Verwaltungsrecht

Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Taufe für Wiederaufgreifen

Aktenzeichen  M 2 S 17.44568, M 2 K 17.40821

Datum:
9.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36, § 71 Abs. 1, Abs. 4
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1. Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

Für die Frist von drei Monaten für den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 Abs. 3 VwVfG) ist bei sich fließend entwickelnden dauerhaften Sachverhalten wie der Konversion zu einer anderen Religion auf die Taufe als nach außen erkennbarer Manifestation des Glaubensübertritts abzustellen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 18. Mai 2017, Az. M 2 K 17.40821, gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2017, Az. …, wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird sowohl für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, Az. M 2 S 17.44568, als auch für das Klageverfahren, Az. M 2 K 17.40821, abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Ein erster Asylantrag wurde unanfechtbar abgelehnt. Am 23. November 2016 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung brachte er im Wesentlichen vor, er sei zum Christentum konvertiert. Am 6. Dezember 2015 sei er getauft und in die evangelisch-methodistischen Kirche aufgenommen worden.
Mit streitbefangenem Bescheid vom 8. Mai 2017, nach Angaben der Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 11. Mai 2017, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter lehnte es den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 3. April 2014, Az. 5627651, bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ab (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3).
Am 18. Mai 2017 erhob der Antragsteller im Verfahren M 2 K 17.40821 durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid beantragte hier für die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Mit weiterem Schriftsatz vom 1. Juni 2017 ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in der Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2017 anzuordnen.
Gleichzeitig ließ er beantragen,
ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu gewähren.
Zur Antragsbegründung wird im Wesentlichen ausführt, der Antrag sei aufgrund der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung:zulässig. Es liege durch die Konversion zum Christentum ein Wiederaufgreifensgrund vor, der durch die Taufe und das gelebte Bekenntnis manifestiert werde, Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in diesem sowie im Hauptsacheverfahren M 2 K 17.40821 und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 75 Abs. 1 Asylgesetz [AsylG] i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig. Zwar wurde er nicht innerhalb der Wochenfrist nach § 71 Abs. 4, § 34, § 36 Abs. 3 Satz 1 und § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG bei Gericht gestellt. Jedoch ist die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:fehlerhaft, da sie fälschlich auf eine Zwei-Wochen-Frist anstatt auf die zutreffende Wochenfrist verweist (vgl. § 58 Abs. 2 VwGO). Zudem fehlt es auch an einer entsprechenden Belehrung nach § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 3 AsylG.
Der Antrag ist indes unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vollziehung des streitbefangenen Bescheids i.S.d. § 36 Abs. 4 AsylG bestehen. Es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig einer rechtlichen Prüfung sehr wahrscheinlich standhält, weil die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens des Antragstellers nicht vorliegen.
Gegenstand des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 und 4 AsylG gegen eine Abschiebungsandrohung nach Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (vgl. zur Anfechtungsklage als statthafter Klageart aktuell BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris LS. 1) ist die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die von Gesetzes wegen gegebene sofortige Vollziehbarkeit (§ 75 Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG), § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass diese einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166). Prüfungsgegenstand ist dabei die Entscheidung, den früheren Bescheid nicht abzuändern, weil die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nicht gegeben sind und weil auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Voraussetzung einer nach § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG und § 59 AufenthG erlassenen Abschiebungsandrohung ist, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG hinsichtlich der Durchführung eines Folgeverfahrens und auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG).
Das Bundesamt ist zur Überzeugung des Gerichts voraussichtlich zutreffend davon ausgegangen, dass die Zulässigkeitsanforderungen der § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen und der Folgeantrag damit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig ist.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Hs. 1 AsylG). Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes u.a. zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstige Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2). Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ist der Antrag binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen. Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG beginnt die Frist mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Bei (gegebenenfalls sich prozesshaft entwickelnden) Dauersachverhalten ist grundsätzlich die erstmalige Kenntnisnahme von den Umständen für den Fristbeginn maßgeblich. Das Erfordernis, die Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG einzuhalten, gilt auch für die sich prozesshaft entwickelnde Dauersachverhalte sowie Wiederaufgreifensgründe, die während des behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens auftreten. Wenn der Dauersachverhalt einen Qualitätsumschlag erfährt, kann diese Frist erneut in Lauf gesetzt werden (BVerwG, U.v. 13.5.1993 – 9 C 49/92 – BVerwGE 92, 278). Bei der Folgeantragstellung müssen substantiiert und schlüssig, gegebenenfalls unter Darlegung von Beweismitteln, sowohl die geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe als auch die Einhaltung der Frist dargelegt werden (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2016, § 71 AsylG, Rn. 41 ff.). Hinsichtlich § 51 Abs. 2 VwVfG ist dem Betreffenden in der Regel ein qualifizierter Schuldvorwurf zu machen, wenn er nicht alle bereits eingetretenen und auch bekannt gewordenen Umstände, die das persönliche Umfeld betreffen, bei den zuständigen Stellen vorbringt. Dem von Verfolgung konkret Bedrohten muss sich – auch wenn er mit den Einzelheiten konkreter Verfahrensabläufe nicht vertraut ist – bei einfachsten Überlegungen aufdrängen, dass er schon im ersten bzw. in früheren Verfahren gegenüber den zuständigen staatlichen Stellen alles zu sagen und vorzubringen hat, was für seine Verfolgung auch nur entfernt von Bedeutung sein kann.
Der Antragsteller hat den vorliegend genannten Voraussetzungen nicht genügt. Sein Folgeantrag vom 23. November 2016 wahrt die dreimonatige Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG hinsichtlich der dazu maßgeblich allein vorgetragenen Konversion vom Islam zum Christentum nicht. Entscheidend ist auf den Zeitpunkt der Taufe des Antragstellers am 6. Dezember 2015 abzustellen. Denn gerade bei sich im Allgemeinen fließend entwickelten dauerhaften Sachverhalt wie hier bei der Religionskonversion ist nach Auffassung des Gerichts für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts i.S.d. § 51 Abs. 3 VwVfG regelmäßig auf die Taufe als nach außen erkennbare Manifestation der Konversion abzustellen (vgl. aktuell zutreffend so: VG Stuttgart, U.v. 14.3.2017 – A 11 K 7407/16 – juris Rn. 38). Davon abzugrenzen ist, dass der formale Akt der Taufe für die Beantwortung der materiellen asylrechtlichen Frage, ob sich der Betroffene nach der Rückkehr in sein Herkunftsland auch in einer Art und Weise religiös betätigen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung, alleine nicht ausreichend ist. Zusätzlich muss dazu vielmehr auch noch festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (vgl. aktuell OVG NRW, B.v. 9.6.2017 – 13 A 1120/17.A – juris Rn 12 ff.). Diese Frage ist vorliegend jedoch im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylG nicht streitgegenständlich.
Ab dem Zeitpunkt der Taufe am 6. Dezember 2015 hatte der Antragsteller i.S.d. § 71 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG folglich Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Er hätte ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag aber erst am 23. November 2016 und damit erheblich verspätet gestellt worden. Wenn der Antragsteller nunmehr ausführen lässt, die Taufe allein sei nicht ausreichend für die Begründung eines Asylfolgeantrags, vielmehr müsse hinzu kommen, dass er die gewählte Religion aktiv lebe und die religiöse Überzeugung im Falle der Rückkehr in sein Heimatland zu einer ernsten Gefahr führen würde, genügt dies nicht für die Annahme einer ausnahmsweise vom Zeitpunkt der Taufe abgerückten Veränderung des Dauersachverhalts im Sinne eines erst späteren Qualitätsumschlags. Um feststellen zu können, ob eine entscheidungserhebliche Veränderung des Dauersachverhalts ausnahmsweise später als zum Zeitpunkt der Taufe eingetreten ist, hätte es eines substantiierten Vortrags hierzu bedurft. Der Antragsteller hätte ausführlich darlegen müssen, warum er zum Zeitpunkt der Taufe vom christlichen Glauben noch nicht absolut überzeugt war. Solches ist weder gegenüber dem Bundesamt noch in der Antragsbegründung vom 1. Juni 2017 auch nur ansatzweise erfolgt. Im Gegenteil gab der Antragsteller bei seiner informatorischen Anhörung durch das Bundesamt am 20. März 2017 eine Motivationslage an, die aus seiner subjektiven Sicht gerade auf seine bereits Ende 2015 ausreichend gefestigte religiöse Überzeugung schließen lassen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich für den Antragsteller erst in den letzten drei Monaten vor Antragstellung eine über die Taufe hinaus in noch zusätzlich relevanter Weise gewachsene und gefestigte religiöse Überzeugung und Hinwendung zum Christentum herausgebildet hätte.
Die Kostenentscheidung der Antragsablehnung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach dem vorstehend Ausgeführten bestehen weder für das Eilverfahren noch für die Hauptsache hinreichende Erfolgsaussichten, sodass die jeweiligen Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten abzulehnen waren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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