerlei Zweifel. An dem hier allein maßgeblichen Betriebskonzept der Antragstellerin hat sich bis zu diesem Zeitpunkt nichts geändert. Nach wie vor bietet die Antragstellerin im Zusammenhang mit ihrem Ladenlokal weitere Leistungen an, für die sie zusätzliche Räume benötigt. Das Gericht geht davon aus, dass die Wohnung nach wie vor nicht Wohnzwecken zugeführt wurde. Die Antragstellerin und ihr Ehemann wohnen dort nicht wie bereits in früheren Verfahren ausführlich dargelegt wurde (Urteil vom 11.4.2018 – M 9 K17.1966). Es wurde weder vorgetragen noch ist aus den Akten nur ansatzweise ersichtlich, dass die Antragstellerin innerhalb der gesetzten Frist die Zweckentfremdung tatsächlich beendet hat. Damit fehlt es an jeglicher Glaubhaftmachung der endgültigen Aufgabe des rechtswidrigen Nutzungskonzepts und damit an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
Soweit die Antragstellerin vortragen lässt, die mittlerweile erreichte Höhe der für fällig erklärten Zwangsgelder gefährde ihre wirtschaftliche Existenz, fehlt es auch diesbezüglich an einer substantiierten Darlegung und Glaubhaftmachung. Ungeachtet dessen, dass gegebenenfalls eine Rückzahlung der Zwangsgelder durch die Antragsgegnerin erfolgt, hat die Antragstellerin lediglich behauptet, dass die Beitreibung der fällig gestellten Zwangsgelder existenzbedrohende und nicht wieder auszugleichende wirtschaftliche Folgen für sie habe. Bereits mit Schreiben vom 20. Februar 2019 hat die Antragsgegnerin um Vorlage geeigneter Nachweise bis Ablauf der Zahlungsfrist gebeten, sofern die Antragstellerin zur Zahlung nicht in der Lage sei. Ungeachtet des fehlenden Anordnungsanspruchs fehlt es daher auch an einer plausiblen Darlegung der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung durch das Gericht.
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.7.1, 1.5 Streitwertkatalog.


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